Spengler auf Deutsch 58: (Warum Spengler Trump wählen wird)

Das Original erschien am 28. September 2016 ohne Titel auf der Website “Conservatives For Trump: A Symposium Featuring Scholars & Writers For Trump”. Dort begründen konservative amerikanische Intellektuelle, warum sie bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl für Trump stimmen werden.

 

— David P. Goldman (Spengler) —

Von all den Bewerbern um das Präsidentenamt – in den Vorwahlen und auch generell – ist Donald Trump der einzige, der die ernste Lage, in der sich unsere Nation befindet, erkannt und erklärt hat, dass es sein Ziel ist, Amerika wieder zur Größe zu führen. Er hat verstanden, dass unsere ganze Nation gefährdet ist. Ein Drittel unserer Erwachsenen hat sich vom Arbeitsmarkt verabschiedet. Unternehmertum und Innovationen sind wie eingefroren. Die erstickende Steuer- und Regulierungspolitik der letzten acht Jahre hat uns das geringste Wachstum von Produktivität und Familieneinkommen in drei Generationen beschert. Das sind große Probleme und Herr Trump ist zu tiefgreifenden Lösungen entschlossen. Kleine Wirtschaftsreformen werden nicht ausreichen. In Bezug auf die nationale Sicherheit hat er den Mut, mit den republikanischen Fehlern der Vergangenheit zu brechen und sich auf Amerikas nationale Sicherheitsinteressen zu konzentrieren. Wir haben jetzt noch die Gelegenheit, den Kurs zu ändern; nach weiteren vier Jahren demokratischer Regierung könnte es zu spät sein. Donald Trump ist unsere letzte und größte Hoffnung.

Spengler auf Deutsch 57: Die Probleme der Deutschen Bank bedeuten keine allgemeine Finanzkrise

Das Original erschien am 26. September 2016 unter dem Titel „Deutsche Bank’s problem dosen’t mean a broader financial crisis“ in Asia Times

Der sinkende Aktienkurs der Deutschen Bank hat die Befürchtung einer neuen Finanzkrise in einer Größenordnung wie 2008 in den Vereinigten Staaten oder wie 2011 in Europa geweckt. Die Deutsche Bank, Deutschlands größter Kreditgeber, hat dieses Jahr etwas über die Hälfte ihres Marktwerts verloren; er ist seit dem 9. September um 30 % zurückgegangen. Die deutschen Medien zitieren ungenannte Berliner Politiker, dass es keinen Bailout für die Deutsche Bank geben werde, und der Aktienkurs ging diesen Morgen drastisch zurück. Das sind die schlechten Nachrichten; sehr schlechte Nachrichten, wenn Sie in der unglücklichen Lage sind, solche Aktien zu besitzen. Aber für den Rest von uns sind sie weniger schlimm.

Auslöser für den Kurssturz war eine Forderung der amerikanischen Regierung nach einem Bußgeld von 14 Milliarden Dollar wegen mutmaßlichen Betrugs mit Hypotheken-gedeckten Wertpapieren während der Finanzkrise. Die Bank müsste neues Kapital zu einem sehr hohen Preis auftreiben, um eine Buße in dieser Höhe zu zahlen. Und die rechtlichen Probleme der Bank haben die Befürchtungen über ihren finanziellen Zustand und ihre Rentabilität verschärft.

Die schlechte Nachricht lautet, dass Europas Bankensystem zwei Arten von Problemen hat: Banken mit riesigen Mengen von nicht bedienten Krediten und Banken mit riesigen Mengen von undurchsichtigen Derivaten (die in ihren Bilanzen als „außerbilanzielle Verpflichtungen“ ausgewiesen sind). Die gute Nachricht lautet, dass wir genau wissen, wer die Problemfälle unter den europäischen Banken sind und dass es nicht viele sind. Es gibt nur zwei Banken, bei denen außerbilanzielle Verpflichtungen ein Viertel ihrer Vermögenswerte ausmachen – die Deutsche Bank und ihren Leidensgenossen Credit Suisse (ich enthülle: von 1998 bis 2002 war ich Managing Direktor bei Credit Suisse). Barclays Bank hat ebenfalls zahlreiche außerbilanzielle Verpflichtungen in seinen Büchern, wird vom Markt aber als konservativer eingeschätzt.

Ebenso gibt es seine Gruppe von Banken mit so vielen nichtbedienten Krediten, dass sie faktisch insolvent sind. Die gute Nachricht lautet, dass sie alle in Italien sind und dass die Gesamtkosten für einen Bailout durch die Regierung selbst unter den extremsten Umständen weniger als 5 % zur italienischen Staatsschuld hinzufügen würden. Am schlimmsten dran ist die Monte de Paschi Bank oder – einem örtlichen Witz zufolge –  die Monty de Python Bank (wie in „Der Papagei ist tot“[1]). Die italienische Bankenkrise habe ich bereits im letzten März erörtert.

Faule Kredite machen etwa ein Fünftel der Gesamtkredite italienischer Banken aus und ihre Kapitalausstattung macht nur ein Zehntel der Gesamtkredite aus. Die fraglichen Kredite sind größtenteils Kredite von kleinen Unternehmen und gemäß Italiens surrealen Bankrottregelungen braucht man im Durchschnitt acht bis zehn Jahre um einen bankrotten Kreditnehmer abzuwickeln. Das gibt maroden Kreditnehmern viel Zeit, um Vermögenswerte aus ihren Unternehmen abzuziehen. Die Aufsichtsbehörden versuchen, die Banken dahin zu bringen, ihre schlechten Kredite zu verkaufen, aber es ist schwierig, einen Kredit zu verkaufen, bei dem die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung so gering ist. Die Situation der Banken ist hoffnungslos, aber nicht ernst; die komische Oper der italienischen Hochfinanz hat noch einige Akte vor sich.

Es mag sein, dass die außerbilanziellen Verpflichtungen der Deutschen Bank nichts Verwerfliches enthalten. Wir wissen es einfach nicht. 2008 hatte Lehman Brothers riesige außerbilanzielle Verpflichtungen; unter anderem hatten sie Garantiepreise auf forderungsbesicherte Schuldverschreibungen, die sie in den vorangegangenen Jahren ausgegeben hatten. Als der Markt für diese komplexen Derivate zusammenbrach, wusste Lehman nicht, wieviel Geld sie besaßen und konnten es nicht herausfinden. Das war einer der Gründe, warum ihre Geschäfte abgewickelt werden mussten.

Im Falle der Deutschen Bank mag es sein, dass sie nichts von ihren außerbilanziellen Verpflichtungen zu fürchten hat. In der Vergangenheit nutzte die Deutsche Bank (legale) buchhalterische Tricks, um einige dieser Verpflichtungen außerhalb ihre Bilanz zu halten, um Kapitalkosten zu sparen. Sie hat eine riesige Menge an Derivaten, aber diese bestehen aus ausgeglichenen Positionen. Sicher, wenn eine der Gegenparteien in großem Spiel Pleite ginge, wäre die Deutsche Bank in Gefahr, aber diese Art von Ereignis ist von den Zentralbanken leicht zu im Voraus zu verhindern. Sollte die Deutsche Bank (das ist sehr hypothetisch) einen unerwarteten Verlust erleiden, groß genug, ihr Überleben zu bedrohen, gäbe es keine Bailout durch die Regierung. Inhaber nachrangiger Obligationen würden einiges Geld verlieren, Depositeninhaber wären geschützt, die Derivate würden herausgelöst und die Funktionen der Bank würden von ihren Wettbewerbern übernommen.

