Spengler auf Deutsch 54: Was tun gegen Hisbollahs Horror-Waffe?

Das Original erschien am 7. September 2016 unter dem Titel „Hezbollah’s horror weapon and its remedy“ in Asia Times.

In der kanonischen Definition des jiddischen Wortes “Chuzpe” ermordet ein Mann seine Eltern und bittet dann um Gnade, da er doch Waise sei. Einen nie dagewesenen Grad von Chuzpe zeigen die Machenschaften der radikalen Muslime, die humanitäre Katastrophen herbeiführen und dann vom Westen Interventionen, um sie abzuwenden, verlangen.

In seinem neuen Buch “Mission Failure” zeigt Michael Mandelbaum von der John Hopkins-Universität das erste Beispiel dieser Taktik auf: die Befreiungsarmee des Kosovo überredete Bill Clintons Außenministerin Madeline Albright, Serbien den Krieg zu erklären, indem sie die Ermordung von hundert oder zwei Zivilisten provozierte. Der größte Teil von Clintons Kabinett wollte die Befreiungsarmee nicht unterstützen, die ihr Geld mit Drogen und Menschenhandel verdiente, und sie wollten auch den souveränen Staat Serbien nicht aufteilen – ein Präzedenzfall, den Russland später nutzte, um seine Annexion der Krim zu rechtfertigen. Gleichwohl gelang die moralische Erpressung und muslimische Radikale lernten, wie man den Schuldkomplex des Westens nutzen kann.

Meine Rezension von Mandelbaums Buch erscheint im Sommer-2016 Heft der “Claremont Review of Books”. Obwohl ich mit ihm vielfach nicht übereinstimme, bietet er eine scharfsinnige Interpretation der hervorstechenden Ereignisse. Seine Argumentation deckt sich mit meiner Warnung nach dem Angriff vom 9. 11., dass der radikale Islam die Absicht hat, Schrecken im Westen zu erregen – nicht nur dadurch, dass er Grausamkeiten gegen westliche Zivilisten begeht, sondern auch indem er massive zivile Verluste unter Muslimen verursacht.

Sie haben beträchtliche Erfolge erzielt. Das empfindliche Gewissen der Deutschen konnte das Leider der syrischen Flüchtlinge nicht ertragen, die mit dem Einverständnis der Türkei an ihre Grenzen strömten. Wie Giulio Meotti im Gatestone Institute berichtet, wird die Flüchtlingsinvasion radikal das demographische Gleichgewicht in Europa verändern.

Im Gaza-Krieg war die Hamas bestrebt, zivile Verluste unter der eigenen Bevölkerung zu maximieren, um so den Westen zu verleiten, Israel zu einem Rückzug von der Westbank zu zwingen. Von dort aus könnten Kurzstreckenraketen Tel Aviv und den benachbarten Flughafen verwüsten. Diese Plan war – noch – nicht erfolgreich, da die Amerikaner Israel gegenüber den Palästinensern mit einer 4:1 Quote bevorzugen. Aber die palästinensischen Führer sind geduldig; so schrieb der palästinensische Journalist Mohammed Daraghmeh (übersetzt in der “Times of Israel”), der Krieg mit Israel “wird erst dann enden, wenn die Welt begreift, dass sie die Pflicht zu intervenieren und Grenzen und Linien zu ziehen hat, wie sie es in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo getan hat.”

Ein jeder sollte dieses makabere Schauspiel durchschaut haben, aber die Zimperlichkeit des Westens hat einen solchen Grad erreicht, dass die aufgeklärte Meinung bei der Aussicht auf noch mehr tote palästinensische Zivilisten erzittert. Die Welt vergisst, dass die Alliierten eine Million deutsche und etwa 250000 japanische Zivilisten töteten, größtenteils durch Luftangriffe. Das war gerechtfertigt durch die Notwendigkeit, verbrecherische Regierungen zu zerstören, die 10 Millionen Zivilisten in Europa und Asien umgebracht hatten. Staaten haben das Recht, sich gegen Artillerieangriffe zu verteidigen. Israels Recht der Selbstverteidigung ist allgemein anerkannt, aber mit dem Vorbehalt, die Selbstverteidigung solle „proportional“, d. h. ineffektiv sein.

