Spengler auf Deutsch 64: Was will Putin?

Das Original erschien am 21. Oktober 2016 unter dem Titel „What does Putin want?“ In PJMedia

Ich hatte geplant, etwas Längeres über Putin zu schreiben, aber die jüdischen Feiertage kamen mir dazwischen. Darum nur eine schnelle Antwort auf die Frage: Was will Putin? Russland hat große Ambitionen und eine gescheiterte Wirtschaft, aber es hatte schon immer große Ambitionen und eine gescheiterte Wirtschaft (der Erste Weltkrieg rührt teilweise daher, dass Russland Steuern von seinen westlichen Provinzen verlangte, um seine Abenteuer im Osten zu finanzieren). Während des größten Teils seiner Geschichte hinkte Russland dem Westen technologisch hinterher, insbesondere in innovativer Militärtechnologie, und war daher vorsichtig – mit zwei Ausnahmen. Die erste Ausnahme war von 1957 bis in die frühen 1960er, nachdem Russland mit dem Sputnik bei dem Wettlauf ins Weltall in Führung gegangen war; Russlands Erfolg trug zu der Euphorie bei, welche die Berlin- und die Kubakrise hervorrief. Die zweite Ausnahme ist jetzt, seit Russlands Flugabwehr uns effektiv aus Syrien ausschließt. Wie ein Witzbold schrieb: Es gibt kein Flugverbot in Syrien, außer es wird von den Russen verhängt. Putins Interesse besteht darin, die Vereinigten Staaten zu demütigen und seinen chinesischen Partnern seine Wichtigkeit zu beweisen, die immer noch russische Technologie für Flugabwehr, Düsenjägertriebwerke und ähnliches benötigen.

Zudem will Putin auch weiterhin die Schaffung einer sunnitischen islamistischen Regierung in Syrien verhindern, da diese Dschihadisten in Russland unterstützen würde. Was die Türkei betrifft: Putin hält zu seinen Freunden und noch mehr zu seinen Feinden. Sein Abkommen mit der Türkei über Syrien ist ein Meisterstreich und ein Maßstab für Amerikas Impotenz und Inkompetenz. Was die Europäer betrifft: Die Italiener (!) legten beim europäischen Gipfeltreffen letzte Nacht ihr Veto gegen eine Resolution ein, die Russland Sanktionen androhte, und die Deutschen und Franzosen bissen sich in die Zunge. Wie „Il Foglio“ beobachtet: Die italienische Öffentlichkeit denkt, dass für das Chaos im östlichen Mittelmeer die Politik der Vereinigten Staaten (und Frankreichs und Englands) verantwortlich ist – was größtenteils zutreffend ist.

Bis vor einigen Monaten bestand noch die Möglichkeit, die Situation in der Levante zu stabilisieren. Jetzt nicht mehr: Putin spielt jetzt Richelieu. Er hält den Krieg im Gang mit dem Ziel, genug von der dortigen Bevölkerung auszurotten, um die Langzeitbedrohung zu beseitigen. Das ist genau das, was ich in seiner Lage tun würde, wenn ich damit davon kommen könnte – und er kann es.

Ich denke nicht, dass Russland eingedämmt werden kann, solange die Vereinigten Staaten nicht ihre Überlegenheit in der Flugabwehr wiederherstellen, und das wird selbst nach der günstigsten Annahme Jahre dauern (mittlerweile werden die Russen lernen, wie man unsere Tarnkappenbomber abschießt). Das Resultat wird unweigerlich ekelerregend sein.

Diejenigen, die sagen, wir sollten härter gegen Putin vorgehen, frage ich: “Wie?” Der Mainstream beider Parteien hat uns in dieses Chaos geführt und Putin die Möglichkeit geschaffen, Verwüstungen anzurichten.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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