Spengler auf Deutsch 17: Warum ist die Welt besessen von Israels Auserwähltheit?

Der Originaltext erschien am 24. Dezember 2015 unter dem Titel “Why is the world obsessed with the Election of Israel?” in Asia Times.

JERUSALEM – Israels Auserwähltheit ist erneut ein Thema für die Medien, nachdem eine päpstliche Kommission in ihrem Bericht die ewige Gültigkeit von Gottes Bund mit dem jüdischen Volk betont hat. Die abendländische Elite hat dieses Thema seit langem als Aberglauben abgetan. Die große Mehrheit der amerikanischen Juden denkt, dass die Auserwähltheit ein jüdischer Volksglaube ist wie Dibbuks[1] oder der Golem[2] (zum Vergleich: 70% der israelischen Juden glauben, dass die Juden Gottes auserwähltes Volk sind).

Die abendländische Elite wünscht, dass die Menschen rational handeln, und hält alle übernatürlichen Ansprüche für eine Beleidigung der Vernunft. Das Problem ist, dass die Menschen eben nicht rational handeln (ebenso wenig wie die abendländische Elite, aber das ist ein anderes Thema). Wir wollen ewig leben oder wir wollen überhaupt nicht leben. Wenn wir den Glauben verlieren, hören wir auf, uns fortzupflanzen. Hier und da mag es einen vereinzelten Philosophen geben, der so von der Unsterblichkeit der Seele überzeugt ist, dass er den Tod verachtet, so wie Sokrates es beanspruchte (obwohl ich selbst bei ihm meine Zweifel habe). Sicher, wir können nicht ewig leben, aber wir können an einer Kultur partizipieren, die uns mit unseren Vorfahren und Nachkommen zu einer unsterblichen Kette verbindet.

Deshalb bleibt die Auserwähltheit Israels das wichtigste Thema der westlichen Welt. Milliarden von Nichtjuden glauben, dass Gott Israel auserwählte: die meisten der einundeinviertel Milliarde der Katholiken, und die meisten von etwa einer Milliarde von Evangelikalen, Charismatikern und Pfingstlern. Zu ihnen würde ich auch einen Teil der 1,3 Milliarden Muslime zählen, die nicht glauben, sondern eher fürchten, dass Israel letztlich doch auserwählt sein könnte. (Chinesen und Inder, deren Zivilisation älter als Abraham ist, haben kaum Interesse an dem Thema).

Israel bleibt das Zentrum der westlichen Welt, weil jede menschliche Hoffnung auf Unsterblichkeit westlich des Indus sich an der Verheißung des biblischen Gottes für Abraham (Genesis 17,7) messen lassen muss, der Verheißung eines „ewigen Bundes“ mit seinen Nachkommen. Bis dahin hatte kein Volk sich für ewig gehalten. Selbst die heidnischen Götter waren nicht ewig, obwohl ihre Lebensspanne größer als die der Sterblichen war. Der babylonische Gilgamesch suchte ewiges Leben und erfuhr, dass sein Streben vergebens war. Jedoch der Chaldäer Abraham aus Ur erhielt die Verheißung unerbeten als einen unerklärlichen Akt der Liebe von dem Schöpfer des Himmels.

Mit Abrahams Verheißung erscheint die Hoffnung auf ewiges Leben unter all den Völkern der Welt. Der große jüdische Philosoph Michael Wyschogrod, der am 18. Dezember (2015) verstarb, hat erklärt, dass Gottes Wahl von Abraham und seinen Nachkommen eine erste, aber keine exklusive Liebe war. Ganz im Gegenteil schrieb er: „die Auserwähltheit Israels entspringt der Väterlichkeit, die sich auf alle erstreckt, die nach dem Bilde Gottes erschaffen sind, (und) wir finden uns selbst mit allen Menschen brüderlich verbunden … wenn man dieses Mysterium betrachtet, dass der Ewige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, sich entschied, der Vater seiner Kreaturen zu werden, statt selbstgenügsam bei sich selbst zu bleiben, wie der Absolute der Philosophen. Da wallt im Menschen der Lobpreis auf, der so rar geworden und doch so natürlich ist“.

„Das Christentum“, schreibt Wyschogrod, „drückt das Verlangen derjenigen aus, die nicht in den Bund mit Israel durch die Auswahl des Gottes Israel eingeschlossen sind“. Es ist kleinlich, wenn Juden auf den Wunsch anderer Völker nach Auserwähltheit herabsehen – vorausgesetzt, dass diese Hoffnung nicht die Auslöschung der Juden verlangt. Christen hoffen ebenfalls, ewig zu leben, als adoptierte Kinder Israels, statt als Mitglieder des zusammengewürfelten Sortiments aus Stämmen und Nationen, das der Kirche beitrat. Das Selbstopfer von Jesus von Nazareth am Kreuz, so glauben die Katholiken, vergalt die Sünde ihrer Geburt als Heiden, und niemand kann das Königreich des Himmels erlangen, außer durch Jesu Vermittlung – außer, mysteriöserweise, die Juden, wie der Vatikan betont.

Wyschogrod bemerkte kaustisch, dass Gott einen Bund schließen kann, mit wem auch immer er will, einschließlich (beispielsweise) den Christen. Ohne mir christlichen Theologie zu eigen zu machen, wünsche ich meinen christlichen Freunden fröhliche Weihnachten.

“Dass die Juden an Gottes Erlösung teilhaben, ist theologisch unbestreitbar, aber wie das möglich sein kann, ohne Christus explizit zu bekennen, ist und bleibt ein unfassbares göttliches Mysterium”, schreibt die vatikanische Kommission. Damit ist in schlichtem Englisch gemeint, dass die christliche Hoffnung auf ewiges Leben Gottes bevorzugende Liebe für Israel voraussetzt, dass also Gottes Verheißung für die Christen nicht gültig sein kann, wenn sein ewiger Bund mit den Juden ungültig ist – selbst wenn die Christen den Glauben, dass Jesus der einzige Weg zur Erlösung ist, nicht aufgeben können, ohne aufzuhören, Christen zu sein.

Dem Glauben der Kirche zufolge ist Christus der Retter für alle. Es kann keine zwei Wege der Erlösung geben, daher ist seither Christus der Erlöser der Juden zusätzlich zu dem der Heiden. Wir stehen hier vor dem Mysterium von Gottes Werk; es geht nicht um missionarische Aktivitäten, um die Juden zu bekehren, sondern eher um die Erwartung, dass der Herr die Stunde bestimmt hat, in der wir alle vereint sein werden, „wenn alle Völker Gott mit einer Stimme anrufen werden und ihm Schulter an Schulter dienen werden (Nostra aetate Nr. 4)“.

Anders als manche Pressemeldungen berichten, hat die päpstliche Kommission die Hoffnung auf eine Bekehrung der Juden zum Christentum nicht aufgegeben; sie sagt lediglich, dass diese eine göttliche Intervention in ferner Zukunft erfordern wird. Es steht nichts Neues in dem Bericht. Da die Kirche sich selbst als Israel betrachtet, und ebenso anerkennt, dass das jüdische Volk ein Teil von Israel ist, wünscht sie die zwei Flügel von Israel vereint als eine eschatologische Hoffnung. Das war schon das Fazit der Kontroverse von 2008 über die revidierte lateinische Osterliturgie, die Gebete für die letztendliche Bekehrung der Juden enthielt.

Das Problem der Bekehrung berührt einen wunden Punkt unter Juden infolge der erzwungenen Bekehrungen in der Vergangenheit, von denen die Ausweisung der Juden aus Spanien 1492 die bekannteste ist. Dieser Punkt ist irrelevant. Die Kirche ist im Niedergang und schafft es nicht einmal, nominale Katholiken zum Kirchgang zu bewegen, geschweige denn zu missionieren. Es gibt ein größeres Problem zwischen der Kirche und den Juden; es rührt her aus den völlig unterschiedlichen Vorstellungen, was es bedeutet, Israel zu sein.

Die katholische Kirche hat den Juden im letzten Jahr schweren Schaden zugefügt, als der Vatikan einen palästinensischen Staat anerkannte, bevor bilaterale Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern stattgefunden haben. Er tat dies, als nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch Deutschland und viele andere westliche Länder dies aus einem naheliegenden Grund verweigerten: Die palästinensische Führung will Staatlichkeit erreichen ohne ein Abkommen über die endgültige Einstellung der Feindseligkeiten und Anerkennung des Existenzrecht des jüdischen Staates. Die israelischen Premierminister Ehud Barak und Ehud Olmert haben jeweils Yassir Arafat und Mahmoud Abbas einen Staat angeboten, der 95 % der Westbank und die Hälfte von Jerusalem umfasste. Palästinenserpräsident Abbas erklärte kürzlich, dass er 2008 Olmerts Angebot “von Vornherein” ablehnte. Abbas versuchte nicht, ein besseres Abkommen auszuhandeln; er lehnte jedes Abkommen „von Vornherein“ ab, das Israel anerkannt hätte. Er tat dies, weil die große Mehrheit der palästinensischen Araber den Gedanken einer ständigen jüdischen Anwesenheit in ihrem historischen Heimatland nicht ertragen kann.

Staatlichkeit ohne endgültigen Friedensvertrag würde aus einem palästinensischen Staat eine weitere Plattform für Raketen- und Terrorangriffe auf Israel machen, wie den südlichen Libanon oder den Gazastreifen. Auf diese Weise, glauben die Palästinenser, könnten sie Israel zerstören. Die vatikanische Anerkennung von „Palästina“ unterstützte diesen Plan und setzt jüdisches Leben aufs Spiel. Aus meiner Sicht ist das ein weit schlimmeres Vergehen als Pius XII. Zurückhaltung, Hitler zu kritisieren. Die Katholiken können gern versuchen, mich zu bekehren. Das stört mich nicht. Wir Juden hatten schon einen Bund mit dem Schöpfer des Himmels 1300 Jahre bevor Jesus von Nazareth geboren wurde. Wir sind Gründungspartner. Selbst wenn Jesus sich als der Sohn des Chefs herausstellen sollte (was ich nicht glaube), haben wir unwiderrufliche Rechte. Aber die Anerkennung eines „palästinensischen Staates“ fügt uns wirklichen, handfesten Schaden zu: Sie legitimiert die palästinensische Besessenheit, die jüdische Anwesenheit in Eretz Israel zu beenden.

Jedoch glaube ich nicht im Entferntesten, dass Papst Franziskus diese Übereinkunft etwa aus Groll gegen die Juden geschlossen hätte. Christen verstehen Israel als eine geistige Einheit; sie stilisieren sich selbst als das Israel des Geistes, nicht als das des Fleisches. Für Juden ist „Israel des Geistes“ ein Widerspruch in sich, da das Judentum nicht einfach eine Ansammlung von Glaubensartikel ist, sondern das nationale Leben des jüdischen Volkes. Jüdische Nationalität und jüdische Religion sind unzertrennlich; nicht umsonst beteten wir nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. täglich drei Mal für die Rückkehr nach Zion. Das Judentum ist jetzt überwiegend eher eine israelische als eine Diasporareligion, und wenn die aktuellen Trends andauern, wird es in einer Generation fast völlig israelisch sein.

Das ist es, was Wyschogrod den Christen zu erklären versucht hat: Das Judentum ist eine Religion des Körpers, eine Anstrengung, das physische jüdische Volk zu heiligen, so dass es als Gefäß für Gottes Einwohnung (Schechina) auf Erden dienen kann. Von Gottes Bund mit Israel zu sprechen und zugleich den jüdischen Staat zu unterminieren, verrät nicht so sehr Heuchelei, als vielmehr eine völlige theologische Konfusion. Die Evangelikalen wissen es besser und unterstützen den Staat Israel und das gegenwärtige Volk Israel. Die vatikanische Erörterung über Gottes Bund enttäuscht intellektuell ebenso wie praktisch, indem sie von dem konkret vorhandenen Staat Israel abstrahiert. Mysterium, Schmysterium. Die Kirche könnte besseres tun, wie ich in einem 2008 erschienenen Essay (“Zionism for Christians” = Zionismus für Christen) in der (vornehmlich) katholischen Zeitschrift „First Things“ dargelegt habe.

Die Kirche missversteht den Islam ebenso grundsätzlich wie das Judentum. Christen können Gottes Verheißung an sie nicht bejahen, ohne zugleich Gottes Verheißung an die Juden zu bejahen. Der Islam aber kann seine eigene Legitimität nicht bejahen, ohne zugleich Gottes Verheißung an die Juden (und ebenso an die Christen) zu verneinen. Die Ansicht, dass die hebräische Bibel eine späte Fälschung sei, taucht nicht erst mit der modernen „höheren Kritik“ auf, sondern schon im 11. Jahrhundert bei dem islamischen Gelehrten Ibn Hazm, der behauptete, die Thora wäre eine nachexilische Kompilation des Schreibers Ezra. Wären die hebräischen Schriften authentisch, bestände keine Notwendigkeit für eine neue Offenbarung – außer vielleicht um die Araber als neues auserwähltes Volk an die Stelle der Juden zu setzen.

Der Islam ist fragil. Anders als Juden- und Christentum hat er die ätzende Kritik der Bibelkritiker nicht überlebt, die nach jahrhundertelanger Anstrengung nicht beweisen können, dass Jesus von Nazareth nicht gesagt hat, was die Evangelien ihm zuschreiben, oder dass Moses die Thora nicht vom Himmel am Berge Sinai empfangen hat. Ganz im Gegenteil hat die biblische Archäologie erschöpfendes Material zur Existenz des Reiches von König David vor 3000 Jahren bereitgestellt. Dagegen sind die Ursprünge des Islam so dunkel, dass Gelehrte behaupten können, dass der historische Mohammed nie existiert hat.

Es ist ein Karrierekiller (und vielleicht ein realer Selbstmord) solche Themen an heutigen Universitäten zu erörtern. Gelehrte dürfen christliche und jüdische, aber keine muslimischen Glaubenssätze in Zweifel ziehen. Ganz im Gegenteil ist es in der muslimischen Welt populär, jeden Zusammenhang der Juden mit dem Volk Israel zu bestreiten, was eine selbstauferlegte Schizophrenie ist. Ein undenkbarer, unerträglicher Gedanke lauert im Herzen des Islam, dass nämlich die Rückkehr der Juden nach Zion die Prophezeiungen über die Juden, auf Kosten der über die Muslime beglaubigt. Das ist der Grund, warum die lebendige Anwesenheit des jüdischen Volkes in seiner historischen Heimat und Hauptstadt eine existentielle Bedrohung für die muslimische Identität ist.

