Spengler auf Deutsch 39: Amerikaner werden nicht mehr dafür bezahlt, Amerikaner zu sein

Das Original erschien am 31. März 2016 unter dem Titel „Americans won’t be paid for being American any more“ in Asia Times.

Donald Trump zufolge besteht Amerikas Problem darin, dass es seinen Reichtum nach Übersee exportiert hätte. Das Gegenteil ist wahr. Amerikas Problem ist, dass der Reichtum der Welt nach Amerika kam und Subprime-Hypotheken kaufte. Auf dem Gipfel der Immobilienblase importierte Amerika jährlich Kapital in Höhe von 6 % seines Bruttoinlandsprodukts. Jeder – angefangen bei der chinesischen Zentralbank über arabische Staatsfonds bis zu deutschen Landesbanken – kaufte amerikanische Hypothekenschulden, bis die Immobilienblase platzte. Nahezu die gesamten Ersparnisse der Welt kamen in die Vereinigten Staaten.

Leistungsbilanz der Vereinigten Staaten:

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Die Welt war daran gewöhnt, an die Vereinigten Staaten zu glauben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war Amerika die einzige Supermacht der Welt. Der amerikanische Konsument ähnelte einem Perpetuum mobile. Die Immobilienpreise waren 50 Jahre in Folge angestiegen. Das wirtschaftliche Wachstum Amerikas war stabil. Und die amerikanischen Investmentbanken fabrizierten synthetische Wertpapiere mit AAA-Rating, die mehr einbrachten, als die Banken Zinsen zahlten. Sie schienen so sicher wie Häuser.

Wir haben das Gleiche 1996 in Südostasien gesehen, oder 1999 in Mexiko und Argentinien oder 2010 in der Türkei und zahllosen anderen Drittweltländern: Massive Kapitalimporte treiben den Wert der lokalen Vermögenswerte und lassen die Bevölkerung sich so lange reich fühlen, bis die Blase platzt. Zwischen 1996 und 2006 sahen die Amerikaner die Preise ihrer Häuser um 10 bis 15 % pro Jahr wachsen. In dem Maße, in dem das Geld hereinströmte (und das Leistungsbilanzdefizit anstieg), stiegen die Immobilienpreise.

Blau: Immobilienpreisindex

Rot: Leistungsbilanz der Vereinigten Staaten

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Eine riesige Armee aus Angestellten unterstützte die große Wanderung des Kapitals. Amerikaner gaben ihre Jobs auf und wurden Immobilienhändler und Hypothekenmakler. Die Finanzindustrie rekrutierte Mathegenies aus den Abschlussklassen der Universitäten, um noch komplexere Finanzinstrumente zu fabrizieren. Günstige Gelegenheiten gab es im Überfluss, als das Weltkapital an Amerikas Tür klopfte. Sicher, die Amerikaner gaben das Geld, das man an ihrer Türschwelle ablud, für billige Importe aus China und anderen sich entwickelnden Ländern aus.

China hat die amerikanischen Industriearbeitsplätze nicht übernommen, weil der Reichtum die Vereinigten Staaten verließ, sondern weil er in die Vereinigten Staaten hineinströmte. Amerika war das Mekka für Ersparnisse, Wagnisse, Risikokapital, Unternehmertum – jedenfalls stilisierten wir uns so. Es waren berauschende Tage. 2001 veranstaltete mein Freud Arthur Laffer, der große Theoretiker angebotsorientierter Wirtschaftspolitik, ein Seminar für meine Abteilung bei „Credit Suisse“ (wo ich die Abteilung für globale Kreditstrategie leitete) und argumentierte, dass Amerika nicht mehr produzieren müsse. Wir würden die Patente liefern und die anderen Länder würden die schmutzige Arbeit tun.

Dann kam der unvermeidliche Krach. Die Immobilienpreise kollabierten und gutbezahlte Angestelltenjobs verschwanden. Der Schwager, der 2007 150.000 Dollar im Jahr als Immobilienmakler verdient hatte, war 2009 arbeitslos und fuhr 2010 einen Lieferwagen für Amazon – oder tat überhaupt nichts, da die Beschäftigtenrate kollabiert ist.

In Amerika herrscht jetzt Abwärtsmobilität, wie ich in einem Essay vom 1. März gezeigt habe, und mit ihr kam Donald Trump, um den Amerikanern zu erzählen, ihr Elend wäre die Schuld illegaler Einwanderer und gieriger Ausländer. Das ist falsch. Während der Dekade vor dem Krach von 2008 wurden Amerikaner dafür bezahlt, Amerikaner zu sein. Ihre Vorfahren hatten die stärkste Demokratie der Welt errichtet und die offensten Kapitalmärkte, und sie lebten von den Gebühren, welche sie Ausländern auferlegten, die kamen, um sie zu nutzen. Mittlerweile sind Amerikaner unter 25 Jahren das Schlusslicht in einem internationalen Ranking über die Fähigkeiten in Schreiben, Mathematik und Technologie. Wenn Sie einfach dafür bezahlt werden, Amerikaner zu sein, warum sollen sie ihre Jahre an der Uni nicht mit „Grand Theft Auto“[1] verbringen.

Trump erinnert an Mortimer Duke am Ende von “Die Glücksritter”, als er schreit: “Stellt die Maschinen wieder an!” Eine Mauer gegen Mexiko zu bauen und chinesische Importe zu beschränken, wird nichts nützen. Was Amerikaner brauchen, ist bittere Medizin. Ob sie sie nehmen werden, ist eine andere Frage. Aber wenn sie es nicht tun, wird Amerika aussehen wie Britannien in seinem nachindustriellen Niedergang.

[1] Grand Theft Auto – ein populäres Computerspiel.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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