Spengler auf Deutsch 55: Beklagenswerterweise wird Trump gewinnen

Das Original erschien am 11. September 2016 unter dem Titel “Deplorably, Trump is Going to Win” in Asia Times.

Die Präsidentschaftswahl war zu Ende in dem Moment, in dem Hillary Clinton das Wort “deplorable” (kläglich, beklagenswert)[1] aus dem Gehege ihrer Zähne entließ. Wie jetzt die ganze Welt erfahren hat, sagte Frau Clinton am 10. September einem lesbisch-schwulen-bisexuellen-transgender Spendensammler: “Wissen Sie, um einmal grob zu generalisieren, Sie können die Hälfte von Trumps Anhängern in das stecken, was ich den ‚Korb der Beklagenswerten‘ nenne. Nicht wahr? Diese Rassisten, Sexisten, Homophoben, Xenophoben, Islamophoben – sie haben es erwähnt. Und unglücklicherweise gibt es solche Leute, und er hat sie ans Licht gebracht“.

Hillary kann man vergessen.

Sicher, sie entschuldigte sich, aber niemand wird ihr glauben: sie war entspannt vor ihrem heimischen Publikum und fühlte die Wärme, und sie sagte genau das, was sie dachte. Die „Clinton Cash“-Korruptionsskandale, die immer neuen Lügen über ihren E-Mail-Server, Gesundheitsprobleme und all die anderen Probleme, die sich vor der ehemaligen First Lady auftürmen, sind Kleinigkeiten verglichen mit diesem apokalyptischen Moment der Selbstenthüllung.

Man kann keine amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnen ohne die Stimmen der Beklagenswerten. Beklagenswerte sind Amerikas größte Minderheit. Sie könnten sogar die amerikanische Mehrheit sein. Sie mögen Rassisten, Homophobe und so weiter sein, aber sie wissen, sie sind beklagenswert. Beklagenswert und stolz. Sie sind die Durchschnittsfamilie, deren Realeinkommen beklagenswerterweise in den letzten 10 Jahren um 5 % gesunken ist; sie sind die 35 % der erwachsenen Männer, die beklagenswerterweise aus dem Arbeitsmarkt ausgestiegen sind, sie sind die 40% Schuldner von Studentendarlehen, die beklagenswerterweise ihre Kredite nicht zurückzahlen können; sie sind die alternden Beamten und Staatsangestellten, deren Pensionsfonds ein Defizit von vier Billionen Dollar aufweist. Sie führen ein beklagenswertes Leben und erwarten, dass das Leben ihrer Kinder noch beklagenswerter sein wird als ihr eigenes.

Amerikaner sind generell nicht nachtragend. Sie haben Bill vergeben, dass er mit Monica „Ich hatte keinen Sex mit dieser Frau“ Lewinsky im Oval Office herumgetollt ist und sich einer Anzahl unwilliger Frauen aufdrängte. Sie mögen selbst Hillary vergeben, dass sie Zehntausende kompromittierender E-Mails auf einem illegalen privaten Server verloren hat und dann wiederholt über dieses Thema in einer Weise gelogen hat, welche die beklagenswerte Intelligenz des Durchschnittswählers beleidigt. Aber es gibt eins, das du mit ihnen nicht tun kannst: sie anspucken und ihnen erzählen, es regnet. Das werden sie dir niemals verzeihen. Das schmerzt, und sie hassen Kandidaten, die sie daran erinnern.

Mitt Romneys Wahlkampagne 2012 war nicht mehr zu retten nach seiner berühmten „47 %-Bemerkung“, mit der er lediglich meinte, das 47 % der amerikanischen Arbeiter, deren Einkommen unter der Schwelle für bundesweite Steuern blieb, von seinen vorgeschlagenen Steuersenkungen nicht profitieren würden. Aber diese Arbeiter zahlen recht hohe Steuern, nämlich Sozialabgaben, Krankenversicherung und vielfach für lokale Behörden in Form von Mehrwertsteuer und kommunalen Steuern. Nachdem ein verstecktes Video mit dieser Bemerkung bei einem privaten Spendensammler die Runde machte, verbrachte Romney den Rest seiner Kampagne mit dem Äquivalent einer Anzeigentafel über seinem Kopf, versehen mit den Worten: „Ich repräsentiere die wirtschaftliche Elite“. Clinton hat dasselbe gemacht und repräsentiert die kulturelle Elite.

Sicher, es gibt Rassisten und Schwulenhasser in Trumps Lager. Jedermann muss irgendwo sein. Jedenfalls ist Trump kein Puritaner und schert sich nicht darum, welche Art von Sex die Leute haben oder wer welches Badezimmer benutzt oder wer wen heiratet. Vor zwei Jahrzehnten hat er einen neuen Country Club in Palm Beach gebaut, weil der alte Schwarze und Juden ausschloss. Er ist kein Rassist. Er ist ein widerwärtiger, vulgärer Geschäftsmann, der Politik wie eine Reality-Show inszeniert. Ich habe klargestellt, dass ich für ihn stimmen werde, nicht weil er meine erste Wahl unter den republikanischen Kandidaten wäre (das war Senator Ted Cruz), sondern weil ich glaube, dass die Herrschaft des Gesetzes eine Voraussetzung für eine freie Gesellschaft ist. Wenn die Clintons einen Freifahrschein für Einflussnahme auf einer mehrere hundert Millionen Dollar Scala bekommen und noch dazu für die Verschleierung des illegalen Gebrauchs von privaten Kommunikationsmitteln für Regierungsdokumente, ist die Herrschaft des Gesetzes nur noch ein Witz in den Vereinigten Staaten. Selbst wenn Trump ein schlechterer Präsident als Clinton wäre – was er wahrscheinlich nicht ist -, würde ich schon allein aus diesem Grund für ihn stimmen.

Nicht deswegen hat Trump die republikanischen Vorwahlen gewonnen. Er hat gewonnen, weil die Amerikaner es leid sind, eine wirtschaftliche Elite zu haben, die sie ignoriert. Die Amerikaner wissen, dass mit gezinkten Karten gespielt wird. Über Generationen konnten Amerikaner an die Spitze aufsteigen, indem sie ein Unternehmen gründeten. Es gab Zeiten, in denen mehr von ihnen Erfolg hatten als in anderen, aber jeder kannte irgendjemand, der auf mehr oder weniger ehrenwerte Weise reich wurde. Das kam unter der Obama-Regierung zu einem abrupten Ende. 2013 gab es weniger kleine Unternehmen mit weniger Arbeitskräften als 2007.

Niedergang kleiner Unternehmen zwischen 2007 und 2013, dargestellt nach Anzahl und beschäftigten Arbeitskräften (Census Bureau)

Größe des Unternehmens Anzahl der Firmen Anzahl der Unternehmen Beschäftigung
02:  0-4 -129,985 -130,063 -212,803
03:  5-9 -67,969 -69,904 -451,075
04:  10-19 -44,291 -48,177 -598,105
05:  <20 -242,245 -248,144 -1,261,983
06:  20-99 -29,358 -38,422 -1,225,253
07:  100-499 -3,322 4,737 -556,311
08:  <500 -274,925 -281,829 -3,043,547
09:  500+ 325 65,164 705,535

Die Beklagenswerten sehen die amerikanische Wirtschaft als eine Lotterie. Sie sind ungebildet, aber gerissen: Sie wissen, die Karten sind gezinkt, weil keiner von ihnen gewinnt. Die amerikanische Wirtschaft ist korrupter und stärker kartellisiert als jemals zuvor. Das Produktivitätswachstum war negativ in den letzten beiden Quartalen und das Produktivitätswachstum der letzten fünf Jahre ist am niedrigsten seit der Stagflation in den 1970ern.

Großunternehmen verdienen ihr Geld eher durch Manipulation des Regulationssystems als durch Einführung neuer Technologien. Wie eine Studie vom Juni 2016 des Wirtschaftswissenschaftlers Jim Bessen von der Universität von Boston gezeigt hat, geht fast die Hälfte des Anstiegs der Profite von Großunternehmen im letzten Jahrzehnt auf Vetterleswirtschaft (Rent-Seeking[2]) zurück. Bessen zufolge trugen “Investitionen in konventionelle Vermögenswerte und in Forschung und Entwicklung … zu einem wesentlichen Teil zu dem Anstieg an Werten und Profiten vor allem während der 1990er bei. Seit 2000 jedoch beruht der Anstieg zu einem überraschend großen Teil auf politischer Aktivität und Regulationen.”

Darum hat Trump die Vorwahlen gewonnen. Ted Cruz, ein evangelikaler Christ, warb um die religiösen Wähler (die Hillary für „homophob“ hält), aber die Evangelikalen stimmten größtenteils für Trump. Sie wollen einen Außenseiter mit einem großen Besen, der hereinkommt und das Establishment hinauskehrt, weil das Establishment ihnen in den letzten acht Jahren bedauerlich wenig Krümel vom Tisch abgegeben hat. Wie „Publius“ am 5. September in der Claremont Review schrieb: “Eine Hillary Clinton-Präsidentschaft ist wie Russisches Roulette mit einem halbautomatischen Revolver. Mit Trump kannst du wenigstens die Trommel drehen und deine Chance suchen”.

Es gibt eine Anzahl Maßnahmen, von denen ich gern hätte, dass Trump sie als Präsident ergreift. Aber ich habe keine Ahnung, was er als Präsident tun wird. Beklagenswerterweise werden wir es herausfinden.

[1] „Deplorable“ ist schwer zu übersetzen. Das deutsche „beklagenswert“ entspricht ihm nur teilweise, da „deplorable“ einen negativ-abwertenden Beiklang hat, der dem deutschen „beklagenswert“ fehlt. Die meisten Wörterbücher geben denn auch „schändlich“ als zweite Bedeutung an.

