Spengler auf Deutsch 3 – Billiges Öl gefährdet das saudische Herrscherhaus

Übersetzt von Stefan O. W. Weiß

Der Originaltext erschien zuerst am 22. Oktober 2015 auf Asia Times.

Saudi-Arabien gibt Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Ein neuer Bericht des Internationalen Währungsfonds legt nahe, dass es für das saudische Herrscherhaus kein Morgen geben könnte. Gemäß den IWF-Schätzungen wird das Königreich ohne massive Ausgabenkürzungen beim aktuellen Ölpreis seine Finanzreserven in fünf Jahren erschöpft haben. Saudi-Arabien ist ein reiches Land voll armer Leute, und das saudische Herrscherhaus hat sich Legitimität erkauft, indem es seine Untertanen subventionierte. Möglicherweise würde die Dynastie die Austeritätsmaßnahmen nicht überleben, welche der IWF für nötig hält, um zu verhindern, dass das Königreich 2020 ohne Reserven dasteht. Ägypten, derzeit abhängig von saudischen Subsidien, ist ebenfalls gefährdet.

Auf den Fall des saudischen Königshauses zu wetten, war jahrelang ein billiges Vergnügen. Wie William Quandt vor zwanzig Jahren in „Foreign Affairs“ schrieb: „Es ist große Mode, den Fall des saudischen Königshauses vorherzusagen“. Zahllose Experten behaupteten, das Menetekel an der Palastwand zu sehen, aber sie täuschten sich. Bis heute haben es die gerissenen Saudis geschafft, ihre Rivalen zu kooptieren, aufzukaufen oder abzuschlachten. Diesmal aber ist es anders. Alle überlebenswichtigen Werkzeuge der Monarchie erfordern große Geldsummen, und die Herausforderung für die selbsternannten Wächter der islamischen Reinheit nimmt in dem Maße an Bedrohlichkeit zu, wie der Islam immer tiefer in Chaos und Krisen versinkt. Wie IHS-Janes (ein amerikanischer Informationsdienst zu Fragen der Sicherheitspolitik) Analyst Meda al Rowas im letzten Juli beobachtete, „ist Saudi-Arabiens klerikales Establishment einer der wichtigsten stabilisierenden Faktoren des Königreichs. Die salafistisch-wahhabitische Ideologie verlangt Gehorsam gegenüber dem anerkannten Herrscher; in Saudi-Arabiens Fall ist das der König, aber nur solange, wie er den Islam durchsetzt“. Das saudische Königshaus ist mit Ägypten gegen die Muslimbruderschaft verbündet, eine attraktive Form des Islamismus für junge Saudis, die von der Monarchie von Macht und Privilegien ausgeschlossen sind. ISIS betont seinen Anspruch, den Islam gegen das sklerotische saudische Königshaus zu führen, ein Risiko, das von zahlreichen westlichen Analysten ernst genommen wird. Im November 2014 rief der ISIS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Muslime auf, gegen die saudische Monarchie zu rebellieren. Zu Beginn dieses Jahres organisierte ISIS Selbstmordattentate gegen die schiitische Minorität und im letzten Juni einen verheerenden Angriff gegen eine schiitische Moschee in Kuwait, um seine Autorität gegen das mit der Regierung verbündete klerikale Establishment geltend zu machen.

Die königliche Familie hat auf die islamistische Bedrohung geantwortet, indem sie sich zum Vorkämpfer der Sunniten gegen den Iran stilisierte. Al Rowas vom IHS warnt: „König Salmans Anstrengungen, das klerikale Establishment auf seiner Seite zu halten, indem er einen hochbelasteten sektiererischen Sprachgebrauch übernimmt, der gegen Iran und die Schia im Allgemeinen gerichtet ist, riskieren in den nächsten drei bis fünf Jahren nach hinten loszugehen, insbesondere, wenn die Saudis glauben, dass die saudische Monarchie unfähig ist, den expandierenden iranischen Einfluss einzudämmen“.

Vor dem Hintergrund eines konfessionellen Krieges stellen jedoch Saudi-Arabiens wirtschaftliche Probleme die größte Bedrohung für die Fortdauer des Regimes dar. Die 2000 saudischen Prinzen, die das Land kontrollieren, unterstützen zwischen einem Viertel und einem Drittel der saudischen Bevölkerung. Gemäß dem IWF könnte es sich künftig als unmöglich erweisen, weiterhin sozialen Frieden zu erkaufen.

Das Diagramm unten zeigt den Ölpreis, der nötig ist, damit die großen Ölförderländer des Nahen Ostens ihre Haushalte ausgleichen können. Im Falle der Saudis beträgt der kostendeckende Ölpreis (gelbe Kolumne) 105 $. Die grünen Punkte zeigen die Anzahl an Jahren, die ein Land vor sich hat, bevor ihm die finanziellen Reserven ausgehen. Der Irak ist jetzt schon pleite, Saudi-Arabien und Algerien haben fünf Jahre und der Iran acht.

Finanzreserven und Ölpreisschwelle:

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Der IWF will, dass die Saudis die Ausgaben in einem Ausmaß kürzen, das mehr als 20% des Nicht-Öl-Bruttoinlandsprodukts beträgt, wie in dem IWF-Diagramm unten gezeigt wird.

