Spengler auf Deutsch 29: Wenn ihr an Unternehmer glaubt, klatscht in die Hände

Das Original erschien am 29. Februar 2016 unter dem Titel „If you believe in entrepreneurs, clap your hands“ in Asia Times

Der Unternehmer ist der kalt gewordene Brei, um den alle herumreden.

Von 1977 bis 2005 kam fast das gesamte Wirtschaftswachstum und das gesamte Nettowachstum an Arbeitsplätzen von Neugründungen. Etablierte Firmen schrumpften und neue Firmen wuchsen. Nach der Großen Rezession von 2008 war es umgekehrt: die gesamte Erholung auf dem Arbeitsmarkt kam von etablierten Firmen; dagegen leisteten Neugründungen nichts für das Nettowachstum an Arbeitsplätzen. Unter der Obamaregierung wandelte sich Amerika von der innovativsten Wirtschaft der Welt zu der statischsten und kartelliertesten.

Dies ist die deprimierendste Tatsache aus der amerikanischen Wirtschaft. Die deprimierendeste Tatsache aus der amerikanischen Politik ist, dass niemand darüber spricht. Beide Fakten bedürfen einer genaueren Untersuchung.

Niemand zweifelt daran, dass während der drei Jahrzehnte vor dem Krach von 2008 die neuen Unternehmen die treibende Kraft für das Wachstum an Arbeitsplätzen waren. Wirtschaftswissenschaftler vom amerikanischen „Census Bureau“ und der Universität von Maryland haben in einer 2014 erschienen Studie gezeigt, das Neugründungen zwischen 1980 und 2010 durchschnittlich 2.9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr schufen, das Doppelte des durchschnittlichen Gesamtanstieges von 1,4 Millionen Arbeitsplätzen in diesem Zeitraum. Mit anderen Worten: Neugründungen schufen 2,9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr, während etablierte Unternehmen 1,5 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr verloren.

Neugründungen schufen fast alle neuen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten:

Springen wir nach vorn zur amerikanischen Wirtschaft nach der Rezession. Nahezu alle Veränderungen am Arbeitsmarkt seit Juni 2007 kamen von den S&P1000-Unternehmen. Die Zahlen stimmen nicht ganz genau, da die S&P-Daten Beschäftigung an überseeischen Filialen einschließen, aber sie sind doch recht genau.

Veränderungen am Arbeitsmarkt seit Juni 2007:

jobcreation

Was ist aus den Unternehmern geworden? Sie sind zu einer gefährdeten Spezies geworden. Zum ersten Mal seit das „Census Bureau“ Daten sammelt, sind in den Obama-Jahren mehr Unternehmen geschlossen als neue gegründet worden. Unten findet man eine Graphik der „Gallup Organization“, die aufgrund der Daten des „Census Bureau“ den absoluten Rückgang der Anzahl von Unternehmensgründungen darstellt.

Unternehmensschließungen halten an, während Neugründungen zurückgehen:

Wirtschaftswissenschaftler bieten ebenso viele Erklärungen für den Niedergang des amerikanischen Unternehmers wie Historiker für den Untergang des Römischen Reichs. Strangulation durch übertriebene Regulierung ist wahrscheinlich die wichtigste: Die Täter heißen Obamacare, Umweltschutzmaßnahmen, Dodd-Frank[1]-Veröffentlichungen, ergänzt durch weitere Angriffe auf Zeit, Energie und Kapital eines Unternehmers. Das „Congressional Budget Office“ schätzt, dass allein durch Obamacare die Schaffung von 2,3 Millionen neuer Arbeitsplätze bis 2021 erstickt werden wird. Was früher mal ein aufstörender, innovativer Technologiesektor war, hat sich in eine kleine Zahl von Monopolen gewandelt, geleitet von Patentanwälten, statt von Ingenieuren. Das verhindert Investitionen in Neugründungen. Eine Abnahme der staatlichen Unterstützung für Spitzenforschung und -entwicklung hat ebenfalls den Spielraum für mögliche Erfindungen reduziert, wie Dr. Henry Kressel und ich vor drei Jahren in The American Interest geschrieben haben.