Als die Blase von 2008 ihren Gipfel erreicht hatte, betrug der Marktwert ausstehender Kreditausfallversicherungen (nach Saldierung der entsprechenden Positionen) um die 5 Billionen Dollar. Er schrumpfte bis zum Ende 2015 auf 420 Milliarden Dollar, gemäß der Bank für internationalen Zahlungsausgleich. Die heiße Luft ist entwichen und die wenigen übriggebliebenen Bläschen, zum Beispiel in den Bilanzen der Deutschen Bank, sind nicht groß genug, um eine neue Krise auszulösen.

Europas Banken müssen sich zu größeren Institutionen mit geringeren Kosten und sehr viel weniger Angestellten zusammenschließen. In einem Land wie Italien mit hoher Arbeitslosigkeit ist das ein politisches Problem, aber nicht in Deutschland, wo Arbeitskräfte knapp sind. Europas Wirtschaft wird in der Depression verharren und seine Banken werden wenig zum Wachstum beitragen. Aber eine neue Krise ist höchst unwahrscheinlich.

 

[1] Der Papagei ist tot (auch Dieser Papagei ist tot, im Original Dead Parrot oder Parrot Sketch) ist ein Sketch der britischen Komikertruppe Monty Python. Ein Mann kommt in eine Tierhandlung. Er trägt einen Käfig bei sich, in dem ein offensichtlich toter Papagei liegt. Der Tierhändler versucht, sich hinter der Kasse zu verstecken, kommt jedoch hervor, als er mit „Hallo, Fräulein!“ angesprochen wird (Antwort des Tierhändlers: „Wieso Fräulein?“ – „Verzeihung, ich bin erkältet.“ Die Übersetzung kann jedoch nicht wiedergeben, dass diese Antwort darauf beruht, den englischen Ausdruck ‚Miss‘ für ein Niesen auszugeben.). Dann erklärt er, er habe den Papagei dabei, den er vor einer halben Stunde erst gekauft habe. Der Tierhändler bewundert den Papagei, einen „norwegischen Blauling“ (Original: „Norwegian Blue“) und fragt, was ihm denn fehle. Der Mann antwortet darauf: „Ich will Ihnen sagen, was mit ihm nicht stimmt: Er ist tot.“ Ab hier besteht das Gespräch daraus, dass der Tierhändler vehement leugnet, dass der Papagei tot sei und jede Menge Ausreden für den Zustand des Tieres findet („Er ruht sich nur aus.“ – „Er liegt gern auf dem Rücken, das ist gut für seine Wirbelsäule.“), während der Kunde mit einer Vielzahl von Synonymen des Wortes „tot“ klarzumachen versucht, dass der Vogel wirklich tot ist („Die ewigen Jagdgründe haben ihn als Mitglied aufgenommen … Keine Spur Leben in ihm … Er ist abgeritten zu seinen Ahnen … Dieses hier ist ein Ex-Papagei!“) (aus Wikipedia).

Spengler auf Deutsch 56: Ein Brief an Andrew Klavan: Wenn ein Jude Christ werden will, muss er zunächst einmal Jude sein

Das Original erschien am 22. September 2016 unter dem Titel „A Letter to Andrew Klavan: For a Jew to Become a Christian, He First Must be a Jew“ in PJMedia.

Rezension zu: The Great Good Thing: A Secular Jew Comes to Faith in Christ, by Andrew Klavan. Thomas Nelson 2016.

Lieber Andrew,

Wie du weißt, besuchte ich dieselbe Oberschule wie du. Dein Bruder Ross war mein Klassenkamerad und schon ein talentierter Schriftsteller. Ich erinnere mich gut an eine Kurzgeschichte, die er in unserer Schülerzeitung publizierte. Wie du bin ich in einer säkularen Familie aufgewachsen, und wie du ging ich durch eine Pro-Forma-Bar Mitzwa[1], bevor ich die Religion völlig vernachlässigte. Nichts davon hat irgendetwas mit Judentum zu tun; wir wuchsen auf und wussten so viel vom Judentum wie von der dunklen Seite des Mondes. Ich fand schließlich meinen Weg zum Judentum, und es war völlig anders als alles, was ich damals in Great Neck[2] kennenlernte.

Nach dem zu urteilen, was du geschrieben hast und dem, was ich von dem säkularen Umfeld weiß, in dem wir aufwuchsen, kann ich deine Aussage über die Konversion zum Christentum nicht einfach stehenlassen. Ich sage das ohne Feindschaft zum Christentum; ich habe viele christliche Freunde und fast keine säkularen jüdischen Freunde. Ich stelle auch dein Recht zu konvertieren nicht in Frage, aber mir ist nicht klar, ob du tatsächlich konvertiert bist.

Es ist nicht so einfach für einen Juden, zum Christentum zu konvertieren. Vor 3400 Jahren am Berg Sinai wurden wir als das Gottesvolk berufen. Du warst dabei, selbst wenn du dich nicht erinnerst. Auch Christen glauben das, da sie dieselbe Bibel wie die Juden lesen. Wir Juden akzeptierten den göttlichen Auftrag, und mit „wir“ meine ich alle unsere Generationen, deine eingeschlossen.

Der große deutsch-jüdische Philosoph Franz Rosenzweig (1886-1929) entschied sich zum Christentum zu konvertieren. Aber er wusste, dass er nur als Jude konvertieren konnte. Säkular aufgewachsen hatte er nie den jüdischen Glauben praktiziert, und so erwartete er den Gottesdienst des Versöhnungstages[3] in einer kleinen Berliner Synagoge, welche von religiösen Juden aus Osteuropa besucht wurde. Nachdem er zum ersten Mal gesehen hatte, was Judentum wirklich war, entschied er sich bei ihm zu bleiben. Natürlich gab es religiöse Juden, die zum Christentum in voller Kenntnis der Implikationen konvertierten; ein Beispiel aus dem Krieg ist der oberste Rabbiner von Rom, Israel Zolli. Er wurde vor den Nazis durch den Vatikan gerettet, während der größte Teil seiner Gemeinde umkam, und verfiel dem Ostrakismos der jüdischen Gemeinschaft nach dem Krieg.

Um ein Konvertit zu sein, muss man von einer Sache zur anderen konvertieren. Und eine kompetente Wahl setzt ebenso Kenntnis dessen voraus, von dem man konvertiert, wie auch von dem, zu dem man konvertiert. Rosenzweig verstand das und lernte das Judentum als eine Vorbedingung für eine Konversion zum Christentum kennen, auf die er dann verzichtete.

Ich vermute, dass du nie einen vollständigen Sabbat eingehalten hast – den Willkomm der Sabbat-Königin in der Synagoge, die Segnung der Kerzen, des Weins und des Brotes zu Hause, die persönliche Zusammenkunft mit Gott während der achtzehn Segnungen beim Morgengottesdienst und dem Hören der Thora-Passagen, die Rückkehr zum Sabbat-Mahl mit seinen Segnungen von Brot und Wein und dem abschließenden Tischgebet, und, schließlich, den Abschluss des Sabbats mit Wein, Feuer und Wohlgerüchen. Mechanische Apparate sind nicht erlaubt, da Sabbat ein Aufenthalt in der kommenden Welt ist, die von jeder menschlichen Manipulation der Natur gestört würde. Und ich nehme an, dass du nie die Pilgerfeste des jüdischen Kalenders beachtet hast: Zu Passah den Exodus durchleben, den Empfang der Thora zu Schawuot[4], den Wiederaufbau des Tempels am Laubhüttenfest und die Tage der Umkehr vom Neuen Jahr bis zum Versöhnungstag, gefolgt von Simchat Tora[5]. Jude zu sein, heißt das Leben von Abraham nachzuleben. Das Judentum zu kennen, heißt es zu praktizieren.

