Spengler auf Deutsch 67: Keine Überraschung, dass die Anleiherenditen nach dem heiklen Bericht über das Bruttoinlandsprodukt gefallen sind

Das Original erschien am 28. Oktober 2016 unter dem Titel „No surprise bond yields fell on the dodgy GDP report“ in Asia Times.

Der heutige Bericht über das amerikanische Bruttoinlandsprodukt ist in nahezu jeder Beziehung heikel. Es ist keine Überraschung, dass die Anleiherenditen daraufhin gefallen sind.

Beitrag zur Veränderung des Bruttoinlandsprodukts:

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Data Source: US Department of Commerce

Die größte Enttäuschung relativ zu den übereinstimmenden Prognosen war der Privatkonsum. Mit 1,47 % ist seine Wachstumsrate die niedrigste gegenüber der allgemeinen Rate von 2,9 %. Noch enttäuschender ist die Zusammensetzung des Privatkonsums. Der Konsum von Dienstleistungen trug 1 % zu dem generellen Wachstum von 2,9 % bei. Größtenteils waren dies Ausgaben für medizinische Versorgung (kaum ein Beitrag zu langfristigem Wachstum) und für häusliche Dienstleistungen (mehr Vermietungen von Hausbesitzern an Leute, die sich einen Hauskauf nicht leisten können). Nichts davon reflektiert wirtschaftliche Stärke.

Der Privatkonsum von Waren trug nur zu einem halben Prozent zu der allgemeinen Wachstumsrate von 2,9 % bei, der schwächste Wert in drei Jahren.

Bedeutende private Anlageninvestitionen waren zum ersten Mal seit dem ersten Quartal 2015 positiv, aber es ist schwer, aus dem publizierten Bericht herauszufinden, wo sie herkommen. Gemäß der Veröffentlichung des Handelsministeriums scheinen die meisten von ihnen Käufe von Computern und „Produkte geistigen Eigentums“ zu sein.

Lagerbestände machen ebenfalls einen übergroßen Beitrag zum Wachstum; sie tragen 0,61 % zu dem berichteten Wachstum von 2,9 % bei. Und die Nettoexporte trugen 0,83 % zu den 2,9 % Wachstum bei, der größte Beitrag seit dem vierten Quartal 2013. Die publizierten Date des amerikanischen Handels in Gütern und Dienstleistungen zeigen jedoch keinen solchen Anstieg der Nettoexporte, und es ist unklar, wie das „Bureau of Economic Affairs“ auf diesen Wert gekommen ist.

Ein besserer Indikator für den Zustand der amerikanischen Wirtschaft ist der Endabsatz an inländische Käufer. Das schließt Lagerbestände, Außenhandel und andere Nebensächlichkeiten aus. Ein klarer Abwärtstrend ist sichtbar beim Endverkauf häuslicher Produkte und den damit zusammenhängenden Werten.

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Data Source: US Department of Commerce

Spengler auf Deutsch 66: Amerikaner sind kein „Volk“ und Bob Dylan ist nicht unser Dichter

Das Original erschien am 26. Oktober 2016 unter dem Titel “Americans Are Not a ‚Folk‘ and Bob Dylan Is Not Our Poet” auf PJMedia.

 

Erfundene Identitäten sind ein Gemeinplatz in der Kulturgeschichte. In der Musikgeschichte bleibt das bemerkenswerteste Beispiel der sogenannte „Gregorianische Gesang“, der im frühen 19. Jahrhundert von Benediktinermönchen der Abtei Solesmes durch „quellenkritische“ Forschung „wiederentdeckt“ wurde. Erschüttert durch die Französische Revolution, die ihren Orden fast ausgelöscht hatte, suchten die Benediktiner eine authentische mittelalterliche katholische Kultur, den musikalischen Ausdruck eines mythischen Zeitalters des Glaubens, und dachten, sie fänden ihn, indem sie aus der Unzahl verschiedener Stile, welche die kirchliche Praxis befallen hatten, einen Urgesang rekonstruierten. Es war alles Betrug, Narretei, Unsinn, wie spätere Gelehrte gezeigt haben, zum Beispiel Katherine Bergeron in ihrer 1998 erschienenen Studie „Decadent Enchantments“, die ich hier besprochen habe. Gleichwohl hat Gregorianischer Gesang in der Themenpark-Version von Solesmes eine so große Affinität zum katholischen Gottesdienst, dass viele Katholiken sich zu glauben weigern, dass sie angeführt worden sind.

Und ebenso ist es mit Bob Dylan, dem Parodisten, Satiriker, Schwindler und Quacksalber par excellence. Er hat nie vor uns verborgen, was er im Sinn hatte; er spielte mit unseren Köpfen seit unserer Schulzeit; er fand den Hebel, der unsere Tränen löst und unsere Brieftaschen öffnet. Er ritt auf einer Welle in den frühen 1960ern, der Wiederbelebung der Volksmusik, die ihrerseits ein Schwindel ist. Wir Amerikaner sind kein „Volk“ in den Sinn, in dem Johann Gottfried Herder den Begriff gebrauchte. Wir haben nicht die tiefe Erinnerung an autochthone Wurzeln, die europäische Kulturen charakterisiert. Wir sind ein Volk, selbstgeschaffen durch einen religiösen und politischen Impuls. Wir haben eine andere Kultur und es ist eine selbstgeschaffene Kultur, eine Variation von Pilgrim’s Progress[1], aus dem der Poor Wayfaring Stranger[2] (der arme wandernde Fremde) wurde oder Pilger, welche die Freiheit auf einem Floß den Mississippi abwärts suchen, oder rächende Westernrevolverhelden, ausgekochte Privatdetektive oder – ja – ein junger Mann in Arbeitskleidung und Jeans, der eine Gitarre trägt. Ich habe zu Beginn dieses Jahres in einem Vortrag vor der „Heritage Foundation“, den das „Tablet Magazine“ hier publiziert hat, zu definieren versucht, was die amerikanische Kultur besonders geformt hat.

Wir sind kein Volk, sondern eine Kirche, und unsere ursprüngliche Musik ist Kirchenmusik – beispielsweise die „Battle Hymn“[3] mit dem Zitat aus Jesaja 63, oder „The Year of Jubilo[4]„, dessen hymnische Wurzeln ich hier analysiert habe. Unsere volkstümliche poetische Sprache ist die unseres nationalen Epos‘, der King James-Bibel. Wir sangen die „go-to-meeting“ (geh-zur-Versammlung) Lieder der methodistischen und sonstigen protestantischen Denominationen. Das beeinflusste die „Spirituals“ der schwarzen Sklaven, die uns unsere erste originale Kunstform gaben. Amerikanische Volksmusik? Die Gospel sind das, was diesem Konzept am nächsten kommt.

Wie ich in dem Heritage-Vortrag ausführte:

Die Völker der alten Welt erinnern sich an eine Zeit vor dem Christentum, als ihre Wälder und Felder noch von den minderen Göttern der heidnischen Welt bevölkert waren. Das ist Max Webers „verzauberte Welt“, wimmelnd von magischen Kreaturen, Überbleibsel der alten Volksreligionen, welche die Ankunft des Christentums überlebten. Es ist eine Welt, die nur Archetypen, aber keine Charaktere kennt. Die Kulturen der Alten Welt sind in der Vergangenheit fixiert; ihre Zeit ist das „Es war einmal“, die amorphe Zeit der Legende. Ein Tag, ein Jahr und ein Leben sind ununterscheidbar. Ein Reisender kommt durch Zufall zum Fest in einem verzauberten Schloss, und die sieben Tage seines Aufenthalts stellen sich als sieben Jahre heraus. Washington Irving funktionierte dieses alte Märchen um mit einem ironischen Meisterstreich: Er ließ Rip van Winkle in der alten Welt der Legende einschlafen und weckte ihn auf in der neuen Zeit der Amerikanischen Revolution. Mit dieser Geschichte erklärte unser erster nationaler Schriftsteller seine Unabhängigkeit von den literarischen Quellen der Alten Welt, und bannte die verzauberte Welt mit der hellen Licht des neuen Zeitalters.

Die Volkspoesie der europäischen Völker ist verlaust mit magischen Kreaturen. Das ist das „verwunschene Land“, vor dem John Bunyan den christlichen Pilger in seinem 1678 erschienenen Traktat Pilgrim’s Progress warnte. Das Thema durchdrang die protestantische Kultur in den frühen Jahren der amerikanischen Republik. Hier ist eine Version dieser Idee in einer methodistischen Hymne von 1809:

Good morning, brother traveler,

(Guten Morgen, Bruder Reisender,)

Pray tell to me your name:

(Bitte sag mir deinen Namen)

What country you are traveling to;

(Zu welchem Land reist du;)

Likewise from whence you came?

(Und woher kommst du?)

My name it is Bold Pilgrim

(Mein Name ist Kühner Pilger)

To Canaan I am bound,

(nach Kanaan bin ich unterwegs,)

I’m from the howling wilderness

(ich komme aus der heulenden Wildnis)

And the enchanted ground.

(und aus dem verwunschenen Land)

Ich hörte es zuerst in Paul Robesons Aufnahme von “Joshua Fit the Battle of Jericho,“ als einen interpolierten Mittelvers.

Was dagegen in den 1940ern und 1950ern als „Volksmusik“ durchging, war der Überrest von englischen Balladen, die in isolierten Gemeinden in den Appalachen überliefert und von Musikologen wiederendeckt worden waren. Joan Baez machte aus solchen Funden eine Spezialität. John und Alan Lomax sammelten Appalachen-Musik, afro-amerikanische Musik und andere Überbleibsel abseits vom amerikanischen Mainstream als einen Ausdruck authentischer „Volks“-Kultur. Die ganze „Volks“-Bewegung war durch und durch stalinistisch (einschließlich Woody Guthrie, der ein Sympathisant der Kommunistischen Partei und wahrscheinlich auch Mitglied war. Woher ich das weiß? Meine verstorbene Mutter war Arlos[5] Kindergartenlehrer im Roten Brooklyn der 1940er).

