Spengler auf Deutsch 53: Warum interessierte Tolkien sich für die Juden?

Das Original erschien am 31. August 2016 unter dem Titel „Why Did Tolkien Care about the Jews?“ in PJMedia.

Im aktuellen Heft des “Commentary” diskutiert mein Freund Rabbi Meir Soloveichik, warum J. R. R. Tolkien von den Juden fasziniert war. Natürlich sind sie die Zwerge in “Der Hobbit” und in “Der Herr der Ringe”, was Tolkien auch selbst in einem BBC-Interview von 1971 bekannt hat. Tolkien war kein Antisemit (jedenfalls nicht nach der kanonischen Definition, nämlich jemand, der die Juden noch mehr hasst, als unbedingt nötig ist). Seine Ansichten in „Der Hobbit“ waren typisch für Philosemiten in den 1930ern: Die Juden/Zwerge sind „berechnende Leute, die den Wert des Geldes sehr zu schätzen wissen; einige sind gerissen und verräterisch und ziemlich üble Typen; andere sind nicht so, sondern ziemlich anständige Leute … wenn man nicht zu viel erwartet“.

Im “Herrn der Ringe” – vollendet nach dem Holocaust – zeigte Tolkien größere Sympathie; er stellte eine enge Elf-Zwerg-Freundschaft dar, Vorbote (wie Rabbi Soloveichik dargelegt hat) einer jüdisch-christlichen Allianz gegen die Kräfte des Bösen. Man könnte hinzufügen, dass in „Das Silmarillion“, Tolkiens frühem (aber posthum veröffentlichtem) Kompendium der Mythologie Mittelerdes, die Zwerge vor den Elfen erschaffen wurden, so wie die Juden vor den Christen kamen – in Tolkiens Erzählung freilich durch einen Irrtum.

In der Zwergen Suche für ihr altes Heimatland in den fernen Bergen drückte Tolkien, wie Rabbi Soloveichik beobachtet hat, eine gewisse Sympathie für den Zionismus aus.

All dies wirft die Frage auf, was die Juden ins Zentrum von Tolkiens Aufmerksamkeit gerückt hat? Ein Teil der Antwort findet sich in Tolkiens lebenslanger Anstrengung, den gefährlichen Einfluss von Richard Wagner zu neutralisieren, dessen „Ring der Nibelungen“ das einflussreichste Kunstwerk der letzten 200 Jahre ist (und meines Erachtens das gefährlichste). Wagner plünderte die alten nordischen und germanischen Sagen in Dienst eines wiederbelebten Heidentums. Tolkien dagegen holte aus, um die alten heidnischen Geschichten neu zu nutzen, sie zu einem gesunderen Fundament für das Christentum zu machen, das ihnen folgen sollte.

In Wagners Schauspiel der Götter und Helden etabliert die Aristokratie (die Götter) ihre Herrschaft durch Verträge (Bünde). Aber um ihre Herrschaft aufrecht zu erhalten, müssen sie Riesen (Kapital und Arbeit) anheuern, um ihre Festung Walhalla zu bauen, und um sie zu bezahlen, stehlen sie das verfluchte Gold der Nibelungen-Zwerge (der Juden). In seinen Publikationen und Briefen stellt Wagner klar, dass die ekligen Nibelungen die Juden waren, die er wirklich von Grund auf hasste. In einem seiner letzten Texte behauptet er, dass der Zweck der Eucharistie darin bestehe, den Kommunikanten von der Verschmutzung seines arischen Blutes zu reinigen, insbesondere um den Makel jüdischen Blutes von Jesus selbst zu entfernen. Wagner stahl die Handlung seiner Oper „Der fliegende Holländer“ von einem Juden (Heinrich Heine) und sein musikalisches Porträt des Meeres von einem anderen Juden (Felix Mendelsohn) und publizierte dann ein Pamphlet, in dem er behauptete, die Juden könnten nur imitieren, aber keine neuen Kunstwerke erschaffen.