Man kann jemandem, der nie das Judentum praktiziert hat, ebensowenig erklären, was Judentum ist, wie jemandem, der nie Musik gemacht hat, wie es ist, eine Fuge von Bach auf dem Klavier zu spielen. Ich spreche hier aus eigener bitterer Erfahrung. Erst vor acht Jahren hatte ich den Mut eine orthodoxe Synagoge zu betreten. Damals hatte ich so etwas wie ein Konversionserlebnis. Ich begriff, dass das „konservative“ Judentum, das ich in den vorangegangenen zwanzig Jahren praktiziert hatte, nicht mehr als eine Variante des Mainstream-Protestantismus gewesen war, eine Art Methodismus mit Kippa. Aufgewachsen in einer vorwiegend christlichen Kultur, war ich ein kultureller Christ – bis ich begann, das Judentum zu praktizieren.

Der verstorbene Rabbi Menachem Schneerson, der Lubavitcher Rebbe[6], hat gelehrt, es sei falsch „säkulare“ oder „progressive“ Juden als Apostaten oder Häretiker zu betrachten. Stattdessen lehrte er, dass wir das Gegenstück von entführten Kindern im jüdischen Recht seien. Wir seien unschuldig, wenn wir das Judentum nicht praktizierten, weil niemand uns je gezeigt hätte, was Judentum sei. Natürlich will ich nicht behaupten, Christen hätten dich entführt oder irgendeinen übertriebenen Einfluss auf dich ausgeübt. R. Schneerson bezog sich eher auf den Einfluss der umgebenden Kultur auf Juden, die nie gelernt haben, wie es ist, Jude zu sein.

Was ist der Unterschied zwischen Christen- und Judentum? Nicht Liebe versus Gesetz oder Werke versus Glaube – das ist Unsinn. Es ist auch nicht die Inkarnation als solche; mein verstorbener Lehrer Michael Wyschogrod hat gezeigt, dass Inkarnation ein jüdisches Konzept ist, dass nämlich Gottes Anwesenheit (Schechina) sich in dem Fleisch und Blut des Volkes Israel manifestiert (Christen, scherzte er, konzentrieren das in einen einzigen Juden). Es sind auch nicht verschiedenen Manifestationen Gottes in der Dreieinigkeit. Das Judentum lehrt, dass Gott verschiedene Attribute hat, insbesondere das Attribut der Gerechtigkeit und das Attribut der Gnade, obwohl wir sie natürlich nicht als verschiedene „Personen“ betrachten.

Die tiefe Kluft zwischen Juden und Christen ist das Verständnis der unverdienten Gnade. Unverdiente Gnade ist im jüdischen Kontext sinnlos. Es ist nicht so, dass JHWH eine anspruchsvollere Gottheit wäre als Jesus von Nazareth. Von Juden wird erwartet, Gottes Partner zu sein, und „Imitatio Dei“ meint für Juden Teilhabe am kontinuierlichen Werk der Schöpfung. Wir warten nicht auf das himmlische Königreich; wir erschaffen den Himmel in der alltäglichen Kleinarbeit. Befolgung der Mitzwa (Gebote) ist kein Mittel, mit dem man hinreichend Punkte anhäuft, um einen Platz im Himmel zu gewinnen; sie ist die Schaffung des Himmels auf Erden. Der Sabbat ist ein Vorgeschmack der kommenden Welt, ein Stück Ewigkeit, abgesondert vom täglichen Leben.

Das Judentum ist keine Doktrin, der man folgt, oder eine Anzahl von Regeln, die man befolgt, sondern die Arbeit, etwas zu konstruieren. Rosenzweig verweist hier auf das rabbinische Wortspiel von „ba’nim“ (Kinder) und bo’nim (Erbauern). Das Judentum ist weniger ein Trost als eine Herausforderung, uns selbst zur Partnerschaft mit Gott zu erheben. Darum sorgen wir uns weniger als die Christen über die Frage freie Wille versus Prädestination. Freiheit im Judentum ist Kreativität, etwas um zu erreichen, Gottes Partner im fortwährenden Prozess der Schöpfung zu werden. Wir verlangen keine unverdiente Gnade von Gott. Christen scheinen zu glauben, dass das Problem mit den Juden darin besteht, dass sie nicht an Jesus glauben. Aber Glaube ist nicht sehr wichtig, wir wünschen nicht, von irgendjemand gerettet zu werden, weil wir die Notwendigkeit dafür nicht einsehen. „Gerettet“ zu werden bedeutet im heidnischen Verständnis ewig zu werden, d. h. in die Familie Abrahams durch den Glauben adoptiert zu werden. Aber wir (und du) gehören schon zur Familie Abrahams.

Ob du es magst oder nicht, die Bibel, die Juden und Christen lesen, erklärt, dass Gott eine bestimmte Familie – die Familie von Abraham und Sarah – als sein Instrument auf Erden erwählte. Die Verpflichtungen, die wir am Berg Sinai akzeptierten, gelten für alle Generationen dieser Familie. Als gläubiger Christ musst du glauben, dass das, was die Bibel über deine Familie sagt, wahr ist und dass es auch heute noch wahr ist (nach Römer 11,29). Die Gabe ist unwiderruflich. Das heißt, du kannst sie nicht weggeben.

Sicher, die Schwelle ist hoch. Partner Gottes im Prozess der Schöpfung zu sein, erfordert leidenschaftliche Anteilnahme und einen hohen Grad von Bildung. Gott hat nie gesagt, es wäre einfach, lediglich dass es für uns nicht zu schwer sei (Deuteronomium 30,11). Er gab uns die Thora als den Aufbau der erschaffenen Welt, und die Thora zu kennen, heißt die Beiträge von mehr als hundert Generationen in sich aufzunehmen. Die Thora zu lernen ist die Quintessenz jüdischer Aktivität, da sie uns den Geist Gottes eröffnet. Ich empfehle dazu einen Essay von Rabbi Meir Soloveichik, “Torah and Incarnation.”

Für einen Juden, der zum Christentum konvertiert, erheben sich eine Reihe von Problemen, die du nicht beachtet zu haben scheinst. Sind jüdische Christen gehalten, die jüdischen Gebote zu befolgen, den Sabbat zu halten und koscher zu essen? Die jüdischen Christen der frühen Kirche taten das. Wyschogrod zeigt dies in seinem berühmten offenen Brief an Kardinal Lustiger. Ob du dich im Geiste als Christ fühlst oder nicht, du bist immer noch erwählt im Fleisch, und da jüdisches Fleisch heilig ist – es ist das Gefäß für Gottes Einwohnung in der Welt – muss es angemessen heilig gehalten werden, zum Beispiel durch Einhaltung der Speisegesetze.

Es ist paradox: Du kannst kein Christ sein, wenn du nicht deine Auserwähltheit als Jude akzeptierst. Aber du hast nie als Jude gelebt und weißt nicht, wie es ist, Jude zu sein. Bevor du nicht gelernt hast, Jude zu sein, kannst du nicht konvertieren – von einem Zustand in einen anderen wechseln – da du nie in dem ersten Zustand gewesen bist. Ich sage nicht, dass du nicht konvertieren sollst, sondern eher, dass Juden einen einzigartigen Weg zur Konversion haben. Meiner Erfahrung nach sind Konversionen unter praktizierenden Juden extrem selten; es sind nicht praktizierende Juden, die keine wirkliche Kenntnis vom Judentum haben, die zu konvertieren wählen. Der Versöhnungstag naht; du solltest erwägen, Franz Rosenzweig nachzuahmen und den Tag mit Fasten und Beten mit Juden verbringen, die glauben, dass der Ewige uns diesen Tag gab, um uns von unseren Sünden zu befreien. Sei zum ersten Mal ein Jude, nur für fünfundzwanzig Stunden.