Natürlich war das alles Schwindel. Woody Guthrie war der Sohn eines Anwalts der Mittelklasse. Pete Seeger war das privilegierte Kind klassischer Musiker, der nach Greenwich Village getürmt war. Die Authentizität der Volksmusik-Bewegung stank nach Theaterschminke. Aber eine Generation von Mittelklasse-Kindern, die – wie Holden Caulfield[6] – ihre Eltern für „rückständig“ hielten, fühlten sich von der Volksbewegung angezogen. 1957 war Seeger ein Trinker und spielte für Almosen bei Zusammenkünften der Kommunistischen Partei; dort traf ich ihn zum ersten Mal, mit roter Nase und sonst allem. Aber in den frühen 1960ern war er wieder ein Star.

Zu Dylans Ruhm: Er wusste, er war ein Betrüger; er verbrachte den ersten Teil seiner Karriere damit, mit unseren Köpfen zu spielen. Er konnte eine glaubwürdige Imitation eines „Come-to-Jesus“-Song (Komm zu Jesus) liefern („When the Ship Comes In“) und pseudovolkstümliche Bilder mit Sozialprotest vermischen („A Hard Rain is Gonna Fall“). Aber er wusste, es war alles ein Spiel mit der Popkultur. („Lone Ranger and Tonto/Riding down the line/Fixin‘ everybody’s troubles/Everybody’s ‚cept mine“). Als er unter den Pfiffen der Volks-Puristen beim Newport Festival auf elektrische Gitarre umstellte, wusste er, es war nur eine andere Art von Ulk.

Dylan verstand die biblische Selbsterschaffung, die am Anfang der amerikanischen Kultur steht, und wie leicht amerikanische Verehrung sich ins Verrückte wenden kann. Bei seinen ersten Versuchen auf der Elektrogitarre textete er, was ich immer noch für seinen komischsten Vers halte: „God said to Abraham: ‚Kill me a son’/Abe said, ‚Man, you must be puttin me on.'“ (Gott sagte zu Abraham: Töte mir einen Sohn/ Abraham sagte: Hey Mann, willst du mich veräppeln?). Dylan war klug und einsichtig, aber auch faul und verachtete sein Publikum. Ein Edelstein pro Lied ist genug, schien er zu denken. Die Edelsteine waren meist vergraben in der vorhersehbaren Füllmaterial, das den größten Teil seiner Lyrik ausmacht. Das Genre, das er gewählt hatte, war teilweise verantwortlich dafür: es war der Schwindel eines Schwindels.

Ja, Dylan nutzte biblische Bilder, e. g. in „All Along the Watchtower.“ Aber mit welcher Absicht nutzte er sie? Julia Ward Howe schaffte es, dass Jesajas Bild vom blutbefleckten Gott der Rache, der die Nationen in einem Weinfass mit Füßen zertritt, für unsere Große Generation wahr klang – ich meine die Generation des Bürgerkriegs, nicht die des Zweiten Weltkriegs.

Wir haben erstklassige Dichter gehabt: Robert Frost ist unser nationaler Dichter, wenn wir denn wählen müssen. Dylan ist ein kluger Satiriker, der Ververtiger leichter Verse, ein Hofnarr, der sich weigert, uns ernstzunehmen. Dafür verdient er ein Mindestmaß an Anerkennung (und für seine Weigerung, diese unerträglichen ausgestopften Hemden der Schwedischen Akademie wahrzunehmen, die er so wenig ernstnimmt wie seine Mitbürger). Zur Hölle mit den Schweden, die immer den Fehler gemacht haben, zu denken, sie wären wichtig, und die uns jetzt vorschreiben wollen, wie wir unseren eigenen literarischen Pantheon einzurichten haben. Die Tatsache, dass es Leute gibt, die Dylan als Dichter ernstnehmen, ist ein Anzeichen für unsere kulturelle Misere.

[1] “The Pilgrim’s Progress from This World to That Which Is to Come” ist ein allegorisches Buch des englischen Baptistenpredigers John Bunyan. Es handelt sich um ein im Februar 1678 veröffentlichtes christliches Erbauungsbuch. Es schildert eine allegorische Pilgerreise ins Jenseits (aus Wiki).

[2] Populärer amerikanischer Gospelsong.

[3] „The Battle Hymn of the Republic“ („Die Schlachthymne der Republik“) ist ein amerikanisches patriotisches Lied. Den Text verfasste die Abolitionistin Julia Ward Howe 1862 während des Amerikanischen Bürgerkriegs.

[4] „Kingdom Coming“, auch bekannt unter dem Titel „The Year of Jubilo“, ist ein Lied aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, verfasst von Henry C. Work 1862. Das Lied ist aus dem Blickwinkel der von den Konföderierten versklavten Schwarzen geschrieben, die ihre herannahende Freiheit feiern.

[5] Sohn von Woody Gurthie.

[6] Romanfigur aus Salingers „Fänger im Roggen“.

Spengler auf Deutsch 65: Small-Ball-Konservatismus oder nationale Größe?

Das Original erschien am 23. Oktober 2016 unter dem Titel “Small-ball conservatism or national greatness?“ in Asia Times.

Small-Ball-Konservatismus[1] dominiert das Denken des republikanischen Mainstreams.

Es findet seinen Ausdruck in den Publikationen von Ramesh Pommeru, Ross Douthat und Yuval Levin, deren “Vision konservativen Regierens” folgendermaßen aussieht:

… amerikanisches Leben, in dem die Regierung die Gesellschaft nicht als ein Instrument nutzt, um progressive Ziele zu verfolgen, sondern eher den Raum erhält und stärkt, in dem die Gesellschaft gedeiht und alle Amerikaner befähigt, an dem teilzunehmen, was in diesem Raum geschieht.

So eine Regierung wäre zweifellos viel kleiner, zurückhaltender und weniger kostspielig als die, welche wir heute haben. Sie wäre fiskalisch nachhaltig, sie würde die Katastrophe verhindern, der wir entgegengehen, wenn unsere Sozialprogramme nicht eingeschränkt werden, sie würde die Privatwirtschaft stärken, statt ihr Ressourcen zu entziehen.

Levin nennt das eine „moderne Politik der Subsidiarität – d. h. Macht, Autorität und Bedeutung sind so dicht an der Ebene zwischenmenschlicher Gemeinschaft angesiedelt, wie es vernünftigerweise möglich ist“. D. h. man macht viele gute, kleine Dinge an der Basis der Zivilgesellschaft.

Wenn wir Small-Ball spielen, werden wir verlieren. Insbesondere werden wir Amerikas technologische und wissenschaftliche Vorherrschaft verlieren, unsere dominante Position als Militärmacht und einen bedeutenden Teil unseres Lebensstandards. In einer Welt des Wettbewerbs meint „verlieren“ nicht, einige Punkte Wachstum des Bruttoinlandsprodukts einzubüßen; es meint die Art von Niedergang wie ihn das Vereinigte Königreich in den 1950ern und 1960ern durchmachte, als seine Auto-, Schiffbau- und Maschinenbauindustrien nahezu verschwanden.

Small-Ball-Konservatismus ignoriert den wichtigsten Aspekt in der globalen Wirtschaft: unsere Wettbewerber. Wir sind nicht mehr im Jahre 1981, als die digitale Revolution die furchterregende Überlegenheit der Sowjetunion an konventionellen Waffen überwältigte. Als Ronald Reagan das Amt übernahm, hatten die High-Tech-Unternehmer der Welt keinen Platz, zu dem sie hätten gehen können, außer Amerika. Amerikas Universitäten hatten ein Monopol auf High-Tech-Technologie, das amerikanische Verteidigungs- und Weltraumprogramm dominierte die Spitzenforschung, und amerikanische Kapitalmärkte waren die einzige vorhandene Kapitalquelle für High-Tech-Gründungen.

Wir haben immer noch einen Vorteil, aber er schwindet schnell dahin. Amerika ist nur noch ein zweitklassiger Standort für die Herstellung von High-Tech-Produkten, und unser Monopol in Schlüsselbereichen des Wissens ist keineswegs sicher. Unser Verteidigungsetat wendet – gerechnet als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt – nur halb so viel wie früher für Forschung und Entwicklung auf. Und wir stehen neuen und selbstbewussten Wettbewerbern gegenüber, die entschlossen sind, die Vereinigten Staaten zu überholen. Wenn wir die Hürde des globalen Wettbewerbs nicht überspringen, dann wird alles Gute, das wir im Kleinen tun, nichts helfen.

Amerika wird den Weg zu neuer nationaler Größe nicht durch Zufall finden. Wir müssen alle Kräfte gleichzeitig mobilisieren, etwas, das wir seit Ronald Reagans Amtszeit nicht getan haben. Amerikas Niedergang in Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Fertigkeiten ist so weit fortgeschritten, dass nur ein nationaler Wiederherstellungsplan uns vor einem Niedergang wie dem von Nachkriegsgroßbritannien retten wird. Wir brauchen eine nationale Initiative, um Amerikas technologische Überlegenheit, Infrastruktur, Erwerbsbeteiligung wiederherzustellen, und vor allem ein Gefühl für nationale Ziele und Moral.

Unser Vorbild sollte Ronald Reagans „Strategic Defense Initiative“ sein, eine Musterung der intellektuellen und unternehmerischen Ressourcen, um die asiatischen Wettbewerber zu überholen, welche nun drohen, einen technologischen Vorsprung zu gewinnen, den wir wohl nie werden einholen können, wenn wir es nicht schnell tun. Das ist großer Konservatismus: die Mischung nationaler Verteidigung und Weltraumforschung mit der Schaffung von Gelegenheiten für eine neue Generation von Unternehmern.