Wagners Erbe bleibt böse. Erfreulicherweise kennen viel mehr Menschen Tolkien als Wagner und so könnten wir Tolkiens Projekt einen Erfolg nennen. Leider aber bleibt ein starker Einfluss Wagners auf die kulturelle Elite; er beeinflusst die moderne Kultur in einer Art und Weise, welche die populäre Hörerschaft nicht wahrnimmt. Noch hat niemand einen Pfahl durch sein Herz getrieben. Ich schwinge den Hammer, wann auch immer sich eine Gelegenheit bietet.

In einem Essay aus dem Jahre 2003 („The Ring and the Remnants of the West“ – Der Ring und die Überreste des Westens) habe ich Wagners und Tolkiens Behandlung des gleichen nordischen und teutonischen mythologischen Stoffes verglichen:

Der Nibelunge Alberich schmiedet einen Ring der Macht Sauron schmiedet einen Ring der Macht
Wotan braucht die Riesen, um Walhalla zu bauen Die Elfen brauchen Sauron, um ihre Ringe der Macht zu schmieden
Der Ring gibt dem Träger die Weltherrschaft Der Ring gibt dem Träger die Weltherrschaft
Wotan nutzt den Ring, um die Riesen zu bezahlen Sauron betrügt die Elfen
Der Ring ist verflucht und betrügt seinen Träger Der Ring ist böse und betrügt seinen Träger
Fafner tötet seinen Bruder Faasolt, um den Ring zu bekommen. Smeagol tötet seinen Freund Deagol für den Ring
Fafner versteckt sich für Jahrhunderte in einer Höhle Smeagol-Gollum versteckt sich für Jahrhunderte in einer Höhle
Siegfried erbt die Bruchstücke vom Schwert seines Vaters Aragorn erbt die Bruchstücke vom Schwert seines Vaters
Brunnhilde gibt ihre Unsterblichkeit für Siegfried auf Arwen gibt ihre Unsterblichkeit für Aragorn auf
Wotan lost Rätsel um das Leben von Mime Gollum lost Rätsel um das Leben von Bilbo
Ein Drache bewacht den Nibelungenhort Ein Drache bewacht den Zwergenschatz
Die Götter entsagen der Welt und erwarten das Ende Die Elfen entsagen der Welt und bereiten sich auf die Abreise vor
Der Ring kehrt zu seinem Urspung zurück, dem Rhein Der Ring kehrt zu seinem Ursprung zurück, dem Schicksalsberg
Hagen fällt in den Fluss Gollum fällt in den Vulkan
Die Zwerge sind die Juden (und sehr böse) Die Zwerge sind die Juden (klüngelhaft und habgierig, aber nicht böse)
Ein neues Zeitalter erscheint in der Welt Ein neues Zeitalter erscheint in der Welt
Die Menschen werden sich selbst überlassen Die Menschen werden sich selbst überlassen

Ich schrieb damals: „Tolkien-Fans betonen seine Unterschiede zu Wagner, als ob sie die Geringschätzung abwehren wollten, „Der Herr der Ringe“ wäre kein originales Werk. Wie Bradley Birzer, David Harvey und andere Kommentatoren bemerkt haben, hasste Tolkien Wagners Neuheidentum. Er war ein frommer römischer Katholik und explizit philosemitisch, wo Wagner antisemitisch war. Aber diese Verteidigung Tolkiens verdunkelt ein großes Verdienst. Er hat Wagners Ring nicht nachgeahmt, sondern er hat das Material in einer völlig andern Form neugeschmiedet. ‚Neuschmieden‘ ist eine angemessene Bezeichnung. Eine bemerkenswerte Szene in Wagner zeigt Siegfried, wie er die Bruchstücke von seines Vaters Schwert in eine neue Form gießt und ein neues Schwert aus ihnen schmiedet. Genau das hat Tolkien mit den Bruchstücken aus Wagners Geschichte gemacht. Wagner wird auch weiterhin auf den Bühnen der Opernhäuser spuken, aber das Publikum wird ihn durch Tolkiens Augen sehen“.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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