Viele Grüße, „Spengler“

[1] Bar Mitzwa oder Bar Mizwa (von aramäisch בַּר ‚Sohn‘ und hebräisch מִצְוָה ‚Gebot‘), für Mädchen Bat Mitzwa oder Bat Mizwa (hebräisch בַּת מִצְוָה, Tochter des Gebots‘) bezeichnet im Judentum die religiöse Mündigkeit. Knaben erreichen sie im Alter von dreizehn Jahren, Mädchen im Alter von zwölf Jahren. In aller Regel wird die Bar Mitzwa mit einem großen Fest gefeiert.

[2] Great Neck ist eine Region in Long Island im Staat New York. Möglicherweise bezieht sich der Name auch auf ein dort befindliches Dorf gleichen Namens oder die dortige High School, die ebenfalls diesen Namen trägt.

[3] Der „Versöhnungstag“ (auch „Jom Kippur“) ist der höchste jüdische Feiertag. Er wird im Herbst im September oder Oktober am 10. Tischri, im siebten Monat des traditionellen bzw. im ersten Monat des bürgerlichen jüdischen Kalenders, als strenger Ruhetag und Fasttag begangen. Zusammen mit dem zehn Tage davor stattfindenden zweitägigen Neujahrsfest Rosch Haschana bildet er die Hohen Feiertage des Judentums und den Höhepunkt und Abschluss der zehn Tage der Reue und Umkehr.

[4] Schawuot (hebräisch שבועות für „Wochen“, Einzahl schawua „Woche“; jiddisch Schwu’ess, Schwuos oder Schwijess) ist das jüdische Wochenfest, das 50 Tage, also sieben Wochen plus einen Tag nach dem Pessachfest gefeiert wird. (aus Wikipedia).

[5] Simchat Tora (hebr. שִׂמְחַת תּוֹרָה, deutsch „Freude der Thora“, d. h. des Gesetzes) ist der letzte der jüdischen Feiertage, die mit dem Laubhüttenfest (Sukkot) beginnen. In orthodoxen und konservativen Gemeinden der Diaspora wird er als zweiter Tag des Schemini Azeret-Festes am 23. Tischri, dem ersten Monat des jüdischen Kalenders, im September oder Oktober gefeiert – in Israel und in denjenigen Reformgemeinden, wo Schemini Azeret nur einen Tag dauert, gleichzeitig mit Schemini Azeret am 22. Tischri. Simchat Tora erfreut sich auch bei weniger religiösen Juden, vor allem bei Familien mit Kindern, großer Beliebtheit. (aus Wikipedia).

[6] Chabad (hebräisch: חב“ד) oder Lubawitsch (jiddisch: ליובאוויטש, Ljubawitsch) ist eine chassidische Gruppierung oder Dynastie innerhalb des orthodoxen Judentums, die von Rabbi Schneur Salman von Ljadi (1745–1812) im späten 18. Jahrhundert begründet wurde. Anhänger der Bewegung werden als Lubawitscher- oder Chabad‑Chassidim bezeichnet. (aus Wikipedia).

Spengler auf Deutsch 55: Beklagenswerterweise wird Trump gewinnen

Das Original erschien am 11. September 2016 unter dem Titel “Deplorably, Trump is Going to Win” in Asia Times.

Die Präsidentschaftswahl war zu Ende in dem Moment, in dem Hillary Clinton das Wort “deplorable” (kläglich, beklagenswert)[1] aus dem Gehege ihrer Zähne entließ. Wie jetzt die ganze Welt erfahren hat, sagte Frau Clinton am 10. September einem lesbisch-schwulen-bisexuellen-transgender Spendensammler: “Wissen Sie, um einmal grob zu generalisieren, Sie können die Hälfte von Trumps Anhängern in das stecken, was ich den ‚Korb der Beklagenswerten‘ nenne. Nicht wahr? Diese Rassisten, Sexisten, Homophoben, Xenophoben, Islamophoben – sie haben es erwähnt. Und unglücklicherweise gibt es solche Leute, und er hat sie ans Licht gebracht“.

Hillary kann man vergessen.

Sicher, sie entschuldigte sich, aber niemand wird ihr glauben: sie war entspannt vor ihrem heimischen Publikum und fühlte die Wärme, und sie sagte genau das, was sie dachte. Die „Clinton Cash“-Korruptionsskandale, die immer neuen Lügen über ihren E-Mail-Server, Gesundheitsprobleme und all die anderen Probleme, die sich vor der ehemaligen First Lady auftürmen, sind Kleinigkeiten verglichen mit diesem apokalyptischen Moment der Selbstenthüllung.

Man kann keine amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnen ohne die Stimmen der Beklagenswerten. Beklagenswerte sind Amerikas größte Minderheit. Sie könnten sogar die amerikanische Mehrheit sein. Sie mögen Rassisten, Homophobe und so weiter sein, aber sie wissen, sie sind beklagenswert. Beklagenswert und stolz. Sie sind die Durchschnittsfamilie, deren Realeinkommen beklagenswerterweise in den letzten 10 Jahren um 5 % gesunken ist; sie sind die 35 % der erwachsenen Männer, die beklagenswerterweise aus dem Arbeitsmarkt ausgestiegen sind, sie sind die 40% Schuldner von Studentendarlehen, die beklagenswerterweise ihre Kredite nicht zurückzahlen können; sie sind die alternden Beamten und Staatsangestellten, deren Pensionsfonds ein Defizit von vier Billionen Dollar aufweist. Sie führen ein beklagenswertes Leben und erwarten, dass das Leben ihrer Kinder noch beklagenswerter sein wird als ihr eigenes.

Amerikaner sind generell nicht nachtragend. Sie haben Bill vergeben, dass er mit Monica „Ich hatte keinen Sex mit dieser Frau“ Lewinsky im Oval Office herumgetollt ist und sich einer Anzahl unwilliger Frauen aufdrängte. Sie mögen selbst Hillary vergeben, dass sie Zehntausende kompromittierender E-Mails auf einem illegalen privaten Server verloren hat und dann wiederholt über dieses Thema in einer Weise gelogen hat, welche die beklagenswerte Intelligenz des Durchschnittswählers beleidigt. Aber es gibt eins, das du mit ihnen nicht tun kannst: sie anspucken und ihnen erzählen, es regnet. Das werden sie dir niemals verzeihen. Das schmerzt, und sie hassen Kandidaten, die sie daran erinnern.

Mitt Romneys Wahlkampagne 2012 war nicht mehr zu retten nach seiner berühmten „47 %-Bemerkung“, mit der er lediglich meinte, das 47 % der amerikanischen Arbeiter, deren Einkommen unter der Schwelle für bundesweite Steuern blieb, von seinen vorgeschlagenen Steuersenkungen nicht profitieren würden. Aber diese Arbeiter zahlen recht hohe Steuern, nämlich Sozialabgaben, Krankenversicherung und vielfach für lokale Behörden in Form von Mehrwertsteuer und kommunalen Steuern. Nachdem ein verstecktes Video mit dieser Bemerkung bei einem privaten Spendensammler die Runde machte, verbrachte Romney den Rest seiner Kampagne mit dem Äquivalent einer Anzeigentafel über seinem Kopf, versehen mit den Worten: „Ich repräsentiere die wirtschaftliche Elite“. Clinton hat dasselbe gemacht und repräsentiert die kulturelle Elite.

