Spengler auf Deutsch 15: Ted Cruz hat recht, die Neokonservativen anzugreifen

Der Originaltext erschien am 16. Dezember 2015 unter dem Titel „Ted Cruz is Right to Attack the Neocons” in PJMedia

Hillary Clinton hat nichts vorzuweisen. Die Familieneinkommen sind niedriger und die Welt ist gefährlicher. Donald Trump brachte es auf den Punkt, als er Chris Wallace sagte: “Hillary nennt mich gefährlich? Sie hat Hundertausende durch ihre Dummheit umgebracht“. Trump bezog sich auf die Kampagne der Obamaregierung, arabische Diktatoren wie Gadhafi in Libyen und Mubarack in Ägypten zu stürzen, was nach dem sogenannten „Arabischen Frühling“ zum Chaos im Nahen Osten beigetraten hat. Marco Rubio kann Hillarys desaströse außenpolitische Bilanz nicht kritisieren, weil – wie Ted Cruz mit Recht anmerkt – Rubio dieselbe dumme Politik unterstützt hat. Man stelle sich eine Cruz-Clinton Präsidentschaftsdebatte vor: Cruz kritisiert Hillarys Inkompetenz, die ein Chaos im Nahen Osten angerichtet hat. Hillary erwidert: „Aber die meisten Republikaner haben mich unterstützt!“ Cruz kontert: „Richtig. Ich trete an gegen Sie und gegen das Establishment meiner eigenen Partei“ Spiel, Satz, Sieg für Cruz.

Hier ein Wort des Trostes für meine neokonservativen Freunde. Es ist nicht persönlich, es ist rein geschäftlich. Ich bin selbst neokonservativ, ein Exlinker, der mit Reagan nach rechts ging, und habe meinen Speer in der Endphase des Kalten Krieges getragen. Ich war Chefökonom in Jude Wanniskis angebotsorientierter Beratungsfirma „Polyconomics“, die so neokonservativ wie nur möglich war, und gönne den Neokonservativen all ihr Verdienst für „Reaganomics“. Ich habe im „Commentary Magazine” und Irving Kristols „Public Interest” publiziert. Ich habe zwischen 1988 und 1993 die Welt bereist – Mexiko, Peru, Nicaragua und den größten Teil von Russland -, um das Reagan-Model zu promoten, und habe aus erster Hand gelernt, wie weltfremd die Annahme war, unser Modell könnte exportiert werden.

Jede Ideologie hat ein Verfallsdatum, und Ihr habt Eure seit langem überschritten. Henry Kissinger leistete diesem Land einen großen Dienst, indem er die Beziehungen mit China aufnahm, eine notwendige, wenn nicht gar allein ausreichende Bedingung, um den Kalten Krieg zu gewinnen. Aber Kissinger war gefangen im matten Kalkül der Entspannung, während Reagan den bedingungslosen amerikanischen Sieg über den Kommunismus vorhersah – und ohne euch Neokonservative hätte er ihn nicht erreicht. Jedoch, Ihr unterlagt einem gigantischen Irrtum, als Ihr annahmt, die Reagan-Revolution könnte in den Nahen Osten, nach Russland und China exportiert werden, und Ihr verspieltet den stärksten Trumpf, den eine Weltmacht je gehabt hat. Als George W. Bush sein Amt antrat, war Amerika die einzige Weltmacht, heute spielt es die zweite Geige nach Wladimir Putin. Niemand will mehr Eure Behauptungen hören, dass wir im Irak 2008 tatsächlich gewonnen hätten, und alles verloren hätten, weil Obama nicht einige Divisionen dort lassen wollte. Und als der „Arabischen Frühling“ anbrach, habt Ihr den einlaufenden Zug für das Licht am Ende des Tunnels gehalten. Ihr und die Obamagefolgschaft ward nicht nur „dumm, sondern dümmer”. Ihr glaubtet beide, eine muslimische Demokratie werde aus der islamistischen Opposition gegen die alten Diktaturen entstehen.

Für Ted Cruz seid Ihr ein Bauernopfer, so wie Henry Kissinger eins für euch war, als Reagan 1981 sein Amt antrat. Tim Alberta und Eliana Johnson verzeichnen eure Empörung in der National Review:

„Als Tex Cruz kürzlich während des Wahlkampfs in Iowa und dann wieder in einem Interview mit Bloomberg News die Neocons kritisierte, in dem Bestreben, sein eigenes Verständnis der amerikanischen Interessen zu verteidigen, war die Antwort einiger konservativer Außenpolitikexperten, von denen viele mit diesem Begriff verunglimpft worden waren, von Erschütterung, Ärger und Bestürzung geprägt: Er weiß, dass dieser Begriff im üblichen links- oder rechtextremen Sprachgebrauch ‚Kriegshetzer‘ meint, wenn nicht gar ‚jüdischer Kriegshetzer‘, sagte Elliott Abrams, ein früheres Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der Buchregierung und Angehöriger des Rates für Auswärtige Beziehungen (Council on Foreign Relations)“.

Das ist die gleiche Chuzpe wie von dem Mann, der seine Eltern ermordete, und dann den Richter um Gnade bat, da er doch Waisenkind sei. Der Terminus „Neocon“ ist zu einer Beleidigung geworden, weil er ein kohärentes und durchdachtes Ideengebäude meint, das schlechte Resultate erbracht hat. Zu behaupten, dass Ted Cruz Vorurteile gegen Juden schüre, ist einfach gehässig.

Nein, Cruz macht das Richtige. So wie Reagan Henry Kissinger geopfert hat, wird Cruz euch opfern. Es ist für das Gemeinwohl. In den letzten acht Jahren hat die Republikanische Partei die Sünden von George W. Bush getragen wie die Ketten von Marleys Geist[1]. Die amerikanische Öffentlichkeit wird nicht so leicht vergessen, dass sie Opfer für den Irak und Afghanistan bringen musste und damit nichts erreicht hat. Ein Bruch mit Bushs Politik erhöht die Aussichten auf einen republikanischen Sieg erheblich. Rubio kann das nicht, wohl aber Cruz. Wie Kissinger solltet ihr euch im Glanz eures früheren Ruhmes sonnen, und anderen die Verantwortung überlassen. Geht mit Gott. Aber geht!

 

[1] Romanfigur in Charles Dickens‘ Weihnachtserzählung (1843).

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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