Zahlreiche Muslime (und die große Mehrheit der palästinensischen Araber) glauben, dass Israel schändliche Absichten gegen die Al-Aqsa Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem hegt. Das ist Unsinn, aber die gewalttätigen Emotionen, die als Antwort selbst auf geringfügige jüdische Anwesenheit auf dem Tempelberg ausbrechen, verraten die tiefe Unsicherheit der Muslime über die Rückkehr des jüdischen Volkes nach Zion. Darum werden die Palästinenser kein „Ja“ als Antwort von Israel akzeptieren. Die muslimische Welt fiel erst hinter Europa zurück, dann hinter Asien. Jüdischer Erfolg ist eine Demütigung, zu schwer zu ertragen für viele Muslime (und die meisten palästinensischen Araber). Ein Wandel in den Aussichten für den Nahen Osten würde einen grundlegenden Wandel in den muslimischen Gefühlen voraussetzen, und das wird nicht so bald geschehen.

 

[1] Ein Dibbuk ist nach jüdischem Volksglauben ein oft böser Totengeist, der in den Körper eines Lebenden eintritt und bei diesem irrationales Verhalten bewirkt.

[2] Der Golem ist um ein aus Lehm gebildetes, menschenähnliches Wesen von gewaltiger Stärke, das die Befehle seines Herrn ausführen muss, sozusagen ein jüdisches Gegenstück zu Frankensteins Monster.

Spengler auf Deutsch 16: Michael Wyschogrod, Nestor der orthodoxen jüdischen Theologen, stirbt mit 87 Jahren

Der Originalartikel erschien am 18. Dezember 2015 unter dem Titel „Michael Wyschogrod, Dean of Orthodox Jewish Theologians, Dies at 87“ im „Tablet Magazine

Der jüdische Philosoph Michael Wyschogrod starb am 17. Dezember (2015) im Alter von 87 Jahren nach einer langen Krankheit. Er war alt genug, um mit seinem Vater gegenüber der Berliner Hauptsynagoge gestanden zu haben, als diese in der „Kristallnacht“ (auch im Original deutsch) verbrannt wurde. Die Braunhemden entrollten eine Thorarolle auf der Straße und ließen Passanten für einen Groschen der Länge nach auf ihr herumtrampeln. Wyschogrod entkam aus Deutschland mit seiner Familie Anfang 1939, gerade als die Tore sich schlossen; er erhielt ein amerikanisches Visum dank eines Onkels in Atlanta, dessen Arbeitgeber einen amerikanischen Senator kannte. Er war ein „dem Feuer entrissenes Holzscheit“. Und vielleicht war er unsere letzte lebendige Verbindung zu der Begegnung der jeschiwa-erzogenen orthodoxen Juden mit der europäischen Philosophie.

Erzogen an einer jiddischsprachigen orthodoxen Ganztagsschule, der Jeschiwa „Vodaath“ in Brooklyn, bezog Wyschogrod die Columbia-Universität und promovierte mit einer Dissertation über Kierkegaard und Heidegger. Gleichzeitig besuchte er Rav Joseph Soloveitchiks Talmud-Kurs an der „Yeshiva University“. Er ermahnte gläubige Juden, abendländische Philosophie zu studieren, um ihre eigene Tradition besser zu verstehen, aber er bot eine spezifisch jüdische Lösung für die Krise der abendländischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Sein Einfluss war enorm. Rabbi Lord Jonathan Sacks sagte mir einst, Wyschogrod sei das, was einer systematischen Theologie des Judentums am nächsten komme. Aber in der Gemeinschaft, die er für den obersten Richter über sein Werk hielt, nämlich die der Thora befolgenden Juden, war sein Einfluss nicht so groß, wie er hoffte. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, und Wyschogrods zahlreiche Schriften werden jüdischen Gelehrten in den kommenden Jahren als Wegweiser dienen.

Sein bevorzugter christlicher Philosoph, Søren Kierkegaard, beschreibt den „Glaubensritter“, der in seiner Beziehung zu Gott so sicher ist, dass sein tägliches Leben eine Quelle der Freude wird. Wyschogrod war ein Ritter aus Kierkegaards Orden. In seiner Frau, der angesehenen Philosophin Prof. Edith Wyschogrod, fand er eine lebenslange Seelengefährtin, die ihm intellektuell ebenbürtig war. Als man Edith eine Stelle an der Rice-Universität in Houston anbot, zog Wyschogrod von der New Yorker zur Universität von Houston, und freute sich, Erstsemester zu unterrichten, welche die Bibel von Grund auf kannten. Sie hatten zwei Kinder und fünf Enkelkinder.

Michael Wyschogrod sah die Welt mit Ironie, aber ohne eine Spur von Verbitterung. Kurz vor seiner endgültigen Krankheit reiste er mit seinen Enkelkindern nach Berlin, um zu sehen, wo er seine Jugend verbracht hatte. Sich der Kristallnacht (auch im Original deutsch) erinnernd, merkte er an, dass die Berliner über das Wüten der Nazis keineswegs erbaut waren. Er scherzte über deutschen Antisemitismus, entwickelte enge Beziehungen mit deutschen Kollegen und sah sein Hauptwerk in deutscher Sprache erscheinen.

Seine Dissertation war das erste englischsprachige Werk über die Philosophie  Martin Heideggers, dessen Mitgliedschaft in der Nazipartei (und seine Weigerung, sich dafür zu entschuldigen) ein Skandal in der philosophischen Welt bleibt. Wyschogrod verweigerte jeden Kontakt mit Heidegger, aber beteiligte sich nie an den rituellen Exorzismen des Philosophen wegen seines Antisemitismus. Sehr viel interessanter – meinte Wyschogrod – ist, warum Heideggers Antisemitismus so gedämpft war; er weigerte sich beispielsweise, die Widmung an seinen jüdischen Lehrer Edmund Husserl von der 1935 erschienenen Edition seines Hauptwerkes zu entfernen. Es war bezeichnend für Wyschogrods Charakter, dass er es lohnender fand, zu verstehen als zu verurteilen.

Gottes Vorliebe für Israel war das große Thema von Wyschogrods eigenen Studien. Die jüdische Geschichte beginnt mit einem Akt unerklärlicher Liebe. Gott verliebt sich in Abraham und seinetwegen liebt er dessen Nachkommen. Wyschogrods meistgelesenes Buch, The Body of Faith[1], erklärt „das Judentum als eine Religion der Verkörperung, deren Zweck darin besteht, das reale, physische jüdische Volk zu heiligen, so dass es als Gefäß dienen kann für Gottes Einwohnung (Schechina) in dieser Welt. Sein Studium Kierkegaards und anderer christlicher Philosophen bekräftigte seine Ansicht, dass das Judentum eine inkarnierte Religion ist. Das Göttliche ist physisch präsent in dem jüdischen Volk. Ohne das christliche Konzept der Inkarnation zu kennen, schrieb Wyschogrod, hätte er die jüdische Tradition nicht derart genau verstanden.

Sein Lehrer, Joseph Soloveitchik, vermied theologische Dialoge mit Christen, obwohl er Dialoge über ethische und moralische Themen ermutigte. Wyschogrod war anderer Ansicht, und lieferte über ein halbes Jahrhundert herausragende Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog. Selbst wenn das Christentum Unrecht hat, einen menschlichen Gott zu verehren, argumentierte er, so wirft die christliche Idee der Inkarnation Licht auf ein grundlegendes jüdisches Konzept: das Gottes Einwohnung sich in dem physischen jüdischen Volk manifestiert. Wie die Weisen der Antike sagten: die Schechina ging mit dem jüdischen Volk nach der Zerstörung des Tempels ins Exil.

Anders als christliche Theologen, die jüdischen Partikularismus im Kontrast zu christlichem Universalismus sehen, betonte Wyschogrod, dass Gottes erste Liebe für Israel Liebe für die gesamte Menschheit nicht ausschließt. Im Gegenteil: „Wenn wir erfassen, dass die Auserwähltheit von Israel aus der Väterlichkeit entspringt, die sich auf alle, die nach dem Bild Gottes geschaffen sind, ausdehnt, dann finden wir uns selbst brüderlich verbunden mit allen Menschen, so wie Joseph, der von seinem menschlichen Vater bevorzugt wurde, sich selbst verbunden fand mit seinen Brüdern. Und wenn man dieses Mysterium bedenkt, dass der Ewige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, sich entschieden hat, der Vater seiner Kreaturen zu werden, statt selbstgenügsam er selbst zu bleiben, so wie das Absolute der Philosophen, dann schäumt im Menschen jener Lobpreis auf, der so rar geworden, aber so natürlich ist“.

Anstelle auf Aristoteles‘ „unbewegten Beweger“, wie Maimonides ihn in seinen philosophischen Schriften verstanden hat, schaute Wyschogrod auf den biblischen Gott, „El kanna“, den leidenschaftlichen (oder „eifersüchtigen“) Gott. Als Philosoph konzentrierte er sich auf Kierkegaards Behauptung, dass Leidenschaft die Quelle des Seins ist und dass des Menschen leidenschaftliche Beziehung zu Gott die uralten Paradoxe der Philosophie neu formuliere. Von Aristoteles bis Heidegger versuchte die abendländische Philosophie, Gott in ein logisches Raster zu zwingen, um so seine Existenz zu beweisen oder um zu versuchen, seine Attribute zu erkennen. „In solchen Erörterungen“, schrieb er, „wird angenommen, dass das Raster größer als Gott ist, und Gott wird dem Raster unterworfen. Aber der Gott Israels ist der Herr aller Raster und keinem unterworfen. Das ist die bemerkenswerte Macht Gottes; die Bibel zögert nicht, von ihm persönlich in anthropomorphen Begriffen zu sprechen. Sie zeigt einen Gott, der in die menschliche Welt und in eine Beziehung mit der Menschheit eintritt durch das Mittel der Sprache und des Befehls. Zur gleichen Zeit transzendiert dieser Gott die Welt, die er geschaffen hat, und ist keiner Macht oder Gewalt unterworfen“.

Der unerschrocken biblische Geist seiner Schriften trennte Wyschogrod von seinen Kollegen, den Philosophen. Seine Unstimmigkeit mit Rav Soloveitchik über die Frage des Dialogs mit Christen verblüffte die orthodoxe jüdische Welt. Und er war meist zerfallen mit den jüdischen Intellektuellen der 1950er und 60er, die Religion völlig ablehnten. In einem 1968 erschienenen Artikel zitierte er den früheren Herausgeber des „Commentary“-Magazins, Eliot Cohen, der diese Strömung als „selbst-hassende Juden“ qualifizierte, „die nur zu begierig waren, ihr Judentum zu begraben, wenn sie so Zutritt zu den literarischen Salons von Manhattan erlangen konnten“.

Gleichwohl wurde Wyschogrod viel gelesen. Während der 1970er und 80er genoss er nahezu Kultstatus unter jungen christlichen Theologen, und es war der methodistische Gelehrte R. Kendall Soulen, der die erste Sammlung seiner Essays unter dem Titel Abraham’s Promise (Abrahams Verheißung) publizierte. Soulen sah Hoffnung für Christen in Wyschogrods leidenschaftlichem Portrait von Gottes Liebe für Israel, er erklärte: Gott wünscht ebenso Erlöser der Welt zu sein, wie der Eine, dessen erste Liebe das Volk Israel ist“. Wie Wyschogrod schrieb: „Weil (Gott) sagte: Ich will die segnen, die dich segnen, und den verfluchen, der dich verflucht; in dir sollen alle Familien der Erde gesegnet sein (Gen. 12.3), hat er die Rettung und seine erlösende Sorge für das Wohlergehen der ganzen Menschheit an seine Liebe für das Volk Israel gebunden“.

Es war vielleicht beshert, daß Ravs Großneffe, Rabbi Meir Soloveichik dem Werk Wyschogrods begegnen würde – nicht an der Jeschiwa Universität, sondern in dem Werk christlicher Theologen – und seine Dissertation über Wyschogrod schreiben würde. So schrieb Meir Soloveichik 2009 in einem Essay für „First Things“: „Für Christen wie Soulen bedeutet das, dass Wyschogrod selbst den Kernpunkt, der Christen am meisten von Juden trennt – die Inkarnation von Jesus – in eine Aufforderung für Christen verwandelt hat, die Heiligkeit von Israel anzuerkennen. … Eine Welt, in der Juden physisch durch den fundamentalistischen Islam und moralisch durch den Säkularismus bedroht werden, eine Welt, wo Juden und Christen getrennte Wege gehen sollten, ist eine Welt, in der Israel – beide, das Volk und das Land – sehr allein sein würden. Und in einer Zeit, in der jüdische Theologie auf der einen Seite Relativismus und auf der anderen instinktive Antichristlichkeit ablehnen muss, ist, glaube ich, Michael Wyschogrod derjenige, der uns den Weg gewiesen hat“.

[1] Deutsche Übersetzung: Gott und Volk Israel. Dimensionen jüdischen Glaubens, Stuttgart (Kohlhammer) 2001.

Spengler auf Deutsch 15: Ted Cruz hat recht, die Neokonservativen anzugreifen

Der Originaltext erschien am 16. Dezember 2015 unter dem Titel „Ted Cruz is Right to Attack the Neocons” in PJMedia

Hillary Clinton hat nichts vorzuweisen. Die Familieneinkommen sind niedriger und die Welt ist gefährlicher. Donald Trump brachte es auf den Punkt, als er Chris Wallace sagte: “Hillary nennt mich gefährlich? Sie hat Hundertausende durch ihre Dummheit umgebracht“. Trump bezog sich auf die Kampagne der Obamaregierung, arabische Diktatoren wie Gadhafi in Libyen und Mubarack in Ägypten zu stürzen, was nach dem sogenannten „Arabischen Frühling“ zum Chaos im Nahen Osten beigetraten hat. Marco Rubio kann Hillarys desaströse außenpolitische Bilanz nicht kritisieren, weil – wie Ted Cruz mit Recht anmerkt – Rubio dieselbe dumme Politik unterstützt hat. Man stelle sich eine Cruz-Clinton Präsidentschaftsdebatte vor: Cruz kritisiert Hillarys Inkompetenz, die ein Chaos im Nahen Osten angerichtet hat. Hillary erwidert: „Aber die meisten Republikaner haben mich unterstützt!“ Cruz kontert: „Richtig. Ich trete an gegen Sie und gegen das Establishment meiner eigenen Partei“ Spiel, Satz, Sieg für Cruz.