Sicher, es gibt Rassisten und Schwulenhasser in Trumps Lager. Jedermann muss irgendwo sein. Jedenfalls ist Trump kein Puritaner und schert sich nicht darum, welche Art von Sex die Leute haben oder wer welches Badezimmer benutzt oder wer wen heiratet. Vor zwei Jahrzehnten hat er einen neuen Country Club in Palm Beach gebaut, weil der alte Schwarze und Juden ausschloss. Er ist kein Rassist. Er ist ein widerwärtiger, vulgärer Geschäftsmann, der Politik wie eine Reality-Show inszeniert. Ich habe klargestellt, dass ich für ihn stimmen werde, nicht weil er meine erste Wahl unter den republikanischen Kandidaten wäre (das war Senator Ted Cruz), sondern weil ich glaube, dass die Herrschaft des Gesetzes eine Voraussetzung für eine freie Gesellschaft ist. Wenn die Clintons einen Freifahrschein für Einflussnahme auf einer mehrere hundert Millionen Dollar Scala bekommen und noch dazu für die Verschleierung des illegalen Gebrauchs von privaten Kommunikationsmitteln für Regierungsdokumente, ist die Herrschaft des Gesetzes nur noch ein Witz in den Vereinigten Staaten. Selbst wenn Trump ein schlechterer Präsident als Clinton wäre – was er wahrscheinlich nicht ist -, würde ich schon allein aus diesem Grund für ihn stimmen.

Nicht deswegen hat Trump die republikanischen Vorwahlen gewonnen. Er hat gewonnen, weil die Amerikaner es leid sind, eine wirtschaftliche Elite zu haben, die sie ignoriert. Die Amerikaner wissen, dass mit gezinkten Karten gespielt wird. Über Generationen konnten Amerikaner an die Spitze aufsteigen, indem sie ein Unternehmen gründeten. Es gab Zeiten, in denen mehr von ihnen Erfolg hatten als in anderen, aber jeder kannte irgendjemand, der auf mehr oder weniger ehrenwerte Weise reich wurde. Das kam unter der Obama-Regierung zu einem abrupten Ende. 2013 gab es weniger kleine Unternehmen mit weniger Arbeitskräften als 2007.

Niedergang kleiner Unternehmen zwischen 2007 und 2013, dargestellt nach Anzahl und beschäftigten Arbeitskräften (Census Bureau)

Größe des Unternehmens Anzahl der Firmen Anzahl der Unternehmen Beschäftigung
02:  0-4 -129,985 -130,063 -212,803
03:  5-9 -67,969 -69,904 -451,075
04:  10-19 -44,291 -48,177 -598,105
05:  <20 -242,245 -248,144 -1,261,983
06:  20-99 -29,358 -38,422 -1,225,253
07:  100-499 -3,322 4,737 -556,311
08:  <500 -274,925 -281,829 -3,043,547
09:  500+ 325 65,164 705,535

Die Beklagenswerten sehen die amerikanische Wirtschaft als eine Lotterie. Sie sind ungebildet, aber gerissen: Sie wissen, die Karten sind gezinkt, weil keiner von ihnen gewinnt. Die amerikanische Wirtschaft ist korrupter und stärker kartellisiert als jemals zuvor. Das Produktivitätswachstum war negativ in den letzten beiden Quartalen und das Produktivitätswachstum der letzten fünf Jahre ist am niedrigsten seit der Stagflation in den 1970ern.

Großunternehmen verdienen ihr Geld eher durch Manipulation des Regulationssystems als durch Einführung neuer Technologien. Wie eine Studie vom Juni 2016 des Wirtschaftswissenschaftlers Jim Bessen von der Universität von Boston gezeigt hat, geht fast die Hälfte des Anstiegs der Profite von Großunternehmen im letzten Jahrzehnt auf Vetterleswirtschaft (Rent-Seeking[2]) zurück. Bessen zufolge trugen “Investitionen in konventionelle Vermögenswerte und in Forschung und Entwicklung … zu einem wesentlichen Teil zu dem Anstieg an Werten und Profiten vor allem während der 1990er bei. Seit 2000 jedoch beruht der Anstieg zu einem überraschend großen Teil auf politischer Aktivität und Regulationen.”

Darum hat Trump die Vorwahlen gewonnen. Ted Cruz, ein evangelikaler Christ, warb um die religiösen Wähler (die Hillary für „homophob“ hält), aber die Evangelikalen stimmten größtenteils für Trump. Sie wollen einen Außenseiter mit einem großen Besen, der hereinkommt und das Establishment hinauskehrt, weil das Establishment ihnen in den letzten acht Jahren bedauerlich wenig Krümel vom Tisch abgegeben hat. Wie „Publius“ am 5. September in der Claremont Review schrieb: “Eine Hillary Clinton-Präsidentschaft ist wie Russisches Roulette mit einem halbautomatischen Revolver. Mit Trump kannst du wenigstens die Trommel drehen und deine Chance suchen”.

Es gibt eine Anzahl Maßnahmen, von denen ich gern hätte, dass Trump sie als Präsident ergreift. Aber ich habe keine Ahnung, was er als Präsident tun wird. Beklagenswerterweise werden wir es herausfinden.

[1] „Deplorable“ ist schwer zu übersetzen. Das deutsche „beklagenswert“ entspricht ihm nur teilweise, da „deplorable“ einen negativ-abwertenden Beiklang hat, der dem deutschen „beklagenswert“ fehlt. Die meisten Wörterbücher geben denn auch „schändlich“ als zweite Bedeutung an.

[2] Rent-Seeking aus engl. rent, ‚Pacht‘, ‚Miete‘, + to seek, ‚erstreben‘, ‚begehren‘) bezeichnet nach der neoklassischen Theorie ein Verhalten ökonomischer Akteure, das darauf zielt, staatliche Eingriffe in die marktvermittelte Ressourcenallokation herbeizuführen, um sich hierdurch künstlich geschaffene Renteneinkommen aneignen zu können. Einfach ausgedrückt fasst man darunter Aktivitäten Einzelner oder von Interessengruppen zusammen, die im politischen Prozess Einfluss nehmen. Sofern Rent-Seeking nicht mit der Bestechung von Entscheidungsträgern verbunden ist (im Sinne von Korruption), bezeichnet man den Prozess auch als Lobbying. Ein Beispiel für erfolgreiches Rent-Seeking wäre, wenn ein Unternehmer durch Bestechung eines Beamten eine Lizenz für ein Spielkasino erhält, das er in einem sonst nur als Lagerhalle nutzbaren Gebäude einrichten kann. Die Opportunitätskosten liegen in den entgangenen Vermietungseinnahmen für die Lagerhalle. (aus Wikipedia).

Spengler auf Deutsch 54: Was tun gegen Hisbollahs Horror-Waffe?

Das Original erschien am 7. September 2016 unter dem Titel „Hezbollah’s horror weapon and its remedy“ in Asia Times.

In der kanonischen Definition des jiddischen Wortes “Chuzpe” ermordet ein Mann seine Eltern und bittet dann um Gnade, da er doch Waise sei. Einen nie dagewesenen Grad von Chuzpe zeigen die Machenschaften der radikalen Muslime, die humanitäre Katastrophen herbeiführen und dann vom Westen Interventionen, um sie abzuwenden, verlangen.

In seinem neuen Buch “Mission Failure” zeigt Michael Mandelbaum von der John Hopkins-Universität das erste Beispiel dieser Taktik auf: die Befreiungsarmee des Kosovo überredete Bill Clintons Außenministerin Madeline Albright, Serbien den Krieg zu erklären, indem sie die Ermordung von hundert oder zwei Zivilisten provozierte. Der größte Teil von Clintons Kabinett wollte die Befreiungsarmee nicht unterstützen, die ihr Geld mit Drogen und Menschenhandel verdiente, und sie wollten auch den souveränen Staat Serbien nicht aufteilen – ein Präzedenzfall, den Russland später nutzte, um seine Annexion der Krim zu rechtfertigen. Gleichwohl gelang die moralische Erpressung und muslimische Radikale lernten, wie man den Schuldkomplex des Westens nutzen kann.

