Spengler auf Deutsch 43: Es tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber die Welt ist an ihr Ende gelangt

Das Original erschien am 6. April 2016 unter dem Titel „Sorry to have to tell you this, but the world just came to an end” in Asia Times.

Der Teufel der Antike quälte den Menschen der Antike – wie wir aus dem Buch Hiob erfahren –, indem er ihm wegnahm, was er brauchte. Der moderne Teufel quält den modernen Menschen – wie wir aus dem Faust lernen –, indem er ihm gibt, was er sich wünscht. Stellen Sie sich vor, sie könnten jede Fantasie, die Ihnen in den Sinn kommt, ausagieren, jede Perversion auskosten, sich jeden verborgenen Wunsch erfüllen, und all das ohne Kosten und Konsequenzen. Sie würden bald selbst ein Teufel werden, abhängig von ihren eigenen morbiden Fantasien; Sie würden unfähig, emotional auf ein anderes menschliches Wesen zu reagieren.

Die westliche Gesellschaft geht seit einiger Zeit in diese Richtung. Zu Beginn des Jahres 2016 aber, machte sie einen riesigen und unabänderlichen Sprung über die Schranken der Moral. Filme über sexuelle Praktiken, deren bloße Existenz noch vor einer Generation den meisten Leuten unbekannt war, sind seit einigen Jahren jedem zugänglich, der einen Internetanschluss hat. Jetzt hat das japanische Unternehmen Tenga die erste virtuelle Sexmaschine entwickelt, vollständig mit Body und Oculus Rift-Headset für virtuelle Realität. Bald schon werden Sie in der Lage sein, jeder zu sein, der Sie sein möchten, und jeden in jeder Weise zu haben, in der Sie möchten.

Anders als T. S. Eliot glaubte, wird die Welt nicht mit einem Winseln, sondern mit einem Knall enden.

Sicher, die Maschine ist noch ein Prototyp, der eher rohe mechanische Applikationen und Bilder aus animierter Pornographie benutzt. Jedoch werden künftige Verbesserungen die Teilnahme zahlreicher Mitspieler möglich machen, wie schon in heutigen Computerspielen. So verheißt die Website „Inside Reality“: „Das Sex-System ist darauf ausgelegt, mit einem Spiel namens ‚Sexy Beach‘ zu arbeiten, aber in Zukunft könnte es für intime Cyber-Treffen genutzt werden, mit Leuten, deren Persönlichkeit sie kennen oder nicht kennen. Es gibt zahlreiche Facetten in der virtuellen Realität, die kombiniert dem Benutzer den ziemlich genauen Eindruck eines sexuellen Zusammenseins vermitteln können. Das ist zunächst der Body selbst, der über den ganzen Körper seines Trägers Impulse senden kann, so dass es sich anfühlt, als würde ein anderes menschliches Wesen ihn berühren“. – Weitere Details sind ungeeignet für eine Publikation.

Künftige Benutzer werden ein Avatar wählen, um mit Partnern im virtuellen Raum zu „spielen“ oder auch mit virtuellen Partnern, die durch Applikationen künstlicher Intelligenz erzeugt werden. Statt den rohen animierten Bildern, welche in der ersten Generation der Maschine genutzt werden, dürften künftige Versionen die Körper von lebenden Modells auswählen und sie in manipulierbare sensorische Daten konvertieren. Kim Kardashian[1] wird Millionen damit verdienen, dass sie ihr eigenes Avatar als Handelsmarke für Applikationen virtueller Realität nutzt.

Männer sind dafür bekannt, dass sie es gerne hätten, würde sich ihre Sexualpartnerin nach dem Koitus in eine Bierdose und eine Pizza verwandeln, und Sex in der virtuellen Realität wird die Notwendigkeit beseitigen, Interesse an einem lebenden Weibchen zu heucheln, nachdem es seinen Zweck erfüllt hat. Aber das ist noch das geringste Problem. Gegenwärtig bietet Facebook 56 Geschlechtsoptionen (eine weitere hinzuzufügen, hätte wahrscheinlich zu einem Prozess über Copyrightverletzung mit “Heinz Foods“ geführt). Seine eigene Identität zu erfinden, einschließlich seiner eigenen sexuellen Identifikation, ist das definitive Ziel der heutigen Linken. Als ein vermeintliches verfassungsmäßiges Recht wurde es fixiert in dem „Obergefell-Urteil“ des (amerikanischen) Verfassungsgerichts. In den Worten von Richter Anthony Kennedy: „Die Verfassung verspricht Freiheit allen, die in ihrer Reichweite sind, eine Freiheit, die bestimmte, spezifische Rechte einschließt, die es Personen erlauben, ihre Identität innerhalb eines rechtlichen Rahmens zu definieren und auszudrücken“. Der Gipfel der Selbsterfindung besteht darin, zu entscheiden, ob man ein genderquerer, nichtbinärer Transmann oder ein genderablehnender neutraler Two-Spirit ist. Diese Kategorisierung ist natürlich provisorisch; die Graduierten der Gender-Studies an den Eliteuniversitäten erfinden täglich neue.