Hier ein Wort des Trostes für meine neokonservativen Freunde. Es ist nicht persönlich, es ist rein geschäftlich. Ich bin selbst neokonservativ, ein Exlinker, der mit Reagan nach rechts ging, und habe meinen Speer in der Endphase des Kalten Krieges getragen. Ich war Chefökonom in Jude Wanniskis angebotsorientierter Beratungsfirma „Polyconomics“, die so neokonservativ wie nur möglich war, und gönne den Neokonservativen all ihr Verdienst für „Reaganomics“. Ich habe im „Commentary Magazine” und Irving Kristols „Public Interest” publiziert. Ich habe zwischen 1988 und 1993 die Welt bereist – Mexiko, Peru, Nicaragua und den größten Teil von Russland -, um das Reagan-Model zu promoten, und habe aus erster Hand gelernt, wie weltfremd die Annahme war, unser Modell könnte exportiert werden.

Jede Ideologie hat ein Verfallsdatum, und Ihr habt Eure seit langem überschritten. Henry Kissinger leistete diesem Land einen großen Dienst, indem er die Beziehungen mit China aufnahm, eine notwendige, wenn nicht gar allein ausreichende Bedingung, um den Kalten Krieg zu gewinnen. Aber Kissinger war gefangen im matten Kalkül der Entspannung, während Reagan den bedingungslosen amerikanischen Sieg über den Kommunismus vorhersah – und ohne euch Neokonservative hätte er ihn nicht erreicht. Jedoch, Ihr unterlagt einem gigantischen Irrtum, als Ihr annahmt, die Reagan-Revolution könnte in den Nahen Osten, nach Russland und China exportiert werden, und Ihr verspieltet den stärksten Trumpf, den eine Weltmacht je gehabt hat. Als George W. Bush sein Amt antrat, war Amerika die einzige Weltmacht, heute spielt es die zweite Geige nach Wladimir Putin. Niemand will mehr Eure Behauptungen hören, dass wir im Irak 2008 tatsächlich gewonnen hätten, und alles verloren hätten, weil Obama nicht einige Divisionen dort lassen wollte. Und als der „Arabischen Frühling“ anbrach, habt Ihr den einlaufenden Zug für das Licht am Ende des Tunnels gehalten. Ihr und die Obamagefolgschaft ward nicht nur „dumm, sondern dümmer”. Ihr glaubtet beide, eine muslimische Demokratie werde aus der islamistischen Opposition gegen die alten Diktaturen entstehen.

Für Ted Cruz seid Ihr ein Bauernopfer, so wie Henry Kissinger eins für euch war, als Reagan 1981 sein Amt antrat. Tim Alberta und Eliana Johnson verzeichnen eure Empörung in der National Review:

„Als Tex Cruz kürzlich während des Wahlkampfs in Iowa und dann wieder in einem Interview mit Bloomberg News die Neocons kritisierte, in dem Bestreben, sein eigenes Verständnis der amerikanischen Interessen zu verteidigen, war die Antwort einiger konservativer Außenpolitikexperten, von denen viele mit diesem Begriff verunglimpft worden waren, von Erschütterung, Ärger und Bestürzung geprägt: Er weiß, dass dieser Begriff im üblichen links- oder rechtextremen Sprachgebrauch ‚Kriegshetzer‘ meint, wenn nicht gar ‚jüdischer Kriegshetzer‘, sagte Elliott Abrams, ein früheres Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der Buchregierung und Angehöriger des Rates für Auswärtige Beziehungen (Council on Foreign Relations)“.

Das ist die gleiche Chuzpe wie von dem Mann, der seine Eltern ermordete, und dann den Richter um Gnade bat, da er doch Waisenkind sei. Der Terminus „Neocon“ ist zu einer Beleidigung geworden, weil er ein kohärentes und durchdachtes Ideengebäude meint, das schlechte Resultate erbracht hat. Zu behaupten, dass Ted Cruz Vorurteile gegen Juden schüre, ist einfach gehässig.

Nein, Cruz macht das Richtige. So wie Reagan Henry Kissinger geopfert hat, wird Cruz euch opfern. Es ist für das Gemeinwohl. In den letzten acht Jahren hat die Republikanische Partei die Sünden von George W. Bush getragen wie die Ketten von Marleys Geist[1]. Die amerikanische Öffentlichkeit wird nicht so leicht vergessen, dass sie Opfer für den Irak und Afghanistan bringen musste und damit nichts erreicht hat. Ein Bruch mit Bushs Politik erhöht die Aussichten auf einen republikanischen Sieg erheblich. Rubio kann das nicht, wohl aber Cruz. Wie Kissinger solltet ihr euch im Glanz eures früheren Ruhmes sonnen, und anderen die Verantwortung überlassen. Geht mit Gott. Aber geht!

 

[1] Romanfigur in Charles Dickens‘ Weihnachtserzählung (1843).

Spengler auf Deutsch 14: Chanukka – Ein Signalfeuer der Generationen

Das Original erschien unter dem Titel „Hannukkah: A Beacon Across Generations“ am 13. Dezember 2015 in PJ-Media

Einer der ergreifendsten Momente des abendländischen Kinos ist die Entzündung der Signalfeuer in Peter Jacksons Verfilmung der “Rückkehr des Königs”. Mit ihnen werden die Reiter von Rohan aufgeboten, um der belagerten Stadt Minas Tirith zu Hilfe zu eilen. Von Gipfel zu Gipfel wird das Feuer entfacht; die lange Wache der einsamen Wächter endet, als das Signal durch Raum und Finsternis eilt, es den freien Völkern des Westens den Mut gibt, zusammen aufzustehen gegen das Aufgebot des Bösen in Mordor. Das Blut steigt und das Herz klopft, wenn die kleinen Lichtpunkte über den weiten Bergen sichtbar werden.

Heute Nacht vollenden Juden in der ganzen Welt das achttägige Chanukkafest, entzünden acht Kerzen in den Fenstern ihrer Häuser. Für das jüdische Volk, vor der Gründung des Staates Israel für zwei Jahrtausende zerstreut über die Welt, sind die Flammen der Chanukkaleuchter wie Tolkiens Signalfeuer, aber eher durch die Zeit, als durch den Raum.

Chanukka (Einweihung) erinnert an die Reinigung des Tempels von Jerusalem, nachdem eine jüdische Armee die Eindringlinge der griechischen Seleukidendynastie 165 v. Chr. vertrieben hatte. Aber es ist mehr als diese Erinnerung: die Kerzen, die wir in jüdischen Häusern während der acht Festtage entzünden, entzünden die ewige Flamme des Tempels selbst, das Symbol der Schechina, Gottes Einwohnung auf Erden. Wir sind dankbar für den militärischen Sieg über die seleukidischen Invasoren und erwähnen ihn in unseren Festtagsgebeten, aber er war kurzlebig. Die hasmonäische Dynastie, die Israel für das nächste Jahrhundert regierte, degenerierte, und Israel wurde 65 v. Chr. de facto ein römisches Protektorat. Unsere Revolte gegen römische Unterdrückung endete mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. und unserem langen Exil. Der Tempel war zerstört und der Rabbiner der Antike erklärten, dass die Schechina mit dem jüdischen Volk ins Exil ging. Die ewige Flamme des Tempels war von den Römern ausgelöscht, aber neuentzündet in jedem jüdischen Heim. In der Armut, Verfolgung und Demütigung des Exils wurden jüdische Familien ein Tempel im Exil, und die Neuentzündung des Tempellichts von 165 v. Chr. wurde ein Akt der Neuentzündung in jedem Heim.

Die antiken Rabbiner lehrten, dass der zerbrochene Altar des Tempels von Jerusalem der Sabbat-Tisch des jüdischen Hauses ist. Als Nachfolger des Tempels ist das jüdische Heim heilig, so heilig, dass selbst Engel am Vorabend des Sabbats nicht verweilen, wie eine rabbinische Autorität versichert. Die Schechina verweilt im jüdischen Heim am Sabbat und ihr Träger ist die Frau, welche die Sabbatkerzen entzündet und segnet. Sie lässt den Leuchter des Tempels, die Menora, wiederaufleben; ihren Raub durch die römischen Armeen sieht man heute noch dargestellt im Triumphbogen des Titus auf dem römischen Forum.

In der langen Nacht des Exils war es gefährlich, ein Jude zu sein, und es ist immer noch gefährlich, ein Jude in Israel zu sein, geschweige denn in Frankreich. Ich bewundere den Mut meiner Vorfahren in diesen finsteren Zeiten, als ihr Leben von der Duldsamkeit ihrer Nachbarn abhing, die ihnen kaum wohlgesonnen waren, und der Willkür von Herrschern, die sie schützen oder verfolgten, wie es ihnen gefiel. Was ihnen den Mut gab, sich durch so viele Jahrhunderte gefährdeter Existenz durchzusetzen, war die Kameradschaft aller Generationen Israels. Wie die Signalfeuer von Minas Tirith rufen die Chanukkalichter ganz Israel zu unserer Hilfe, all die, die vor uns kamen, und all die, die uns folgen werden, in einer Umwidmung der ewigen Flamme.

„Nicht durch Macht, nicht durch Stärke, aber durch meinen Geist, sagte der Herr der Heerscharen“, lesen wir bei Sacharja über den Sabbat, der auf das Fest fällt. Dieser Geist flimmert für uns in den Chanukka-Lichtern, sie verbinden uns mit Israels Generationen. Das ist der Brunnen unserer Stärke und die Quelle unseres Trostes.

Spengler auf Deutsch 13: Wie trennt man gewalttätigen von friedlichem Islam?

Das Original erschien unter dem Titel „Separating violent and peaceful Islam“ am 11.  Dezember 2015 in Asia Times

Eine diabolische Logik trieb Donald Trump, ein Einreiseverbot für Muslime vorzuschlagen: Wenn die amerikanische Regierung nicht zwischen friedlichen und gewalttätigen Muslimen unterscheiden könne, dann solle sie die Tür für beide schließen. Trumps Instinkt für Politik als Reality-Show fördert seine Ergebnisse in republikanischen Umfragen, da Amerikaner Terrorismus derzeit als ihre Hauptsorge ansehen. Rasmussen (ein amerikanisches Meinungsforschungsinstitut) zufolge unterstützen 46 % gegen 40 % der amerikanischen Wähler Trumps Idee. Unter Republikanern beträgt die Spanne 66 % gegen 24 %.

In aller Regel sind Amerikaner nicht bigott, aber der Ausbruch des Dschihad-Syndroms letzte Woche[1] hat sie überzeugt, dass etwas nicht stimmt, und dass der gesamte Mechanismus der muslimischen Immigration gestoppt werden muss, bis das Problem gelöst ist. Sie wissen sehr gut, dass manche Muslime in Frieden mit Nicht-Muslimen leben und andere Muslime die Welt in Brand stecken wollen, aber sie wissen nicht, wie man beide unterscheiden kann. Seit Informationen über die langjährigen Terrorkontakte des Pärchens in die Presse druchsickerten, traut die Öffentlichkeit auch ihren Beschützern nicht mehr zu, den Unterschied zu kennen. Das ist die Lektion, die sie von dem Dschihad-Bonnie-und-Clyde-Pärchen von San Bernardino gelernt hat.

Trump hat seine Worte sorgfältig gewählt: „Bis wir fähig sind, dieses Problem und die gefährliche Bedrohung, die es darstellt, zu erkennen und zu verstehen, kann unser Land nicht das Opfer schrecklicher Angriffe vom Leuten sein, die allein an den Dschihad glauben und die keinen Sinn für Vernunft oder Respekt für menschliches Leben haben“. Das ist boshaft. Die Obamaregierung, wie vor ihr die Bushregierung, fördert muslimische Organisationen, die sich an der Grenze zwischen friedlicher Vertretung muslimischer Interessen und Terrorismus bewegen. Und das Zentrum dieser Organisationen ist die Muslimbruderschaft, wie ich in einem früheren Artikel dargelegt habe. Trump weiß sehr wohl, was die Obamaregierung tut, und sagt im Grunde: „Wenn unsere gewählten Politiker nicht zwischen friedlichen und gewalttätigen Muslimen unterscheiden können, dann sollten wir sie alle draußen halten“.

Ich hätte nicht gedacht, dass der Tag kommen würde, wo ich Amerikaner ermahnen würde, Verständnis und Nachsicht gegenüber dem Islam zu zeigen. Tatsächlich ist der Islam weder eine Religion der Gewalt, noch eine Religion des Friedens: er ist ein doppeldeutiges Gerüst aus Glaubenssätzen, unter denen der Muslim Frieden oder Gewalt nach seinem Belieben wählen kann. Alle Muslime für Taten von den Muslimen zu benachteiligen, die Gewalt wählen, ist ebenso moralisch fehlgeleitet wie strategisch dumm. Es weist diejenigen Muslime zurück, die ausdrücklich eine friedliche Interpretation vertreten, beispielsweise den Präsidenten des größten arabischen Landes, Ägyptens Präsidenten Al-Sisi. In ihrem eigenen Interesse sollten westliche Länder eine klare Grenze zwischen friedlichem und gewalttätigem Islam ziehen.

Es ist nicht sonderlich schwierig, das Schaf von der dschihadistischen Ziege zu trennen, da ein offener Krieg zwischen den beiden Interpretationen des Islam entbrannt ist. Das Problem ist, dass die Vereinigten Staaten auf der falschen Seite stehen: das gesamte außenpolitische Establishment, linke Obamaanhänger und neokonservative Bushisten haben geglaubt, Demokratie im Nahen Osten würde aus dem politischen Islam entstehen und die alten arabischen Diktaturen ersetzen. Die amerikanischen Nachrichtendienste haben versagt, weil sie durch politische Filter behindert waren.

Der Abendländer, der versucht, im Islam einen Sinn zu finden, sollte das kurze Buch von Samir Khalil SJ. konsultieren, einem Jesuiten arabischer Herkunft, der Papst Benedikt XVI. beriet. 111 Questions on Islam (111 Fragen zum Islam) Ignatius Press, 2008 erklärt, dass beide – die gewalttätige wie die friedliche Interpretation des Islam – innerhalb der eigenen Begrifflichkeit des Islam gerechtfertigt sind, und dass der spezielle Charakter der islamischen Tradition es unmöglich macht, eine von beiden rein aufgrund theologischer Gründe auszuschließen. Wie viele arabische Christen steht Samir Israel feindselig gegenüber und ich verabscheue seine Sicht der nahöstlichen Politik. Als Islamgelehrter jedoch hat er wichtige Einsichten zu bieten. Er erklärt:

„Viele Abendländer fürchten den Islam als eine ‚Religion der Gewalt‘. Muslime verlangen oft gleichzeitig nach Toleranz und Verständnis ebenso wie nach Gewalt und Aggression. Tatsächlich sind beide Optionen im Koran und in der Sunna vorhanden. Das sind zwei legitime Arten, zwei unterschiedliche Weisen, den Islam zu interpretieren, zu verstehen und zu leben. Es ist dem individuellen Muslim aufgegeben, zu entscheiden, welchen Islam er will… (S. 18).