[2] Rent-Seeking aus engl. rent, ‚Pacht‘, ‚Miete‘, + to seek, ‚erstreben‘, ‚begehren‘) bezeichnet nach der neoklassischen Theorie ein Verhalten ökonomischer Akteure, das darauf zielt, staatliche Eingriffe in die marktvermittelte Ressourcenallokation herbeizuführen, um sich hierdurch künstlich geschaffene Renteneinkommen aneignen zu können. Einfach ausgedrückt fasst man darunter Aktivitäten Einzelner oder von Interessengruppen zusammen, die im politischen Prozess Einfluss nehmen. Sofern Rent-Seeking nicht mit der Bestechung von Entscheidungsträgern verbunden ist (im Sinne von Korruption), bezeichnet man den Prozess auch als Lobbying. Ein Beispiel für erfolgreiches Rent-Seeking wäre, wenn ein Unternehmer durch Bestechung eines Beamten eine Lizenz für ein Spielkasino erhält, das er in einem sonst nur als Lagerhalle nutzbaren Gebäude einrichten kann. Die Opportunitätskosten liegen in den entgangenen Vermietungseinnahmen für die Lagerhalle. (aus Wikipedia).

Spengler auf Deutsch 45: Donald Trump, seien Sie der größte Verhandlungskünstler der Geschichte!

Das Original erschien unter dem Titel „Donald Trump, be the greatest dealmaker in history!“ in Asia Times.

Lieber Donald Trump:

Sie sind ein großer Verhandlungskünstler. Ihrem eigenen Urteil zufolge sind sie der größte Verhandlungskünstler des 20. Jahrhunderts und fast mit Sicherheit der größte Verhandlungskünstler des 21. Jahrhunderts, obwohl es noch nicht ganz vorbei ist. „Die Kunst zu verhandeln“[1] ist das Drehbuch ihrer Kampagne, wie CBS News am 1. April berichtet hat. Sie haben große Handelsverträge mit China versprochen, einen großen Vertrag mit Mexiko, um eine Mauer an der Grenze zu bauen, und andere große Verträge, einen mit dem Obersten Gerichtshof, einen Friedensvertrag im Nahen Osten, einen über Krankenversicherung und über alles andere, das sie irgendjemand gefragt hat.

Was würden Sie davon halten, der größte Verhandlungskünstler aller Zeiten zu sein?

Sie können am 18. Juli nach Cleveland[2] gehen und den gewaltigsten Verhandlungserfolg der menschlichen Geschichte erzielen. Schon viele Menschen sind Präsident der Vereinigten Staaten geworden, aber nur einer kann der größte Verhandlungskünstler aller Zeiten sein, und dieser Eine könnten Sie sein.

Es ist klar, dass Sie die republikanische Nominierung nicht im ersten Wahlgang erringen werden. Ihre Delegierten werden nicht verpflichtet sein, im zweiten Wahlgang für Sie zu stimmen, und viele von ihnen werden im zweiten Wahlgang für Senator Ted Cruz stimmen. Sie werden wahrscheinlich von Marco Rubios 170 Delegierten und von anderen unterstützt werden.

Hier ist eine Alternative:

Sie können der Größte aller Verhandlungskünstler werden – nicht der Gott, aber ein Gott, wie Bill Murray in “Und täglich güßt das Murmeltier” sagte – oder sie können das diametrale Gegenteil des größten Verhandlungskünstlers werden, nämlich ein elender Verlierer, oder, um präzis zu sein, der Elendeste Verlierer des bekannten Universums. Ein Verlierer zu sein, wäre tragisch für Donald Trump, aber der elendeste Verlierer aller Zeiten zu sein, das würde eine Störung im Raum-Zeit-Kontinuum verursachen. Das darf nicht geschehen.

Niemand sagt, dass Sie ein elender Verlierer sind – noch. Aber das Risiko besteht. Amtsträger der republikanischen Partei haben sich in einer Anzahl von Staaten beklagt, dass Ihre Organisation sie persönlich wegen der Delegierten-Verteilung bedroht habe. Ihr Berater Roger Stone warnte zu Beginn dieses Monats: „Wir werden die Hotels und die Zimmernummern derjenigen Delegierten (auf dem republikanischen Parteitag) enthüllen, die direkt an dem Diebstahl (d. h. die Trump nicht unterstützen) beteiligt sind. Wir werden euch sagen, wer die Schuldigen sind. Wir fordern euch auf, sie in ihrem Hotel zu besuchen und sie zu finden.“

Die Washington Post hat am 13. April berichtet:

In Colorado planen Republikaner eine Kundgebung am Freitag, um auf die Drohungen gegen der republikanischen Vorsitzenden Steve House aufmerksam zu Machen. Er sagte, sein Büro habe nach einem Landesparteitag 3.000 Anrufe erhalten, „von denen viele die vulgärsten waren, die sie sich vorstellen können“, nachdem ein Landesparteitag am letzten Wochenende alle 34 Delegierten Cruz zugesprochen hatte. „Die Leute, die denken, sie hätten irgendwie das Recht, mich und meine Familie zu bedrohen, weil ihnen der Ausgang einer Wahl nicht gefällt, sollten sich schämen“, schrieb er auf Facebook.

Das macht keinen guten Eindruck. Da strahlt das Wort „Verlierer“ im Neonlicht. Das ist es nicht, was Sie sein wollen.

Hier ist ein einfacher Weg, um als Sieger vom Platz zu gehen. Machen sie den Handel selbst. Irgendein Handel wird in Cleveland geschlossen werden. Die einzige Frage ist: Wessen? Wenn es deren Handel ist, dann sind Sie der Ferner-Liefen, der Hätte-Sein-Können, der Könnte-Wollte-Sollte. Dann sind sie der Präsidentschaftskandidat, der kurz vor der Ziellinie abschnappte. Niemand wird Sie respektieren, nie mehr. Sie können sich beklagen, soviel Sie wollen, aber Sie wissen besser als jeder andere, dass ein großer Abstand besteht zwischen dem, der 49,9 % der Aktien, und dem, der 50,1 % besitzt. Mit Minderheitsaktionären fährt jeder gern Schlitten.

Wenn Donald Trump den Handel in Cleveland aushandelt, dann wird es ein großer Handel sein, der größte Handel, der Handel, der alle Händel beendet, das Siegel auf der Karriere des größten Verhandlungskünstlers in der Geschichte, und eine Quelle immerwährenden Ruhms für den größten Verhandlungskünstler, der je eine Feder auf das Papier setzte. Mag jemand anders Präsident sein. Sie können alles andere sein. Die nächste Ausgabe von “The Art of the Deal” (Die Kunst des Verhandelns) wird für Jahre an der Spitze der Bestsellerliste stehen. Das „Trump“-Markenzeichen wird erstrahlen. Die Leute werden Handtücher mit dem Trump-Logo aus den Trump-Hotels stehlen, um sie bei E-Bay zu versteigern.

Wenn Sie den Handel jetzt vorbereiten in der Vorbereitungsphase des großen Durcheinanders in Cleveland, können sie alles, was sie nur wollen, heraushandeln – jede Position im Kabinett. Sie können der Leiter eines neuen Regierungsministeriums werden – exklusiv für sie gemacht: Das Ministerium des Aushandelns. Sie können die Grundsatzrede auf dem Parteitag halten. Sie können ihren eigenen Ball zur Amtseinführung im nächsten Januar haben. Sie können eine Reality-Show in ihrem Ministerium abhalten.

Mit Ihnen als oberstem Verhandlungskünstler wird die Republikanische Partei im November dem Sieg entgegenkreuzen, äh, entgegenmarschieren, und Ihnen wird man das Verdienst zuschreiben.

Seien Sie ein Gewinner, Donald Trump. Handeln Sie was aus!

[1] “The Art of the Deal” – von Donald Trump verfasster Bestseller.

[2] Zu diesem Zeitpunkt wird in Cleveland der Parteitag der Republikanischen Partei stattfinden, auf welcher der republikanische Präsidentschaftskandidat nominiert wird.

Spengler auf Deutsch 41: Alice im Trumperland und Chinas Währung

 

Das Original erschien am 3. April 2006 unter dem Titel „Alice in Trumperland and China’s Currency“ in Asia Times.

„Wir sind im Handelskrieg mit China und wir verlieren ihn“ – mit diesen Worten bedrängte Laura Ingraham in ihrer Radio-Talkshow Senator Ted Cruz, der sich dagegen wendet, China für angebliche Währungsmanipulationen zu bestrafen. „Ted, in diesem Punkt sind Sie auf der falschen Seite der Geschichte“, fügte Ingraham hinzu. Es ist jedoch Frau Ingraham, die irgendwie auf die falsche Seite des Spiegels geraten ist, da, wo alles verkehrt herum ist[1].

Für die auf der richtigen Seite des Spiegels, das heißt, für die in der wirklichen Welt und nicht in Trumperland, ist das Gegenteil der Fall. Chinas realer effektiver Wechselkurs (der handelsgewichtete Wechselkurs justiert nach der jeweils unterschiedlichen Inflation) ist zwei Mal so hoch wie er es von 20 Jahren war und 40 % höher als er es 2008 war. Die chinesische Währung ist gestiegen, nicht gefallen!

Realer Wechselkurs für China:

chinareer

Zugleich sind Chinas Exporte in die Vereinigten Staaten seit der Krise von 2008 kaum gewachsen. Die Graphik unten zeigt das jährliche Wachstum der amerikanischen Importe aus China über ein fünfjähriges Intervall. Bis zur Rezession von 2008 wuchsen amerikanische Importe aus China mit Jahresraten von 15 bis 30 %. In den letzten fünf Jahren dagegen lagen sie kaum über 3 %.

Jährliche amerikanische Importe aus China über fünf Jahre:

chinaimp

Der Grund dafür, dass Chinas realer Wechselkurs so stark angestiegen ist, besteht darin, dass China seine Währung faktisch an den Dollar gebunden hat. Seit Beginn des Jahres 2014 ist der Dollar auf einer handelsgewichteten Basis um 25 % gestiegen, als die amerikanische Zentralbank ankündigte, sie werde die Leitzinsen erhöhen. Erst nachdem der Dollar um 25 % gestiegen war (und die chinesische Währung mit ihm) hat China seiner Währung einen leichten Rückgang gegenüber dem Dollar erlaubt – da die chinesische Währung gegenüber jeder anderen Währung der Welt massiv aufgewertet hatte.

Wechselkurs China/USA gegenüber dem handelsgewichteten Dollar:

Blau: handelsgewichteter Dollar

Rot: Chinesischer Rembini versus US-Dollar

chinatwd

Der Kursanstieg der chinesischen Währung infolge von Chinas Weigerung, seine Währung im Verhältnis zum Dollar an Wert verlieren zu lassen, hat den chinesischen Exporten enormen Schaden zugefügt. Anhand einer Studie der „Reorient Group“ in Hong Kong vom 27. Oktober 2014 habe ich gezeigt, dass Veränderungen des realen effektiven Wechselkurses des chinesischen Yuan Veränderungen in den chinesischen Exporten mit einem dreimonatigen Abstand korrekt voraussagten.