Sicher, es gibt eine Reihe von großen unternehmerischen Erfolgsgeschichten, etwa in den Sozialen Medien und ähnlichen Bereichen. Facebook saugt Werbeeinnahmen aus den Geldsäcken der traditionellen Medien. Uber und seine Wettbewerber ruhen auf einer riesigen Anzahl von Teilzeit-Fahrern mit eigenem Auto, die gewillt sind, 10 bis 20 Stunden extra pro Woche zu arbeiten, für kaum mehr Geld als die Kosten für ihr Fahrzeug betragen. Diese Software-Innovationen sind intelligent, aber sie bewirken nichts im Hinblick auf Arbeitsproduktivität. Amerikas große Erfolgsgeschichte war der Fracking-Boom, jetzt eine verblassende Erinnerung bei einem Ölpreis von 30 Dollar pro Barrel.

Was auch immer der Grund für den Niedergang des Unternehmertums ist, er ist Amerikas größtes Problem. Warum spricht keiner der Präsidentschaftskandidaten darüber? Ich denke, die Antwort ist einfach. Amerikaner unter 40 haben vom Unternehmertum nicht viel Nützliches gesehen. Die letzten drei Wellen von Unternehmern – die dot.com-Freaks der 1990er, die Hypotheken-Subprimer der 2000er und die Schieferöl-Bohrer der letzten fünf Jahre – sie alle wurden in Särgen hinausgetragen. Die eine Innovation, die das tägliche Leben in den letzten zehn Jahren beeinflusst hat, war das Smartphone, und das kam von einem etablierten Monopol, nämlich Apple.

Mitt Romney hat es versucht: Er zog den früheren Geschäftsführer von „Staples“, Tom Stemberg, bei dem republikanischen Parteitag 2012 heran, als Aushängeschild für unternehmerische Arbeitsplatzschaffung. Das war eine schlechte Idee, weil Staples seinen Verkäufern 16000 bis 19000 Dollar im Jahr bezahlt, kaum mehr als den Mindestlohn.

Amerikaner glauben nicht mehr an das Unternehmertum. Es ist leichter Kinder dazu zu bringen, in die Hände zu klatschen, um Tinkerbell[2] wiederzubeleben, als die Wähler zu bewegen, an das Unternehmertum zu glauben. Illegale Einwanderer sind ein geringeres Problem und eins, das kleiner wird (gemäß dem „Pew Institute”), aber das Problem ist sichtbar und scheinbar für eine einfache Lösung geeignet. Es ist einfacher, die Leidenschaften über illegale Immigranten zu erregen, als die Rolle ökonomischer Akteure zu erklären, die zu einer Art Abstraktion geworden sind.

Wenn Amerika keine Innovationen mehr hervorbringt, wird seine Wirtschaft absteigen, wie vor ihr die britische. Und es gibt keine Innovation ohne Innovatoren, diese zerstörerischen, unausstehlichen, besessenen Visionäre, die die Risiken auf sich nehmen, die nötig sind, um das wirtschaftliche Leben zu verwandeln. Amerika ist auf dem falschen Kurs, und es ist verstörend, dass keiner von seinen Möchte-Gern-Führern darüber sprechen will, wie man es auf den richtigen zurückführt.

[1] Der „Dodd–Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act“ ist ein amerikanisches Bundesgesetz, das als Reaktion auf die Finanmarktkrise von 2007 das Finanzmarktrecht der Vereinigten Staaten umfassend reformiert hat. Der Dodd-Frank Act umfasst insgesamt 15 Titel mit 541 Gesetzesartikeln auf 849 Seiten.

[2] Elfe in J. M. Barries Roman “Peter Pan”. In den deutschen Übersetzungen meist „Glöckchen“ genannt.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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