… Wenn der Koran tatsächlich von Allah gesandt worden ist, dann besteht keine Möglichkeit einer kritischen oder historischen Interpretation, auch nicht für solche Aspekte, die sich offensichtlich auf die Gebräche einer bestimmten historischen Epoche oder Kultur beziehen. An einem bestimmten Punkt in der Geschichte des Islam wurde entschieden, dass es nicht länger möglich ist, den Text zu interpretieren. Daher wird heute selbst der bloße Versuch, seine Bedeutung zu verstehen, und zu ergründen, welche Botschaft er in einem bestimmten Kontext übermitteln will, als der Wunsch angesehen, ihn zu bestreiten, … (S. 42).

…Auch in heutigen Zeiten hat man viele Anstrengungen in diese Richtung gemacht, aber fast immer vergebens. Das Gewicht der Tradition und vor allem die Angst, die erlangte Sicherheit des Textes in Frage zu stellen, haben ein Tabu geschaffen: Der Koran kann weder interpretiert noch kritisch hinterfragt werden… (S. 43).

…Ich spreche über die Gewalttätigkeit, die im Koran ihren Ausdruck findet und in Mohammeds Leben praktiziert wurde, um eine im Westen verbreitete Vorstellung zu thematisieren, dass die Gewalt, die wir heute sehen, eine Deformation des Islam ist. Wir müssen aber ehrlicherweise anerkennen, dass zwei Lesarten des Koran und der Sunna (islamische Traditionen über Mohammed) möglich sind: eine, die für die Verse optiert, die Toleranz gegenüber Andersgläubigen ermutigen, und eine, welche die Verse bevorzugt, die Konflikt ermutigen. Beide Lesarten sind legitim… (S. 65).

…Infolgedessen stellt der Koran zwei Möglichkeiten zur Wahl, die aggressive und die friedliche; beide sind möglich. Es fehlt an einer Autorität, die von den Muslimen einmütig anerkannt wird, die sagen könnte: Von jetzt an ist nur dieser Vers gültig. Aber eine solche existiert nicht – und wird vielleicht nie existieren… (S. 71).“

Als Präsident Al-Sisi vor einer klerikalen Hörerschaft an der al-Azhar Universität am 1. Januar (2015) sprach, verlangte er, dass Muslime Gewalt ablehnen und Friede mit Nichtmuslimen wählen sollen:

„Das Problem war nie unser Glaube. Das Problem liegt in unserer Ideologie, die von uns geheiligt worden ist … Wir müssen einen schmerzhaften und schwierigen Blick auf unsere aktuelle Situation werfen. Es ist unfassbar, dass die Ideologie, die wir geheiligt haben, dazu beiträgt, unsere Nation zu einer Sorge, einer Gefahr, zu Mord und Verderben in der ganzen Welt zu machen. Es ist unfassbar, dass diese Ideologie – ich spreche nicht von Religion, sondern Ideologie – das heißt der Korpus von Ideen und Texten, die wir über Jahrhunderte geheiligt haben, an einem Punkt gelangt ist, wo es fast unmöglich geworden ist, sie zu bestreiten. Diese Ideologie hat einen Punkt erreicht, wo sie eine Bedrohung für die Welt geworden ist. Es ist unfassbar, dass 1,6 Milliarden Muslime den Rest der Menschheit bzw. 7 Milliarden Menschen umbringen wollen, nur um unter ihresgleichen zu leben. … Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Wir müssen unsere Religion revolutionieren. Ehrwürdiger Iman der Großen Al-Azhar-Moschee, sie tragen diese Verantwortung vor Gott. Die ganze Welt erwartet ihre Worte, weil die islamische Nation zerfällt und sich selbst zerstört. Sie läuft direkt ins Verderben und wir sind es, die verantwortlich sind.“

Ägyptens leitender Politiker handelt wie er spricht. Er hat die zur Gewalt neigenden Islamisten der Muslimbruderschaft unterdrückt und führt einen unerklärten Krieg gegen die Islamisten im Sinai und die Terroristen in den ägyptischen Großstädten. Er hat die Hamas, den palästinensischen Zweig der Bruderschaft, eingedämmt und die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel verbessert. Al-Sisi repräsentiert eine Hauptströmung des friedlichen Islam (im Gegensatz zu einigen kleinen Sekten, wie die türkischen Sufis, die friedlich, aber irrelevant sind).

Präsident al-Sisi sprach offen von einer “Ideologie, die wir geheiligt haben“, der Ideologie des Dschihad. Das ist eine sehr mutige Aussage. Der Islam ist nicht notwendigerweise gewalttätig, aber er hat – anders als das Christen- oder Judentum – eine Neigung zur Gewalt. Schon der große jüdische Theologe Franz Rosenzweig schrieb vor nahezu einem Jahrhundert: „Das Wandeln auf dem Weg Allahs bedeutet im engsten Sinn die Ausbreitung des Islam durch den Glaubenskrieg. In dem gehorsamen Beschreiten dieses Weges, dem Aufsichnehmen der damit verbundenen Gefahren, dem Befolgen der dafür vorgeschriebenen Gesetze findet die Frömmigkeit des Muslims ihren Weg in die Welt.”

Die Muslimbruderschaft ist der heiße Brei, um den alle herumreden. Die Bush- wie auch die Obamaregierung zogen Mitglieder der Bruderschaft als Berater für Antiterrormaßnahmen und freundschaftliche Kontakte mit amerikanischen Muslimen heran. Clare Lopez, ein früherer CIA-Offizier, enthüllt das in einem Bericht für das “Gatestone Institute”. Frank Gaffney, ein ehemaliger Beamter der Reaganregierung, hat eine Reihe von Internetvideos über dieses Thema produziert. Die Bruderschaft versucht, die Grenze zwischen einer friedlichen und einer gewalttätigen Verbreitung des Islam zu verwischen. In Ägypten und Gaza gebraucht sie Gewalt; in den USA beanspruchen ihre Frontorganisationen, friedliche Methoden zu gebrauchen.

So schrieb der ehemalige “Defense“-Reporter” (und „Asia Times“-Mitarbeiter) Bill Gertz kürzlich in der „Washington Times“:

„Auch weiterhin unterstützen Präsident Obama und seine Regierung die militante und global operierende islamistische Gruppe, bekannt als Muslimbruderschaft. Ein Strategiepapier des Weißen Hauses betrachtet die Gruppe als eine moderate Alternative zu stärker gewalttätigen islamistischen Gruppen wie Al-Qaida und dem Islamischen Staat. Diese Politik, die Muslimbruderschaft zu unterstützen, wird in einer geheimen Direktive skizziert, genannt Presidential Study Directive-11 oder PSD-11. Die Direktive wurde 2011 erlassen und dient – nach Angaben von Kennern der geheim gehaltenen Direktive – als Leitfaden für die Unterstützung politischer Reformen im Nahen Osten und Nordafrika durch die (amerikanische) Regierung. Die Direktive zeigt, warum die Regierung die Muslimbruderschaft, die im letzten Jahr von den Regierungen Saudi-Arabiens, Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate als terroristische Organisation eingestuft worden ist, als wichtiges Instrument amerikanischer Unterstützung für sogenannte politische Reformen im Nahen Osten ausgewählt hat….“

Die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate hat auch zwei amerikanische Tochterorganisationen der Muslimbruderschaft, den „Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen“ (Council on American-Islamic Relations) und die „Muslimisch-Amerikanische Gesellschaft“ (Muslim American Society), als terroristische Unterstützergruppen eingestuft. Beide Organisationen weisen diese Anschuldigung zurück. Ägypten erwägt die Todesstrafe über Mohammed Mursi zu verhängen, den früheren, von der Muslimbruderschaft unterstützten Präsidenten, der im Juli 2013 durch einen Staatsstreich des Militärs gestürzt wurde. In Ägypten führt die Bruderschaft einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Al-Sisi-Regierung. So hat die Obamaregierung sich selbst mit den entschiedenen Feinden der Muslime verbündet, die eine friedliche Interpretation des Islam befürworten.

Trumps Vorschlag ist demagogisch; Ted Cruz dagegen hat eine machbare Lösung vorgeschlagen. Gemäß einer Presseerklärung seines Büros hat er am 4. November eine Gesetzesinitiative eingebracht, “sie forderte den Außenminister auf, die Muslimbruderschaft als eine auswärtige terroristische Organisation einzustufen. Die Vereinigten Staaten haben individuelle Mitglieder, Teile und Wohltätigkeitsorganisationen der Muslimbruderschaft als Terroristen eingestuft, nicht aber die Organisation insgesamt“. Die Erklärung fügt hinzu:

“Die Initiative anerkennt das einfache Faktum, dass die Muslimbruderschaft eine radikale islamistische Terrororganisation ist. Jahrelang haben amerikanische Präsidenten beider Parteien verschiedene Tochterorganisationen der Bruderschaft wie die Hamas und Ansar al-Sharia als Terrororganisationen eingestuft. Sie haben individuelle Führer der Muslimbruderschaft wie Shaykh Abd-al-Majd Al-Zindani, einen Komplizen des Angriffs auf die USS Cole[2], und Sami Al-Hajj, der 2001 an der afghanisch-pakistanischen Grenze verhaftet wurde, weil er Geld und Waffen für Al-Kaida organisierte, als Terroristen eingestuft. Wir können heute die Vorstellung abweisen, dass ihre Rahmenorganisation eine politische Einheit wäre, die in irgendeiner Weise von diesen gewalttätigen Aktivitäten getrennt wäre“, sagte Senator Cruz. „Eine Reihe unserer muslimischen Verbündeten hat diese vernünftige Maßnahme bereits ergriffen, darunter Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Wie der Gesetzesentwurf ausführt, ist eIss das erklärte Ziel der Bruderschaft, einen gewalttätigen Dschihad gegen ihre Feinde zu führen, und unsere Gesetzgebung sollte begreifen, dass die Vereinigten Staaten ebenfalls auf ihrer Liste stehen.“

Die Bruderschaft als eine terroristische Organisation einzustufen, ebenso wie Amerikas arabische Verbündete es getan haben, würde die vorsätzlich verwischte in eine klare Grenze verwandeln. Marco Rubio hat Cruz angegriffen, weil er dagegen war, mehr Spielraum beim Abhören heimischer Telefone einzuräumen. Aber das ist zweitrangig. Der Fehlschlag der Nachrichtendienste hat seinen Grund nicht im Mangel an Daten, sondern an der Weigerung das Offensichtliche anzuerkennen.

[1] Anspielung auf den islamistischen Terroranschlag von San Bernardino am 2. Dezember 2015.

[2] USS = United States Ship – Schiff der amerikanischen Kriegsmarine.

Spengler auf Deutsch 12: Das republikanische Establishment attackiert Cruz, um von seinen eigenen Dummheiten abzulenken

Das Original erschien unter dem Titel “The Republican Establishment Attacks Cruz to Cover Its Own Blunders” am 11. Dezember 2015 in PJMedia.

Seit die Details aus San Bernardino über das dschihadistische Bonnie-und-Clyde-Pärchen an die Presse durchsickern, ist die amerikanische Öffentlichkeit bestürzt, zu erfahren, dass das Killerpaar seit Jahren eine radikale Spur hinterlassen hat, einschließlich Verbindungen zu einem verurteilten Terroristen und einer zwei Jahre alten Online-Diskussion zwischen Syed Farook und Tashfeen Malik[1], die ihre dschihadistischen Sympathien zeigen. Ein Fehler der Nachrichtendienste hat amerikanisches Leben gekostet. Fairerweise muss man zu Gunsten der amerikanischen Dienste sagen, dass die 80 Milliarden Dollar, welche die USA jährlich für ihre Schlapphüte ausgeben, einen erneuten elften September kaum ausführbar erscheinen lassen. Gleichwohl kann die Ermordung von vierzehn Amerikanern auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als unwichtig abqualifiziert werden.

Mehr Lauschangriffe durch die National Security Agency – ein Streitpunkt zwischen den Senatoren Cruz und Rubio – würden das Resultat nicht geändert haben. Unsere Verwundbarkeit gegenüber Terroristen hat ihre Ursache vielmehr in einem politischen Fehler großen Ausmaßes: dem Glauben, Demokratie in der muslimischen Welt würde sich aus der islamistischen Bewegung selbst entwickeln, beispielsweise aus der Muslimbruderschaft oder dem islamistischen Regime des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan. Das gesamte Establishment in Washington – Obama, McCain, der „Weekly Standard“, das „Wall Street Journal“ etc. – verlangten 2011 die Köpfe von Mubarak in Ägypten und Gaddafi in Libyen mit desaströsen Folgen. Als die Breitseite des „Wall Street Journal“ vom 2. Dezember Ted Cruz als republikanischen Obama darstellte, überging es Senator Cruz‘ Behauptung, der Sturz arabischer Diktatoren, die keine Bedrohung für uns waren, habe den Terroristen geholfen.

Die neokonservativen Versuche, ihre Aktionen im Nachhinein zu rechtfertigen, sind einfach dumm. „Unser Vorgehen beseitigte zumindest das Gaddafiregime, war aber ein politischer Fehlschlag, da die Preisgabe von Libyen nach Gaddafis Sturz die Entstehung dschihadistischer Gruppen ermöglichte, als das Land ins Chaos stürzte“, schreiben die Herausgeber des „Wall Street Journal“. Glauben sie wirklich, die amerikanische Öffentlichkeit hätte es akzeptiert, ein weiteres Land zu besetzen, das von Stammeskriegen zerrissen wird? Hätte, hätte, Fahrradkette. Irak war ein Erfolg, außer dass wir zu früh abzogen, Afghanistan auch, nehme ich an. Syrien wäre ein Erfolg gewesen, wenn wir nur den „moderaten Sunniten“ mehr geholfen hätten, die nur leider niemand finden kann.

In einem Artikel in Asia Times habe ich erläutert, dass unsere Unfähigkeit, zwischen Dschihadisten und Muslimen, die wirklich an den Frieden glauben, zu unterscheiden, das Resultat unserer Entscheidung ist, die falsche Partei in dem anhaltenden Krieg zwischen gewalttätigem und friedlichen Islam zu ergreifen, insbesondere in Ägypten. Leider traf dies für die Bushregierung in gleicher Weise wie für die Obamaregierung zu.