Verzögerte Veränderungen handelsgewichteter Währung versus Veränderungen im Export:

chinatrade

In dem genannten Berichten habe ich beobachtet:

Im Fall des handelsgewichteten Wechselkurses beobachten wir, dass Veränderungen im handelsgewichteten Wechselkurs Veränderungen im Exportwachstum vorwegnehmen. Mit einer R2-Rate von 67 % nehmen jährliche Veränderungen in handelsgewichteter Währung mit einem vierteljährlichen Abstand Veränderungen in den Exporten vorweg. Verlangsamtes Exportwachstum korreliert eng mit steigenden Wechselkursen.

Um die Dollarbindung aufrechtzuerhalten, war China zudem gezwungen, die höchste heimische Zinsrate unter den großen Wirtschaftmächten der Welt aufrechtzuerhalten. Das belastete die chinesische Wirtschaft zusätzlich.

Fran Ingrahams Behauptung, dass Amerika sich in einem Handelskrieg mit China befindet, widerspricht den Tatsachen. Er existiert lediglich in ihrer lebhaften Fantasie. Die Fakten gegen Senator Cruz recht.

Sicher, Amerika sollte Chinas wegen besorgt sein. Es steht im Wettbewerb mit Technologieunternehmen wie dem Kommunikationsgiganten „Huawei“, der 15 % seiner Bruttoeinnahmen in Forschung und Entwicklung investiert. Wie viele amerikanische Firmen investieren so viel aus ihren Einnahmen in Forschung und Entwicklung? In einigen wichtigen Bereichen ist China dabei, die technologische Lücke zu den Vereinigten Staaten zu schließen. Über Wechselkursmanipulationen zu jammern, wird jedoch nichts helfen, insbesondere wenn diese überhaupt nicht existieren.

[1] Anspielung auf Lewis Carrolls Roman “Through the looking-glass” (Alice hinter den Spiegeln) (1871), die Fortsetzung von “Alice im Wunderland”.

Spengler auf Deutsch 37: Ted Cruz: Unsere letzte und unsere größte Hoffnung

Das Original erschien am 25. März 2016 unter dem Titel „Ted Cruz: Our Last, Best Hope“ in PJMedia.

Amerika braucht etwas Besseres als eine Feedbackschleife für populäre Ressentiments. Wir brauchen einen echten Präsidenten. Amerikas Elite ist arrogant und korrupt, aber der Zustand des amerikanischen Volkes ist fast ebenso alarmierend. 1790 wies Amerika eine Alphabetisierungsrate bei Erwachsenen von 90 % auf, als nur die Hälfte der Engländer und ein Fünftel der Spanier und Irländer ihren Namen schreiben konnte. Wir hatten die am besten erzogenen, die am höchsten motivierten und gesündesten Arbeitskräfte der Welt, und das mit einem überwältigenden Vorsprung.

Heute bilden Amerikaner im Alter von 16 bis 24 das Schlusslicht einer Evaluation von 22 Ländern in Bezug auf Rechnen, Lesen und das Lösen von technischen Problemen.

Das schlechte Abschneiden der Studenten sollte keine Überraschung sein. Die amerikanische Familie zerfällt. Nahezu 30 % der nicht-hispanischen weißen Kinder sind unehelich geboren, ebenso wie 53 % der hispanischen und 73 % der afroamerikanischen. Als Reagan das Amt übernahm, waren 18 % aller amerikanischen Geburten unehelich. 2014 waren es über 40 %.

Eine Aufholjagd reicht nicht, um aus dieser Misere herauszukommen. Wir brauchen nichts Geringeres als eine große nationale Wende. Es gibt zwei republikanische Kandidaten, die von Anfang an klargemacht haben, dass sie mehr als Dienst nach Vorschrift im Sinn haben – Ted Cruz und Donald Trump. Ein anderer Romney würde nichts ändern.

Sicher, unsere Eliten haben uns verkauft. Es gibt unbeschränktes Kapital für Investoren, um zwangsversteigerte Häuser zu kaufen, während die Hälfte der Amerikaner die nötigen Raten nicht bezahlten kann bzw. keine Hypotheken bekommt. Das Pentagon und die Rüstungsunternehmen haben eine Billion Dollar für die F-35 zum Fenster hinausgeworfen, die lahmste Kiste in der Geschichte der Militärfliegerei, und so jedes andere Beschaffungsprogramm verdrängt. Unsere Technologieunternehmen sind zu einer Verschwörung von Innovationsverhinderern mutiert; sie werden von Patentanwälten, statt von Ingenieuren geleitet. Die Finanzindustrie hat den größten Beschiss in der Geschichte zu verantworten, die Subprime-Blase der 2000er, und die Obamaregierung hat nicht einen Verantwortlichen in den Knast geschickt (statt dessen verurteilte sie die Aktionäre der Banken zu Milliarden Dollar-Bußen, das heißt ihren Pensionsfond oder ihre Rentenversicherung). Die Clintons sind ein kriminelles Unternehmen, wie Peter Schweizer in seinem Buch Clinton Cash gezeigt hat. Das außenpolitische Establishment behandelt die Welt als ein gigantisches Sozialexperiment und verschwendet Blut und Geld, um die Welt reif für Demokratie zu machen.

Das Resultat ist die korrupteste und katellierteste Wirtschaft der amerikanischen Geschichte. Das erste Mal, seit Statistiken geführt werden, tragen neu gegründete Unternehmen seit 2009 nahezu nichts zur Erholung des Arbeitsmarktes bei, wie ich hier am 2. März berichtet habe. Aber Donald Trump ermutigt Wunschdenken. Die Behauptung “Wir werden Amerika wieder groß machen”, indem wir mexikanische Illegale ausweisen und Jobs aus China zurückholen, ist Unsinn.

Unsere Eliten sind verrottet, aber das Volk ist angeschlagen und verwirrt. Nach der Generation der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung hat Amerika bei der Bildung von Eliten versagt. Aber wir brauchen immer noch Staatsmänner, die uns erheben, uns belehren, uns inspirieren. Selbsterzogene Außenseiter wie Abraham Lincoln und Ronald Reagan waren unsere fähigsten Staatsmänner, nicht die Absolventen von Harvard oder Yale. Lincoln mag Autodidakt gewesen sein, aber er war der tiefste Denker seiner Generation. Auch Reagan war Autodidakt, aber er hatte einen umfassenden und detaillierten Zugang zur Außenpolitik und war einer der Ersten, die sich zu Robert Mundells angebotsorientierter Wirtschaftspolitik bekannten. Sie waren auch von Grund auf gute Männer.

Ted Cruz ist ein begabter Außenseiter mit einzigartigen Führungsqualitäten. Er beherrscht das Verfassungsrecht brillant aus seiner Zeit als Generalstaatsanwalt des Staates Texas, er hat intimes Verständnis für wirtschaftliche Fragen aus seiner Zeit in der „Federal Trade Commission“, und eine klare Vision, was Amerika in der Außenpolitik tun und lassen sollte. Er war ein akademischer Superstar an Eliteuniversitäten, aber ließ sich durch seinen Erfolg nie zu Selbstgefälligkeit verleiten. Er ist zutiefst religiös. Er hat auch den Willen zu führen. Es ist keine Überraschung, dass seine Senatskollegen ihn nicht mögen: Als Präsident würde Cruz ein korruptes und behagliches Spiel beenden. Er hat das Gehirn, das Problem zu verstehen, und den Mut, die Hindernisse zu seiner Lösung beiseitezuschieben.

Donald Trumps Popularität beruht auf seiner Gabe, Politik als Fernsehshow zu betreiben. Die Amerikaner haben Eliten immer misstraut, aber die heutige populäre Kultur treibt dies zu einem pathologischen Extrem. Wir finden es anstößig, etwas zu bewundern, das besser ist als wir selbst. Stattdessen identifizieren wir uns mit dem, das wie wir selbst ist. Darum hören wir Sänger, die wie ein Betrunkener in einer Karaoke-Show klingen, statt Frank Sinatra. Darum ist Realitätsfernsehn so populär bei uns. Jeder kann dort ein Star werden. Wir lieben es, uns selbst im Spiegel zu sehen. Diese Mischung aus Nazismus und Ressentiment ist giftig. Trumps Kitsch-und-Prunk-Lebensstil ist ein nationales Paradigma für Erfolg geworden. Wir sind nicht Trumps Wähler, wir sind eine virtuelle Burleske.

Wir hören immer wieder, dass Trump ein Geschäftsmann ist, der die “Dinge in den Griff kriegt”. Das ist völlig falsch: die erfolgreichsten Geschäftsmänner sind sehr gut in einer sehr beschränkten Anzahl von Dingen. Große Unternehmer sind – wie George Gilder geschrieben hat –  die Art von Leuten, welche die ganze Nacht an einer besseren Straßenreinigung tüfteln. Trump ist nicht einmal ein besonders erfolgreicher Unternehmer. Hätte er die 100 Millionen Dollar, die er 1978 geerbt hatte, in einen Index-fond investiert, wäre er heute zwei Mal so reich, wie er tatsächlich ist. Als ein Casino-Investor hält er keinen Vergleich mit Sheldon Adelson aus, der als armer Mann begann und jetzt zehn Mal so reich wie Trump ist. Tatsächlich hat Trump den schlechtmöglichsten Hintergrund für einen Präsidenten: als Kind reicher Eltern, das ein privates Unternehmen führt, ist er daran gewohnt zu sagen: “Spring”, und dass seine Lakaien sagen, “Wie lange soll ich in der Luft stehen bleiben“?