Oft wird die Proportionalitäts-Ente verbunden mit Forderungen an Israel, Konzessionen zu machen, die mit der eigentlichen Frage nichts zu tun haben. So schrieb beispielsweise Nigel Biggar, Theologe an der Universität Oxford im Sommer-Heft 2016 der christlichen Zeitschrift „Providence“: „Israel wäre fähig gewesen, diplomatische, vertrauensbildende Initiativen zu ergreifen. Es hätte einseitig die illegalen Siedlungen in der Westbank stoppen und beenden können. Da es das nicht getan hat, waren seine Angriffe auf Gaza unangemessen und daher unproportional“.

Professor Biggar vergisst, dass Israels einseitiger “vertrauensbildender” Rückzug aus Gaza die Hamas-Raketen an seiner Grenze überhaupt erst ermöglicht hat. Aber hier geht es nicht um Logik. Der Westen ist erschrocken und will, dass der Schrecken endet, und das ist es, worauf die Hamas rechnet.

Schlimmeres steht bevor: An Israels Nordgrenze hat die Hisbollah 150.000 Raketen vorrätig, bei weitem das umfangreichste derartige Arsenal der Welt. Darunter sind viele präzisionsgesteuerte Raketen, welche für Ausweichkurse programmiert werden können und die selbst mit dem „Eiserne Kuppel“-Flugabwehrsystem sehr viel schwieriger abzuschießen sind. Schon vor zwei Jahren habe ich darauf hingewiesen. Viele der Raketen sind in Häusern von Zivilisten in den schiitischen Städten des Südlibanon stationiert. Um sie zu zerstören, müsste man zivile Verluste in Kauf nehmen, die erheblich größer wären als die Kollateralschäden in Gaza.

Glaubwürdige israelische Quellen berichten, dass die israelische Luftwaffe entschieden hatte, keine Einsatzpläne gegen Raketenstellungen der Hisbollah zu erstellen, bei denen mit einer großen Anzahl wahrscheinlich ziviler Opfer gerechnet werden müsse, oder gegen solche, die Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Israel hervorrufen würden. Nach einer hitzigen Debatte unter den Führungsoffizieren haben die Israelis dann Raketenbatterien, die von menschlichen Schutzschildern umgeben sind, doch unter ihre Ziele aufgenommen. Das Faktum, das sie zunächst nicht in der Zielauswahl berücksichtigt worden sind, zeigt, wie tief die Schreckenstaktik das israelische Selbstvertrauen berührt.

Derzeit verzettelt sich die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg, wo sie etwa ein Drittel ihrer Kampftruppen verloren hat, und sie hat keine Lust auf eine Konfrontation mit Israel. Gleichwohl ist ein Krieg an Israels Nordgrenze in den kommenden Jahren wahrscheinlich. Die iranischen Führer der Hisbollah, welche die Munition liefern und die Stellungen konstruieren, und die selbst einige der Raketenstellungen am Boden bemannen, würden wahrscheinlich den Krieg mit einem begrenzten Raketenbeschuss beginnen, um Israel zu massiven Gegenschlägen zu provozieren und so seine Verurteilung durch den Weltsicherheitsrat zu erreichen.

Die einfachste militärische Logik sagt: Wenn die Hisbollah anfängt, Raketen abzufeuern, ist die richtige Reaktion, ihr Arsenal zu zerstören. Ein Bruchteil der Hisbollah-Projektile könnte den Flughafen von Jerusalem stilllegen, die großen Raffinerien und Elektrizitätswerke zerstören und die ganze israelische Bevölkerung in die Bunker zwingen.