Ein Punkt in der Tirade des Wall Street Journal ist besonders abstoßend: Er beschuldigt Cruz, er argumentiere, dass die Kurden unsere Bodentruppen seien:

[Die Kurden] kämpfen gerade jetzt gegen ISIS, aber ihre Waffen sind weitgehend veraltet, da ISIS über amerikanische Waffen verfügt, die er im Irak erbeutete‘, sagte Herr Cruz. Auf die Frage, ob die Vereinigten Staaten Truppen entsenden sollten, antwortete der Senator: Wir haben Bodentruppen. Die Kurden sind unsere Bodentruppen.”

Die Kurden versuchen, ISIS zu bekämpfen, während die Türkei sie bombardiert und Truppen über die irakische und syrische Grenze schickt, um sie anzugreifen. Die Vereinigten Staaten haben Erdogan unterstützt, seit die Bushregierung ihn 2004 ins Boot holte, ihn nur gelegentlich zurechtgewiesen, wenn er etwas außergewöhnlich Abscheuliches tat. Alles was wir tun müssen, ist bekanntzumachen, dass wir einen kurdischen Staat unterstützen und den Kurden die Waffen liefern, die sie benötigen – einschließlich Flugabwehrraketen –; und sie werden ISIS in Nordsyrien und dem Irak den Garaus machen. Einer ist immer der Angeschmierte, wie Sam Spade zu Fatman[2] sagte, und der wäre eben die Türkei.

[1] Die beiden Attentäter des Terroranschlags von San Bernardino am 2. Dezember 2015.

[2] Romanfiguren aus Dashiell Hammetts „Der Malteser Falke“.

Spengler auf Deutsch 11: Ewige Jugend und lebendiger Tod

Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Eternal youth and living death“ in der “Claremont Review of Books” am 4. Dezember 2015 und dann in „Asia Times“ am 9. Dezember 2015.

Die Popkultur hat so etwas noch nie gesehen. „Nie da gewesene Ratings, eine beispiellose Fan-Gemeinschaft und Veranstaltungen, wie keine andere Show sie je hervorgerufen hat“, schwärmte Troy Smith in „Cleveland.com“ am 13. Oktober. „In der Nacht vom letzten Freitag zog ‚The Walking Dead‘ (‚Die wandelnden Toten‘) mehr als 13.000 zombieverrückte Fans zum Madison Square Garden in New York City zu einer besonderen Premiere von Staffel 6“. Ein solcher Grad von Enthusiasmus für ein Genre, das man vor einer Generation höchstens in B-Filmen traktiert hat, ist eine der merkwürdigsten und aufschlussreichsten Züge der amerikanischen Popkultur.

In den 1930ern, als “Universal Studios” seine klassischen Monsterfilme herausbrachte, war einer von 300 Filmen ein Horrorfilm. Monster waren damals anders: exotische Importe, Spaßbremsen, die einfach nicht dazugehörten. Wir Menschen fanden immer ihre versteckten Schwächen, dann trieben wir einen Pfahl in ihr Herz. Jedoch, gegen Ende des Vietnamkrieges, begannen die Monster erstmals zu gewinnen. In „Rosemaries Baby“ zeugte Satan erfolgreich einen Erben und in „Das Omen“ radierte des Teufels Kind die Konkurrenz aus.

Aus dem Horrorgenre, also Filmen mit einem ausdrücklich übernatürlichen Element, kam vor zehn Jahren kaum eines von 25 Produkten der Filmindustrie. 2013 ist dieses Verhältnis auf eins von acht angestiegen. Horrorfilme berühren eine Reihe wunder Punkte in der amerikanischen Psyche. Vampire verkörpern eine perverse Erotik, was Anne Rice geschmackloserweise explizit gemacht hat. Satanische Weltuntergangsgeschichten thematisieren eine allgemeinere Angst. Frankensteins Monster und seine Nacheiferer sprechen unsere Angst vor der Technik an. Intelligente Drehbücher und hochentwickelte Schauspielkunst haben gelegentlich ihren Weg zu diesen Themen gefunden.

Am merkwürdigsten aber an diesem Horrorboom ist die Popularität von Zombies. Von allen Hollywoodmonstern waren Zombies die letzten, die den Durchbruch schafften. Beginnend 1932 mit „White Zombie“, einem kleinen Bela Lugosi-Film, traten Zombies in gerade sechs Filmen während der 1930er auf, acht während der 1940er, dreizehn in den 1950ern, und vierzehn zwischen 1960 und 1968. Zombies füllten eine winzige Nische innerhalb einer Nische, als Horror selbst noch ein exotisches Genre war.

1968 war das Jahr der Tet-Offensive, der Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy und der weltweiten Studentenunruhen. Es ist auch das Jahr in dem „Die Nacht der lebenden Toten“ erstmals Zombies aus einem karibischen Schauplatz in das amerikanische Herzland verpflanzten. Wir haben seither nahezu 2.600 Zombiefilme gesehen – 500 mehr als Vampirfilme, und nahezu 1000 mehr als Cowboyfilme. Wenn der Cowboy sinnbildlich für das Amerika in der Zeit von Frederick Jackson Turner[1] war, so legen die Zahlen nahe, dass heute Zombies ebenso repräsentativ sind.

Das ist umso merkwürdiger, als Zombies höchst langweilig sind. Monster können unser Interesse aus einer Reihe von Gründen fesseln – warum aber bevorzugen wir unter all den Monstern ausgerechnet Zombies? „Gespräch mit einem Vampir“ war ein Beststeller. „Gespräch mit einem Zombie“ wäre ein Sketch für „Saturday Night Live“ (eine amerikanische Comedy-Show). Was auch immer man von dem Vampir-Subgenre halten mag, es bietet doch Möglichkeiten für Charakterdarsteller. Werwölfe sind tragisch und erregen – außer bei Vollmond – unsere Sympathie. Jack Nicholson und Anthony Hopkins spielten Lykanthrophen, während Klaus Kinski und Gary Oldman Dracula porträtierten. Aber wie viele Filmstars haben Zombies dargestellt, die weder sprechen, noch Persönlichkeit haben? (Gelegentliche Ausnahmen, wie der feinfühlige und das Fleisch von Teenagern essende Zombie R in „Warm Bodies“ aus dem Jahre 2013 bestätigen die Regel. Hollywood hat lediglich die Genres gemischt).

Abgesehen von Zombiefilmen wiederholen lediglich Pornos unablässig denselben Plot, erfordern kein darstellerisches Geschick und werden obsessionell von einem Massenpublikum gesehen. Die Handlung ist irrelevant, die Dialoge sind witzlos. Die Faszination liegt in dem Bild, nicht in den Charakteren oder dem Erzählbogen. Der Akt fesselt des Zuschauers Aufmerksamkeit und bietet anhaltende Faszination, wenn ein Schauspieler nach dem anderen ihn vollzieht.

Menschen sehen sich nicht ein und dieselbe Handlung wieder und wieder an, wenn sie nicht ein inneres Bedürfnis anspricht. Pornos dienen nicht zur sexuellen Stimulation. Im Gegenteil, anhaltender Pornokonsum untergräbt die Fähigkeit, Genuss zu empfinden. Aber die voyeuristische Obsession nach fruchtbarem jungem Fleisch nährt unseren inneren Drang, unsere physische Existenz zu regenerieren, insbesondere, wenn wir uns dem Verfalldatum nähern.

* * *

Zombiefilme – Todespornos – sind das Gegenstück zum Kult der ewigen Jugend, die eine Art lebender Tod ist. Wir mögen das Sein zum Tode durch das Sein durch Botox ersetzt haben, aber wir können uns nicht immer anlügen. Jetzt, da wir spirituell statt religiös geworden sind, begegnen wir dem Schrecken und dem Horror des Todes nicht mehr in der Kirche. Aber Schrecken und Horror sind geblieben und in die Volkskultur eingebrochen. Wir sind vom Tod ebenso besessen wie unsere mittelalterlichen Vorfahren. Somerset Maughams Novelle „Begegnung in Samarra“ kommt einem in den Sinn: Wir sind aus den Kirchen geflohen, um nicht mehr an den Tod zu denken, während der Tod im Kino auf uns wartet.

Die Invasion der Zombies zeigt, was für einen Schund uns die Psychoanalytiker verkaufen, die falschen Propheten einer Ersatzreligion. Um offenbarte Religion, die dem Menschen eine Antwort auf seine Sterblichkeit gibt, zu ersetzen, lenken sie unsere Aufmerksamkeit ab. „Der eigene Tod ist ja auch unvorstellbar, und sooft wir den Versuch dazu machen, können wir bemerken, daß wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben,“ schrieb Freud. „So konnte in der psychoanalytischen Schule der Ausspruch gewagt werden: im Grunde glaube niemand an seinen eigenen Tod oder, was dasselbe ist: im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt“.

Mit anderen Worten: Wir denken nur, wir fürchten den Tod, während wir tatsächlich Verlassenwerden, Kastration und allerlei ungelöste Konflikte fürchten. Das ist Humbug. Wir können uns nicht selbst als tot vorstellen, da wir es sind, die sich das vorstellen, aber uns selbst können wir uns als verrottende Kadaver ohne Sinn und Zweck vorstellen – mit einem Wort, als Zombies. Wir sind besessen von der Angst vor dem Tod, aber wir sind abgeschnitten von den traditionellen Mitteln, diese Angst zu lindern. Stattdessen sehen wir Todespornos.

Es war Michael Jackson, der unter den prominenten Amerikanern einem Zombie am nächsten kam. Sein Gesicht begann nach zu vielen kosmetischen Operationen zu zerfallen. Sein 1983 erschienenes Zombievideo „Thriller“ lieferte das definitive Bild vom Amerika des späten 20sten Jahrhunderts: Peter Pan als Zombie, die ewige Jugend als wandelnde Leiche. Das dreißig Jahre alte Video hält seinen Platz in der Volkskultur, wie Nancy Griffin 2010 in „Vanity Fair“ schrieb:

Thriller gedeiht bei YouTube, wo man, neben dem Original, Thriller-Tanztutorien und Wiederaufführungen durch Bollywood-Schauspieler und Bar Mitzvah-Zelebranten findet. In Großstädten überall in der Welt ist dieser Tanz ein jährliches Stammesritual geworden, wo Initiierte mit Leichen-Makeup massenhaft Michaels Filme nachäffen. Der aktuelle Rekord für die zahlreichste Teilnahme am Tanz der Untoten liegt bei 12.937, gehalten von Mexico City. Ein 41 Millionen Mal angeklicktes YouTube-Video zeigt über 1.500 Häftlinge in einem philippinischen Gefängnishof diese flippige Beinarbeit ausführen. Sie ist Teil eines Rehabilitationsprogramms, dazu bestimmt, Abschaum in menschliche Wesen zu verwandeln; das Gefängnis in der Stadt Cebu ist eine T-Shirt verkaufende Touristenattraktion geworden“.

Mehr als jede andere Figur der Popkultur des letzten Jahrhunderts verkörperte Jackson den brennenden Wunsch seiner Generation, nie erwachsen zu werden. Oscar Wildes Dorian Gray hatte ein Portrait, das seinen inneren Verfall enthüllte. Michael Jackson hatte eine Nase, die sich verengte, schrumpfte, verkümmerte und schließlich in sich zusammenfiel, ein vollendetes Spiegelbild des Zeitgeistes. Mit seiner Selbstverschandelung und letztendlichen Selbstzerstörung kämpfte und starb dieser entrückte Kind-Mann im Dienst der verrückten Phantasie ewiger Jugend. Gegen Ende seines Lebens konnte nur noch der simulierte Tod durch Betäubung diese Angst kontrollieren, und die Einnahme von Propofol, die der Entspannung diente, verursachte seinen wirklichen Tod. Jacksons Bild lebt fort durch Personifikationen im “Cirque du Soleil” und auf anderen Bühnen, als der wichtigste Heilige und Märtyrer einer Generation, die sich als spirituell und nicht religiös versteht.

Jacksons Dysmorphophobie und Pädophilie ruinierten seine Karriere nicht, weil das Publikum sie weniger als pathologisch, denn als spirituell und ästhetisch ansah. Er bewunderte die Kinder, die er gern sein wollte. Jackson wird nicht trotz, sondern wegen der Fehler seines Charakters geliebt. “Ich bin nicht wie andere Jungen,” warnt Jackson zu Beginn von “Thriller”, bevor er zu einem Zombie mutiert. In diesem katharischen Augenblick erkennen wir, dass das bewundernswerte Kind, das Jackson einst war, sich in das abstoßende Bild der Verwesung verwandeln wird. Früher als seine Mitbürger umarmte Jackson seinen inneren Zombie. Als Figur der Öffentlichkeit nahm er die Erbsünde der Welt auf seine schwachen Schultern – d. h. die Erbsünde, so wie unsere Generation sie versteht, das Älterwerden.

* * *

Wir bestimmen unser Leben dadurch, wie wir unseren Tod sehen. In der christlichen Vergangenheit, war das irdische Leben für die meisten Menschen eine Vorbereitung auf das ewige Leben, wie es die Religion verhieß. Dagegen streben wir im heutigen Amerika danach, unser irdisches Leben zu verewigen. Sicher, Amerikaner glauben nicht in der Weise an wandelnde Tote wie sie an die Auferstehung der Toten glaubten. In einer Umfrage von „YouGov“ antworteten nur 14 % der Befragten, dass eine Zombie-Apokalypse wahrscheinlich wäre (obwohl 43 % sagten, dass Vampire in einem Krieg Zombies besiegen würden). Aber die menschliche Natur bleibt unverändert und unsere Faszination über Zombies stammt aus demselben universellen Bedürfnis, das unsere Vorfahren mit Religion befriedigten.