Steuersenkungen und Deregulierung sind eine unverzichtbare Komponente dieser Politik – ebenso wie sie es unter Reagan waren. Die alte amerikanische Erfolgsformel erlaubte privaten Risikounternehmern, die neuen Technologien zu übernehmen, welche sich aus den Anforderungen der Verteidigung und Raumfahrt herausbildeten. Industriepolitik dagegen – die das Risiko den Steuerzahlern auflädt – produziert Vetternwirtschaft, Korruption und Fehlschläge. Aber die Anforderungen an die Rüstungsindustrie erhöhten das Niveau von Forschungs- und Entwicklung und schufen wegweisende Innovationen, welche die moderne amerikanische Wirtschaft möglich machten. Wissenschaftliche Forschung zu Verteidigungszwecken zusammen mit privaten Risikounternehmern ist die Kombination, welche Amerika aus der Stagflation der 1970er herausführte und uns die längste Wachstumsphase in der modernen Geschichte bescherte.

Unsere nationalen Sicherheitsanforderungen und wirtschaftlichen Bedürfnisse ergänzen sich. Amerikas technologischer Vorsprung in der Waffentechnik wird ernsthaft angefochten. Wir stehen einer Anzahl neuer potentieller Bedrohungen gegenüber: Satellitenkillern, Anti-Schiff-Raketen, hypersonischen Raketen, dazu bestimmt, unsere Flugabwehr zu besiegen, neue Radarsysteme, welche die existierende Tarnkappentechnologie neutralisieren, und Cyberkrieg, um nur die bekanntesten zu nennen. Russlands S-400 und S-500 dürften aktuell die besten verfügbaren Flugabwehrsysteme sein. Chinas Anti-Schiff-Raketen und getarnte U-Boote könnten Amerikas Flugzeugträger im Westpazifik neutralisieren. Quantumcomputer und ähnliche Technologien gefährden die Sicherheit der Kommunikation. Unser Hochspannungsnetz ist verwundbar durch elektromagnetische Impulswaffen. Es ist leicht mehr Härte gegenüber Russland und China zu fordern. Aber es ist nicht sicher, dass wir einen Seekrieg mit China im südchinesischen Meer oder einen Landkrieg mit Russland in der Ukraine gewinnen würden.

Das schwächt unsere Verhandlungsposition mit unseren Rivalen und möglichen Gegnern und zwingt uns, von einer schwächeren Position aus zu verhandeln, schwächer als sie selbst in den 1980ern war. Seit 2002 haben wir mehr als vier Billionen Dollar im Irak und Afghanistan ausgegeben, aber wie haben zugelassen, dass das Budget für militärische Forschung und Entwicklung um die Hälfte gekürzt wurde, gerechnet nach dem prozentualen Anteil am Bruttoinlandsprodukt.

Amerikas Position ist stärker gefährdet als am Ende der Stagflation in den 1970ern:

  1. Amerikas Bevölkerung altert rapide, von 15 % über 65 im Jahre 2015 auf 20 % 2030.
  2. 1979 hatte Amerika kaum ausländische Wettbewerber als Standort für unternehmerische Neugründungen. Das Kapital und das Talent der ganzen Welt konnten nirgendwo anders hingehen als in die Vereinigten Staaten. Heute gibt es zahlreiche konkurrierende Standorte für Technologieunternehmen.
  3. Asien und insbesondere China sind dabei, die technologische Lücke zu den Vereinigten Staaten zu schließen und haben amerikanische Hersteller in einer Anzahl von Schlüsselindustrien überholt.
  4. Die Verschuldung des Bundes betrug 1979 nur 30 % des Bruttoinlandsprodukts (nicht gerechnet die ungedeckten Leistungsansprüche); sie sind 2015 auf 110 % gestiegen.
  5. Wachstumshindernisse (ein Spitzensteuersatz von 70 % und eine inflationäre Geldpolitik) waren leicht zu identifizieren und zu reformieren.
  6. Amerikas Vorsprung in produktivitätsfördernde Technologien ist geschrumpft, grösstenteils weil die Aufwendungen für militärische Forschung und Entwicklung auf die Hälfte des Standes der späten 1970er zurückgegangen ist (relativ zum Bruttoinlandsprodukt).

Wir brauchen:

  1. Eine Verdoppelung der Bundesmittel für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Verteidigung und Raumfahrt.
  2. Einrichtung von Forschungsprogrammen um unsere Wettbewerber in Schlüsselsystemen der Waffentechnik zu überholen, besonders in Cyberkrieg, Flugabwehr, Dronen, Tarnkappentechnik, Elektromagnetische Impulse und taktische Führung und Kontrolle auf dem Schlachtfeld.
  3. Eine Initiative, um auf dem Mars zu landen, in Nachahmung des Mondlandungsprogramms in den 1960ern.
  4. Wiederherstellung der Infrastruktur.
  5. Abbau von Vorschriften, die kleine Unternehmen behindern und Wettbewerb ersticken.
  6. Eine drastische Reduzierung der Steuern auf Unternehmens- und Kapitalgewinne.
  7. Verteidigung ausgewählter Industrien gegen die Ausspähpraktiken asiatischer Wettbewerber.

Wir brauchen eine wirkliche nationale Initiative und keine schrittweisen Lösungen. Die amerikanische Wachstums- und Innovationsmaschine ist zusammengebrochen und Zeit ist knapp.

Wir haben das niedrigste Produktivitätswachstum seit der Jimmy Carter-Ära und das niedrige Produktivitätswachstum korreliert mit dem Niedergang der Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung.

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Gerechnet als Prozentsatz vom Bruttoinlandsprodukt sind die Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung nur noch halb so hoch wie in der Reagan-Ära. Jedoch ist der aktuellen Stand der Dinge schlechter als die Zahlen erkennen lassen, da ein großer Teil des nationalen Forschungsbudgets von einem einzigen Programm absorbiert wird, dem F-35 Jäger. Was auch immer die Vorzüge dieses Waffensystems sein mögen – und seine Vorzüge werden von vielen glaubwürdigen Analysten bezweifelt – seine Kosten waren so hoch, dass sie in den letzten zehn Jahren alle anderen Forschungsvorhaben im Rüstungsbereich ausgetrocknet haben.

Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung als Prozentsatz vom Bruttoinlandsprodukt

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Um zu neuer Größe zu gelangen, muss Amerika die Führung bei Innovationen übernehmen. Und die große Quelle für Innovationen war das Verteidigungs- und das Weltraumprogramm. Henry Kessel, der frühere Direktor von „RCA Labs“[2] und ich haben in einem im Oktober 2013 erschienenen Essay für „The American Interest“ beschrieben, wie Rüstungsforschung Technologien mit großem kommerziellen Potential schuf.

Unter anderen bemerkenswerten Ergebnissen von Forschungsvorhaben, die durch Staatliche Verteidigungs- und Raumfahrtprogramme finanziert wurden, waren der Standardherstellungsprozess für integrierte Schaltkreise und kommerziell brauchbare Laser. Beide Innovationen wurden bei RCA entwickelt, dem Unternehmen, das David Sarnoff gegründet hat. Praktisch alle Chips, die heute produziert werden, werden nach dem CMOS-Verfahren hergestellt, das als ein Projekt des Verteidigungsministeriums in den 1970ern begann. Das Ministerium wollte die Möglichkeit erforschen, Computerchips mit geringerem Energieverlust herzustellen, als die damalige Technologie produzieren konnte. Nach der erfolgreichen Beendigung des Projekts wurde CMOS-Technik unter anderem dazu genutzt, Chips für Flugzeugradarsysteme herzustellen. In den 1980ern fand sie ihren Weg in die kommerziellen Märkte.

Ein zweites Beispiel: Die Entwicklung von Halbleiterlasern in den RCA-Laboren … wurde ursprünglich in den 1960ern durch das Verteidigungsministerium finanziert. Es sollten infrarote Scheinwerfer entwickelt werden, die ein Schlachtfeld ausleuchten könnten, aber unsichtbar für das menschliche Auge sind. Als diese Technologie in den späten 1960ern und frühen 1970ern fortschritt, wurde es klar, dass man solche Laser auch in Glasfaserkommunikationssystemen nutzen konnte. 1969 kündigte RCA einen kommerziellen Laser an, der auf einer Technologie basierte, welche weitgehend vom Verteidigungsministerium finanziert war. Begleitende Technologien entstanden, welche die Arten, Laser zu benutzen, erweiterten. Das führte zu ihrem gegenwärtigen Status, wo sie nicht nur der Kern aller Glasfaserkommunikationssysteme sind – einschließlich vokaler und Dateiennetzwerke -, aber auch als Schlüsseltechnologie für Millionen von Geräten, DVD-Playern und ähnlichen Produkten.

Im Auftrag von Norman A. Bailey, damals Planungsdirektor im Nationalen Sicherheitsrat, habe ich 1985 eine Studie erstellt, in der ich darlegte, dass die „Strategic Defense Initiative”, die damals von der Reagan-Regierung lanciert wurde, sich durch die hervorgebrachten Innovationen selbst bezahlen würde, ebenso wie das Apollo-Programm nach einer Schätzung sieben Dollar an wirtschaftlichem Gewinn für jeden von der NASA ausgegebenen Dollar eingebracht hat.

Die nationale Sicherheit fördert Innovationen, weil sie von der Wissenschaft verlangt, Dinge zu tun, die niemals zuvor getan worden sind und die unsere Gegner nicht tun können.

Ohne Produktivitätswachstum werden Investitionen, Löhne und Realeinkommen in der Depression verharren. Das Wirtschaftswachstum wird weiterhin auf nahezu Rezessionsniveau dahindümpeln.

