Spengler auf Deutsch 31: Trumps Triumph ist eine Folge von Abwärtsmobilität

Der Originalartikel erschien am 1. März 2016 unter dem Titel „Trump Triumphed Due to Downward Mobility“ in Asia Times.

Das Rennen ist noch offen, aber eine Entscheidung zeichnet sich ab: Die Siege von Donald Trump in Georgia, Alabama, Tennessee, Virginia, Arkansas und Massachusetts überwiegen den Sieg von Ted Cruz in seinem Heimatstaat Texas und im benachbarten Oklahoma. Das republikanische Establishment wird sich nicht um Cruz scharen, als den letzten Kandidaten, der fähig ist, Trump zu schlagen. Marco Rubios Trostpreis war der Minnesota-Caucus mit 37 % Stimmenanteil.

In den letzten sechs Monaten haben meine republikanischen Freunde und ich Donald Trumps Aufstieg mitangesehen und uns gefragt, ob die Wähler verrückt geworden sind. Aber die Wähler sind nicht verrückt. Wir in der republikanischen Elite waren verrückt. Wir dachten, wir könnten der amerikanischen Wirtschaft erlauben, auch weiterhin ein Spiel mit gezinkten Karten zu bleiben. Die Wähler denken anders. Darum ist Trump am Gewinnen. Das ist auch der Grund, warum Bernie Sanders, der unwahrscheinlichste Präsidentschaftskandidat seit Menschengedenken, in der Lage ist, Hillary Clinton ernsthafte Konkurrenz zu machen. Wenn man den Leuten keinen Kapitalismus gibt, pflegte der verstorbenen Jude Wanniski zu sagen, dann werden sie den Sozialismus nehmen.

Amerikaner sind gerissen. Man kann nicht auf sie spuken und ihnen erzählen, es regnet. Sie wissen, das Spiel ist zu ihren Ungunsten manipuliert. Sie wissen davon ebenso, wie sie wissen, wenn eine Lotterie manipuliert ist: Es gibt keine Gewinner. Sie wissen, dass es mit ihnen abwärts geht, weil es nicht aufwärts geht. Amerikaner sind bereit, gegen schlechte Chancen zu spielen – die spielen ständig im Lotto – aber jetzt denken sie, dass sie überhaupt keine Chance haben. Bis 2008 hatten normale Amerikaner eine Außenseiterchance, reich zu werden. Jetzt haben sie keine Chance mehr.

Aufwärtsmobilität ist der Pegel für Amerikas Wohlbefinden. Es ist nicht der Niedergang des durchschnittlichen Familieneinkommens, der den Amerikanern unter die Haut geht, sondern die Wahrnehmung, dass die Eliten die Leiter hinter sich hochgezogen haben. Während des Vierteljahrhunderts nach der Amtseinführung von Ronald Reagan war es nur eine geringfügige Übertreibung, zu sagen, dass in jeder Familie jemand reich wurde. Man kaufte eine Lizenz für Kabelfernsehn, startete eine Website, kaufte einige Aktien von im Aufwind befindlichen High-Tech-Firmen, machte in Immobilien oder leitete ein kleines Geschäft, das ein großes wurde. Ungleichheit stört Amerikaner nicht, so lange sie die Chance auf ein Gewinnlos haben – nicht unbedingt eine faire Chance, aber doch zumindest eine Chance, die sich wenigstens gelegentlich für einfache Leute verwirklicht. So lange sie sehen konnten, dass Leute wie sie selbst reich wurden, spielten sie das Spiel weiter.

Arme Leute kaufen überteuerte Lotterielose und reiche Leute kaufen überteuerte Versicherungen aus demselben Grund: die Armen zahlen für die Aussicht reich zu werden, die reichen zahlen, um sicher zu stellen, dass sie nicht arm werden. Wie die angesehenen kanadischen Wirtschaftswissenschaftler Reuven and Gabriele Brenner dargelegt haben, ist soziale Mobilität der Schlüssel für wirtschaftliches Verhalten. Die Menschen zählen nicht die Pfennige in ihren Geldbeuteln, vielmehr suchen die Armen einen Weg in die Sicherheit der Mittelklasse und die Wohlhabenden versichern sich gegen den glitschigen Abhang, der zurück in die Armut führt.