Trump liest nicht. Er prahlt mit seiner eigenen Unwissenheit. Der Journalist Michael d’Antonio interviewte Trump in seinem Haus in New York und sagte einer deutschen Zeitung:[1]

„Bei meinem ersten Besuch fiel mir sofort auf, dass es da keine Bücher gab“, sagt d’Antonio. „Ein riesiger Palast und kein einziges Buch“. Er fragte Trump, ob es ein Buch gebe, dass ihn besonders beeinflusst habe. „Ich würde liebend gern lesen“, antwortete Trump. „Ich habe viele Bestseller verfasst, wie sie wissen, und ‚The Art of the Deal‘ war eines der am besten verkauften Bücher aller Zeiten“. Bald sprach Trump von ‚The Apprentice‘ (der Auszubildende). Trump nannte es die ‘Nr 1 unter den Fernsehshows’, eine Reality-Show, in der er über 14 Staffeln sich selbst spielte und Kandidaten demütigte, die um das Privileg einer Anstellung in seinem Unternehmen wetteiferten. In dem Interview sprach Trump eine Ewigkeit darüber wie fabelhaft und erfolgreich er ist, aber nannte nicht ein einziges Buch, das er nicht selbst geschrieben hatte.

“Trump liest nicht”, sagte d’Antonio in dem Restaurant. „Seit seiner Universitätszeit hat er nichts Ernsthaftes oder Grundlegendes über die amerikanische Gesellschaft gelernt. Und um ehrlich zu sein, ich glaube, er hat nicht mal an der Universität gelesen“. Als man Trump fragte, wer seine außenpolitischen Berater seien, antwortete er: „Nun, ich sehe die Shows“. Er bezog sich auf politische Talkshows im Fernsehen. 

Es mag sein, dass Trumps Wähler ebenfalls nicht lesen, aber sie sollten einen Präsidenten haben wollen, der etwas von den Problemen versteht, die er zu lösen verspricht.

Trump liegt schrecklich falsch über wichtige Themen. Amerikas wirtschaftliche Probleme sind nicht durch mexikanische Immigranten oder chinesische Importe verursacht, wie ich im letzten Juli dargelegt habe. Ich gebe ihm recht im Hinblick darauf, dass er die „Islam-ist-eine-Religion-des-Friedens“-Idiotie zurückweist, wie sie von George W. Bush, Barack Obama und Hillary Clinton vertreten wird. Eine Mehrheit der Amerikaner (46 % geben 40 %) unterstützt sein vorgeschlagenes Verbot muslimischer Immigration. Aber das ist der falsche Weg, das Problem anzugehen, richtig wäre, die Muslimbruderschaft als terroristische Organisation einzustufen, wie Cruz vorschlägt, und dann ihre Anhänger einzusammeln. Ich stimme Trump ebenfalls zu, dass er zu Beginn dieser Woche auf der AIPAC-Konferenz[2] den unsinnigen Nuklearvertrag mit dem Iran verrissen hat. Aber Cruz hat das sehr viel besser gemacht.

Solange Hitler oder Goebbels nicht aus ihren Gräbern aufstehen und sich um die Präsidentschaft bewerben, werde ich nicht für Hillary Clinton stimmen; in einem Trump-Clinton Wahlkampf werde ich ohne eine Sekunde zu zögern für Trump stimmen. Man kann ausschließen, dass Trump ein guter Präsident sein wird; er weiß wenig und erledigt die Dinge, so wie es ihm gerade in den Sinn kommt. So mag er gelegentlich über eine gute Lösung stolpern. Aber es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass er über Amerikas fortschreitenden Niedergang präsidieren und uns mit selbstmitleidigen Reden trösten wird.

Wir sind in ernsthaften Schwierigkeiten. Wir brauchen einen Präsidenten, der uns aus dem wirtschaftlichen und moralischen Morast herausführen kann. Ich fürchte, dass Ted Cruz unsere letzte und unsere beste Hoffnung ist, bevor wir früheren Supermächten wie Britannien abwärts auf dem schlüpfrigen Abhang zu nationaler Mittelmäßigkeit folgen.

[1] Da mir die deutsche Version des Artikels nicht greifbar war, übersetze ich aus dem Englischen ins Deutsche zurück. Anmerkung des Übersetzers.

[2] AIPAC = American Israel Public Affairs Committee. Am 21. März 2016 hat Donald Trump dort in einer Rede seine Position zu Israel und dem Nahen Osten erläutert.

Spengler auf Deutsch 31: Trumps Triumph ist eine Folge von Abwärtsmobilität

Der Originalartikel erschien am 1. März 2016 unter dem Titel „Trump Triumphed Due to Downward Mobility“ in Asia Times.

Das Rennen ist noch offen, aber eine Entscheidung zeichnet sich ab: Die Siege von Donald Trump in Georgia, Alabama, Tennessee, Virginia, Arkansas und Massachusetts überwiegen den Sieg von Ted Cruz in seinem Heimatstaat Texas und im benachbarten Oklahoma. Das republikanische Establishment wird sich nicht um Cruz scharen, als den letzten Kandidaten, der fähig ist, Trump zu schlagen. Marco Rubios Trostpreis war der Minnesota-Caucus mit 37 % Stimmenanteil.

In den letzten sechs Monaten haben meine republikanischen Freunde und ich Donald Trumps Aufstieg mitangesehen und uns gefragt, ob die Wähler verrückt geworden sind. Aber die Wähler sind nicht verrückt. Wir in der republikanischen Elite waren verrückt. Wir dachten, wir könnten der amerikanischen Wirtschaft erlauben, auch weiterhin ein Spiel mit gezinkten Karten zu bleiben. Die Wähler denken anders. Darum ist Trump am Gewinnen. Das ist auch der Grund, warum Bernie Sanders, der unwahrscheinlichste Präsidentschaftskandidat seit Menschengedenken, in der Lage ist, Hillary Clinton ernsthafte Konkurrenz zu machen. Wenn man den Leuten keinen Kapitalismus gibt, pflegte der verstorbenen Jude Wanniski zu sagen, dann werden sie den Sozialismus nehmen.

Amerikaner sind gerissen. Man kann nicht auf sie spuken und ihnen erzählen, es regnet. Sie wissen, das Spiel ist zu ihren Ungunsten manipuliert. Sie wissen davon ebenso, wie sie wissen, wenn eine Lotterie manipuliert ist: Es gibt keine Gewinner. Sie wissen, dass es mit ihnen abwärts geht, weil es nicht aufwärts geht. Amerikaner sind bereit, gegen schlechte Chancen zu spielen – die spielen ständig im Lotto – aber jetzt denken sie, dass sie überhaupt keine Chance haben. Bis 2008 hatten normale Amerikaner eine Außenseiterchance, reich zu werden. Jetzt haben sie keine Chance mehr.

Aufwärtsmobilität ist der Pegel für Amerikas Wohlbefinden. Es ist nicht der Niedergang des durchschnittlichen Familieneinkommens, der den Amerikanern unter die Haut geht, sondern die Wahrnehmung, dass die Eliten die Leiter hinter sich hochgezogen haben. Während des Vierteljahrhunderts nach der Amtseinführung von Ronald Reagan war es nur eine geringfügige Übertreibung, zu sagen, dass in jeder Familie jemand reich wurde. Man kaufte eine Lizenz für Kabelfernsehn, startete eine Website, kaufte einige Aktien von im Aufwind befindlichen High-Tech-Firmen, machte in Immobilien oder leitete ein kleines Geschäft, das ein großes wurde. Ungleichheit stört Amerikaner nicht, so lange sie die Chance auf ein Gewinnlos haben – nicht unbedingt eine faire Chance, aber doch zumindest eine Chance, die sich wenigstens gelegentlich für einfache Leute verwirklicht. So lange sie sehen konnten, dass Leute wie sie selbst reich wurden, spielten sie das Spiel weiter.

Arme Leute kaufen überteuerte Lotterielose und reiche Leute kaufen überteuerte Versicherungen aus demselben Grund: die Armen zahlen für die Aussicht reich zu werden, die reichen zahlen, um sicher zu stellen, dass sie nicht arm werden. Wie die angesehenen kanadischen Wirtschaftswissenschaftler Reuven and Gabriele Brenner dargelegt haben, ist soziale Mobilität der Schlüssel für wirtschaftliches Verhalten. Die Menschen zählen nicht die Pfennige in ihren Geldbeuteln, vielmehr suchen die Armen einen Weg in die Sicherheit der Mittelklasse und die Wohlhabenden versichern sich gegen den glitschigen Abhang, der zurück in die Armut führt.

Man kann in Amerika nicht mehr reich werden. Die Dot.com-Blase war eine Täuschung, sicher, aber so viele Leute haben damit das große Geld gemacht, dass selbst Mike Doonesbury[1] in der gleichnamigen Comixserie ein Dot.com-Millionär wurde. Immobilienspekulationen ohne Eigenkapital bereicherten Millionen von Haushalten unter der Bushregierung. Das waren Blasen, aber es waren demokratische Blasen. Die Märkte versorgten die Massen mit Kapital. Die Aktienmärkte kauften Unternehmen, geleitet von Zwanzigjährigen in löchrigen Jeans und Badelatschen, und der Hypothekenmarkt finanzierte Hausfrauen, als ob sie Großgrundbesitzer wären. Kapital, auch bekannt als das Geld anderer Leute, ist das, was Kapitalismus kapitalistisch macht. Niemand wird reich, indem er in einen Bausparvertrag einzahlt. Sicher, die spekulierenden Hausfrauen in Florida missbrauchten das Geld anderer Leute ebenso wie die Subprime-Verkäufer. Aber darauf kommt es nicht an. Es war ein Beschiss, von dem alle etwas hatten.

2008 aber schloss sich die Tür für die Aspirationen der Mittelklasse mit einem lauten Krach.

Während der Erholungsphase nach 2008 schlossen mehr Unternehmen als neu gegründet wurden, wie ich in einem Essay vom 29. Februar (2016) gezeigt habe

Unternehmensschließungen halten an, während Neugründungen zurückgehen:

Zudem wurde seit 2005 nur einer von sechs neuen Arbeitsplätzen von Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten geschaffen. Dagegen schufen in den drei Jahrzehnten von dem Krach von 2008 Neugründungen 2,9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr, während etablierte Firmen 1,5 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr verloren.

Arbeitsplatzschaffung und Unternehmensgröße:

Die Preise für Wertpapiere haben sich erholt, aber es gibt keine Möglichkeit für normale Leute, auf den Zug aufzuspringen. Private Kapitalgesellschaften haben Milliarden aufgebracht, um zwangsversteigerte Häuser aufzukaufen und zu weit höheren Gesamtkosten an Leute zu vermieten, die es gewohnt waren, ihr eigenes Haus zu besitzen. Seit der Krise ist die nationale Hauseigentumsrate ist von 69 % auf 64 % gefallen, und die Mieten steigen um 4 % pro Jahr, viel schneller als die Einkommen.