Die Zombiepest ist ein Teil der großen Umgestaltung der Kultur, die in den 1960igern begann und die uns zu Sklaven einer Idee machte: Freiheit für Selbstentdeckung, Selbstdefinition, Selbsterfindung und Neuerfindung – künstlerisch, spirituell oder gar sexuell – ist das höchste gesellschaftliche Gut, und die tote Hand der Tradition das größte gesellschaftliche Böse. Abgesehen von einigen Widerstandsnestern hat Amerika seit zwei Generationen danach gestrebt, mit der Vergangenheit zu brechen und die Verantwortung für die Zukunft abzuwerfen. Die vorherrschende amerikanische Kultur beseitigt exakt diejenigen Aspekte unseres Lebens, die Kontinuität über die kurze Spanne unserer sterblichen Existenz hinaus bieten. Aber sterblich zu sein ohne Rückgriff auf die Vergangenheit oder Zugriff auf die Zukunft ist der lebendige Tod. Es hat seinen Grund, dass jedes Geisterhaus in Horrorfilmen – von “Shining” bis zu “Poltergeist” – auf einem indianischen Friedhof gebaut zu sein scheint. Kulturen, die es nicht bis zur Moderne geschafft haben, haben eine spezielle Faszination einfach deshalb, weil sie erloschen sind. Für die letzten Überlebenden einer sterbenden Kultur ist die Erkenntnis, dass niemand mehr überbleiben wird, ihre Sprache zu sprechen, eine Art lebender Tod, der letzte Sprecher einer erloschenen Sprache in einem Grab der Stille. Indem wir dem modernen Ideal nachleben – die Brücken der Tradition verbrennen und unsere eigene Identität schaffen – ähneln wir diesem trostlosen letzten Sprecher. Die Vergangenheit wird zu verbrannter Erde hinter uns, während unsere neu gemünzte Identität in der nächsten Welle von Selbsterfindung verschwinden wird. Die Geister toter Kulturen ängstigen uns, weil wir fürchten, bald zu ihnen zu gehören.

Die klassischen Horrorfilme der 30er erforderten europäische Schauspieler und exotische Schauplätze – Mitteleuropa für Vampire, Haiti für Zombies. Monster gehörten zur alten Welt, oder vielleicht zur vormodernen Welt, aber nicht zu Amerika. Nachdem Hollywood dasselbe Material zwanzig Jahre lang recycelt hatte, trieb es 1948 einen Pfahl durch das Herz des Genres, indem es Abbott und Costello in „Abbot und Costello treffen Frankenstein“ als Wolfsmensch und Frankenstein neben Dracula auftreten ließ.

Über Monster zu lachen, wie es Mel Brooks 1974 meisterhaft in „Frankenstein Junior“ tat, war typisch amerikanisch. Die Albträume gemarterter Europäer wurden als gespielte Witze für amerikanische Jugendliche eingebürgert. Aber Monster hatten in der Alten Welt eine andere Bedeutung gehabt. Wie Heinrich Heine beobachtet hat, waren die Hexen, Kobolde und Poltergeister der deutschen Volksmärchen Überbleibsel des germanischen Heidentums, das mit dem Aufkommen des Christentums in den Untergrund gedrängt worden war. Abgeschnitten von ihren heidnischen Wurzeln und verpflanzt nach Amerika wurden sie komisch, statt furchterregend. Amerika, das Land der Neuanfänge und Happyends, war kein Platz für solche Schrecken. Sich über ausländische Monster lustig zu machen, passte in die Stimmung der Nation nach dem Zweiten Weltkrieg, und die Parodie von Abbott und Costello drückte den gesunden amerikanischen Wunsch aus, den Obsessionen der Alten Welt den Rücken zuzukehren. So zu handeln, befreite uns freilich nicht von anderen, gleichermaßen korrumpierenden Obsessionen.

Der Ersatz von Religion durch „Spiritualität“ und von Familienleben durch nazistische Sexualität hat erschreckende Konsequenzen. Das jugendliche Fleisch, vollgesogen mit Hormonen, wird – wie wir wissen – mit dem Alter verwelken und schließlich verrotten. Der Sex erinnert uns, wenn der Augenblick der Lust vorbei ist, dass wir dem Tod wieder einen Schritt näher gerückt sind, aber er kann auch ein Paar zusammenhalten, das hofft, sein Leben durch das seiner Kinder zu verlängern. Linke verabscheuen die traditionelle Familie, die Mütter und Großmütter ehrt, deren Jugend vorbei ist, als einen Ort der Heuchelei und Unterdrückung. Die sexuelle Revolution der 1960er verwandelte Frauen von zukünftigen Ehefrauen in sexuelle Gebrauchsgegenstände, stellte sie vor die Wahl, ihre Jugend so lange wie möglich zu verlängern oder zum alten Eisen geworfen zu werden.

* * *

Kein Wunder, dass so viele amerikanische Frauen ihre Körper verabscheuen. Gemäß der „National Eating Disorders Association” (Nationale Vereinigung gegen Essstörungen) bedrohen Magersucht und Bulimie das Leben von zehn Millionen amerikanischer Frauen. „Psychology Today“ (Psychologie Heute) berichtet über diese Essstörungen, dass „40 % der Frauen zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer akademischen Karriere von ihnen befallen werden“. Mehr als ein Drittel der amerikanischen Frauen ist fettleibig. Wir leben unter Horden weiblicher Zombies – magersüchtige Zombies an der Manhatten Upper East Side, krankhaft fettleibige Zombies in Des Moines, kosmetisch operierte Zombies in Südkalifornien und von Prozac (ein Antidepressivum) abhängige Zombies von Küste zu Küste. Die sexuelle Revolution hat eine beängstigende Zahl amerikanischer Frauen in wandelnde Leichen verwandelt, Opfer eines verfehlten sozialen Experiments.

Wir wissen, dass das Objekt unseres Nazismus jeden Tag etwas hässlicher aussehen wird, gleichgültig, wieviel Botox wir spritzen. Je älter wir werden, desto härter kämpfen wir, jung zu bleiben, und desto weniger überzeugend finden wir unsere Anstrengungen. Der alternde Metrosexuelle auf seinem Weg zum plastischen Chirurgen weiß, dass er bald ein ausrangierter Greis sein wird, Gegenstand derselben Verachtung, mit der er selbst die letzte Generation betrachtet.

Wenn wir dem Leben unserer Vorfahren keine Bedeutung beilegen, werden wir uns kaum die Mühe machen, Kinder in die Welt zu setzen, die uns schließlich ebenso verachten werden, wie wir unsere Eltern. Demographen aller ideologischen Richtungen stimmen überein, dass gläubige Menschen dazu tendieren, Kinder zu haben, ungläubige nicht. „Das schwächste Glied im säkularen Verständnis der menschlichen Natur besteht darin,“ schreibt Eric Kaufmann, Professor für Politikwissenschaft am Birkbeck College der Universität von London, „dass es das mächtige Begehren des Menschen nicht berücksichtigt, Unsterblichkeit für sich selbst und die von ihm Geliebten zu erlangen.“

Biblische Religion stellte sich ein Leben nach dem Tod vor. Die säkulare Moderne gibt uns den Tod im Leben. Das erklärt, warum Zombies vor unseren Augen verrotten müssen. Es reicht nicht, dass sie einfach tot sind. Sie müssen auch ihr verfaulendes Fleisch zur Schau stellen. Zombies sind nicht nur dumm und langweilig, sondern auch abstoßend, ein weiteres Hindernis für ihre cineastische Präsentation. Die ersten Zombiefilme zeigten haitianische Zombies, deren Körper lebendig waren, um ihren Herrn zu dienen. Armeen von wandelnden Körpern in abstoßendem Zustand der Verwesung erschienen nicht vor den 1960ern.

Warum ist verrottendes Fleisch so wichtig für Zombies? Erwägen Sie den umgekehrten Fall: das jüdische und christliche Bild des ewigen Lebens. Gemäß den Harvard-Professoren Kevin J. Madigan und Jon D. Levenson war:

„Der Tempel in Jerusalem (war) die physische Manifestation von Gottes Verheißung in dieser Welt, ein paradiesartiger Platz, wo Gott, in all seiner Reinheit und Heiligkeit, nichtsdestoweniger auf Erden erreichbar und sein Segen überreich ist. Er ist der Antipode zum Grab, eine Quelle des Lebens (Psalm 36,9). Im alten Israel war die gesamte männliche Bevölkerung aufgefordert, sich anlässlich der drei jährlichen Pilgerfeste am Tempel zu versammeln. Dort sang sie (Psalm 115): Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, noch die hinunterfahren in die Stille, sondern wir loben den Herrn von nun an bis in Ewigkeit.

Jede Assoziation mit dem Tod war verbannt von dieser Wohnstätte der göttlichen Gegenwart und Quelle des ewigen Lebens. Kein Mitglied der Kaste erblicher Priester, der „Kohanim“, durfte an einem Tempelopfer teilnehmen, wenn er in Kontakt mit einer Leiche gekommen war; selbst die Nähe zu den Toten war ihm verboten. Da nichts, was an physischen Verfall erinnerte einen Platz im Tempeldienst hatte, durfte kein Priester mit einem physischen Defekt im Tempel amtieren, noch ein Tier mit einem Fehler oder Mangel geopfert werden. Der Tempeldienst, die “Quelle des Lebens” schloss jeden Kontakt mit dem Tod oder auch nur dem Anschein physischen Verfalls aus. Aus demselben Grund sehen katholische und orthodoxe Christen in der Abwesenheit körperlichen Verfalls einen speziellen Beweis von Heiligkeit.

Der biblische Symbolismus des Tempels – die irdische Verkörperung der göttlichen Verheißung ewigen Lebens für Israel – ist der Antipode des wandelnden Todes. Die vom Tode gezeichnete Erscheinung einer Zombieherde übermittelt das Konzept des kollektiven Todes ebenso anschaulich, wie die Kohanim das kollektive Leben des alten Israels verkörperten.

Wie altertümlich, wie abergläubig erscheinen diese alten Vorstellungen vom ewigen Leben der modernen säkularen Welt, und wie fremdartig und primitiv die Rituale, welche die Überzeugung des Psalmisten aufrechterhielten, dass Gott seine Diener nicht im Grab verlassen würde. Die Moderne lehrt uns, dass nichts im Universum sich darum schert, ob wir existieren oder nicht. Wenn es um den Sinn unseres Lebens geht, sind wir auf uns allein gestellt. Wir sind gefesselt von denselben Bildern, aber im entgegengesetzten Sinn: der wandelnde Tod an Stelle des Verstorbenen, der die Auferstehung erwartet, verwesende Körper statt gesunder Priester und unversehrter Heiliger, die Zombieherde statt der fröhlichen Pilgerreise des Gottesvolks zu den heiligen Höfen des Tempels.

[1] Amerikanischer Historiker, 1861-1932, gilt als Verfechter des amerikanischen Exzeptionalismus.

Spengler auf Deutsch 10: Das erträgliche Maß an Terrorismus

Das Original erschien unter dem Titel „The tolerable level of terrorism“ am 7.  Dezember 2015 in Asia Times

Übersetzt von Stefan O. W. Weiß

“Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen” war der Tenor von Präsident Obamas Rede an die amerikanische Öffentlichkeit nach dem San Bernardino-Massaker letzte Woche. Obama bot nichts Neues, lediglich „Luftangriffe, Kommandotruppen und Zusammenarbeit mit lokalen Streitkräften, die kämpfen, um die Kontrolle über ihr eigenes Land zurückzugewinnen“. Wie sein französisches Gegenstück François Hollande denkt Obama, dass ein gewisses Maß an Terrorismus erträglich ist, und der blutigen und schwierigen Arbeit, den dschihadistischen Terrorismus völlig auszurotten, vorzuziehen ist. Es ließe sich manches über die Vorstellung eines erträglichen Maßes an Terrorismus sagen, aber nach Lage der Dinge ist dies weder von Obama noch Hollande zu erwarten.

“Seit den Attentaten in Paris“, sagte der Präsident, „haben wir die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit unseren europäischen Verbündeten verstärkt. Wir arbeiten mit der Türkei, um ihre Grenze mit Syrien abzuriegeln. Und wir arbeiten mit mehrheitlich muslimischen Ländern – und auch mit unseren muslimischen Gemeinden hier zu Hause -, um der bösartigen Ideologie, welche ISIL online verbreitet, entgegenzuwirken“. Nichts davon ist neu und nichts davon ist überzeugend.

Das Problem besteht darin, dass die Anzahl terroristischer Angriffe exponentiell ansteigt, wie auch die Anzahl der betroffenen Länder. Dies zeigt der Terrorismus-Index für 2015 des „Institute for Economics and Peace“. Die Vorstellung eines erträglichen Maßes an Terrorismus bezieht sich auf eine Welt, in der Muslime weit entfernt vom Westen sich gegenseitig umbringen. Die jüngsten Attentate in Paris und Kalifornien wie auch in Israel zeigen, dass die alte Vorgehensweise zur Eindämmung von Terrorismus kollabiert ist, wie auch die Glaubwürdigkeit der Politiker, die sie propagiert haben. Mehr als 30000 Menschen starben 2014 durch Terroranschläge, weniger als 8000 im Jahre 2011. Noch wichtiger: Siebzehn Länder verloren 2014 mehr als 250 Menschen durch Terroranschläge, gegen nur fünf Länder im Jahre 2011.

Tote durch Terrorismus 2000-2014:

Anzahl der Länder, die schwere Verluste durch Terrorismus hatten 2000-2014:

Die Anzahl der durch Selbstmordattentate Getöteten und Verwundeten (gezählt durch das Chicago Projekt zu Sicherheit und Terrorismus) tendiert stark nach oben. Im letzten Jahr hat es fast so viele Verluste gegeben wie in dem Spitzenjahr 2001 – und wahrscheinlich wird es schlimmer werden. Die meisten dieser Attentate betreffen zugegebenermaßen das gegenseitige Abschlachten von Schiiten und Sunniten im Nahen Osten. Aber die Chicago-Statistiken berücksichtigen keine Attentate wie die Welle von Messerangriffen in Israel, bei denen der Angreifer weiß, dass er wahrscheinlich getötet werden wird, noch Feuerüberfälle wie in San Bernardino.

Tote durch Selbstmordattentate:

Die Spitzenwerte für Selbstmordterrorismus von 1998 und 2001 erfassen das Bombenattentat auf die amerikanische Botschaft in Nairobi bzw. das Attentat auf das World Trade Center vom 9/11. Heute haben wir eine weit höhere Anzahl und weitere geographische Verteilung von Selbstmordattentaten. Diese Zahlen sind frappierend und zeigen, dass die Eindämmungsanstrengungen des letzten Jahrzwölfts weiterhin fehlschlagen werden, so wie sie in Paris und Kalifornien fehlgeschlagen sind.