Während der 1980er verwandelte eine Reihe von Technologien Amerikas Wirtschaft. Halbleiter, Kommunikation, Laser und andere Innovationen schufen neue Industrien in Computertechnik, Telekommunikation, Unterhaltung, Medien und Einzelhandel. Gemäß den Statistiken über wirtschaftliche Dynamik des „Census Bureau’s“ schufen neue Unternehmen mehr als 100 % der Arbeitsplätze, die zwischen 1992 und 2005 neu entstanden. Die „Kaufmann Foundation“ hat die Daten von Census in ihrem Bericht vom Juli 2010 zusammengefasst.

Im ersten Jahr ihrer Existenz kreieren Firmen durchschnittlich drei Millionen Arbeitsplätze pro Jahr. Das BDS definiert existierende Firmen – im Alter von ein bis sechsundzwanzig Jahren und mehr – dahingehend, dass sie sowohl Arbeitsplätze schaffen wie verlieren können. Ein Startup dagegen, also eine Neugründung, schafft ausschließlich Arbeitsplätze, da es ja noch keine Arbeitsplatzverluste hinnehmen musste. Wir können vermuten, dass der Nettogewinn an Arbeitsplätzen sich auch positiv auf existierende Firmen auswirkt, aber das ist nicht der Fall für die meisten analysierten Jahre. Bemerkenswerterweise zeigen die Zahlen, dass auch in Rezessionsjahren die Arbeitsplatzschaffung durch Startups stabil bleibt, während Arbeitsplatzverluste in existierenden Firmen stark abhängig vom Konjunkturzyklus sind.

Startups schaffen die meisten Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten:

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Eine radikale Wende fand nach der Großen Rezession statt. Die Daten des “Census Bureau“ zeigen zwischen 2007 und 2013 einen Rückgang der Zahl von neuen Firmen wie auch von Arbeitern, die von neuen Firmen beschäftigt werden.

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Niedergang von kleinen Unternehmen nach Anzahl und Beschäftigungszahl zwischen 2007 und 2013 (Census Bureau).

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An den Graswurzeln der Wirtschaft sucht das Risikokapital Soziale Medien, Apps und andere „weiche“ Investitionen mit geringem Bedürfnis nach Kapital und Arbeit; es vermeidet dagegen „harte“ Investitionen in Herstellung, Telekommunikation und andere Felder mit großem Bedarf an Kapital und Arbeit.

„Harte“ gegen „weiche“ Technologieinvestitionen:

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Während der 1980er und 1990er dominierte Amerika den technologischen Fortschritt durch eine Gruppe zerstörerischer neuer Unternehmen – Microsoft, Google, Cisco, Intel, Oracle und andere. Jedoch hat die frühere technologische Vorhut sich in eine Gruppe von stabilen Verbrauchermonopolisten verwandelt. Das wird aus dem Handelsmuster ihrer Aktien deutlich. Wir sehen, dass während der späten 1990er und frühen 2000er der Technologie Subsektor des S&P 500 Index eine etwa doppelt so hohe Volatilität (Standardabweichung von der Rendite, kalkuliert über einen Sechs-Monats-Zeitraum) hatte wie der allgemeine Index. Das spiegelt das größere Risiko und die höhere Dividende im Vergleich mit etablierten Unternehmen. Das Risiko (und also auch der mögliche Gewinn) sind auf das allgemeine Niveau der Wirtschaft abgesunken, als die große Welle der Innovationen verebbte.

Volatilität des S&P Technologiesektors versus Indexvolatilität:

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Wir befinden uns in einer Depression, die niemand so nennen will.

Als die Arbeitslosenrate 1933 die 25 % Marke erreichte, wurde sie errechnet aufgrund einer männlichen Partizipation am Arbeitsmarkt von 90 %. Der Prozentsatz beschäftigter Männer erreichte somit etwa 60 %. Heute haben wir eine nahezu identische Beschäftigungsquote von Männern bei 68 %, was durch Sozialprogramme, Universitätskredite und andere Mittel kaschiert wird, welche etwa einem Viertel der Arbeitsfähigen erlaubt, ständig müßig zu gehen.

Partizipationsrate am Arbeitsmarkt: Männer

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Industrielle High-Tech-Produktion ist seit den späten 1990ern von den Vereinigten Staaten weggedriftet. Bis in die späten 1990er hatte Amerika einen substantiellen Überschuss an High-Tech-Produkten. In den frühen 2000ern drehte sich das in ein Defizit, das 2016 wahrscheinlich 100 Milliarden Dollar erreichen wird.

Amerikanische Exporte und Importe von High-Tech-Geräten:

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Der größte Teil von Amerikas Handelsdefizit in High-Tech-Gütern besteht aus Technologien, die in den Vereinigten Staaten erfunden und in jedem einzelnen Fall durch Bundesmittel vom Verteidigungsministerium oder der NASA gesponsert worden sind. Die sieben unten angeführten Technologien sind die Basiselemente aller modernen Elektronik von Computern zu Smartphones. Und in jedem Fall ist ihre Herstellung nach Asien gewandert, weil asiatische Regierungen die frühere amerikanische Praxis übernahmen, Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Die wirtschaftlichen Vorteile der digitalen Revolution, die in den Vereinigten Staaten ihren Ursprung haben, sind nach Asien gewandert. Amerikas Anteil an der Herstellung und Vertreibung seiner eigenen Inventionen ist relativ klein.

Die digitalen Kerntechnologien sind:

  • Flüssigkristalldisplays (LCDs), die in fast allen wirtschaftlichen Bereichen genutzt werden und die jährlich 100 Milliarden Dollar umsetzen. Südkorea kontrolliert 35 % des Marktes, Taiwan 25 % und China 20 %.
  • Leuchtdioden (LEDs) werden hauptsächlich in China und Taiwan produziert.
  • China und Taiwan dominieren die Produktion von Halbleiterlasern, der Energiequelle für Glasfaserkommunikation.
  • Festkörpersensoren, die Bilder in Digitalkameras und ähnlichen Geräten generieren, werden größtenteils in Taiwan und Japan produziert.
  • Flash-Speicher werden größtenteils in Südkorea, Japan und China hergestellt. Nur 10 % der Weltproduktion kommen aus den USA.
  • Integrierte Schaltkreise sind eine globale Industrie von 270 Milliarden Dollar. Die meisten werden in Taiwan und Südkorea produziert, und China hat ein aggressives Investitionsprogramm für diese Industrie gestartet. Weniger als ein Viertel der Weltproduktion kommt aus den USA.
  • Sonnenenergiekollektoren, eine 30 Milliarden Dollar Industrie, werden von China dominiert.

Einige der asiatischen Vorteile sind das Resultat des Diebstahls von geistigem Eigentum, aber größtenteils rühren sie aus einer breiten Zusammenarbeit von Regierung und Industrie her. Asiatische Länder haben amerikanische Technologien lizensiert, haben Joint Ventures mit amerikanischen Unternehmen unterstützt, um Technologietransfer zu fördern und billiges Kapital für High-Tech-Industrien bereitzustellen. Asiatische Regierungen fördern auch technische Erziehung. China promoviert heute jährlich zwei Mal so viele Doktoren in MINT-Fächern wie die Vereinigten Staaten.

Amerika entwickelte die meisten, wenn auch nicht alle Technologien, die Asien herstellt. Aber Asiens Abhängigkeit von amerikanischer Technologie beginnt abzunehmen. Chinas Flaggschiff als High-Tech-Hersteller, Huawei, beschäftigt heute Zehntausende von Ingenieuren, einschließlich Tausende Forscher im Westen in diversen Zentren in Europa. Noch vor einem Jahrzehnt wurde Huawei regelmäßig beschuldigt, westliche Technologie zu stehlen; heute ist er ein energischer Verteidiger von geistigem Eigentum, da er heute von seinen eigenen Erfindungen abhängt.

Wir sind auf einer abschüssigen Bahn. Wenn wir weiterhin an Boden verlieren, könnten wir keine Chance mehr haben, wieder aufzuholen. Nichts anderes als eine große nationale Anstrengung wird uns die Chance für ein Comeback geben. Und das Erste, das ein amerikanischer Präsident tun muss, ist zu erklären, dass eine große nationale Anstrengung in Vorbereitung ist, mit der gleichen Absicht, die in den 1950ern Eisenhowers und Kennedys Antworten an die russischen Bodengewinne im Weltall inspirierte, oder Reagans Entschlossenheit, den Kalten Krieg zu gewinnen und Amerika gegen Raketenangriffe zu verteidigen. Es gibt viele kleine Dinge, die getan werden müssen, aber es gibt eine große Sache, die getan werden muss. Wir müssen ein nationales Ziel identifizieren und alle Ressourcen der Vereinigten Staaten einsetzen, um es zu erreichen.

[1] Small-Ball bezeichnet eine Strategie beim Pokerspiel, nach der man nur um kleine Pötte spielt, um dem Risiko des frühzeitigen Bankrotts auszuweichen.

[2] Die Forschungsabteilung von RCA (Radio Corporation of America) an der Universität Princeton.

Spengler auf Deutsch 64: Was will Putin?

Das Original erschien am 21. Oktober 2016 unter dem Titel „What does Putin want?“ In PJMedia

Ich hatte geplant, etwas Längeres über Putin zu schreiben, aber die jüdischen Feiertage kamen mir dazwischen. Darum nur eine schnelle Antwort auf die Frage: Was will Putin? Russland hat große Ambitionen und eine gescheiterte Wirtschaft, aber es hatte schon immer große Ambitionen und eine gescheiterte Wirtschaft (der Erste Weltkrieg rührt teilweise daher, dass Russland Steuern von seinen westlichen Provinzen verlangte, um seine Abenteuer im Osten zu finanzieren). Während des größten Teils seiner Geschichte hinkte Russland dem Westen technologisch hinterher, insbesondere in innovativer Militärtechnologie, und war daher vorsichtig – mit zwei Ausnahmen. Die erste Ausnahme war von 1957 bis in die frühen 1960er, nachdem Russland mit dem Sputnik bei dem Wettlauf ins Weltall in Führung gegangen war; Russlands Erfolg trug zu der Euphorie bei, welche die Berlin- und die Kubakrise hervorrief. Die zweite Ausnahme ist jetzt, seit Russlands Flugabwehr uns effektiv aus Syrien ausschließt. Wie ein Witzbold schrieb: Es gibt kein Flugverbot in Syrien, außer es wird von den Russen verhängt. Putins Interesse besteht darin, die Vereinigten Staaten zu demütigen und seinen chinesischen Partnern seine Wichtigkeit zu beweisen, die immer noch russische Technologie für Flugabwehr, Düsenjägertriebwerke und ähnliches benötigen.