Hauseigentumsrate in den Vereinigten Staaten und Miete für den Erstwohnsitz:

Amerikaner tolerieren eine reiche Elite, wenn – und nur wenn – sie am Reichtum teilhaben können. Die kartellierten, korrumpierten, abgeschlossen Mechanismen, die in den letzten acht Jahren Reichtum kreierten, schließen sie aus. Die republikanische Basis will Blut sehen. Sie wollen Rache an Eliten, die sie von der Reichtumsgewinnung ausgeschlossen haben. Ohne Peggy Noonan zu nahe treten zu wollen: das hat nichts zu tun mit “abgesichert” gegen “ungesichert”. Es geht um Möchtegern gegen Habeschon. Es hat auch nichts damit zu tun, was Bret Stephens „eine neue politische Welle“ nennt, „die den Globus überschwemmt – Führer kommen an die Macht durch demokratische Mittel, während sie sich zu illiberalen Zielen bekennen“, einschließlich Viktor Orban in Ungarn und Recep Tayyip Erdogan in der Türkei. Amerikaner haben andere Forderungen als Türken und Ungarn.

Ich habe aus meiner Vorliebe für Ted Cruz kein Geheimnis gemacht, und hoffe immer noch, dass er die Niederlage in einen Sieg verwandeln kann. Er hat eine intelligente und disziplinierte Wahlkampfstrategie verfolgt, die nicht erfolgreich war. Cruz rechnete auf die evangelikalen Protestanten, er hoffte, sie würden ihm in South Carolina Auftrieb geben. Aber die meisten Evangelikalen stimmten stattdessen für Trump. Die Evangelikalen haben immer eine gespaltene Persönlichkeit gehabt, eine Leidenschaft für Sozialkonservatismus einerseits, ein Anpreisen des Wohlstandsevangeliums andererseits. Offensichtlich votieren die Evangelikalen nicht für konservative Prinzipien, wie Cruz es ihnen nahelegte.

Trump übertrumpfte Cruz in den Punkten Immigration und Sicherheit, bot markige Sprüche – baut eine Mauer an der mexikanischen Grenze und hindert Muslime an der Einreise -, die Cruz‘ nuancierte Positionen ertränkten. Cruz stand auf gegen das republikanische Establishment, Trump bot ihnen eine Nonstop-Beschimpfungskomödie.

Abwärtsmobilität ist das entscheidende Thema in den bevorstehenden Wahlen. Solange Trumps Rivalen die Phantasie der Wählerschaft nicht mit einer Vision von erneuter Auswärtsmobilität fesseln können, wird Trump die Nominierung gewinnen. Eine Präsidentschaftswahl zwischen Clinton und Trump wäre die schmutzigste, hässlichste, schmierigste und entscheidendste seit dem Bürgerkrieg. In diesem Fall helfe Gott den Vereinigten Staaten von Amerika.

[1] Entspricht etwa dem deutschen Otto Normalverbraucher oder Heinrich Mustermann.

Spengler auf Deutsch 24: Donald Trumpelstilzchen

Das Original erschien am 4. Februar 2016 unter dem Titel „The (new) Donald – Trumpelstiltskin“ in Asia Times.

Donald Trumps Behauptung, dass Senator Ted Cruz den Iowa-Caucus durch einen Wahlbetrug gewonnen habe, gipfelte in einem Wutanfall außergewöhnlichen Ausmaßes. Unwillkürlich denkt man an das Märchen von Rumpelstilzchen, das – wie erinnerlich – Stroh zu Gold spann als Gegenleistung für das erstgeborene Kind der prahlerischen Müllerstochter. Nur wenn die Müllerin seinen Namen sagte, würde der teuflische Zwerg auf seinen Anspruch verzichten. Sie folgte ihm in sein Versteck, sah ihn tanzen und singen „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“ (auch im Original deutsch).

Überlistet stampfte der Zwerg einen Fuß bis zur Hüfte in den Boden und dann packte er seinen anderen Fuß und riß sich selbst entzwei.

Schlechte Schriftsteller imitieren und gute stehlen, sagte T. S. Eliot, und ich habe die Bezeichnung „Trumpelstilzchen“ von meiner Tochter Raquel gestohlen, deren literarisches Talent meines weit übertrifft. Nach dem Cruz-Sieg verbrachte Trump 15 Stunden in wütender Stille und twitterte dann:

Ted Cruz hat Iowa nicht gewonnen, er hat es gestohlen. Darum waren die Umfragen so falsch und erhielt er mehr Stimmen als vorhergesagt. Mies!

Und eine Stunde später:

Wegen des Betrugs, den Senator Ted Cruz während des Iowa-Caucus beging, sollte die Wahl entweder wiederholt oder Cruz Resultate für ungültig erklärt werden.

Und abermals:

Der Bundesstaat Iowa sollte Ted Cruz von der jüngsten Wahl disqualifizieren, da er betrogen hat – ein totaler Betrug!

Später erklärte Trump, dass der angebliche Betrug aus zwei Aktionen in der Cruz-Kampagne bestanden habe. Die erste war eine E-Mail; sie zitierte Medienberichte, dass Ben Carson erwäge das Rennen aufzugeben (ein solcher Bericht war tatsächlich gerade auf CNN erschienen). Die zweite war eine offiziell aussehende Mail an die Wähler in Iowa, die „Wahlverstöße“ monierte, insbesondere die niedrige Wahlbeteiligung bei den früheren Caucussen in Iowa. Zweck der Mail war es, Wähler zur Teilnahme am Caucus zu motivieren, da eine hohe Wahlbeteiligung hilfreich für Cruz war. Aber es ist schon merkwürdig, über einen Versuch, mehr ordnungsgemäß registrierte Wähler an die Urnen zu bringen, „Betrug“ zu schreien.

Keiner dieser Vorfälle war ein schmutziger Trick im üblichen Sinne des Wortes: niemand hat Trumps Kampagnen-Computer gehackt oder die Luft aus den Reifen seines Privatjets gelassen. Sicher, Cruz spielt rauh, aber nicht schmutzig. Solche Dinge muss ein künftiger Präsident (ganz zu schweigen von einem amtierenden) eben tun.

Cruz will gewinnen und offensichtlich wird er bis an die Grenze akzeptablen Verhaltens gehen – aber er hat sie nicht überschritten. Cruz gewann Iowa durch intensive Vorbereitung vor Ort wie auch durch genaue Analyse der Themen. Es gelang ihm, die Farmer in Iowa davon zu überzeugen, dass gleiche Zugangschancen auf dem Energiemarkt die Nachfrage für Ethanol (und damit für den Mais aus Iowa, aus dem es produziert wird) steigern werden, und ihnen mehr als staatliche Ethanol-Zuschüsse helfen werden.

Zweifellos ist Cruz, ein früherer Sieger in nationalen Universitätsdebatten, außerordentlich gescheit. Die meisten außerordentlich gescheiten Leute können der Versuchung nicht widerstehen, damit anzugeben, einfach weil sie es können. Nicht aber Cruz. Er vereint große Intelligenz mit enormer Disziplin und Arbeitskraft. Betsy McCaughey, früher als Republikanerin stellvertretender Gouverneur von New York, betont, dass derartige Selbstdisziplin Demut beweist. Er ist klug genug, um zu wissen, dass selbst kluge Menschen große Fehler machen können, und dass harte Arbeit die beste Versicherung gegen Fehltritte ist. Demut ist ein Charakterzug, den man nicht ohne weiteres mit einem Politiker assoziiert, der gegen nahezu alle seine Kollegen im Senat opponiert hat, sie ist aber nötig, um die Unterstützung der örtlichen Honoratioren zu entfachen und zu erhalten, wie Cruz es tat.

Die amerikanische Öffentlichkeit ist verdrossen und begrüßt eine grelle Gestalt, die „sagt, wie es ist“ und die auf schwierige Fragen Antworten gibt, die einfach, klar und falsch sind, wie H. L. Mencken zu sagen pflegte. Um eine Wahl zu gewinnen, musste man früher die lokalen Honoratioren überzeugen – Geschäftsmänner, Gewerkschaftsführer, Kleriker, Medien und Lokalpolitiker -, weil die gewöhnlichen Wähler sich bei der Stimmabgabe am Beispiel der führenden Bürger, die sie persönlich kannten, orientierten. So wurde Iowa für Ted Cruz gewonnen. Ob die Bürger den anderen Bundesstaaten einen altmodischen Auswahlprozess einer politischen Seifenoper vorziehen werden, bleibt abzuwarten.

Dagegen hat Trumpelstilzchen eine Seite seines Charakters enthüllt, welche die Wähler bisher ignoriert oder sogar in perverser Weise bewundert haben. Er erbte seinen Reichtum und leitet ein privates Unternehmen in der Weise, in der er es will, indem der sagt, was er will, einstellt und feuert, wen er will, ohne auf Partner, Aktionäre oder die Öffentlichkeit Rücksicht zu nehmen.

Er ist kein besonders guter Geschäftsmann. Hätte er sein Erbe in einen Indexfond am Aktienmarkt investiert, wäre er heute doppelt so reich, wie er tatsächlich ist. Aber die psychischen Belohnungen für ungezügelten Narzissmus waren eine mehr als ausreichende Kompensation für den geringen Ertrag seines Portfolios. Er hätte die Gelegenheit gehabt, die infantilen Instinkte eines verwöhnten Kindes auf seine alten Tage zu zügeln. Aber er kann es nicht vertragen, zu verlieren; er kann es nicht einmal ertragen, einen Teil der Verantwortung für seine Niederlage auf sich zu nehmen.

In einer bitteren Antwort auf den Wahlbetrugsvorwurf warnte Cruz, dass wir, wenn Trump den Finger auf dem Knopf für die Atomraketen hätte, eines Morgens aufwachen könnten, um festzustellen, dass Donald Dänemark ausradiert hat. Das ist eine Übertreibung, aber Trump zeigt eine Art von Persönlichkeitsstruktur, die ihn zu einem geeigneten Präsidenten für die Hölle machen würde.

Spengler auf Deutsch 23: Über Iowa und die Welt

Das Original erschien am 2. Februar 2016 unter dem Titel “On Iowa and the world” in Asia Times.