Es ist zu früh, um den sich wandelnden Charakter von Terrorismus abschließend zu beurteilen, aber hier ist eine begründete Mutmaßung auf der Basis der verfügbaren Fakten: Er entspringt der Verzweiflung in der muslimischen Welt angesichts des Kollaps eines arabischen Staates nach dem anderen (Libyen, Syrien, Irak, Jemen) und der Massendemütigung von Millionen von Muslimen, die an Europas Türen betteln. Wie 1918 feilschen heute die Westmächte (jetzt ergänzt durch Russland) um das Schicksal von Syrien und dem Irak. Tausende, vielleicht Hunderttausende oder selbst Millionen von Muslimen sind so rasend über ihre Demütigung, dass sie bereit sind, bei Attentaten auf Zivilisten zu sterben.

Wie Haviv Rettig Gur am 27. Oktober in der „Times of Israel“ schrieb: „Der Terrorismus der letzten Monate ist kein neuer Anstieg der palästinensischen Opposition gegen Israel, sondern ein Aufschrei gegen den allgegenwärtigen palästinensischen Eindruck, dass der Widerstand fehlgeschlagen ist“. Gur zufolge zeigen Umfragen, dass die meisten Palästinenser sich verängstigt und hilflos vor der israelischen Macht fühlen und ungeschützt von ihren eigenen Führern und Organisationen. Die palästinensische „Widerstands“-geschichte reduziere sich auf die Hoffnung, dass der Rest der Welt Israel zwingen wird, die Westbank aufzugeben, ohne eine endgültige Lösung (und Anerkennung eines jüdischen Staates) von den Palästinensern zu verlangen, um so die Freiheit zu erlangen, die Juden weiter zu drangsalieren, bis sie abziehen. So zitiert er den palästinensischen AP (Associated Press) Korrespondenten Mohammed Dareghmeh:

„Palästina ist ein internationales Problem. Es wird nicht gelöst werden durch einen Hagel von Messern oder Akte von Martyrium (Selbstmordattentate) oder durch Proteste oder Demonstrationen. Es wird nur dann gelöst werden, wenn die Welt versteht, dass sie die Pflicht hat, zu intervenieren und Grenzen und Linien zu ziehen, wie sie es in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo gemacht hat. …. Man mag fragen: Wie lange? Und ich sage: Der Tag wird kommen. … Man mag fragen: Kann der unbewaffnete Kampf ein Ende der Besatzung herbeiführen? Und ich sage: Hat der militärische und bewaffnete Kampf das getan? … . Nur die Welt kann eine Lösung finden. Aber sie wird es nicht tun, wenn wir schweigen oder Selbstmord begehen. … Unsere Kinder greifen zu Küchenmessern in einer Welle der Erregung. … Wir müssen uns vor sie stellen und ihnen sagen: Ihr zerstört euer Leben und unseres – Palästina braucht euch lebend.“

Es ist unsinnig zu glauben, dass die international Gemeinschaft Israel diesen Punkt aufzwingen wird, konstatiert Gur. Das gleiche Gespräch fand zwischen dem San Bernardino Schützen Syed Rizwan Farouk und seinem Vater statt, wie Farouks Vater der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ mitteilte. Auf die Frage warum der junge Farouk die Weihnachtsfeier beschossen hat, antwortete sein Vater: „Es sagte, er teile die Ideologie von al-Baghdadi, einen islamischen Staat zu schaffen, und er war fixiert auf Israel. Ich sagte ihm immer, bleib ruhig, bleib geduldig, in zwei Jahren wird Israel nicht mehr existieren. Die Geopolitik ändert sich – Russland, China, selbst Amerika wollen irgendetwas mit den Juden zu tun haben. Warum kämpfen? Wir haben es versucht und verloren. Du kannst Israel nicht mir Waffen besiegen, nur mit Politik. Aber er nahm es mir nicht ab. Er war besessen.“

Es ist bemerkenswert: Nach 35 Jahren in den Vereinigten Staaten hegt der älteres Farouk immer noch die Hoffnung, Israel würde bald verschwinden. Sein Sohn weiß es besser und entscheidet sich, seine Arbeitskollegen zu töten, sicher eine merkwürdige Art, Israel anzugreifen. Wie viele ruhige, hart arbeitende amerikanische Muslime werden noch aus derselben Verzweiflung handeln, die Syed Farouk und Tashfeen Malik antrieb, Gewehre und Bomben zu horten und Teilnehmer einer Weihnachtsfeier abzuschlachten?

Das Problem ist, dass die anerkannten Leiter der muslimischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten dieselben Gefühle hegen, obwohl die große Mehrheit der amerikanischen Muslime nicht an Gewaltakten teilnehmen will. Der „Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen“ (Council on American-Islamic Relations = CAIR) erregte ungewöhnlich große Aufmerksamkeit in den Medien, als er nahezu unmittelbar nach Bekanntwerden des Attentats eine Pressekonferenz mit Familienmitgliedern der San Bernadino-Dschihadisten einberief. Die Geschwindigkeit, mit der diese Organisation handelte, ist bemerkenswert; offensichtlich kannte sie die Familie gut und versuchte sich in Schadenskontrolle. 2007 benannten Bundesanwälte CAIR als einen noch unindizierten Mittäter in einem Fall von Terrorfinanzierung.

Wie früher die Bushregierung hofft die Obamaregierung, dass sie eine Übereinkunft mit gemäßigten Islamisten wie der Muslimbruderschaft schließen kann. Diese ist eine der bedeutendsten islamischen Organisationen in den Vereinigten Staaten, nämlich durch ihre Tochterorganisation, das „Council on American-Islamic Relations = CAIR“ (Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen). Nicht nur Ägypten, das eine Regierung der Muslimbruderschaft 2013 stürzte, sondern auch die Vereinigten Arabischen Emirate stufen CAIR als terroristische Organisation ein. Wie Michelle Malkin in der „National Review“ vom 4. Dezember berichtet: „Über die Einwände des zuständigen Staatsanwalts hinaus weigerten sich die höchstrangigen politischen Beamten aus Obamas Justizministerium eine Klage wegen Terrorfinanzierung gegen den CAIR-Mitgründer Omar Ahmad vorzulegen“. Sicher zeigt die Obamaregierung eine andere Art von Sympathie für Muslime als ihre Vorgängerin, sie verschmilzt den selbststilisierten „Antikolonialismus“ radikaler Muslime mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Faktisch weist die Politik der beiden Regierungen mehr Ähnlichkeiten aus Unterschiede auf.

Islamistische Organisationen wie CAIR und die Muslimbruderschaft können ein Sicherheitsventil für muslimische Wut bieten, aber sie können auch Brutstätte für künftige Terroristen werden. Statt gewalttätige Impulse einzudämmen, die aus extremistischen Überzeugungen herrühren, wie der Zerstörung des Staates Israel oder der Gründung eines islamischen Kalifats, scheinen die Muslimbruderschaft und ihre Satellitenorganisationen Tashfeen Malik mit einem Schutzschirm versehen zu haben, als sie sich auf die Ausführung terroristischer Akte vorbereitete. Lange vor dem Anschlag schrieb Malik dschihadistische Facebook-Kommentare, wie ihre Verwandten in Pakistan der „Los Angeles Times“ sagten. Nicht nur amerikanische Nachrichtendienste, sondern auch verschiedene private Organisationen sammeln regelmäßig Daten bei Facebook, welche terroristische Sympathien verraten. Daher hätte diese Information in den Händen der FBI sein sollen. Offensichtlich fand das FBI sie nicht alarmierend, wahrscheinlich weil in den sozialen Medien so viel dschihadistisches Geschwätz zu finden ist, dass die Dienste es nicht ernst nehmen.

Es ist schwer der amerikanischen Öffentlichkeit zu erklären, warum die Vereinigten Staaten jährlich 80 Milliarden Dollar für Geheimdienste ausgeben – etwa die gleiche Summe wie das Budget von Irland oder Polen – aber unfähig sind, Informationen aus sozialen Medien herauszufiltern, welche das FBI zum Arsenal der Farouk-Familie geführt hätten. Die Antwort lautet, dass solche Kommentare sich im „normalen“ Spektrum des Weltbilds von CAIR und seines Gründers, der Muslimbruderschaft, bewegen. Für die Hintergründe siehe die Publikationen meines Freunds Daniel Pipes, Präsident des „Middle East Forum“, und Andrew McCarthys, zuständiger Bundesanwalt für den Angriff auf das World Trade Center.

Amerikanische Nachrichtendienste behandeln islamistische Organisationen behutsam, in der Hoffnung, der Islamismus werde sich mäßigen. Das trifft zu für die Außenpolitik wie auch für die heimische Terrorabwehr, und es trifft für das republikanische außenpolitische Establishment ebenso zu wie für die Obamaregierung. Der Senator für South Carolina und Präsidentschaftskandidat Lindsey Graham reiste 2012 nach Ägypten und unterstützte eine Regierungsbeteiligung der Muslimbruderschaft. Ein früherer Leiter der „Central Intelligence Agency“ (CIA) in der republikanischen Regierung sagte mir zu Ägypten, wo die Muslimbruderschaft als eine Terrororganisation verboten ist, dass Washington über den Sturz von Mohammed Morsi, dem Leiter der Bruderschaft, enttäuscht war. „Wir wollten sehen, was passiert, wenn die Bruderschaft für eine funktionierende Müllabfuhr sorgen muss“, sagte er.

Die Unterscheidung von „guten Islamisten“ (gut, weil sie auf Gewalt verzichten, obwohl sie dieselben Ziele und Einstellungen wie die Terroristen haben) und „bösen Islamisten“ (die tatsächlich Menschen umbringen) war von Anfang an ein problematischer Ansatz. Das Problem besteht darin, dass eine sehr große Zahl von Muslimen bereit ist, sich selbst zu töten, um feindliche Nichtkombattanten zu schädigen, und die Zahl scheint anzusteigen. Meines Wissens nach ist das etwas Neues unter der Sonne. Die japanischen Kamikazeflieger und die Assassinen des Mittelalters, wie auch die Bolschewisten vor 1917, waren gewillt zu sterben, um hohe Beamte oder Soldaten zu töten. Aber die Ermordung von Nichtkombattanten durch Selbstmordattentate (oder Attentate, die wahrscheinlich selbstmörderisch sein werden) ist etwas, dass wir nie zuvor gesehen haben.

Die Alternative besteht darin, den Islamisten entgegenzutreten, statt zu versuchen, einige Islamisten zu überreden, andere zu mäßigen. Senator Ted Cruz (Texas) hat vorgeschlagen, die Bruderschaft offiziell als Auswärtige Terrororganisation zu klassifizieren; diese Maßnahme würde CAIRs Position unhaltbar machen, berücksichtigt man seine zahlreichen Verbindungen zur Bruderschaft und ihren Ablegern. Ein beträchtlicher Teil der französischen Öffentlichkeit favorisiert ein ähnliches Durchgreifen, urteilt man nach dem Wahlergebnis von 28 % für die Front National bei den Regionalwahlen am letzten Sonntag.

Es ließe sich manches sagen über eine Art modus vivendi mit Islamisten. Israel setzt einerseits seine Sicherheitskooperation mit der palästinensischen Autonomiebehörde fort, die etwa 160.000 Mann in anderthalb Dutzend Sicherheitsdiensten unter Waffen hat, hat sie (und ihre Waffen) aber andererseits aus dem Konflikt herausgehalten. Das Resultat ist ein für die Israelis erträgliches Maß an Terrorismus. Wie Haviv Rettig Gur beobachtet: „Die Botschaft (der Terroristen) ist simpel. Stich auf die Juden ein, sieh sie schreien, beweise dir selbst in diesem Augenblick, dass sie sterblich, verwundbar sind. Für diesen kurzen Augenblick – so behauptet die Online-Kampagne implizit – ist die palästinensische Würde wiederhergestellt. Jedoch die realen Angriffe, welche dieses Versprechen auslöst, die Augenblicke rasender Kämpfe mit Israelis, die schnellen Tode, welche die Angreifer immer wieder erleiden, selbst wenn sie unbewaffnete israelische Zivilisten angreifen, rücken lediglich den Kollaps palästinensischer Lösungen und palästinensischen Selbstrespekts – und israelische Unerschütterlichkeit – in schärferes Relief“.

Ein früherer Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes, General Yaakov Amidror, warnte letzte Woche, dass “massive Vergeltung“ gegen palästinensische Terroristen die Lage verschlimmern würde. „Zwar besteht kein Zweifel daran, dass Israel sich in einer schwierigen Sicherheitslage befindet, der Anstieg palästinensischer Gewalt stellt jedoch keine existentielle Bedrohung für Israel dar. Israel hat schon längere und stärkere Wellen von Terrorismus überstanden. Israels Staatsmänner müssen die Proportionen beachten und den Ruf nach ‚massiver Vergeltung‘ abweisen, welche die Sicherheit nicht wirklich verbessern und Lage hier verschlimmern würde“. General Amidror diente als Nationaler Sicherheitsberater von Premierminister Netanyahu.

Diese Art von Modus vivendi hat eine unabdingbare Prämisse: Leiter muslimischer Gemeinschaften müssen überredet werden, dass es eher in ihrem Interesse liegt, mit den Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten als die Terroristen zu unterstützen. In den Vereinigten Staaten würden einige Dutzend Klagen des Bundes und ungefähr hundert öffentliche Deportationen von prominenten Muslimen aus den Umkreis des CAIR Tausende von muslimischen Immigranten in willige Spitzel für das FBI verwandeln. Die meisten amerikanischen Muslime sind recht erfolgreiche Wirtschaftsimmigranten, und wenn sie auch die radikalen Gefühle der Farook-Familie in gewissem Grade teilen mögen, so sind sie doch nicht Willens, ihre Existenz aufzugeben, um sie auszuleben. Senator Cruz‘ Vorschlag, die Muslimbruderschaft als terroristische Organisation einzustufen und die Schrauben für ihre amerikanischen Sympathisanten anzuziehen, würde künftigen Anschlägen wie dem San Bernardino-Massaker zuvorkommen, und die Anzahl künftiger Anschläge auf ein erträgliches Maß reduzieren.

Frankreichs Aussichten sind trüber. Ein Zehntel seiner Bevölkerung besteht aus Muslimen. Zwei Fünftel sind arbeitslos und die überwältigende Mehrheit hat radikale Ansichten. Zu erwägen, wie Frau Le Pens „Front National“ einer viel größeren, ärmeren und radikaleren muslimischen Bevölkerung entgegentreten würde, ist keine angenehme Aufgabe.

 

Spengler auf Deutsch 9: Glück hat damit nichts zu tun

Der Originaltext erschien am 29.  NOVEMBER 2015 unter dem Titel „Luck had nothing to do with it“ in Aisa Times

Übersetzt von Stefan O. W. Weiß

Buchbesprechung: If You Really Want to Change the World, von Henry Kressel und Norman Winarsky, Harvard Business Review Press, 2015; 215 Seiten, 30 US-Dollar.