Zudem will Putin auch weiterhin die Schaffung einer sunnitischen islamistischen Regierung in Syrien verhindern, da diese Dschihadisten in Russland unterstützen würde. Was die Türkei betrifft: Putin hält zu seinen Freunden und noch mehr zu seinen Feinden. Sein Abkommen mit der Türkei über Syrien ist ein Meisterstreich und ein Maßstab für Amerikas Impotenz und Inkompetenz. Was die Europäer betrifft: Die Italiener (!) legten beim europäischen Gipfeltreffen letzte Nacht ihr Veto gegen eine Resolution ein, die Russland Sanktionen androhte, und die Deutschen und Franzosen bissen sich in die Zunge. Wie „Il Foglio“ beobachtet: Die italienische Öffentlichkeit denkt, dass für das Chaos im östlichen Mittelmeer die Politik der Vereinigten Staaten (und Frankreichs und Englands) verantwortlich ist – was größtenteils zutreffend ist.

Bis vor einigen Monaten bestand noch die Möglichkeit, die Situation in der Levante zu stabilisieren. Jetzt nicht mehr: Putin spielt jetzt Richelieu. Er hält den Krieg im Gang mit dem Ziel, genug von der dortigen Bevölkerung auszurotten, um die Langzeitbedrohung zu beseitigen. Das ist genau das, was ich in seiner Lage tun würde, wenn ich damit davon kommen könnte – und er kann es.

Ich denke nicht, dass Russland eingedämmt werden kann, solange die Vereinigten Staaten nicht ihre Überlegenheit in der Flugabwehr wiederherstellen, und das wird selbst nach der günstigsten Annahme Jahre dauern (mittlerweile werden die Russen lernen, wie man unsere Tarnkappenbomber abschießt). Das Resultat wird unweigerlich ekelerregend sein.

Diejenigen, die sagen, wir sollten härter gegen Putin vorgehen, frage ich: “Wie?” Der Mainstream beider Parteien hat uns in dieses Chaos geführt und Putin die Möglichkeit geschaffen, Verwüstungen anzurichten.

Spengler auf Deutsch 63: Das Dach der Echokammer hebt ab

Das Original erschien am 20. Oktober 2016 unter den Titel “The Roof Blows Off the Echo Chamber” in PJMedia.

 

„Wir haben eine Echokammer[1] geschaffen. Sie sagten Dinge, die bestätigten, was wir ihnen zu sagen vorgegeben hatten. In Abwesenheit eines rationalen Diskurses reden wir in Phrasen … Der durchschnittliche Reporter, mit dem wir sprechen, ist 27 Jahre alt, und seine einzige Erfahrung als Reporter besteht aus politischen Kampagnen. Das ist eine grundlegende Veränderung. Sie wissen wirklich nichts“.

So sprach ein gewisser Ben Rhodes, literarischer Dilettant und Möchtegern-Don DeLillo, in einem verblüffenden Interview-Essay durch David Samuels in der „New York Times” vom letzten Mai. Rhodes beschreibt dort, wie man der amerikanischen Zivilgesellschaft den Nuklearvertrag mit dem Iran schmackhaft gemacht hat, nämlich durch Ignoranten in den Medien, die pflichtschuldig die Echos wiederholten, welche aus dem Regierungsstall vermeintlich unabhängiger Experten kamen. Aber das „Echokammerprinzip“ trifft auf alles zu, was die Medien des Establishments dem Publikum weismachen wollen. Das Schlimme mit Echokammern ist aber, dass positive Rückmeldungen das Dach abheben lassen können. Das ist es, was gerade jetzt in der amerikanischen Politik vorgeht.

Es gibt keinen Nachrichtenaustausch. Es gibt keine nationale Debatte. Es gibt keinen Ed Murrow, keinen Walter Cronkite, keine Person mit Autorität, zu der das Publikum ein gewisses Vertrauen hat, sie werde die relevanten Fakten präsentieren. Statt dessen hatten wir so viele Lügen, Verschleierungen, aufgedeckte Verschleierungen, neue Lügen, neue Verschleierungen und neue aufgedeckte Verschleierungen, dass selbst die Experten mit Informationen überlastet sind. Was aber geht im Hirn eines durchschnittlichen Wählers mit geringem Interesse an Politik vor, der täglich zehn bis 15 Minuten die Nachrichten sieht?

Die Antwort ist: Fast alles, was Sie sich vorstellen können. Gemäß einer Untersuchung von Pew Research empfangen zweiundsechzig Prozent der Amerikaner zumindest einige ihrer Nachrichten über Soziale Medien und der Anteil wächst schnell. Facebook und andere soziale Medien erlauben es, den Nachrichtenkonsum individuell auf der Basis von Empfehlungen und Re-Postings von Freunden anzupassen, und Nachrichtenkonsumenten verlassen sich zunehmend mehr auf ihr Netzwerk als auf die Medien.

Auf diese Weise verwandelte sich Steve Bannons “Breitbart News”-Organisation mit ihrer ausgefallenen Mischung aus saftigem Klatsch und rechter Politik fast über Nacht in ein ernstzunehmendes Medium. Auf diese Weise erhielt Drudge Report[2] 1.47 Milliarden Seitenbesuche im Juli. Niemand weiß, was die Amerikaner glauben. Nur einer von neun Amerikanern glaubt, dass Hillary Clinton „ehrlich und glaubwürdig“ ist. Sie haben kein Vertrauen in die Verschleierung ihrer Vergehen durch die Medien, und die Verschleierung der Verschleierung der Verschleierung.

Glauben sie, was der National Enquirer an die Spitze seiner Website setzte, dass Hillary ihre Handlanger lesbische Rendezvous arrangieren ließ? Glauben sie, dass Hillary Muslime „sand N—ers“ (sandfarbige Nigger) genannt hat? Glauben sie, dass die Clintons für 46 unaufgeklärte Selbstmorde verantwortlich sind? Oder glauben sie einfach, dass Bill und Hillary 250 Millionen Dollar einnahmen, indem sie ihren Einfluss verkauften, einen privaten Email-Server nutzen, um ihre Eigenmächtigkeiten im Außenministerium zu verbergen, und logen, bis sie schwarz wurden, als man sie ertappte.

Es gibt keine Möglichkeit herauszufinden, was die Leute denken. Für die meisten Amerikaner ist es unmöglich, sich ein Urteil zu bilden, mit dem sie zufrieden sind, weil sie keine Informationsquellen haben, denen sie vertrauen können. Bei Fox News herrscht ein Bürgerkrieg zwischen Pro- und Anti-Trump Republikanern. Die anderen großen Netzwerke stehen auf Seiten Hillarys. Die etablierten Medien haben an Glaubwürdigkeit verloren. In einer Gallup Umfrage vom September sagten nur 32 % der Amerikaner, sie hätten „großes“ oder „ziemlich viel“ Vertrauen in die Nachrichten der Medien. Das ist der niedrigste Stand in der Geschichte und sollte keine Überraschung sein: Die großen Medien mussten alle paar Tage eine neue Verschleierung zusammenstoppeln, noch bevor sie die vorangegangene Lügengeschichte richtig beendet hatten.

Das ist der Grund, warum Amerikaner nicht einfach die Abendnachrichten ansehen und ins Bett gehen. Sie lesen die Gerüchte im Internet und leiten sie an ihre Freunde weiter. Sie schaffen Netzwerke von Personen, denen sie vertrauen, in der Hoffnung, eine korrekte Darstellung dessen zu finden, was um sie herum vorgeht.

Darum glaube ich immer noch, dass die Wahl an Donald J. Trump gehen wird. Die Umfragen sind bedeutungslos. Ansichten ändern sich so schnell wie der neue Terminator in dem geschmolzenen Stahlbottich am Ende des Films. Und wenn die Amerikaner schließlich in die Wahlkabine gehen, dann wird ihnen kein Grund einfallen, für Hillary Clinton zu stimmen, sondern nur Gründe, gegen Trump zu stimmen. Es gibt weit mehr überzeugende Gründe, gegen Clinton zu stimmen. Aber so wird die Wahl ablaufen.

[1] Im Englischen ist “Echo chamber” eine metaphorische Beschreibung eines Zustandes, in dem Informationen sich durch Weiterleitung und Wiederholung innerhalb eines geschlossenen Systems immer weiter verstärken, während abweichende oder widersprechende Informationen zensiert oder auf andere Weise unterdrückt werden.

[2] Drudge Report ist eine konservative amerikanische Nachrichtenwebsite.

Spengler auf Deutsch 62: Hillarys Flugverbots-Patzer und Trumps verpasste Gelegenheit

Das Original erschien am 11. Oktober 2016 unter dem Titel „Hillary’s no-fly gaffe and Trump’s missed opportunity“ in Asia Times.

Der extremste Fehler in der Präsidentschaftsdebatte vom 9. Oktober war Hillary Clintons Vorschlag für eine Flugverbotszone in Syrien. Die demokratische Kandidatin erklärte: „Ich, als ich Außenministerin war, habe Flugverbotszonen und Sicherheitszonen befürwortet und befürworte sie auch heute. Wir brauchen ein Druckmittel auf die Russen, weil sie nicht für eine diplomatische Lösung an den Verhandlungstisch kommen werden, bis wir nicht einen gewissen Druck ausüben können“. Weder Donald Trump, noch die Moderatoren der Debatte erwähnten das Offensichtliche: Infolge der russischen Flugabwehr lässt sich eine Flugverbotszone nicht durchsetzen.