Meine Rezension von Mandelbaums Buch erscheint im Sommer-2016 Heft der “Claremont Review of Books”. Obwohl ich mit ihm vielfach nicht übereinstimme, bietet er eine scharfsinnige Interpretation der hervorstechenden Ereignisse. Seine Argumentation deckt sich mit meiner Warnung nach dem Angriff vom 9. 11., dass der radikale Islam die Absicht hat, Schrecken im Westen zu erregen – nicht nur dadurch, dass er Grausamkeiten gegen westliche Zivilisten begeht, sondern auch indem er massive zivile Verluste unter Muslimen verursacht.

Sie haben beträchtliche Erfolge erzielt. Das empfindliche Gewissen der Deutschen konnte das Leider der syrischen Flüchtlinge nicht ertragen, die mit dem Einverständnis der Türkei an ihre Grenzen strömten. Wie Giulio Meotti im Gatestone Institute berichtet, wird die Flüchtlingsinvasion radikal das demographische Gleichgewicht in Europa verändern.

Im Gaza-Krieg war die Hamas bestrebt, zivile Verluste unter der eigenen Bevölkerung zu maximieren, um so den Westen zu verleiten, Israel zu einem Rückzug von der Westbank zu zwingen. Von dort aus könnten Kurzstreckenraketen Tel Aviv und den benachbarten Flughafen verwüsten. Diese Plan war – noch – nicht erfolgreich, da die Amerikaner Israel gegenüber den Palästinensern mit einer 4:1 Quote bevorzugen. Aber die palästinensischen Führer sind geduldig; so schrieb der palästinensische Journalist Mohammed Daraghmeh (übersetzt in der “Times of Israel”), der Krieg mit Israel “wird erst dann enden, wenn die Welt begreift, dass sie die Pflicht zu intervenieren und Grenzen und Linien zu ziehen hat, wie sie es in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo getan hat.”

Ein jeder sollte dieses makabere Schauspiel durchschaut haben, aber die Zimperlichkeit des Westens hat einen solchen Grad erreicht, dass die aufgeklärte Meinung bei der Aussicht auf noch mehr tote palästinensische Zivilisten erzittert. Die Welt vergisst, dass die Alliierten eine Million deutsche und etwa 250000 japanische Zivilisten töteten, größtenteils durch Luftangriffe. Das war gerechtfertigt durch die Notwendigkeit, verbrecherische Regierungen zu zerstören, die 10 Millionen Zivilisten in Europa und Asien umgebracht hatten. Staaten haben das Recht, sich gegen Artillerieangriffe zu verteidigen. Israels Recht der Selbstverteidigung ist allgemein anerkannt, aber mit dem Vorbehalt, die Selbstverteidigung solle „proportional“, d. h. ineffektiv sein.

Oft wird die Proportionalitäts-Ente verbunden mit Forderungen an Israel, Konzessionen zu machen, die mit der eigentlichen Frage nichts zu tun haben. So schrieb beispielsweise Nigel Biggar, Theologe an der Universität Oxford im Sommer-Heft 2016 der christlichen Zeitschrift „Providence“: „Israel wäre fähig gewesen, diplomatische, vertrauensbildende Initiativen zu ergreifen. Es hätte einseitig die illegalen Siedlungen in der Westbank stoppen und beenden können. Da es das nicht getan hat, waren seine Angriffe auf Gaza unangemessen und daher unproportional“.

Professor Biggar vergisst, dass Israels einseitiger “vertrauensbildender” Rückzug aus Gaza die Hamas-Raketen an seiner Grenze überhaupt erst ermöglicht hat. Aber hier geht es nicht um Logik. Der Westen ist erschrocken und will, dass der Schrecken endet, und das ist es, worauf die Hamas rechnet.

Schlimmeres steht bevor: An Israels Nordgrenze hat die Hisbollah 150.000 Raketen vorrätig, bei weitem das umfangreichste derartige Arsenal der Welt. Darunter sind viele präzisionsgesteuerte Raketen, welche für Ausweichkurse programmiert werden können und die selbst mit dem „Eiserne Kuppel“-Flugabwehrsystem sehr viel schwieriger abzuschießen sind. Schon vor zwei Jahren habe ich darauf hingewiesen. Viele der Raketen sind in Häusern von Zivilisten in den schiitischen Städten des Südlibanon stationiert. Um sie zu zerstören, müsste man zivile Verluste in Kauf nehmen, die erheblich größer wären als die Kollateralschäden in Gaza.

Glaubwürdige israelische Quellen berichten, dass die israelische Luftwaffe entschieden hatte, keine Einsatzpläne gegen Raketenstellungen der Hisbollah zu erstellen, bei denen mit einer großen Anzahl wahrscheinlich ziviler Opfer gerechnet werden müsse, oder gegen solche, die Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Israel hervorrufen würden. Nach einer hitzigen Debatte unter den Führungsoffizieren haben die Israelis dann Raketenbatterien, die von menschlichen Schutzschildern umgeben sind, doch unter ihre Ziele aufgenommen. Das Faktum, das sie zunächst nicht in der Zielauswahl berücksichtigt worden sind, zeigt, wie tief die Schreckenstaktik das israelische Selbstvertrauen berührt.

Derzeit verzettelt sich die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg, wo sie etwa ein Drittel ihrer Kampftruppen verloren hat, und sie hat keine Lust auf eine Konfrontation mit Israel. Gleichwohl ist ein Krieg an Israels Nordgrenze in den kommenden Jahren wahrscheinlich. Die iranischen Führer der Hisbollah, welche die Munition liefern und die Stellungen konstruieren, und die selbst einige der Raketenstellungen am Boden bemannen, würden wahrscheinlich den Krieg mit einem begrenzten Raketenbeschuss beginnen, um Israel zu massiven Gegenschlägen zu provozieren und so seine Verurteilung durch den Weltsicherheitsrat zu erreichen.

Die einfachste militärische Logik sagt: Wenn die Hisbollah anfängt, Raketen abzufeuern, ist die richtige Reaktion, ihr Arsenal zu zerstören. Ein Bruchteil der Hisbollah-Projektile könnte den Flughafen von Jerusalem stilllegen, die großen Raffinerien und Elektrizitätswerke zerstören und die ganze israelische Bevölkerung in die Bunker zwingen.

Nach den Schwierigkeiten mit der Zielsuche zu urteilen, ist die israelische Führung in Verlegenheit.

Wenn Israel bereit ist, die Hisbollah im Kriegsfall zu dezimieren, müsste es die Vorsichtsmaßnahme ergreifen, die geschätzte Zahl der zivilen Todesfälle zu publizieren, um die Weltmeinung gegen die eventuelle Notwendigkeit zu impfen, Zehntausende von Zivilisten zu töten. Normalerweise gebe ich Israels Premierminister Benjamin Netanyahu keine Ratschläge, aber hier geht es nicht um die Verteidigung Israels als solche, sondern um die Beeinflussung der Weltmeinung. Er sollte eine Schätzung der wahrscheinlichen Anzahl der zivilen Toten im Falle des Krieges mit der Hisbollah publizieren, aber die Zahl verdoppeln. Er könnte dann hinterher argumentieren, dass er sehr maßvoll gewesen ist, indem er nur die Hälfte der ursprünglich geschätzten Zahl getötet hat. Das ist nicht scherzhaft gemeint. Der Westen hat sich an eine halbe Million toter Syrer gewöhnt; er kann sich auch an die Idee von 100.000 toten Libanesen gewöhnen.