Nach den Schwierigkeiten mit der Zielsuche zu urteilen, ist die israelische Führung in Verlegenheit.

Wenn Israel bereit ist, die Hisbollah im Kriegsfall zu dezimieren, müsste es die Vorsichtsmaßnahme ergreifen, die geschätzte Zahl der zivilen Todesfälle zu publizieren, um die Weltmeinung gegen die eventuelle Notwendigkeit zu impfen, Zehntausende von Zivilisten zu töten. Normalerweise gebe ich Israels Premierminister Benjamin Netanyahu keine Ratschläge, aber hier geht es nicht um die Verteidigung Israels als solche, sondern um die Beeinflussung der Weltmeinung. Er sollte eine Schätzung der wahrscheinlichen Anzahl der zivilen Toten im Falle des Krieges mit der Hisbollah publizieren, aber die Zahl verdoppeln. Er könnte dann hinterher argumentieren, dass er sehr maßvoll gewesen ist, indem er nur die Hälfte der ursprünglich geschätzten Zahl getötet hat. Das ist nicht scherzhaft gemeint. Der Westen hat sich an eine halbe Million toter Syrer gewöhnt; er kann sich auch an die Idee von 100.000 toten Libanesen gewöhnen.

Die Verwundbarkeit der Hisbollah beruht auf der Tatsache, dass sie eine Miliz ist, die in schiitischen Gemeinden des Libanon lebt, und keine Armee, deren Basen von den zivilen Zentren entfernt sind. Der Iran ist bereit, schiitisches Leben im Libanon für seine imperialen Interessen zu opfern, aber die libanesischen Schiiten selbst werden selbst nicht wünschen, geopfert zu werden. Indem Israel auf die schrecklichen Konsequenzen eines Krieges aufmerksam macht, würde Jerusalem Angst und Zweifel unter seinen voraussichtlichen Feinden sähen.

Sicher, das Risiko besteht darin, dass eine solche Ankündigung den westlichen Regierungen (z. B. Frankreich) einen Vorwand liefern würde, die Israel eine Lösung aufzwingen wollen, welche seine Kontrolle über den Landpuffer Westbank beenden würde. Die Realität besteht jedoch darin, dass die sunnitische arabische Welt sich vom Mittelmeer bis zum persischen Golf in einem solchen Chaos befindet, dass Aussichten auf eine Übereinkunft irgendeiner Art kaum bestehen.

Ein größeres Risiko käme vom Iran, würden die Raketen der Hisbollah unter großen zivilen Verlusten zerstört. Er würde sich durch seine Ehre zur Vergeltung verpflichtet fühlen. Wahrscheinlich hat der Iran noch keine Nuklearwaffen, daher ist es im israelischen Interesse, die Lage im Norden zu bereinigen, bevor er welche herstellt. Es ist unwahrscheinlich, dass der Iran einen Nuklearkrieg mit Israel beginnt, weil seine Führer eines Morgens aufwachen und sich apokalyptisch fühlen. Die Gefahr rührt eher von der möglichen Eskalation einer zunächst konventionellen Auseinandersetzung her. Der frühere iranische Präsident Akbar Hashemi Rafsanjani (ein sogenannter Moderater) nannte Israel bekanntlich ein “one-bomb country” (Ein-Bomben-Land) und behauptete, dass der Iran einen Nuklearkrieg überleben könnte, der Israel von der Landkarte wischen würde.

Tatsächlich wäre es keine technische Herausforderung, alle lebendigen Säugetiere im Iran zu eliminieren, nämlich durch eine Kombination aus Nuklearschlägen, EMP-Angriffen auf das elektrische System, Einsatz „dreckiger Bomben“ gegen die Wasserversorgung und so weiter. Das ist Nichts, worüber Regierungen reden sollten, aber in Herrn Netanyahus Position würde ich einen obskuren, aber respektierten Think-Tank beauftragen, einen Bericht über diesen Gegenstand in Stil des verstorbenen Herman Kahn zu publizieren.

 

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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