Lücke zwischen geplantem Haushaltssaldo und gewünschter Politik:

Es ist unklar, ob Saudi-Arabien die Ausgaben so tiefgreifend kürzen und gleichwohl die politische Stabilität aufrechterhalten kann. Es gibt keine offiziellen Daten über Armut in Saudi-Arabien, aber eine saudische Zeitung nutze Daten der Sozialeinrichtungen zu der Schätzung, dass sechs Millionen der zwanzig Millionen Einwohner des Königreichs arm, einige extrem arm sind. Nach den Unruhen des „Arabischen Frühlings“ (2011), erhöhte Riad die Sozialausgaben auf 37 Milliarden Dollar – oder 6000 Dollar für jeden Armen im Königreich – um der Ausbreitung von Unzufriedenheit in seinem eigenen Territorium zuvorzukommen. Saudi-Arabien gibt heute 48,5 Milliarden Dollar für Verteidigung aus, und plant, dies bis 2020 auf 63 Milliarden zu erhöhen. Um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten, muss die Monarchie Irans bevorstehende Aufrüstung des konventionellen Militärs nach dem P5+1-Nuklearabkommen ausgleichen.

Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten halten Ägypten über Wasser. Zu Beginn dieses Jahres versprachen sie 12,5 Milliarden Dollar neue Finanzhilfen für Ägypten, und die ägyptischen Medien schätzen die Gesamthöhe der Finanzhilfen auf mehr als 20 Milliarden Dollar. Der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Morsi, wurde im Juli 2013 gestürzt, als die ägyptische Wirtschaft kollabierte, und sein Nachfolger, General Fatah al-Sisi konnte umgehend Hilfe von den Golfstaaten erlangen. Ägyptens Wirtschaft ist weiter im Niedergang. Das Außenhandelsdefizit hat sich seit dem 2011 erfolgten Sturz von Präsident Hosni Mubarak beständig weiter erhöht. Das größte arabische Land importiert die Hälfte seiner Nahrungsmittel und kauft für nahezu 40 Milliarden mehr als es verkauft. Wenn die Golfstaaten ihre Subsidien einstellen, wird Ägyptens Wirtschaft zusammenbrechen.

Ägyptische Handelsbilanz:

 

Ausgleichende Einkünfte aus dem Tourismus sind stark zurückgegangen, von 2012 auf 2013 um 41 % auf nur 5,9 Milliarden Dollar jährlich. Die Hälfte der Ägypter ist abhängig von Regierungszahlungen, die das Haushaltsdefizit auf 12,5 % des Bruttoinlandsprodukts aufgebläht haben.

Budget der ägyptischen Regierung:

 

Selbst unter ungünstigen strategischen und wirtschaftlichen Bedingungen hätte das saudische Königshaus noch beeindruckende Ressourcen. Seine 100.000 Mann starke Nationalgarde ist vornehmlich eine militarisierte interne Polizei, befehligt von Stammesangehörigen, die loyal zur königlichen Familie sind. Die Saudis und die anderen Golfmonarchien verfügen auch über pakistanische Söldner, die nach einigen Schätzungen ein Zehntel der 500.000 Mann starken Militär und Polizeimacht der Golfstaaten stellen. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte das starke ausländische Kontingent in den saudischen Streitkräften eine Gefahr werden, etwa bei einer Revolte eines Teils der etwa 1,5 Millionen zählenden pakistanischen Arbeiter.

Das Problem ist, dass das saudische Königshaus kaum Freunde hat. Von den Vereinigten Staaten, seinem wichtigsten Verbündeten, wurde es durch das Nuklearabkommen mit dem Iran aufgegeben. Mit chinesischer Unterstützung hat Russland sich mit dem Iran in Syrien verbunden. Die Türkei war nie ein Freund, und steht der Muslimbruderschaft – immer noch der wichtigste Gegner der saudischen Monarchie – näher als der königlichen Familie.

Um die Gunst des wahhabitischen klerikalen Establishments zu erhalten, hat die Monarchie wohlhabenden Saudis erlaubt, islamistische Kräfte, die Riad offiziell ablehnt, verdeckt zu finanzieren. Ein chinesischer Funktionär erzählte mir neulich, dass China nur eines im Nahen Osten fürchtet, die saudische Finanzierung von wahhabitischen Medressen (islamischen theologischen Schulen) in Chinas mehrheitlich von Muslimen bevölkerten Westprovinz Xinjiang. An der Oberfläche sind die saudisch-chinesischen Beziehungen exzellent. China ist Riads bester Kunde für Öl, obwohl China 2015 zum ersten Mal mehr Öl von Russland als von China gekauft hat. Russland akzeptiert als Bezahlung für das Öl chinesisches Geld, während die Saudis US-Dollar verlangen.

Das Problem besteht darin, dass die Zentralregierung in Riad entweder unfähig ist, einzelne Saudis davon abzuhalten, radikale Gruppen zu unterstützen, oder dass sie so sehr mit dem wahhabitischen klerikalen Establishment verbunden ist, dass sie ein Doppelspiel treibt. Muslimischer Separatismus ist eine ernste chinesische Sorge. Wie Russland sieht China den Iran nicht als Bedrohung; chinesische Muslime sind Sunniten, keine Schiiten. Die Ausbreitung von islamischem Fundamentalismus durch saudisch finanzierte Medressen ängstigt China – es hat keine natürliche Abwehr gegen ausländische religiöse Ideologien im eigenen Land – und Saudi-Arabien wirkt immer mehr wie eine Belastung.

Die Saudis lernen, dass Geld keine strategische Überlegenheit kaufen kann, gerade zu dem Zeitpunkt, an dem Geld knapp zu werden beginnt. Die Monarchie hat ihre Grabredner seit Jahrzehnten Lügen gestraft, aber jetzt könnte sie ihr Verfallsdatum überschritten haben.

 

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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