Nach dem Sieg von Ted Cruz im Iowa-Caucus der letzten Nacht bleibt Senator Marco Rubio als Alternative des „Establishments“ gegen die „populistischen“ Rebellen, nämlich Cruz und Donald Trump – jedenfalls erzählen uns das die Experten in den amerikanischen Medien. Rubios dritter Platz – besser als erwartet – lässt dem „Establishment“ ein brauchbares Pferd im Rennen, nachdem Bush 3.0 implodierte. Amerikanische Vorwahlen sind selbst für amerikanische Analysten undurchsichtig; von einem asiatischen Standpunkt aus müssen sie unverständlich wie die Stammestänze der Eingeborenen auf Neu-Guinea erscheinen. Nichtsdestoweniger ist Iowa ein bedeutsamer Augenblick in einer sich radikal ändernden Welt.

“Niemand mag Ted Cruz”, hört man von Anhängern des Establishments. Einer von Mitt Romneys größten Spendenwerbern sagte mir: „Da sind 99 andere Senatoren und hunderte von Kongressabgeordneten, und keiner von ihnen mag Cruz. Wie könnte er gewählt werden“?

Cruz’ Kollegen verabscheuen ihn aus guten Grund. Während der Reagan- und der Bush-père-et-fils-Regierung ist das republikanische Establishment eine eindrucksvolle Macht geworden, mit großen Medien („Fox News“ und „Wall Street Journal“), Denkfabriken (mit dem „American Enterprise Institute“ an der Spitze) und – wohl am wichtigsten – einer intellektuellen Kaste, die bereit ist, vielversprechende junge Leute für künftige hohe Positionen zu trainieren und zu betreuen. Obwohl die amerikanischen Universitäten unter den Einfluss der Linken geraten sind, haben konservative Stützpunkte an den Universitäten die Möglichkeit, Studenten in die richtigen Praktika, Anfängerjobs und gehobene Positionen zu lotsen, mit angemessenen Doktoraten, gelehrten Artikeln, mittelmäßigen Büchern und Zeitschriftenkolumnen.

Und am Ende des Karrierezyklus warten Lobbyfirmen mit Pensionsplänen. Newt Gringrichs 1,6 Millionen Dollar Lobby-Gebühr für die „Federal National Mortgage Association“ (eine amerikanische Hypothekenbank), eine Hauptschuldige für die Subprime-Krise von 2008, war unerhört, aber nicht untypisch. Die Spenderliste, die Irving Kristol einst zusammenstellte, als er das „American Enterprise Institute“, den Kindergarten (auch im Original deutsch) der Reaganregierung, leitete, bietet immer noch Stipendien bei Stiftungen, Forschungsgelder und Druckkostenzuschüsse für unverkäufliche Publikationen.

Das Problem ist, dass das republikanische Establishment in den Jahren nach 2000 katastrophal versagt hat. Es verkaufte sich an die Subprimespekulanten (obwohl die Leitartikel des „Wall Street Journal“ früh und oft vor den Risiken warnten, die staatliche Garantien für riskante Hypothekenkredite darstellen). Es schlief mit offenen Augen, als die Banken den Vorsitzenden der Fed (Federal Reserve System, die amerikanische Zentralbank) Alan Greenspan überredeten, einen 70 zu 1-Hebel auf betrügerische AAA-Wertpapiere[1], die durch Hypotheken abgesichert waren, zu erlauben. Und es unterstützte geschlossen die dümmste Idee in der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik, nämlich den Export von Demokratie unter Inkaufnahme großer Verluste an Blut und Geld.

Der Rest der Welt knirscht mit den Zähnen aus Frustration über Amerikas Entschlossenheit, seine Dummheiten fortzusetzen. Auf George W. Bushs strategisches Ausgreifen folgte Barack Obamas strategischer Rückzug; er überließ es dem Rest der Welt, Lösungen für Probleme zu improvisieren, um die sich Amerika früher zu kümmern pflegte – zum Beispiel den sich ausbreitenden sunnitischen Dschihadismus. Das Establishment war eine Schöpfung von Reagans Sieg im Kalten Krieg, und es glaubt immer noch, dass es im Kalten Krieg kämpft, wie in John Kasichs Debattenbeitrag sichtbar wurde, der versprach, Putin ins Gesicht zu schlagen – womit ein Provinzpolitiker sich als harter Bursche profilieren wollte.

Im Herbst 2014 hatte Cruz sich den Zorn des Establishments zugezogen, als er betonte, dass die Vereinigten Staaten zu lange im Irak geblieben seien, und hinzufügte, dass Amerika nicht versuchen sollte, den Irak in eine Art Schweiz zu verwandeln. Das war nicht nur Häresie, sondern eine existentielle Bedrohung für ein Establishment, das sich Bushs „Freiheits-Agenda“ verpflichtet fühlt, einschließlich des gescheiterten und falsch benannten „Arabischen Frühlings“. Amerikaner verzeihen eine Menge, aber sie verzeihen nicht leicht einer Regierung, die amerikanische Soldaten in den Tod schickte, um ein fehlgeschlagenes soziales Experiment durchzuführen.

Die Bauern sind jetzt vor Frankensteins Burg aufmarschiert, und der durchtriebene Donald Trump profiliert sich draußen auf Kosten des Establishments, macht den Irakkrieg lächerlich und bietet an, mit Wladimir Putin zusammenzuarbeiten. Würde Ted Cruz zum Präsidenten gewählt, würde dem gesamten Apparat des Establishments der Boden unter den Füßen weggezogen – den Stipendien, dem Lobbyismus etc. Frischpromovierte Doktoren in „politischer Philosophie“ müssten Lehraufträge zu Hungerlöhnen annehmen, statt durch die Hallen des Kongresses zu stolzieren.

Cruz ist so verhasst, weil er einfach klug genug ist, um ohne das Establishment auszukommen. Cruz vergleicht sich gern mit Reagan, dessen autodidaktische Bildung ihm in der Außenpolitik die Unabhängigkeit des Urteils und das Zutrauen gab, den Sieg im Kalten Krieg anzustreben, als das damalige Establishment das für unmöglich hielt. Cruz wird in vieler Hinsicht ein größeres Problem haben, wenn er gewählt werden sollte: In dem Jahrzehnt vor Reagans Sieg hatten die Neokonservativen (geführt von ihrem „Paten“ Irving Kristol) das Terrain vorbereitet, hatten akademische Studien publiziert und die wichtigen Themen in den Meinungsseiten der großen Medien erörtert. Heute wäre die Ausbeute sehr viel geringer. Es ist nicht so sehr, dass der Kaiser keine Kleider anhat, als dass das Reich keine Schneider hat.

Sollte Cruz gewählt werden, wird er seinem eigenen Urteil in einem Ausmaß folgen müssen, wie es kein amerikanischer Präsident seit Lincoln getan hat. Es ist intelligent und arrogant genug, das zu tun, und er wird der Patronage des Establishments nichts schuldig sein. Er wird der klügste Mann im weißen Haus seit eineinhalb Jahrhunderten sein. Er ist der Bushregierung nicht verpflichtet und wird nicht Bill Kristol vom „Weekly Standard“ oder Charles Krauthammer von „Fox News“ einladen, um seine Antrittsrede zu schreiben, wie Bush es 2004 tat. Er gewann den Caucus in Iowa, indem er das stärkste Graswurzel-Netzwerk des Landes aufbaute (er behauptet, er habe einen Kampagnen-Organisator in jedem Bundesstaat der Vereinigten Staaten), was ihn vom Parteiapparat unabhängig macht.

Liebenswürdig, jungenhaft, fotogen und eloquent ist Marco Rubio der Kandidat, den “Central Casting” (eine Schauspieleragentur) dem Establishment sandte. Rubio, ein mittelmäßiger Student an der Universität und während seiner gesamten Karriere ein Politiker des Florida-Klüngels, hat seinen Text gelernt, aber er hat nicht einen originellen Gedanken über Außenpolitik. Darum mag ihn das Establishment. Cruz weiß, das Establishment ist nackt, und ist bereit, das zu sagen. Darum mag es ihn nicht. Sie sollen ihn auch nicht mögen. Sie sehen ihn an, wie ein Sparschwein den Hammer anschaut.

Cruz ist kein “Jacksonischer”[2] Isolationist (wie die Spezialisten des Establishments behaupten) in dem Sinne, in dem Walter Russell Mead[3] den Begriff verwandte, vielmehr ist er ein Realist wie John Quincy Adams[4] in der Interpretation von Angelo Codevilla[5]. Cruz fühlt keinen ideologischen Drang, die amerikanische Weltherrschaft durchzusetzen. Er ist besorgt um Amerikas Sicherheit und Amerikas Macht. Das Establishment entstand in dem kurzen Moment, in dem Amerika das Oberhaupt einer unipolaren Welt war, und ist geprägt von diesem Bild, wie kleine Enten vom Bild ihrer Mutter. Aber die Welt hat sich gewandelt. China ist eine Weltmacht geworden, wenn auch eine Weltmacht, die der Westen Mühe hat zu verstehen, und Russland kämpft um seine nationale Wiedergeburt. Diese Entwicklungen sind weder gut noch schlecht für Amerika, sondern das genaue Gegenteil. Von einer Cruzregierung können wir eine Verfolgung amerikanischer Eigeninteressen erwarten, was eine substantielle Verbesserung der militärischen Technologie meint, ebenso wie Zusammenarbeit mit Russland und China, wo es amerikanischen Interessen dient, und Opposition, wo es das nicht tut.

Damit will ich nicht sagen, dass Peking oder Moskau über eine Cruz-Präsidentschaft glücklich wären. Zum einen würde Cruz wahrscheinlich versuchen, den Abstand zwischen der amerikanischen Militärtechnologie und der des Rests der Welt zu vergrößern. Aber Außenpolitik würde kalkulierbar und nicht chaotisch sein, und das ist etwas, womit Amerikas Wettbewerber leben könnten.

[1] Mit einem dreifachen A, dem Triple-A, werden Wertpapiere der besten Bonität gekennzeichnet.

[2] Gemeint ist Andrew Jackson, der siebte Präsident der USA (1829-1837).

[3] Walter Russell Mead, amerikanischer Politikwissenschaftler. In seinem 2001 publizierten Buch „Special Providence. American Foreign Policy and How it Changed the World“, beschreibt Mead den “Jacksonism” als eine der grundlegenden Traditionen amerikanischer Außenpolitik.