Henry Kressel war dreißig Jahre lang der Seniorpartner in der Technologieabteilung von „Warburg Pincus“, einem der erfolgreichsten Privat- und Risikokapitalgesellschaften; vorher hatte er eine glänzende wissenschaftliche Karriere in der Entwicklungsabteilung von RCA (Radio Corporation of America, ein bedeutendes Technologieunternehmen) gemacht. Norman Winarsky leitete die Risikokapitalabteilung von SRI International (ursprünglich gegründet als „Stanford Research Institute“), eine der großen Ideenfabriken in Silicon Valley. In diesem kompakten Band bieten sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man weltverändernde neue Unternehmen mit milliardenschwerer Börsenbewertung gründet. Warum enthüllen sie ihre Geheimnisse? Tatsächlich sind es keine Geheimnisse, nur eine Reihe von Filtern, welche die große Mehrheit der Wettbewerber aus dem Rennen wirft.

Es ist eher eine belehrende als eine inspirierende Erzählung, und viele der tiefsten Einsichten des Buches finden sich in ihrer Diagnose, was mit scheinbar todsicheren Projekten schiefging. Große neue Unternehmen erfordern die richtige Technologie für die richtige Marktlücke, das richtige Management für die richtigen Kunden, die richtigen Investoren für die richtigen Geschäftsführer, die richtigen Finanzkontrollen für den richtigen Durchbruch. Es klingt einfach und ist es auch. Es erfordert Visionen, Erfahrung, Kontakte und gesunden Menschenverstand, um all diese Elemente zusammen in einem Unternehmen zu vereinen. Es gibt wenige Risikokapitalgesellschaften, welche die nötige Intelligenz und Bandbreite vereinen, aber sie erzielen eine erstaunlich große Zahl von Erfolgen.

Kressel und Winarsky haben keine Geduld mit der populären Ansicht, dass junge Unternehmen aus Fehlern lernen, sich durch Versuch und Irrtum entwickeln sollen. Sie schreiben:

„Misserfolge sind de rigueur, insbesondere in Software-Unternehmen, die anfänglich wenig Kapital und kleine Belegschaften erfordern. Die Idee scheint einfach: Man hat ein bestimmtes Konzept, holt ein Team zusammen und startet das Unternehmen. Man entwickelt ein gerade noch brauchbares Produkt, testet verschiedene Märkte und Produkthypothesen, und entscheidet gemäß den Rückmeldungen des Marktes. Man erwartet, wiederholt zu scheitern, und hofft, schließlich ein markfähiges Produkt zu entwickeln.

Das mag für die unternehmerische Regionalliga angebracht sein, aber “weltverändernde Gründungen“ haben eine so hohe Schwelle für Kosten und Kompetenz, dass „man nur wenig Aussicht hat, zu überleben, wenn sich das Nutzenversprechen als falsch herausstellt“. Entweder man weiß von Anfang an, was man tut, oder man weiß es nicht. Anpassungsfähigkeit ist eine Sache, aber blind herumpicken, um vielleicht ein Korn zu finden, eine andere.

Kressel und Winarsky unterbreiten dem Leser eine Fülle von Beispielen, die illustrieren, was geht und was nicht. Ihre Fallstudien sind hinreichend, um ihr Buch für die kommenden Jahre zu einem Standardwerk für wirtschaftswissenschaftliche Seminare über Unternehmensführung zu machen. Obwohl sie zumeist auf amerikanische Erfahrungen rekurrieren, ist ihr Buch für asiatische und insbesondere chinesische Unternehmer und Risikoinvestoren von besonderem Interesse. Warburg Pincus hatte außerordentlichen Erfolg mit Investitionen in chinesische Technologieunternehmen und bleibt weiterhin auf dem chinesischen Markt engagiert.

Der interessanteste Einzelfall ist „Siri“[1], Apples persönlicher, sprechender Assistent. „Nur zwei Wochen nachdem wir Siri herausgebracht hatten … bekamen wir einen Anruf von Steve Jobs“, beginnen sie. „Wir hatten angestrebt, einen Durchbruch in diesem Markt zu erzielen, und wir dachten, der Erfolg würde sich in Jahren, nicht Wochen einstellen. Eineinhalb Jahre nach diesem Anruf war Siri die Kernapplikation für einen neuen und sehr populären Service auf den Apple-iPhones geworden. … In den ersten paar Wochen nach seiner Einführung, hatte Siri dazu beigetragen, Aufträge in Milliarden Dollarhöhe für iPhones 4s einzubringen. Wir hatten es geschafft.“

Siris Ziel war es, dem „Konsumenten die Mühe der zu vielen Klicks abzunehmen“. „Gib dem Konsumenten einen Gehilfen, der auf Suchanfragen Antworten statt nur Links liefert“. Als Jobs das Produkt kaufte, war es noch eher ein luxuriöses Spielzeug, als ein praktischer Weg, um Reisen zu buchen oder einen Platz im Restaurant zu reservieren. Der Unterhaltungswert kann der Schlüssel sein zu dem Nutzenversprechen, den Kunden zu „überraschen und zu erfreuen“, wie die Autoren bemerken. Mehr zu diesem Thema wäre willkommen gewesen.

Siri ist die heißeste Geschichte unter den Fallstudien, welche die Autoren berichten, aber auch die am wenigsten typische, da Steve Jobs ihnen ein Angebot machte, das sie nicht ablehnen konnten. „Wir wollten nicht verkaufen“, räumen die Autoren ein. „Wir glaubten, dass der Wert des Unternehmens nahezu mit Sicherheit steigen würde, in dem Maße, in dem wir fortfuhren, neue Versionen von Siri unserer Planung gemäß zu entwickeln“. Aber „Jobs machte ein Angebot, das eine hinreichende Kapitalrendite darstellte“. Jobs hatte auch die Option, Apples Ingenieure einen Wettbewerb mit dem Startup-Unternehmen austragen zu lassen.

Die Entscheidung, Siri an Apple zu verkaufen, ist zentral für das Anliegen der Autoren. Zu wissen, wann man einsteigen und wann man aussteigen muss, ist die halbe Miete. Startups brauchen mehr als eine gute Idee. Sie brauchen den richtigen Plan, die richtigen Leute, um ihn zur richtigen Zeit auszuführen, eine klare Vorstellung, was die Kunden wollen und was die Kunden akzeptieren werden, und die Disziplin, beim Kurshalten Finanzkontrolle und Buchhaltung im Blick zu halten. Sie müssen wissen, ob sie ein Projekt sind, das an ein weiterführendes Unternehmen zu verkaufen ist, oder der Beginn eines neuen Unternehmens, das den es umgebenden Wirtschaftsraum verändern wird.

Kressel und Winarsky bieten die obligatorische Checkliste, was in einen Geschäftsplan gehört, wie man Risikokapitalanleger gewinnt, und wie man den Wettbewerbshorizont einschätzen kann. Ihre Diagnose, wie neue Unternehmen scheitern, ist gleichwohl bemerkenswert für ihre Gründlichkeit und die Fülle an Beispielen.

Sie haben eine Innovation – eine wirklich neue, umwerfende Technologie? Herzlichen Glückwunsch, sie sind die Laborratte für ihre Wettbewerber, die von der Seitenlinie her beobachten, wie sie Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben, den Markt testen, Schwachstellen ausbügeln und den Weg für andere ebnen, die sie überrollen werden.

Nehmen wir an, sie haben eine narrensichere Innovation, eine Technologie, die niemand anderer produzieren und vermarkten kann. Aber wollen ihre Kunden eine Innovation? Eine von SRIs Misserfolgen war eine Kommunikationstechnologie namens „PacketHop“. Mitglieder des Katastrophenschutzes starben am 11. September teilweise deshalb, weil Feuerwehrmänner, welche die Treppen der Twin Towers hinaufeilten, nie den Befehl erhielten, umzukehren. SRI fand eine Lösung, ein „drahtloses Netzwerk, über das Meldungen von einem Handsender zum nächsten Handsender automatisch weitergeleitet wurden“, oder „eine lokale Version des Internets“. PacketHop beruhte auf von der Regierung finanzierter Technologie, die zunächst für andere Zwecke entwickelt worden war und große Investoren anzog. Und die Regierung stand bereit, Milliarden zu investieren, um die Kommunikation der ersten Sender zu verbessern.

Das Problem, berichten Kressel und Winarsky, war, dass die Nutzer von „Notfall-Sendern“ – PacketHops anvisierte Kunden – „von Natur aus konservativ waren und zögerten, von einer wohlbekannten Marke wie Motorola zu einem unbekannten Produkt zu wechseln, selbst wenn es besser war. Gleichgültig wie wertvoll dieses neue, problemlose, kostengünstige Produkt war, die Kunden waren entschlossen, das, was eine seit langem bestehende Beziehung war, aufrechtzuerhalten“. Sie wollten keine Innovation, selbst wenn Leben auf dem Spiel standen. SRI machte, was die Autoren den fatalen Fehler Nr. 1 nennen: „Unkenntnis deines Kunden.“

Angenommen du hast eine bedeutende Innovation und Kunden, die Innovationen wollen, und du hast ein großartiges Team von Ingenieuren. Du beginnst, dein neues Unternehmen zu führen, und stellst fest, dass du der schlechtestmögliche Geschäftsführer bist. Du bist verliebt in deine neue Technologie, aber unfähig, eine Truppe genialer Solisten zu dirigieren. Du hättest einen Geschäftsführer mit der erwiesenen Fähigkeit, Ideen in erfolgreiche Unternehmen zu verwandeln, engagieren sollen. Wenn du dieser Gefahr entgangen bist und einen für Gründungen geeigneten Geschäftsführer gefunden hast, dann muss dieser wissen, wann es an der Zeit ist, das Unternehmen an eine andere Art von Manager zu übertragen.

„Obwohl du ein großes Unternehmen gegründet hast, verfügst du vielleicht nicht über die Fähigkeiten, es durch all die Stadien seines Wachstums zu geleiten … Der Punkt, an dem viele Geschäftsführer scheitern, ist der Übergang von der lockeren Atmosphäre eines Jungunternehmens zu einer größeren und stärker geordneten Organisation.“ Die Autoren nennen dies den fatalen Fehler Nr. 2: „Festhalten am falschen Geschäftsführer“.

Der fatale Fehler Nr. 3 ist schlechte Finanzverwaltung und der fatale Fehler Nr. 4 übermäßiges Selbstvertrauen. Tödlich für neue Unternehmen ist der fatale Fehler Nr. 5, „die Unfähigkeit, künftige Entwicklungen in der Industrie zu antizipieren“. Das betrifft die Preisgestaltung für das, was man als hochinnovative Produkte ansieht, sich ändernde industrielle Standards und die Unfähigkeit, auf neue Technologien zu reagieren.

Zentral für jedes Unternehmen ist das Leistungsversprechen, die Frage „wie willst du dem Kunden eine Leistung liefern und wie wird diese Leistung von dem Kunden Erträge zu Kosten generieren, die das Unternehmen profitabel machen?“ Innovative Technologien können das Leistungsversprechen erhöhen, aber sie müssen es nicht. „Das kann zutreffen,“ behaupten die Autoren, „wenn die Kosten, wegen der neuen Technologie oder der Vertriebswege oder der Mehrwertdienste (oder einer Kombination all dieser Faktoren), tatsächlich geringer sind und wenn das Produkt nicht leicht von anderen kopiert werden kann. Dann hat man einen nachhaltigen Vorteil.“

Der väterliche Rat der Autoren erinnert an George Gilders Witz, dass ein Unternehmer zu der Sorte von Menschen gehört, die Nacht für Nacht die Routen der Müllabfuhr studieren. Was erfolgreiche Unternehmer von anderen unterscheidet, ist gediegene Vorbereitung: erschöpfende Kenntnis der Technik, der Märkte, Vorschriften, Kunden, Investoren und Manager.

Warum etwa verweisen die Autoren auf “RDA, ein chinesisches Halbleiter-Start-up, das sich zu einem großen Unternehmen entwickelte, indem es den lokalen Herstellern von Mobiltelefonen Niedrigpreischips verkaufte, die importierte Chips ersetzten“? Warburg Pincus konnte sein ursprüngliches Investment 2014 etwa verdreifachen, als Tsinghua Holdings für etwas mehr als 900 Millionen Dollar RDA kauften. RDA beschäftigte festlandschinesische Ingenieure in einem Bereich, der lange von taiwanesischen und koreanischen Entwicklern dominiert worden war, und unterbot sie.

Die Erfolgsgeschichte von RDA ist die erste von vielen chinesischen Gründungen, welche die westliche Vorherrschaft in technologischen Kernbereichen herausfordern. Wie gesagt, die Aufnahmebereitschaft der Konsumenten für Innovationen ist ebenso wichtig wie die Fähigkeit der Unternehmer, Innovationen anzubieten. Diesen Punk hat der Nobelpreisträger Edmund Phelps in seinem 2013 erschienenen Buch „Mass Flourishing“ vertieft behandelt. In seiner Untersuchung der Industriellen Revolution zeigt Phelps, dass die üblichen Verdächtigen für den großen ökonomischen Aufbruch des 19. Jahrhunderts, die Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer, lange vorher vorhanden waren. Was den nach 1815 einsetzenden Aufschwung an Produktivität und Lebensstandard antrieb, waren nicht bestimmte Innovationen, sondern eher der Wille von Millionen von Menschen, Innovationen begeistert anzunehmen.

Nach der großen Welle der Urbanisierung, die in den letzten 35 Jahren fast 600 Millionen Chinesen vom Land in die Stadt umsiedelte, sind die Chinesen vielleicht stärker bereit, sich auf Masseninnovationen einzulassen als jedes andere Volk in der Geschichte. Als ich Phelps‘ Buch letztes Jahr für die britische Zeitschrift „Standpoint” rezensierte, stellte ich die Frage, ob China den Westen bei Innovationen übertreffen wird – nicht in rein wissenschaftlichen Entdeckungen, sondern in der massenhaften Adaption von Innovationen insbesondere in der Einzelhandels- und Finanzsphäre. In Asien wird noch Raum für viele große Unternehmen mit umwerfenden Innovationen sein, und Kressel und Winarsky mögen dort leicht eine größere Leserschaft als in ihren Heimatländern finden.

[1] Abkürzung für „Speech Interpretation and Recognition Interface“, eine Software, die der Erkennung und Verarbeitung von natürlich gesprochener Sprache dient, und so die Funktion eines persönlichen virtuellen Assistenten erfüllen soll.