Spengler auf Deutsch 33: Zeit für Gewinnmitnahme aus amerikanischen Staatsanleihen

Der Originalartikel erschien am 7. März 2016 unter dem Titel „Time to take profits in Treasuries” in Asia Times

Amerikanische Staatsanleihen mit langer Laufzeit waren 2016 Spitzenreiter. Die zehnjährigen Anleihen fielen von fast 2,4 % im letzten November auf einen Tiefpunkt von 1,53 % am 11. Februar, als die Märkte eine neue Finanzkrise fürchteten. Seither sind die Zehnjährigen wieder auf 1,9 % angestiegen. Sie könnten noch höher steigen, und Investoren, die Profite in langjährigen Anleihen anstreben, sollten jetzt Gewinne realisieren.

Zinsentwicklung zehnjähriger Staatsanleihen:

Nichts sollte einfacher sein als eine Anleihe, die von der Regierung der größten Wirtschaft der Welt emittiert wird. Aber Regierungen verstehen sich darauf, Dinge kompliziert zu machen. Und Regierungen machen den Anleihenmarkt kompliziert, indem sie inflationsgeschützte Anleihen verkaufen. Die amerikanische Regierung verkauft „Treasury Inflation Protected Securities” (Inflationsgeschützte Anleihen) oder „TIPS“.

Bei Fälligkeit wird der Nennwert von TIPS an den regierungsamtlichen Verbraucherpreisindex angepasst. Wenn Sie ein TIPS mit zehnjähriger Laufzeit zu einem Preis von 100 Dollar kaufen und der Verbraucherpreisindex verdoppelt sich, dann zahlt die Regierung ihnen 200 Dollar. In der Zwischenzeit aber erhalten sie einen weit niedrigeren Zinssatz als Sie ihn für normale Anleihen erhalten würden. Die Verzinsung von TIPS ist oft negativ: Sie können 102 Dollar für eine 100 Dollar-Anleihe zahlen, in der Erwartung, dass die Indexierung der Inflation das kompensieren wird.

Gewöhnliche Anleihen bringen mehr Zinsen als TIPS. Der Zinsunterschied zwischen TIPS und gewöhnliche Anleihen wird „Breakeven-Inflationsrate“ genannt, weil es die Inflationsrate ist, bei der Investoren in TIPS und in gewöhnliche Anleihen den gleichen Zins erhalten.

Zehnjahresentwicklung der Breakeven-Inflation versus Öl

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Es überrascht nicht, dass die Breakeven-Inflationsrate den Öl- und Rohstoffpreisen folgt, wie die obige Graphik zeigt. Die Inflationsrate, die für TIPS-Investoren wichtig ist, ist der Verbraucherpreisindex gemessen vom statistischen Büro (Bureau of Labor Statistics = BLS); diese zeigt einen verstärkten Anstieg der Kosten für Wohnraummiete. Die Breakeven-Inflation ist in den letzten Wochen etwas stärker gestiegen als der Ölpreis.

Jedoch, die TIPS-Zinsen folgen dem Ölpreis nicht. Stattdessen folgen sie sehr eng dem Goldpreis. Das ist insbesondere für die letzten Monate zutreffend. Es war aber auch schon in den letzten neun Jahren wahr.

Goldpreis versus TIPS mit zehnjähriger Laufzeit:

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TIPS-Verzinsung versus Gold von Januar 2007 bis zur Gegenwart:

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Warum ist das so? Wir können uns TIPS als eine Aus-dem-Geld-Option (out-of-the-money-option) vorstellen. Wenn der Dollar schwächer wird, steigt der Wert von TIPS (umgekehrt zu ihrem Zins). An einem bestimmten Punkt lassen sich TIPS wie In-das-Geld-Optionen (in-the-money-options) verkaufen, mit einem niedrigen Delta (Preissensibilität zu dem Basiswert).

Die Möglichkeiten, die TIPS inhärent sind, werden transparenter, wenn wir die TIPS-Verzinsung mit dem Goldpreis vergleichen. Gold und TIPS können beide als Aus-dem-Geld-Optionen aus dem Dollar gedacht werden; der Investor opfert Einkommen (im Falle von Gold) oder relative Zinsen (im Fall von TIPS), er zahlt, als würde es sich um eine In-das-Geld-Option handeln, die sich auszahlt, im Falle ernsthafter monetärer Instabilität.

Investoren haben während der Instabilität der letzten zwei Monate Aus-dem-Geld-Optionen gekauft. Der Preis für eine solche Versicherung hat den Gipfel erreicht. Die Märkte beginnen, sich zu beruhigen. TIPS könnten steigen, während Gold fällt.

Es gibt gute Gründe, Profite jetzt zu realisieren. Öl zieht wieder an; das reduziert das Deflationsrisiko. Die Furcht vor einer globalen Finanzkrise ist zurückgegangen. Das heißt, die beiden Arten der Anleihenrendite dürften ansteigen. Die Breakeven-Inflation ist mit dem Öl bereits angestiegen, während TIPS verwundbar sind durch reduzierte Nachfrage für diese Art von Katastrophenversicherung.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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