Man kann in Amerika nicht mehr reich werden. Die Dot.com-Blase war eine Täuschung, sicher, aber so viele Leute haben damit das große Geld gemacht, dass selbst Mike Doonesbury[1] in der gleichnamigen Comixserie ein Dot.com-Millionär wurde. Immobilienspekulationen ohne Eigenkapital bereicherten Millionen von Haushalten unter der Bushregierung. Das waren Blasen, aber es waren demokratische Blasen. Die Märkte versorgten die Massen mit Kapital. Die Aktienmärkte kauften Unternehmen, geleitet von Zwanzigjährigen in löchrigen Jeans und Badelatschen, und der Hypothekenmarkt finanzierte Hausfrauen, als ob sie Großgrundbesitzer wären. Kapital, auch bekannt als das Geld anderer Leute, ist das, was Kapitalismus kapitalistisch macht. Niemand wird reich, indem er in einen Bausparvertrag einzahlt. Sicher, die spekulierenden Hausfrauen in Florida missbrauchten das Geld anderer Leute ebenso wie die Subprime-Verkäufer. Aber darauf kommt es nicht an. Es war ein Beschiss, von dem alle etwas hatten.

2008 aber schloss sich die Tür für die Aspirationen der Mittelklasse mit einem lauten Krach.

Während der Erholungsphase nach 2008 schlossen mehr Unternehmen als neu gegründet wurden, wie ich in einem Essay vom 29. Februar (2016) gezeigt habe

Unternehmensschließungen halten an, während Neugründungen zurückgehen:

Zudem wurde seit 2005 nur einer von sechs neuen Arbeitsplätzen von Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten geschaffen. Dagegen schufen in den drei Jahrzehnten von dem Krach von 2008 Neugründungen 2,9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr, während etablierte Firmen 1,5 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr verloren.

Arbeitsplatzschaffung und Unternehmensgröße:

Die Preise für Wertpapiere haben sich erholt, aber es gibt keine Möglichkeit für normale Leute, auf den Zug aufzuspringen. Private Kapitalgesellschaften haben Milliarden aufgebracht, um zwangsversteigerte Häuser aufzukaufen und zu weit höheren Gesamtkosten an Leute zu vermieten, die es gewohnt waren, ihr eigenes Haus zu besitzen. Seit der Krise ist die nationale Hauseigentumsrate ist von 69 % auf 64 % gefallen, und die Mieten steigen um 4 % pro Jahr, viel schneller als die Einkommen.

Hauseigentumsrate in den Vereinigten Staaten und Miete für den Erstwohnsitz:

Amerikaner tolerieren eine reiche Elite, wenn – und nur wenn – sie am Reichtum teilhaben können. Die kartellierten, korrumpierten, abgeschlossen Mechanismen, die in den letzten acht Jahren Reichtum kreierten, schließen sie aus. Die republikanische Basis will Blut sehen. Sie wollen Rache an Eliten, die sie von der Reichtumsgewinnung ausgeschlossen haben. Ohne Peggy Noonan zu nahe treten zu wollen: das hat nichts zu tun mit “abgesichert” gegen “ungesichert”. Es geht um Möchtegern gegen Habeschon. Es hat auch nichts damit zu tun, was Bret Stephens „eine neue politische Welle“ nennt, „die den Globus überschwemmt – Führer kommen an die Macht durch demokratische Mittel, während sie sich zu illiberalen Zielen bekennen“, einschließlich Viktor Orban in Ungarn und Recep Tayyip Erdogan in der Türkei. Amerikaner haben andere Forderungen als Türken und Ungarn.

Ich habe aus meiner Vorliebe für Ted Cruz kein Geheimnis gemacht, und hoffe immer noch, dass er die Niederlage in einen Sieg verwandeln kann. Er hat eine intelligente und disziplinierte Wahlkampfstrategie verfolgt, die nicht erfolgreich war. Cruz rechnete auf die evangelikalen Protestanten, er hoffte, sie würden ihm in South Carolina Auftrieb geben. Aber die meisten Evangelikalen stimmten stattdessen für Trump. Die Evangelikalen haben immer eine gespaltene Persönlichkeit gehabt, eine Leidenschaft für Sozialkonservatismus einerseits, ein Anpreisen des Wohlstandsevangeliums andererseits. Offensichtlich votieren die Evangelikalen nicht für konservative Prinzipien, wie Cruz es ihnen nahelegte.

Trump übertrumpfte Cruz in den Punkten Immigration und Sicherheit, bot markige Sprüche – baut eine Mauer an der mexikanischen Grenze und hindert Muslime an der Einreise -, die Cruz‘ nuancierte Positionen ertränkten. Cruz stand auf gegen das republikanische Establishment, Trump bot ihnen eine Nonstop-Beschimpfungskomödie.

Abwärtsmobilität ist das entscheidende Thema in den bevorstehenden Wahlen. Solange Trumps Rivalen die Phantasie der Wählerschaft nicht mit einer Vision von erneuter Auswärtsmobilität fesseln können, wird Trump die Nominierung gewinnen. Eine Präsidentschaftswahl zwischen Clinton und Trump wäre die schmutzigste, hässlichste, schmierigste und entscheidendste seit dem Bürgerkrieg. In diesem Fall helfe Gott den Vereinigten Staaten von Amerika.

[1] Entspricht etwa dem deutschen Otto Normalverbraucher oder Heinrich Mustermann.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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