[4] Sechster Präsident der USA (1825-1829).

[5] Von Spengler sehr geschätzter amerikanischer Politikwissenschaftler.

Spengler auf Deutsch 20: Der aufhaltbare Aufstieg des Donald Trump

Das Original erschien am 25. Januar 2016 unter dem Titel „The Resistible Rise of Donald Trump“ in Asia Times.

“Stellen Sie sich einen Hitler vor, der Juden mochte,” sagte ich einem israelischen Politiker, der mich bat, ihm den republikanischen Spitzenkandidaten zu beschreiben. Der Vergleich scheint jeden Tag mehr angemessen. Der Titel dieses Artikels spielt auf Berthold Brechts Satire von 1941 an: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. In ihr portraitiert er Hitler als einen Gangster in der Art von Al Capone.

Donald Trump berührt eine finstere Stimmung in der amerikanischen Mittelklasse, deren Aussichten sich seit der Finanzkrise von 2008 merklich verdüstert haben. Zum ersten Mal seit der Großen Depression verlieren die Amerikaner Terrain, das sie nicht zurückgewinnen können. Das mittlere Haushaltseinkommen fiel von 1999 bis 2011 um fast 10 % und stagniert weit unter früheren Spitzenwerten. Die Wohneigentumsquote ist vom 69 % im Jahre 2008 auf knapp 62 % gefallen. Die Erwerbstätigenquote ist von 66,5 % vor der Krise auf jetzt 62 % gefallen, den niedrigsten Stand seit den 1970ern. Eine Generation junger Menschen hat die Universität mit mäßigen Berufsaussichten und erdrückenden Schulden aus Studentenkrediten abgeschlossen.

Durchschnittliches Realhaushaltseinkommen in den Vereinigten Staaten:

Zu haben sind Jobs wie Hamburger verkaufen, Bettpfannen lehren oder einen UPS-Lieferwagen[1] zu fahren.

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Die zwei letzten Generationen amerikanischer Unternehmer, die der Dotcom-Blase der 1990er und die der Hypothekenblase der 2000er, sind in die Pleite gerasselt. Der große Hypothekenschwindel hat mehr als 10 Millionen Amerikaner in die platzende Blase hineingezogen. Späteinsteiger verloren ihre Häuser; bis 2012 wurden vier Millionen Häuser zwangsversteigert, weitere sechs Millionen sind gefährdet. Nicht nur verdienen Amerikaner weniger, auch der Rückweg zu finanzieller Sicherheit ist ihnen abgeschnitten.

Viele Amerikaner suchen einen Schuldigen, und Trump ist da, um auf ihn mit dem Finger zu zeigen: Es sind die illegalen Mexikaner. Es sind die chinesischen Dumpingpreise. Deportiert 11 Millionen Illegale! Haut 40 % Zoll auf chinesische Importe! Unwichtig, dass es keine 11 Millionen mexikanische Illegale in den USA gibt, und dass ein Handelskrieg mit China die Weltwirtschaft in Stücke reißen würde. Weder China noch Mexiko haben besonders viel mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Amerikas zu tun. Es gibt heute weniger Illegale in Amerika als 2008 und die Zuwachsrate chinesischer Importe ist auf nahezu Null gefallen.

Rückgang der illegalen mexikanischen Einwanderungsbevölkerung seit 2007:

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Die einschlägigen Zahlen des “Pew Research Center” ergeben, dass die Zahl mexikanischer Illegaler im Jahre 2008 mit 6,9 Millionen ihren Höhepunkt erreichte und bis 2014 auf 5,6 Millionen zurückgegangen ist. Das ist ein Problem, aber es ist ein abnehmendes Problem.

Was China betrifft: Importe aus China stiegen zwischen 15 bis 30 % jährlich während der 1990er und 2000er bis zur Finanzkrise von 2008. Nach 2008 ist die Zuwachsrate (unten berechnet als Jahresdurchschnitt für Fünfjahreszeiträume) auf knapp 5 % gefallen. Der Einfluss chinesischer Importe auf amerikanische Industriearbeitsplätze ist eine zehn Jahre alte Geschichte.

Amerikanische Importe aus China: Niveau und Zuwachsrate:

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Trump hat einfach unrecht. Ob er lügt oder glaubt, was er sagt, oder einfach sagt, was auch immer ihm durch den Kopf geht, ohne sich darum zu kümmern, ob es wahr ist oder nicht, ist irrelevant. In Louisiana kommt er damit an, wie mein Freund Rod Dreher am 23. Januar (2016) in seinem Blog bei „The American Conservative“ schreibt:

Als ich in den Süden von Louisiana reiste, um meine Familie zu besuchen, geriet ich oft in (freundschaftliche) Auseinandersetzungen über konservative Prinzipien und Politik. Ich habe bemerkt, dass wir über viele Dinge in Streit gerieten. Es frustrierte mich zutiefst, dass Vernunftgründe nutzlos waren. „Ideologisch ausgelöste kulturelle Leidenschaften,” waren nicht ein Thema, sie waren das einzige Thema. Es war ein tribaler Konservatismus, einer der sehr wenig mit Ideen zu tun hat, aber alles mit Nationalismus und einem Gefühl von Wir-gegen-Die.

Amerikas bedrängte Mittelklasse will keine Schaubilder und Graphiken, keine Fakten und Statistiken. Sie will einen Führer, der Schuldige benennt und rabiate Maßnahmen ergreift. Die Wählerschaft ist anders als früher. Mein Geschäftspartner in den späten 1980ern, der angebotsorientierte Jude Wanniski, pflegte zu sagen, dass die Amerikaner in ihrer Weisheit einen sympathischen Typen als Präsidenten wollten. Sie wüssten, dass der amerikanische Präsident der mächtigste Mann der Welt ist, und wenn er hasserfüllt handle, könnten die Folgen schrecklich sein. Aber so ist es nicht mehr. Die Amerikaner wollen einen fiesen Präsidenten.

Reductio ad Hitlerum ist kein gutes Argument, wie Leo Strauss zu sagen pflegte, aber jede Regel hat Ausnahmen. Ein Hauch von Weimar liegt in der Luft. Die Deutschen der 1920er verstanden nicht, warum sie verarmt und gedemütigt waren. Vor dem Ersten Weltkrieg war Deutschland Europas am schnellsten wachsende Wirtschaft gewesen, das Land der Innovationen, die stärkste Militärmacht. Wie hatten sie den Krieg verlieren, schmerzhafte Reparationszahlungen hinnehmen und riesige Teile ihres Territoriums abtreten können? Die Deutschen waren in finsterer Stimmung und wollten den bissigsten Hund an der Macht. Hitler kam ihnen gerade recht. Schlimmer noch, das deutsche Establishment, geführt von Franz von Papen, dachte, es könne Hitler benutzen, und lud ihn im Januar 1933 ein, eine Regierung zu bilden.

Sicher, wir sind noch weit entfernt vom Deutschland der späten 1920er, aber die Parallelen sind verstörend. Das republikanische Establishment pfeift von allen Dächern, dass es Hitl-, äh, Trump dem schrecklichen Ted Cruz vorzieht. Wie Bob Dole es formuliert hat: Trump könnte “vielleicht mit dem Kongress zusammenarbeiten, denn er hat, ihr wisst ja, er hat die richtige Persönlichkeit und er ist jemand, der mit sich handeln lässt“. Robert Costa in der “Washington Post”, David French in der “National Review”, Paul Mirengoff in “Powerline”, und andere Kommentatoren, zu zahlreich, um sie aufzuzählen, haben sich ebenso geäußert.

Warum hasst das Establishment Cruz so sehr? Er bedroht ihre Existenz. Dagegen haben Trumps Immobiliengeschäfte und Spielkasinos seit einem halben Jahrhundert freundschaftliche Absprachen mit Politikern aller Couleur erfordert. Erlauben Sie mir eine Anekdote: Vor einigen Jahren war ich zu Gast beim jährlichen Empfang des „Jewish Institute for National Security” (Jüdisches Institut für nationale Sicherheit), dem ich als Fellow (Ehrenmitglied) angehöre, und hatte die Ehre, neben Allen West zu sitzen. Oberst West[2] hatte gerade sein Abgeordnetenmandat für Florida im Kongress verloren, infolge einer massiven demokratischen Kampagne, ihn abzuwählen. Wir diskutierten über angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Senator Lindsey Graham schlenderte zu uns herüber und warf uns ein wahres Haifischlächeln zu. West und ich standen auf. Ich sagte zu Senator Graham: „Wir sollten diesen Mann zum Präsidenten machen“. Graham grinste noch breiter und sagte: „Zuerst sollten wir ihn reich machen.“[3]

Die amerikanische Wirtschaft ist einem Ausmaß kartellisiert und monopolisiert, wie wir es seit zwei Generationen nicht gesehen haben. Warum ist die sogenannte “wirtschaftliche Erholung” so gering? Es gibt keine Unternehmer mehr. In allen früheren Nachkriegsaufschwüngen waren es neue Unternehmen, die Arbeitsplätze schufen. Diesmal aber sind es fast nur Unternehmen im S&P 500[4], die für Wachstum an Arbeitsplätzen sorgen. Fast die Hälfte der neugeschaffenen Jobs seit 2009 besteht im Braten von Hamburgern und im Leeren von Bettpfannen. Neue Unternehmen schaffen keine Jobs. Facebook hat 10.000 Angestellte, McDonalds hat 440.000.

Wandel im Arbeitsmarkt: Insgesamt gegen S&P 1500:

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In den 1980ern wollten die amerikanischen Großunternehmen nichts mit Ronald Reagan zu tun haben. Nicht ein einziger Geschäftsführer der „Fortune 500“[5] gab ihm Rückhalt – sie alle unterstützten George H. W. Bush oder John Connally in den Vorwahlen. Als Reagan das erfuhr, sagte er (Jude Wanniski, der bei der Besprechung anwesend war, hat es mir erzählt), er brauche sie nicht – er wolle der Kandidat der Unternehmer, der kleinen Geschäftsmänner, der Farmer, der Arbeiter sein. Cruz will der neue Reagan sein. Das Establishment erinnert sich an Reagan, insbesondere erinnert es sich daran, dass die Großunternehmen der 1980er von den Neugründungen, die Reagan entfesselte, in den Schatten gestellt wurden. Es mochte Reagan anfangs nicht, und das Letzte, was es wünscht, ist eine jüngere Ausgabe von ihm.