Der größere Zusammenhang – den ein republikanischer Herausforderer gut ausbeuten könnte – besteht darin, dass die amerikanische Überlegenheit in Flugabwehrsystemen unter der Obamaregierung so weit erodiert ist, dass Russland die Fähigkeit haben könnte, selbst Tarnkappenflugzeuge abzuschießen. Das Pentagon weiß die Antwort auf diese Frage nicht und will sie verständlicherweise nicht herausfinden. Das Problem ist nicht, ob Amerika und Russland wegen eines abgeschossenen amerikanischen Flugzeugs in einen Krieg eintreten. Das ist höchst unwahrscheinlich. Aber Amerikas strategische Glaubwürdigkeit würde einen schweren Schlag erleiden, wenn Tarnkappenbomber nicht länger russische Flugabwehrraketen austricksen könnten.

Russland hat bereits ein S-400 Flugabwehrsystem in Syrien installiert, das Kampfflugzeuge abschießen kann, und angekündigt, dass es das S-400 durch das S-300V-System ergänzen wird. Damit erweitert sich die Reichweite der russischen Flugabwehr in der Region um 250 Meilen (400 km). Die „Military Times“ vom 8. Oktober zitiert Steve Zolaga, einen Verteidigungsspezialisten der „Teal Group“. Er warnt: „Die Russen dürften gemerkt haben, dass sie eine gewisse Kapazität brauchen, um mit einem ausgewachsenen amerikanischen Luftschlag fertig zu werden. Die Russen kommen manchmal mit wirklich paranoiden Szenarios, wo sie den Krieg als unmittelbar bevorstehend ansehen. Wenn sie eine paranoide Einschätzung der westlichen Intentionen haben, dann hat die S-300V einen gewissen Sinn“. In Anbetracht von Clintons Vorschlag erscheinen die russischen Vorbereitungen weniger paranoid als vorausschauend.

Die Obama-Regierung hat sich bereits von Clintons Flugverbotsvorschlag distanziert, weil sie das Morden auf dem Boden nicht beenden würde. Aber das Insistieren der früheren Außenministerin auf Flugverbotszonen verrät eine völlige Ignoranz über den Zustand von Amerikas Verteidigung und ebenso über die potentielle Anwendung der amerikanischen Militärmacht.

Sachdienlicher ist eine einfache Analyse der Kapazitäten. Amerikanische Verteidigungsexperten wissen, dass Russland an einem fortgeschrittenen Radar arbeitet, das niedrig fliegende Aufklärungsflugzeuge identifizieren und anvisieren kann. Der Verteidigungsspezialist vom „National Interest“, Dave Majumdar, hat diese Frage in einem Überblick vom August 2016 erörtert. Mike Kofman von der „CNA Corporation“ meinte gegenüber NI: „Russland hat in niederfrequente Frühwarnradars investiert, von denen einige sehr gute Varianten fertig sind. Aber kann es sie nutzen, um ein gutes Bild und um einen Kurs gegen niedrig fliegende Aufklärungsflugzeuge zu bekommen“?

Amerikanische Experten argumentieren, dass die besten russischen Systeme wahrscheinlich die amerikanischen Flugzeuge der vierten Generation abschießen können (die Varianten der F-15, F-16 und F-18), aber dass sie nicht in der Lage sind, die F-22 Raptor zu schlagen – noch. Prorussische Medien wie Russia Insider behaupten, dass die nächste Generation der russischen Flugabwehr, das S-500-System, dessen Einsatzbereitschaft für 2017 vorgesehen ist, „die F-35 in Rente schicken wird“. Die Frage ist nicht, ob russisches Radar Tarnkappenflugzeuge orten kann, sondern ob es das schnell und akkurat genug kann, um Raketen ins Ziel zu leiten. Das bleibt eine unbeantwortete Frage. Ein höherer Beamter des Verteidigungsministeriums sagte in einem Hintergrundgespräch, dass das Pentagon die Antwort nicht kenne und sie nicht gewaltsam herausfinden wolle.

Der Skandal liegt in der Unsicherheit. Mit 1,5 Billionen Dollar ist der F-35 Tarnkappenjäger das teuerste Rüstungsprogram in der Geschichte der Kriegführung; er ist so teuer, dass er Alternativen aus dem amerikanischen Verteidigungsbudget verdrängt hat. Abgesehen von zahlreichen operationellen Problemen, welche das F-35-Program belasten, besteht das Risiko, dass das Konzept des Programms in fataler Weise fehlerhaft ist, selbst wenn das Flugzeug kann, was es können soll. Wenn russisches Flugabwehrradar die F-35 besiegen kann, dann haben die Vereinigten Staaten die meisten ihrer Eier in einen sehr zerbrechlichen Korb gelegt

Das ist eine bemerkenswerte Umkehrung der Verhältnisse von 1982, als die bessere Bordelektronik der Amerikaner und Israelis ein russisches Boden-Luft-Raketenabwehrnetzwerk in Syrien ausschaltete, was der israelischen Luftwaffe erlaubte, 90 in Russland gebaute Jagdflugzeuge an einem einzigen Tag zu zerstören – das sogenannte Truthahnschießen im Bekka-Tal. Der Kollaps der in Russland gebauten Luftabwehr und die Niederlage der damals modernen russischen Flugzeuge trug dazu bei, die russische militärische Führung zu überzeugen, dass sie einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten nicht gewinnen konnte. Es war eine von mehreren Entwicklungen, einschließlich des russischen Debakels in Afghanistan, der Verschiebung in der strategischen Balance an der europäischen Front infolge der Aufstellung von Pershing Mittelstreckenraketen und der amerikanische „Strategic Defense Initiative“, welche den Kalten Krieg gewannen.

Die Vereinigten Staaten haben etwa 4 Billionen Dollar verschwendet, um Nationen in Irak und Afghanistan zu bilden. Seit den frühen 1990er Jahren ist das Budget für Forschung und Entwicklung des Verteidigungsministeriums – gemessen am Prozentsatz vom Bruttoinlandsprodukt – um die Hälfte gefallen, und ein überproportional großer Anteil des verbleibenden Forschungsbudgets wurde in das F-35 Programm geleitet. Mit weit geringeren Ressourcen hat Russland eine glaubwürdige Herausforderung der amerikanischen Luftüberlegenheit auf die Beine gestellt. Man sollte meinen, dass dieser Punkt eine wichtige Rolle in der amerikanischen Präsidentschaftskampagne spielen würde. Donald Trump hat sich vage über die Notwendigkeit ausgesprochen, Amerikas Militär wiederaufzubauen. In der Debatte der letzten Nacht hat er die Gelegenheit verpasst, diese seiner Gegnerin detailliert aufs Butterbrot zu schmieren.

Spengler auf Deutsch 61: Trump wird die nationale Schlacht um Legitimität gewinnen

Das Original erschien am 9. Oktober 2016 unter dem Titel „Trump Will Win the National Battle for Legitimacy“ in PJMedia

Der Ringrichter hätte in der zehnten Runde abbrechen sollen. In seiner Attacke sagte Donald Trump: „Hillary hat die Macht ihres Amtes genutzt, um 250 Millionen Dollar zu kassieren. Warum investieren Sie nicht etwas davon? Sie machten eine Menge Geld, als sie Außenministerin waren. Warum stecken Sie nicht etwas Geld in ihre eigene Kampagne? Nur aus Neugier“: Schwankend und in den Seilen hängend japste Clinton, dass sie … den zweiten Verfassungszusatz befürwortet. Es war ein brilliantes rhetorisches Manöver: über Kampagnenfinanzierung sprechend flocht Trump eine Andeutung ein, dass Clinton sich bereichert habe, indem sie die Macht ihres Amtes für persönliche Zwecke nutzte – und Clinton antwortete nicht einmal. Das ist ein Sieg durch KO.

Das ist der entscheidende Punkt der Kampagne: die korrupten Machenschaften einer herrschenden Elite, die sich selbst über dem Gesetz sieht, und der Zorn des amerikanischen Volkes gegen die oligarchisch herrschende Klasse, welche die Leiter hinter sich hochgezogen hat. Trumps Treffer unter Clintons Wasserlinie kam am Ende der Debatte, gut vorbereitet durch Tiefschläge über Clintons gelöschte E-mails und Bills Vergewaltigungen. Trump gebrauchte das „G“-Wort – „Gefängnis“. Das war vielleicht der wichtigste Moment des Abends. Das ist keine Wahl über konkurrierende politische Konzepte, sondern ein Kampf um Legitimität. Ein sehr großer Teil der Wählerschaft (ein wie großer Teil werden wir nächsten Monat sehen) glaubt, dass ihre Regierung nicht länger legitim ist, dass sie das Instrument einer geschlossenen, Vetternwirtschaft treibenden Oligarchie geworden ist.

Im Großen und Ganzen stimme ich dem zu. „Amerikas Wirtschaft ist korrupt, kartellisiert und gegen Wettbewerb,“ habe ich schon im August geschrieben. Es ist typisch für Vetternwirtschaft, dass Lockheed Martins Aktienkurs sich in letzten drei Jahren verdreifacht hat und die Bezahlung seines Topmanagement-Teams von 12 Millionen pro Jahr auf über 60 Millionen Dollar gesteigert hat[1]. Mach Mist und werde reich damit: das ist Washington. Es ist keine triviale Angelegenheit oder nicht repräsentativ für unseren Zustand, dass der FBI-Direktor, der es ablehnte, Frau Clinton wegen falscher Handhabung von Geheimmaterial zu verfolgen, gerade in die Regierung von einem Job bei Lockheed Martin zurückgekehrt ist, wo er für ein einziges Jahr sechs Millionen Dollar verdient hat. Ich weiß nicht, ob FBI-Direktor Comey korrupt ist. Aber der Fall hat ein Geschmäckle.