Vieles an dieser Manie der Selbsterfindung ist lächerlich. Am offensichtlichsten ist Folgendes: Wenn Sie ein genderneutrales FTM[2] sind, wie wahrscheinlich ist es dann, dass sie für ihre Samstagabend-Verabredung eine gendervariable MTF[3] finden, oder was auch immer sie für Ihr sexuelles Gegenstück halten? Unsere Gehirne und Körper sind für zwei und nur für zwei Genderrollen ausgestattet, nämlich männlich und weiblich, und die meisten Leute entwickeln ihre Sexualität indem sie mit Menschen des anderen Geschlechts zusammentreffen. Das war einmal. Sex in der virtuellen Realität löst das Problem der samstäglichen Verabredung. Wenn sie ihre andere Hälfte nicht finden können – was auch immer das sein mag? – die Maschine wird Sie ihnen konstruieren. In den Faustversionen von Marlowe und Goethe erweckt Mephistopheles zum Vergnügen des verhexten Doktors Helena von Troja zum Leben. Technologie wird uns mit Sexpartnern versorgen, so verschieden wie die Gerichte in einem Web-basierten Lieferservice.

Selbst Aldous Huxley, Autor der negativen Utopie „Schöne Neue Welt“, hätte sich in seinem schlimmsten Albtraum die weitere Entwicklung nicht vorstellen können. Jede nur denkbare sexuelle Variation, einschließlich solcher, die überhaupt noch nicht erfunden worden sind, wird erreichbar werden als virtuelle Realität, unterstützt durch Hochleistungscomputer und Künstliche Intelligenz. Jeder Heranwachsende wird Zugang zu sexuellen Praktiken haben, die nicht einmal einem Nero oder Caligula in den Sinn gekommen wären. Verglichen damit erscheinen die polymorphe Perversität der antiken Welt und die Verdorbenheit des niedergehenden Roms als vergleichsweise harmlos.

Wir können mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen, wohin dies führen wird, weil uns Internetdaten sagen, was Pornographiekonsumenten am meisten sehen wollen. „Pornhub“ zufolge, sind die häufigsten Suchbegriffe für Pornovideos „Teen“ und „Lesbisch“.

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Der Mangel an Interesse für konventionelle Sexualität ist offensichtlich, aber nicht überraschend. Das, was als normale Beziehung zwischen Erwachsenen akzeptiert wird, ist mit Verantwortung konnotiert: Liebe, Hingabe, Hochzeit und Kinder. Aber die designten Identitäten, wie sie von der modernen Linken propagiert werden, versprechen stattdessen nazistische Befriedigung. Die Vorliebe der Pornokonsumenten für minderjährige Frauen ist besonders beunruhigend; sie lässt auf einen Drang zu Macht und Kontrolle statt zu Geben und Nehmen schließen, es handelt sich um eine imaginäre Version von sexuellem Missbrauch.

Wir kennen bereits das Ende der Geschichte, weil wir es in dem Land sehen, das den Sexroboter erfunden hat, nämlich in Japan. Wie der “Guardian” 2013 berichtete: “Eine Untersuchung von 2011 hat herausgefunden, dass sich 61 % der unverheirateten Männer und 49 % der unverheirateten Frauen zwischen 18 und 34 in keiner Art romantischer Beziehung befinden, ein Anstieg um fast 10 % innerhalb von fünf Jahren. Eine andere Studie hat herausgefunden, dass ein Drittel der Menschen unter 30 nie eine Verabredung hatte“. Eine Regierungsuntersuchung aus diesem Jahr hat herausgefunden, dass 45 % der Frauen und 25 % der Männer zwischen 16 und 24 „an sexuellen Kontakten nicht interessiert sind oder solchen verabscheuen“. Virtueller Sex wird eine Generation von dysfunktionalen Einsiedlern ausspucken, unfähig zu menschlicher Intimität.

Es gibt kaum institutionelle Barrieren gegen Mensch-Maschine-Kontakte in sexuellen Beziehungen. Der Oberste Gerichtshof selbst hat ein prinzipielles Recht, seine eigene sexuelle Identität zu definieren, im Verfassungsrecht verankert. Das vornehmste Ziel ist nicht länger die Homoehe, sondern das Recht auf unbegrenzte sexuelle Variation. Als der Staat North Carolina im letzten Monat ein Gesetz erließ, das den Gebrauch öffentlicher Toiletten auf Menschen mit dem entsprechenden Geschlecht beschränkte, drohte die Obamaregierung mit der Zurückhaltung von Milliarden öffentlicher Gelder wegen angeblicher Diskriminierung sexueller Minderheiten. Die Bürgermeister von San Francisco und Seattle untersagten alle offiziellen Reisen in den anstößigen Staat.

Eine Generation amerikanischer Universitätsstudenten ist in dem Dogma aufgewachsen, dass es kein größeres Gut gäbe, als seine eigene Geschlechteridentität zu erfinden, und keine größeres Übel, als das zu verweigern. Die virtuelle Realität kann dieser Verrücktheit nicht in Realität verwandeln, aber sie kann das nächstbeste: eine Fantasie erschaffen, hinreichend lebendig, um sie als Lifestyle zu umarmen.

Im Faust und seinen zahllosen Varianten ist die Gelegenheit zu haben, was auch immer Sie wollen, ein Fluch und kein Segen, und das Resultat unbeschränkter Auswahl ist das Ende des Wünschenden. Jetzt können Sie sich wünschen, was auch immer Sie wollen, ohne Konsequenzen, außer, auf lange Sicht, für ihre Psyche. Das wird nicht das Ende von Ihnen sein, nur das Ende der Welt.

[1] Bekanntes amerikanisches Fotomodel.

[2] Female to Male, d. h. ein männlicher Transgender.

[3] Male-to-Female, d. h. eine Transfrau.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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