Die Verwundbarkeit der Hisbollah beruht auf der Tatsache, dass sie eine Miliz ist, die in schiitischen Gemeinden des Libanon lebt, und keine Armee, deren Basen von den zivilen Zentren entfernt sind. Der Iran ist bereit, schiitisches Leben im Libanon für seine imperialen Interessen zu opfern, aber die libanesischen Schiiten selbst werden selbst nicht wünschen, geopfert zu werden. Indem Israel auf die schrecklichen Konsequenzen eines Krieges aufmerksam macht, würde Jerusalem Angst und Zweifel unter seinen voraussichtlichen Feinden sähen.

Sicher, das Risiko besteht darin, dass eine solche Ankündigung den westlichen Regierungen (z. B. Frankreich) einen Vorwand liefern würde, die Israel eine Lösung aufzwingen wollen, welche seine Kontrolle über den Landpuffer Westbank beenden würde. Die Realität besteht jedoch darin, dass die sunnitische arabische Welt sich vom Mittelmeer bis zum persischen Golf in einem solchen Chaos befindet, dass Aussichten auf eine Übereinkunft irgendeiner Art kaum bestehen.

Ein größeres Risiko käme vom Iran, würden die Raketen der Hisbollah unter großen zivilen Verlusten zerstört. Er würde sich durch seine Ehre zur Vergeltung verpflichtet fühlen. Wahrscheinlich hat der Iran noch keine Nuklearwaffen, daher ist es im israelischen Interesse, die Lage im Norden zu bereinigen, bevor er welche herstellt. Es ist unwahrscheinlich, dass der Iran einen Nuklearkrieg mit Israel beginnt, weil seine Führer eines Morgens aufwachen und sich apokalyptisch fühlen. Die Gefahr rührt eher von der möglichen Eskalation einer zunächst konventionellen Auseinandersetzung her. Der frühere iranische Präsident Akbar Hashemi Rafsanjani (ein sogenannter Moderater) nannte Israel bekanntlich ein “one-bomb country” (Ein-Bomben-Land) und behauptete, dass der Iran einen Nuklearkrieg überleben könnte, der Israel von der Landkarte wischen würde.

Tatsächlich wäre es keine technische Herausforderung, alle lebendigen Säugetiere im Iran zu eliminieren, nämlich durch eine Kombination aus Nuklearschlägen, EMP-Angriffen auf das elektrische System, Einsatz „dreckiger Bomben“ gegen die Wasserversorgung und so weiter. Das ist Nichts, worüber Regierungen reden sollten, aber in Herrn Netanyahus Position würde ich einen obskuren, aber respektierten Think-Tank beauftragen, einen Bericht über diesen Gegenstand in Stil des verstorbenen Herman Kahn zu publizieren.

 

Spengler auf Deutsch 53: Warum interessierte Tolkien sich für die Juden?

Das Original erschien am 31. August 2016 unter dem Titel „Why Did Tolkien Care about the Jews?“ in PJMedia.

Im aktuellen Heft des “Commentary” diskutiert mein Freund Rabbi Meir Soloveichik, warum J. R. R. Tolkien von den Juden fasziniert war. Natürlich sind sie die Zwerge in “Der Hobbit” und in “Der Herr der Ringe”, was Tolkien auch selbst in einem BBC-Interview von 1971 bekannt hat. Tolkien war kein Antisemit (jedenfalls nicht nach der kanonischen Definition, nämlich jemand, der die Juden noch mehr hasst, als unbedingt nötig ist). Seine Ansichten in „Der Hobbit“ waren typisch für Philosemiten in den 1930ern: Die Juden/Zwerge sind „berechnende Leute, die den Wert des Geldes sehr zu schätzen wissen; einige sind gerissen und verräterisch und ziemlich üble Typen; andere sind nicht so, sondern ziemlich anständige Leute … wenn man nicht zu viel erwartet“.

Im “Herrn der Ringe” – vollendet nach dem Holocaust – zeigte Tolkien größere Sympathie; er stellte eine enge Elf-Zwerg-Freundschaft dar, Vorbote (wie Rabbi Soloveichik dargelegt hat) einer jüdisch-christlichen Allianz gegen die Kräfte des Bösen. Man könnte hinzufügen, dass in „Das Silmarillion“, Tolkiens frühem (aber posthum veröffentlichtem) Kompendium der Mythologie Mittelerdes, die Zwerge vor den Elfen erschaffen wurden, so wie die Juden vor den Christen kamen – in Tolkiens Erzählung freilich durch einen Irrtum.

In der Zwergen Suche für ihr altes Heimatland in den fernen Bergen drückte Tolkien, wie Rabbi Soloveichik beobachtet hat, eine gewisse Sympathie für den Zionismus aus.

All dies wirft die Frage auf, was die Juden ins Zentrum von Tolkiens Aufmerksamkeit gerückt hat? Ein Teil der Antwort findet sich in Tolkiens lebenslanger Anstrengung, den gefährlichen Einfluss von Richard Wagner zu neutralisieren, dessen „Ring der Nibelungen“ das einflussreichste Kunstwerk der letzten 200 Jahre ist (und meines Erachtens das gefährlichste). Wagner plünderte die alten nordischen und germanischen Sagen in Dienst eines wiederbelebten Heidentums. Tolkien dagegen holte aus, um die alten heidnischen Geschichten neu zu nutzen, sie zu einem gesunderen Fundament für das Christentum zu machen, das ihnen folgen sollte.

In Wagners Schauspiel der Götter und Helden etabliert die Aristokratie (die Götter) ihre Herrschaft durch Verträge (Bünde). Aber um ihre Herrschaft aufrecht zu erhalten, müssen sie Riesen (Kapital und Arbeit) anheuern, um ihre Festung Walhalla zu bauen, und um sie zu bezahlen, stehlen sie das verfluchte Gold der Nibelungen-Zwerge (der Juden). In seinen Publikationen und Briefen stellt Wagner klar, dass die ekligen Nibelungen die Juden waren, die er wirklich von Grund auf hasste. In einem seiner letzten Texte behauptet er, dass der Zweck der Eucharistie darin bestehe, den Kommunikanten von der Verschmutzung seines arischen Blutes zu reinigen, insbesondere um den Makel jüdischen Blutes von Jesus selbst zu entfernen. Wagner stahl die Handlung seiner Oper „Der fliegende Holländer“ von einem Juden (Heinrich Heine) und sein musikalisches Porträt des Meeres von einem anderen Juden (Felix Mendelsohn) und publizierte dann ein Pamphlet, in dem er behauptete, die Juden könnten nur imitieren, aber keine neuen Kunstwerke erschaffen.

Wagners Erbe bleibt böse. Erfreulicherweise kennen viel mehr Menschen Tolkien als Wagner und so könnten wir Tolkiens Projekt einen Erfolg nennen. Leider aber bleibt ein starker Einfluss Wagners auf die kulturelle Elite; er beeinflusst die moderne Kultur in einer Art und Weise, welche die populäre Hörerschaft nicht wahrnimmt. Noch hat niemand einen Pfahl durch sein Herz getrieben. Ich schwinge den Hammer, wann auch immer sich eine Gelegenheit bietet.