Darum war es so wichtig, dass Trump vom Gefängnis für seine Gegnerin gesprochen hat. Wären die Dinge nicht an einem Punkt angelangt, an dem frühere Amtsinhaber ins Gefängnis gehörten, stände Trump nicht auf dem ersten Platz. Die republikanischen Wähler haben einen rücksichtslosen, unabhängigen, wohlhabenden, vulgären, rauhbeinigen Außenseiter nominiert, eben weil sie glauben, dass das System korrupt ist. Sie haben Recht, das zu glauben; wenn die Wähler ein Zehntel von wüssten, was ich weiß, würden sie mit Mistgabeln auf Washington marschieren.

Die gesamte Wochenendberichterstattung konzentrierte sich auf Trumps dreckiges Mundwerk, das in der Endabrechnung für nichts zählen wird. Niemand, der Trumps Medienauftritten in den letzten 30 Jahren gefolgt ist, hat irgendetwas anderes von diesem Protz erwartet. Wir sind mit Trump geschlagen, eben weil das republikanische Establishment über den Irak und die Wirtschaft implodiert ist.

Ich vermute, dass Trumps Zurückhaltung während der ersten Debatte bezweckte, seine Widersacherin einzuschätzen. Niemand wird sich bei der Wahl erinnern, was in der ersten Debatte gesagt wurde, und Trump schien Clinton zu testen und ihre Antworten zu erwarten. Dieses Mal hat er sie verwundet. Ob da noch mehr kommt – eine skandalöse Enthüllung irgendwelcher Art – weiß ich nicht. Aber angesichts von Trumps Erfahrung im Showbusiness können wir annehmen, dass die wirklichen Gemeinheiten noch kommen werden.

Wer auch immer gewinnt, ein sehr großer Teil der Wählerschaft – vielleicht mehr als ein Drittel – glaubt, dass es der Regierung an Legitimität fehlt. Solche Bedingungen hatten wir seit dem Bürgerkrieg nicht mehr. Wenn Trump verliert, werden seine Wähler eine korrupte Oligarchie und ihre Medien verantwortlich machen, dass sie eine Kriminelle ins Weiße Haus gewählt haben werden; wenn Clinton verliert, wird ihre Wählerschaft reagieren, als ob der Klu Klux Klan Washington übernommen hätte. In den letzten anderthalb Jahrhunderten der amerikanischen Geschichte hat es so etwas nicht gegeben und es ist eine undankbare Aufgabe, den Ausgang vorherzusagen. Nichtsdestoweniger werde ich es tun: Trump wird sie zerschmettern. Clinton, die Medien, die Umfragen und der Mainstream der republikanischen Partei haben den rebellischen Geist der Wählerschaft gründlich missverstanden.

[1] Die Lockheed Martin Corporation ist ein amerikanischer Rüstungs- und Technologiekonzern, der vor allem in der militärischen und zivilen Luftfahrt und in der Raumfahrt aktiv ist. Fast 80 % des 2014 erreichten Umsatzes von 46 Milliarden US-Dollar wurden durch Käufe der amerikanischen Regierung erzielt. (aus Wiki).

Spengler auf Deutsch 60: Die „New Republic“ verleumdet einen Historiker, der Trump unterstützt, als Nazi-Sympathisanten

Das Original erschien am 30. September 2016 unter dem Titel “’The New Republic‘ Slanders Trump-Supporting Historian as Nazi Sympathizer” in PJMedia.

Jeet Heer, allem Anschein nach einer der Herausgeber bei The New Republic, hat Christina Jeffrey, eine Historikerin, die (mit mir und 125 anderen) einen Aufruf von Schriftstellern und Gelehrten unterschrieben hat, um die Kandidatur von Donald Trump zu unterstützen, verleumdet.

Heer behauptet, das Professor Jeffrey “denkt, dass die Nazi-Perspektive nicht berücksichtigt wird“.

Das ist eine dreißig Jahre alte Verleumdung gegen Jeffrey.

Sagen wir mal, dass Jeet Heer junge Eulen in unterirdischen Vogelhäusern vögelt. Er tut das nicht wirklich, jedenfalls nicht nach meiner Kenntnis. Aber ebenso wenig ist Professor Jeffrey ein Nazi-Apologet, ein Holocaustleugner oder ein Antisemit. Und das kann ich beweisen, was mehr ist, als ich mit der ebenfalls unbegründeten Anschuldigung gegen Jeet Heer tun kann.

Niemand weiß mit Sicherheit, ob Jeet Heer Abscheulichkeiten an jungen Eulen begeht, weil die Frage nie untersucht worden ist. Wie auch immer, wir wissen mit absoluter Sicherheit, dass Professor Jeffrey sich keinerlei Feindschaft gegenüber Juden oder irgendwelcher heimlicher Sympathien für ihre Verfolger schuldig gemacht hat. Die 30 Jahre alte Verleumdung gegen Professor Jeffreys wurde erschöpfend durch die Anti-Verleumdungsliga von „B’Nai B’rith“, jüdische Medien und verschiedene akademische Beobachter untersucht. Im Fall von Jeet Heet können wir lediglich sagen, dass es keinen direkten Beweis dafür gibt, dass er die Perversionen praktiziert, die man dem Bischof von Balham in einem Limerick zuschreibt[1].

Jeet Heet ist Spezialist für Comix – der verlängerte Kontakt mit ihnen führt zu synaptischer Übertragung und verursacht vielleicht Halluzinationen. Aber folgendes Statement von Heer ist völlig und jämmerlich falsch:

„Unter den ‚Gelehrten und Schriftstellern für Trump‘ findet sich ein Historiker, der denkt, dass die Nazi-Perspektive nicht berücksichtigt wird. Die Website ‚American Greatness‘ (Amerikas Größe) hat eine Liste von ‚Gelehrten und Schriftstellern für Trump‘ zusammengestellt, und es sind einige sehr merkwürdige Namen darin, einschließlich der Historikerin Christiana Jeffreys.

1986 wurde Jeffrey von Ronald Reagans Kultusministerium angestellt, um die vorgeschlagene öffentliche Finanzierung eines Kurses über den Holocaust zu begutachten. Jeffreys war gegen den Kurs; sie argumentierte in ihrer Evaluation, dass ‚das Programm ist unausgewogen und nicht objektiv. Der Standpunkt der Nazis, wie unpopulär auch immer, ist immer noch ein Standpunkt und wird nicht dargestellt, ebensowenig wie der des Klu Klux Klan‘“.

Als Professor Jeffreys das Evaluationsformular über das Holocauststudium ausfüllte, äußerte sie sich ironisch über die „Objektivität und Ausgewogenheit“ des Programms. In noch mehr zugespitzter Form attackierte sie das fragliche Programm: es erkläre die Entwicklung des Nazismus nicht angemessen, da das Programm den Versuch, die Juden zu vernichten, mit dem Lynchen von Schwarzen im amerikanischen Süden verbinde. Das sei eine armselige Darstellung der Geschichte, hat Professor Jeffrey argumentiert.

Damit beschwor sie den Zorn und die Verleumdung einiger Linker herauf.

Schon vor zwei Dekaden hatte man einen Pfahl durch das Herz dieser komischen Geschichte der Holocaustleugnung getrieben. Wie konnte Heer das entgehen?

Tracy Lee Simmons schrieb schon 1995 in der National Review:

„[Prof. Jeffrey] war um eine “generelle Bewertung“ zur Stipendiengenehmigung gebeten worden. Im letzten der vier Paragraphen hat sie geschrieben: „Der Standpunkt der Nazis, wie unpopulär auch immer, ist immer noch ein Standpunkt und wird nicht dargestellt, ebensowenig wie der des Ku Klux Klan. Die Auswahl von nur zwei Problemzonen, Deutschland und Armenien, lässt viele andere beiseite, von denen viele neueren Datums sind. Ich denke unter anderem an die UdSSR, Afghanistan, Kambodscha und Äthiopien. Es wird keine Erklärung für diese Auswahl geboten“.

Das vorliegende Programm hatte es ihrer Meinung nach versäumt, die Ursprünge des Holocaust aufzuzeigen, Ursprünge, die nur noch weiter verdunkelt würden, durch die unterstellte Verbindung zwischen dem Lynchen von Schwarzen im amerikanischen Süden und der von der Regierung herbeigeführten Ermordung von Juden in Nazideutschland. Kurzum: dieses Programm der „Klärung von Werten“ war einfach schlechte Geschichtsschreibung.

Frau Jeffrey war nicht die Einzige, die „Facing History and Ourselves.“ kritisierte

Im “Commentary” von Commentary, schrieb die Holocaustgelehrte Lucy Dawidowicz: „Vermeintlich ein Curriculum, um den Holocaust zu lehren, war ‚Facing History‘ auch ein Vehikel, um Dreizehnjährige in zivilem Ungehorsam zu unterreichten und sie mit Propaganda für nukleare Abrüstung zu indoktrinieren“.

Ebenso schrieb Frau Dawidowicz, das letzte Kapitel des vorgeschlagenen Texts enthalte “Übungen offensichtlicher politischer Indoktrination in gegenwärtig modischen Fällen.“

Solche Bemerkungen wurden von demokratischen Kritikern der Reaganregierung aus ihrem Kontext gerissen. Professor Jeffreys wurde 1995 ein Magnet für Verleumdungen, als der Republikaner Newt Gingrich sie als Historiker des Repräsentantenhauses nominierte.

Kein Geringerer als Abe Foxman, das langjährige Oberhaupt der Anti-Verleumdungsliga (Anti-Defamations-League) „B’Nai B’Rith”, hat diese Beschuldigung in einem Entschuldigungsschreiben an Professor Jeffrey vom 22. August 1995 zurückgewiesen.