In einem Essay aus dem Jahre 2003 („The Ring and the Remnants of the West“ – Der Ring und die Überreste des Westens) habe ich Wagners und Tolkiens Behandlung des gleichen nordischen und teutonischen mythologischen Stoffes verglichen:

Der Nibelunge Alberich schmiedet einen Ring der Macht Sauron schmiedet einen Ring der Macht
Wotan braucht die Riesen, um Walhalla zu bauen Die Elfen brauchen Sauron, um ihre Ringe der Macht zu schmieden
Der Ring gibt dem Träger die Weltherrschaft Der Ring gibt dem Träger die Weltherrschaft
Wotan nutzt den Ring, um die Riesen zu bezahlen Sauron betrügt die Elfen
Der Ring ist verflucht und betrügt seinen Träger Der Ring ist böse und betrügt seinen Träger
Fafner tötet seinen Bruder Faasolt, um den Ring zu bekommen. Smeagol tötet seinen Freund Deagol für den Ring
Fafner versteckt sich für Jahrhunderte in einer Höhle Smeagol-Gollum versteckt sich für Jahrhunderte in einer Höhle
Siegfried erbt die Bruchstücke vom Schwert seines Vaters Aragorn erbt die Bruchstücke vom Schwert seines Vaters
Brunnhilde gibt ihre Unsterblichkeit für Siegfried auf Arwen gibt ihre Unsterblichkeit für Aragorn auf
Wotan lost Rätsel um das Leben von Mime Gollum lost Rätsel um das Leben von Bilbo
Ein Drache bewacht den Nibelungenhort Ein Drache bewacht den Zwergenschatz
Die Götter entsagen der Welt und erwarten das Ende Die Elfen entsagen der Welt und bereiten sich auf die Abreise vor
Der Ring kehrt zu seinem Urspung zurück, dem Rhein Der Ring kehrt zu seinem Ursprung zurück, dem Schicksalsberg
Hagen fällt in den Fluss Gollum fällt in den Vulkan
Die Zwerge sind die Juden (und sehr böse) Die Zwerge sind die Juden (klüngelhaft und habgierig, aber nicht böse)
Ein neues Zeitalter erscheint in der Welt Ein neues Zeitalter erscheint in der Welt
Die Menschen werden sich selbst überlassen Die Menschen werden sich selbst überlassen

Ich schrieb damals: „Tolkien-Fans betonen seine Unterschiede zu Wagner, als ob sie die Geringschätzung abwehren wollten, „Der Herr der Ringe“ wäre kein originales Werk. Wie Bradley Birzer, David Harvey und andere Kommentatoren bemerkt haben, hasste Tolkien Wagners Neuheidentum. Er war ein frommer römischer Katholik und explizit philosemitisch, wo Wagner antisemitisch war. Aber diese Verteidigung Tolkiens verdunkelt ein großes Verdienst. Er hat Wagners Ring nicht nachgeahmt, sondern er hat das Material in einer völlig andern Form neugeschmiedet. ‚Neuschmieden‘ ist eine angemessene Bezeichnung. Eine bemerkenswerte Szene in Wagner zeigt Siegfried, wie er die Bruchstücke von seines Vaters Schwert in eine neue Form gießt und ein neues Schwert aus ihnen schmiedet. Genau das hat Tolkien mit den Bruchstücken aus Wagners Geschichte gemacht. Wagner wird auch weiterhin auf den Bühnen der Opernhäuser spuken, aber das Publikum wird ihn durch Tolkiens Augen sehen“.

Spengler auf Deutsch 52: Gene Wilders bester Witz

Das Original erschien unter dem Titel „Gene Wilder’s best yoke” am 29. August 2016 in PJ-Media

Der verstorbene Gene Wilder spielte nicht nur in Komödien, er schrieb sie auch. „Frankenstein Junior“, meines Erachtens Mel Brooks bester Film, war Wilders Idee, und das Drehbuch entstammte einer gemeinsamen Anstrengung der beiden Genies der Komik. Cloris Leachmans in der unheimlichen Nebenrolle der Frau Blücher, der Haushälterin und offensichtlichen Geliebten des verstorbenen Frankenstein, bietet einen der komischsten Momente des amerikanischen Kinos. Pferde scheuen vor Angst bei der Nennung ihres Namens. Sie betrachtet den Enkel ihres verstorbenen Geliebten mit einer perversen Lust, die Pilze auf einer Billardkugel wachsen ließe. Und sie war in dem Film aus einem bestimmten Grund.

Frau Blücher“ war der Ehename der abtrünnigen jüdischen Philosophin Hannah Arendt, der ehemaligen Geliebten des Philosophen und zeitweiligen Mitglieds der Nazi-Partei Martin Heidegger. Der einflussreichste Existentialist des zwanzigsten Jahrhunderts übernahm die Universität Freiburg im selben Monat, in dem Hitler 1933 die Macht ergriff, und kettete sein Schicksal an das der Nazis – nachdem er Arendts Dissertation über den heiligen Augustinus in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ plagiiert hatte. Der verheiratete Heidegger verbrachte die 1920iger, indem er mit seiner jüdischen Doktorandin schlief und ihre Forschungen auslieh, bevor er der Nazi-Partei selbst beitrat. Arendt war besessen von Heidegger. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sie sich in der Öffentlichkeit mit Heidegger und half bei seiner Rehabilitierung, obwohl Heidegger sich weigerte, seine Unterstützung Hitlers zu widerrufen.

Arendt ist berühmt für ihre Berichte über den Eichmannprozess in Jerusalem für den „New Yorker“; sie prägte den Satz von der „Banalität des Bösen“, um den Massenmörder der Nazis zu charakterisieren. Sie hielt ihn für ordinär und für zu dumm, eine wirklich böse Absicht zu haben. Indem sie das Böse mit Banalität gleichsetzte, argumentierte Arendt tatsächlich, dass ein wahrer Genius (wie Heidegger) nicht wirklich böse sein konnte. Ihre Publikationen über Eichmann provozierten einen Aufschrei in der jüdischen Welt. Privat äußerte Arendt Verachtung hart an der Grenze des Rassismus für die Israelis.

In einem Brief an den bekannten deutschen Philosophen Karl Jaspers bemerkt sie, dass Hausner “typisch galizischer Jude sei … der ständig Fehler macht. Wahrscheinlich einer von diesen Leuten, die ständig Fehler machen.“[16] Cesarani legt dar, dass einige ihrer Ansichten über die Juden des Nahen Osten an Rassismus grenzen. So beschreibt sie eine israelische Menschenmenge in einem Brief an Karl Jaspers: “Mein erster Eindruck: An der Spitze die Richter, die besten der deutschen Juden. Unter ihnen die Staatsanwälte, Galizier, aber immer noch Europäer. Alles wird von einer Polizei organisiert, die mir unheimlich ist; sie spricht nur Hebräisch und sieht arabisch aus. Einige ziemlich brutale Typen darunter. Sie würden jeden Befehl befolgen. Und vor den Toren der orientalische Mob, als ob man in Istanbul oder sonst einem halbasiatischen Land wäre. Zusätzlich, und sehr sichtbar in Jerusalem, die Peies- und Kaftanjuden, die das Leben für vernünftige Leute hier unmöglich machen.“[1]

Wie Martin Glickman in seinem Buch Stolen Words beobachtet hat: „Da sie kaum je ihren Ehenamen benutzte, scheint das Faktum, dass sie ‘Frau Blücher’ genannt werden konnte, den Mel Brooks Fans überall entgangen zu sein“. Wie in der von Cloris Leachmans gespielten Rolle, blieb auch ihre Besessenheit mit Heidegger – einem anderen Erschaffer von Monstern – unvermindert durch Zeit und Verbrechen.

Ich habe keinen direkten Beweis, dass Wilder die Rolle nach Arendt gestaltete, aber die Übereinstimmungen scheinen zu groß, um an Zufall zu glauben. In der Hölle werden Judenhasser von jüdischen Komödianten gefoltert. Meine Kenntnis der kommenden Welt ist vage, aber ich hoffe, dass Gene Wilders Talente fortfahren werden, die verstorbenen Seelen der Feinde seines Volkes zu plagen.

 

 

[1] Leider sind mir die deutschen Originalbriefe von Hannah Arendt nicht greifbar. Ich übersetze daher aus dem Englischen zurück.