Foxman schrieb:

„Ich möchte Ihnen versichern, dass nach Überprüfung der Fakten und Umstände der Kontroverse über das ‚Facing History and Ourselves‘ Holocaust-Curriculum die A(nti-)D(efamations-)L(eague) mit Befriedigung feststellt, dass jegliche Charakterisierung Ihrer Person als antisemitisch oder sympathisierend mit dem Nazismus völlig unbegründet und unfair ist“.

All diese Tatsachen und noch viele mehr können in Sekunden über eine Onlinesuche aufgefunden werden.

Die Attacke auf Professor Jeffrey war von Beginn an eine Falschmeldung; sie ist von den wachsamsten Aufpassern in Sachen Holocaustleugnung mit Entschuldigungen zurückgewiesen worden.

Aber sie wurde ausgegraben und von neuem präsentiert von “Jeet Heer”, was – folgt man “The New Republic” – ein Eigenname und kein Verb ist. Jedoch bedeutet in einem heute ausgestorbenen Dialekt des Ostfriesischen, eine junge Eule zu „jeet heer“, etwas, das ich in einer Familienzeitung nicht aussprechen kann. Wenn Sie mir nicht glauben, googeln sie „jeet heer“ und „bestiality“ (Sodomie). Sie werden nichts finden – das heißt, Sie werden nichts finden, um den Zusammenhang zwischen Jeet Heer und dem Bischof von Balham zu bestreiten.

Im Falle von Professor Jeffreys Holocaustleugnung dagegen werden sie reichlich Beweise finden, welche die Anklage widerlegen.

Kurzum: Es ist wahrscheinlicher, dass Jeet Heer Sodomie treibt, als dass Professor Jeffrey den Holocaust leugnet.

Professor Jeffrey hat den Brief der „Anti-Defamation-League“ online gestellt. Ich fordere Jeet Heer auf, ein Brief der ASPCA[2] vorzulegen, das seine Unschuld im Falle junger Eulen bescheinigt. Vielleicht waren die Eulen ja schon volljährig? Wenn das Jeet Heers Verteidigung ist, soll er die Beweise präsentieren.

Zum anderen bezeichnt Jeet Heer, dessen Hauptbeschäftigung anscheinend in der Herausgabe von Comixheften besteht, die Mitunterzeichner des Briefes als „komische Käuze von geringer Reputation“. Sie meint Leute wie den angesehenen politischen Philosophen Hadley Arkes vom Amherst College und den Zeitungsherausgeber Conrad Black, dessen Biographie von Franklin Roosevelt einen enormen Erfolg hatte.

Und das von dem Herausgeber von Comixheften. Kal v’Chomer, Batman[3].

[1] Der Limerick lautet folgendermaßen. Da hier möglicherweise Minderjährige mitlesen, übersetze ich ihn nicht:

A sin most obscene and unsavoury
holds the bishop of Balham in slavery
with manaical howls
he rogers young owls
which he keeps in an underground aviary.

[2] American Society for the Prevention of Cruelty to Animals – der amerikanische Tierschutzverein.

[3] „Kal v’Chomer“ ist eine im Talmud häufige Argumentationsfigur, die auch als „argumentum a fortiori „(nach dem stärker überzeugenden Grunde) bekannt ist. Darin wird der Beweis einer Behauptung durch eine schon bewiesene stärkere Behauptung ausgedrückt. Beispiel: Wenn es verboten ist, schneller als 50 km/h zu fahren, dann ist es erst recht verboten, schneller als 60 km/h zu fahren.

Spengler auf Deutsch 59: Die Nöte der Deutschen Bank werden eine seit langem überfällige Konsolidierung des Bankensystems einleiten

Das Original erschien am 29. September 2016 unter dem Titel „Deutsche’s woes will promt a long-overdue consolidation of banking system“ in Asia Times.

Um 12,30 mittags nach Eastern Standard Time fand der Markt heraus, was Spezialisten schon seit 48 Stunden wussten: Eine Anzahl großer Hedgefonds zog ihren Derivatehandel von der Deutschen Bank ab und auch das Geld, das dort als Gegenwert geparkt war. Eine Meldung bei „Bloomberg News“ berichtet: „Eine Anzahl Fonds, die ihren Derivatehandel von der Deutschen Bank AG abtrennen, haben überschüssige Liquidität und Positionen, die sie bei diesem Bankhaus haben, zurückgezogen, ein Zeichen steigender Besorgnis ihrer Geschäftspartner weiterhin Geschäfte mit Europas größter Investmentbank zu machen“. Das war den Derivatehändlern schon am Dienstag bekannt, hat aber die meisten Aktieninvestoren überrascht.

Nichts Aufregendes wird passieren. Geschäfte, welche Hedgefonds bisher mit der Deutschen Bank machten, werden zu ihren stärkeren Wettbewerbern verlagert werden und das Geschäft der Deutschen Bank wird schrumpfen. Je nachdem wie aggressiv das amerikanische Justizministerium seine angedrohte 14 Milliarden Dollar-Buße durchsetzt, ist es möglich, dass die Bank Gegenstand einer Zwangsfusion wird – und es ist sogar möglich, dass einige ihrer Anleihegläubiger Geld verlieren werden. Es wird weniger Banken geben und die, die überleben, werden wieder Geld verdienen. Es zahlt sich nicht aus, Aktionär einer Bank zu sein und abzuwarten, ob man einer der Gewinner ist. Das ist keine neue Lehman-Krise, als alles in Stücke ging. Aber es besteht auch kein Grund, Stammaktien von Banken zu haben.

Deutsche Bank Aktien sind bis zum Nachmittag um 6,5 % gefallen, gefolgt von Credit Suisse, die 4,5 % verloren hat. JP Morgan ist um 1,5 % gefallen. Wie ich schon am 26. September dargelegt habe, sind die riesigen Derivatebestände der Deutschen Bank ihre Achillesverse. Ihre außerbilanziellen Vermögenswerte betragen ein Viertel ihrer gesamten Vermögenswerte, eine Quote, die nur von Credit Suisse erreicht wird. Die englische Barclay’s Bank ist auf dem dritten Platz. Seit der Krise von 2008 sind „Derivate“ ein Schimpfwort geworden, aber sie enthalten sehr verschiedene Instrumente. Die „Derivate“, welche den Kollaps von Lehman Brothers im September 2008 auslösten, waren schon von der Konstruktion her betrügerisch, synthetische Rentenpapiere, die ein AAA-Rating trugen, jedoch als Ramsch hätten eingestuft werden sollen. Die Derivate der Deutschen Bank bestehen größtenteils aus Zinsrisiko-, Kredit- und Wechselkursabsicherungen, die in liquiden Märkten gehandelt werden und deren Verhalten ziemlich berechenbar ist.

Das ist eine begründete Annahme, aber der Markt weiß nicht, dass das Portefeuille gutartig ist. Die Deutsche Bank und Credit Suisse werden für ihre Undurchsichtigkeit bestraft. Aber noch unangenehmer als der heutige Rückgang des sowieso schon eingebrochenen Aktienkurses der Deutschen Bank ist der Preisverfall ihrer Vorzugsaktien. Für Vorzugsaktien erhält man eine fixe Dividende, aber sie sind unter den letzten Wertpapieren, die im Falle von Problemen bedient werden. Die 6,55 % Vorzugsaktie der Deutschen Bank – fällig 12/2049 hat nahezu 15 % ihres Wertes verloren, weil sie im Falle einer Reorganisation wertlos werden könnte.

Wie ich schon zu Beginn dieser Woche schrieb: Das ist keine Bankenkrise wie 2008, als die meisten Banken vergiftete Papiere mit 60:1-Hebel hielten. Heute haben wir nur einige Banken (Deutsche Bank, Credit Suisse und Barclay’s), die große Bestände an außerbilanziellen Derivaten haben, und einige Banken (vor allem italienische), die sich nicht von ihren faulen Krediten befreien können. Die meisten Banken handeln wie die sprichwörtlich langsamen Landratsämter.

Es gibt einfach zu viele Banken und zu wenig Geschäfte für sie. Die Rentenmärkte haben zu einem großen Teil das kommerzielle Kreditgeschäft ersetzt. Die neue Finanztechnologie reduziert die Zahl der Kreditsachbearbeiter, Bürokraten und Kassierer. Die Commerzbank, ein Konkurrent der Deutschen Bank, hat diesen Morgen 9.300 Entlassungen angekündigt, etwa ein Zehntel ihrer Arbeitskräfte. Das ist ein guter Anfang. Das europäische Bankwesen benötigt eine Reduktion seiner Belegschaften und seiner Branchen um mehr als die Hälfte. Laut dem Bloomberg European Banken Index betrug die Eigenkapitalrendite europäischer Banken gerade mal 3,3 % im September. Das ist nicht genug, und die Lösung heißt Konsolidierung.

Das erklärt wahrscheinlich, warum die deutsche Regierung einen Bailout der Deutschen Bank ausgeschlossen hat. Sicher, im Falle einer echten Krise würde die Regierung Einleger und die Gegenparteien von Deckungsgeschäften schützen – aber nicht die Besitzer von Aktien oder Anleihen. Am 27. September begann Andreas Dombert, ein Mitglied des Aufsichtsrates der deutschen Zentralbank, eine Rede in Wien mit der Frage: „Gibt es zu viele Banken?“ Er schloss mit der Feststellung: „…der Anteil des Bankensektors an wirtschaftlicher Aktivität wird zurückgehen … Wie das geschehen wird, hängt vom Markt ab“.

Das ist einfacher in Deutschland, das an chronischem Arbeitskräftemangel leidet, als in Frankreich oder Italien, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und wo Jobs wie Familienerbstücke geschützt werden. Anscheinend hat die Bundesbank die Initiative ergriffen und die Deutsche Bank könnte den Anfang machen.