Ohne eine Rückkehr zum Unternehmertum wird Amerikas Wirtschaft stagnieren und Amerikas Mittelklasse wird weiterhin an Boden verlieren. Donald Trump repräsentiert den Triumph des Ressentiments über die Hoffnung. Ich weiß nicht, was die amerikanischen Wähler tun werden. Aber ich bin besorgt.

[1] UPS = United Parcel Service, ein Logistikunternehmen.

[2] Allen West ist ehemaliger Offizier der amerikanischen Armee, in der er den Rang eines Oberstleutnants (lieutenant colonel) innehatte.

[3] Diese Anekdote ist für den deutschen Leser nicht ganz leicht zu verstehen, da sie in subtiler Weise soziale Differenzen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft thematisiert. West und Graham sind beide republikanische Politiker, beide ehemalige Offiziere, beide haben erwogen, für die Präsidentschaft zu kandidieren. Jedoch besteht ein deutliches soziales Gefälle zwischen ihnen. Graham ist Senator, West lediglich (ehemaliger) Abgeordneter des Repräsentantenhauses, Graham war (richtiger) Oberst, West lediglich Oberstleutnant. Zudem war Graham in der (vornehmeren) Luftwaffe, West lediglich im Heer. Umgekehrt aber hat West wirklich im Kampfeinsatz gestanden und ist mehrfach ausgezeichnet worden, Graham dagegen war lediglich im „JAG“ (Judge Advocate General’s Corps) als Anwalt tätig (Harmon Rabb läßt grüßen). Auch ist Graham weiß, West schwarz. Vor allem ist Graham als erfolgreicher Anwalt weit wohlhabender als der Schullehrer West. Hinzu kommt ein politischer Gegensatz: Graham gilt innerhalb der republikanischen Partei als moderat, West dagegen steht der Tea Party nahe (mit der auch Spengler sympathisiert). Auch in den USA gilt: Deine schlimmsten Feinde sind deine Parteifreunde.

[4] Der S&P 500 (Standard & Poor’s 500) ist ein Aktienindex, der die Aktien von 500 der größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst.

[5] Fortune 500 ist eine jährlich erscheinende Liste der 500 umsatzstärksten amerikanischen Unternehmen.

Spengler auf Deutsch 13: Wie trennt man gewalttätigen von friedlichem Islam?

Das Original erschien unter dem Titel „Separating violent and peaceful Islam“ am 11.  Dezember 2015 in Asia Times

Eine diabolische Logik trieb Donald Trump, ein Einreiseverbot für Muslime vorzuschlagen: Wenn die amerikanische Regierung nicht zwischen friedlichen und gewalttätigen Muslimen unterscheiden könne, dann solle sie die Tür für beide schließen. Trumps Instinkt für Politik als Reality-Show fördert seine Ergebnisse in republikanischen Umfragen, da Amerikaner Terrorismus derzeit als ihre Hauptsorge ansehen. Rasmussen (ein amerikanisches Meinungsforschungsinstitut) zufolge unterstützen 46 % gegen 40 % der amerikanischen Wähler Trumps Idee. Unter Republikanern beträgt die Spanne 66 % gegen 24 %.

In aller Regel sind Amerikaner nicht bigott, aber der Ausbruch des Dschihad-Syndroms letzte Woche[1] hat sie überzeugt, dass etwas nicht stimmt, und dass der gesamte Mechanismus der muslimischen Immigration gestoppt werden muss, bis das Problem gelöst ist. Sie wissen sehr gut, dass manche Muslime in Frieden mit Nicht-Muslimen leben und andere Muslime die Welt in Brand stecken wollen, aber sie wissen nicht, wie man beide unterscheiden kann. Seit Informationen über die langjährigen Terrorkontakte des Pärchens in die Presse druchsickerten, traut die Öffentlichkeit auch ihren Beschützern nicht mehr zu, den Unterschied zu kennen. Das ist die Lektion, die sie von dem Dschihad-Bonnie-und-Clyde-Pärchen von San Bernardino gelernt hat.

Trump hat seine Worte sorgfältig gewählt: „Bis wir fähig sind, dieses Problem und die gefährliche Bedrohung, die es darstellt, zu erkennen und zu verstehen, kann unser Land nicht das Opfer schrecklicher Angriffe vom Leuten sein, die allein an den Dschihad glauben und die keinen Sinn für Vernunft oder Respekt für menschliches Leben haben“. Das ist boshaft. Die Obamaregierung, wie vor ihr die Bushregierung, fördert muslimische Organisationen, die sich an der Grenze zwischen friedlicher Vertretung muslimischer Interessen und Terrorismus bewegen. Und das Zentrum dieser Organisationen ist die Muslimbruderschaft, wie ich in einem früheren Artikel dargelegt habe. Trump weiß sehr wohl, was die Obamaregierung tut, und sagt im Grunde: „Wenn unsere gewählten Politiker nicht zwischen friedlichen und gewalttätigen Muslimen unterscheiden können, dann sollten wir sie alle draußen halten“.

Ich hätte nicht gedacht, dass der Tag kommen würde, wo ich Amerikaner ermahnen würde, Verständnis und Nachsicht gegenüber dem Islam zu zeigen. Tatsächlich ist der Islam weder eine Religion der Gewalt, noch eine Religion des Friedens: er ist ein doppeldeutiges Gerüst aus Glaubenssätzen, unter denen der Muslim Frieden oder Gewalt nach seinem Belieben wählen kann. Alle Muslime für Taten von den Muslimen zu benachteiligen, die Gewalt wählen, ist ebenso moralisch fehlgeleitet wie strategisch dumm. Es weist diejenigen Muslime zurück, die ausdrücklich eine friedliche Interpretation vertreten, beispielsweise den Präsidenten des größten arabischen Landes, Ägyptens Präsidenten Al-Sisi. In ihrem eigenen Interesse sollten westliche Länder eine klare Grenze zwischen friedlichem und gewalttätigem Islam ziehen.

Es ist nicht sonderlich schwierig, das Schaf von der dschihadistischen Ziege zu trennen, da ein offener Krieg zwischen den beiden Interpretationen des Islam entbrannt ist. Das Problem ist, dass die Vereinigten Staaten auf der falschen Seite stehen: das gesamte außenpolitische Establishment, linke Obamaanhänger und neokonservative Bushisten haben geglaubt, Demokratie im Nahen Osten würde aus dem politischen Islam entstehen und die alten arabischen Diktaturen ersetzen. Die amerikanischen Nachrichtendienste haben versagt, weil sie durch politische Filter behindert waren.

Der Abendländer, der versucht, im Islam einen Sinn zu finden, sollte das kurze Buch von Samir Khalil SJ. konsultieren, einem Jesuiten arabischer Herkunft, der Papst Benedikt XVI. beriet. 111 Questions on Islam (111 Fragen zum Islam) Ignatius Press, 2008 erklärt, dass beide – die gewalttätige wie die friedliche Interpretation des Islam – innerhalb der eigenen Begrifflichkeit des Islam gerechtfertigt sind, und dass der spezielle Charakter der islamischen Tradition es unmöglich macht, eine von beiden rein aufgrund theologischer Gründe auszuschließen. Wie viele arabische Christen steht Samir Israel feindselig gegenüber und ich verabscheue seine Sicht der nahöstlichen Politik. Als Islamgelehrter jedoch hat er wichtige Einsichten zu bieten. Er erklärt:

„Viele Abendländer fürchten den Islam als eine ‚Religion der Gewalt‘. Muslime verlangen oft gleichzeitig nach Toleranz und Verständnis ebenso wie nach Gewalt und Aggression. Tatsächlich sind beide Optionen im Koran und in der Sunna vorhanden. Das sind zwei legitime Arten, zwei unterschiedliche Weisen, den Islam zu interpretieren, zu verstehen und zu leben. Es ist dem individuellen Muslim aufgegeben, zu entscheiden, welchen Islam er will… (S. 18).

… Wenn der Koran tatsächlich von Allah gesandt worden ist, dann besteht keine Möglichkeit einer kritischen oder historischen Interpretation, auch nicht für solche Aspekte, die sich offensichtlich auf die Gebräche einer bestimmten historischen Epoche oder Kultur beziehen. An einem bestimmten Punkt in der Geschichte des Islam wurde entschieden, dass es nicht länger möglich ist, den Text zu interpretieren. Daher wird heute selbst der bloße Versuch, seine Bedeutung zu verstehen, und zu ergründen, welche Botschaft er in einem bestimmten Kontext übermitteln will, als der Wunsch angesehen, ihn zu bestreiten, … (S. 42).

…Auch in heutigen Zeiten hat man viele Anstrengungen in diese Richtung gemacht, aber fast immer vergebens. Das Gewicht der Tradition und vor allem die Angst, die erlangte Sicherheit des Textes in Frage zu stellen, haben ein Tabu geschaffen: Der Koran kann weder interpretiert noch kritisch hinterfragt werden… (S. 43).

…Ich spreche über die Gewalttätigkeit, die im Koran ihren Ausdruck findet und in Mohammeds Leben praktiziert wurde, um eine im Westen verbreitete Vorstellung zu thematisieren, dass die Gewalt, die wir heute sehen, eine Deformation des Islam ist. Wir müssen aber ehrlicherweise anerkennen, dass zwei Lesarten des Koran und der Sunna (islamische Traditionen über Mohammed) möglich sind: eine, die für die Verse optiert, die Toleranz gegenüber Andersgläubigen ermutigen, und eine, welche die Verse bevorzugt, die Konflikt ermutigen. Beide Lesarten sind legitim… (S. 65).

…Infolgedessen stellt der Koran zwei Möglichkeiten zur Wahl, die aggressive und die friedliche; beide sind möglich. Es fehlt an einer Autorität, die von den Muslimen einmütig anerkannt wird, die sagen könnte: Von jetzt an ist nur dieser Vers gültig. Aber eine solche existiert nicht – und wird vielleicht nie existieren… (S. 71).“

Als Präsident Al-Sisi vor einer klerikalen Hörerschaft an der al-Azhar Universität am 1. Januar (2015) sprach, verlangte er, dass Muslime Gewalt ablehnen und Friede mit Nichtmuslimen wählen sollen:

„Das Problem war nie unser Glaube. Das Problem liegt in unserer Ideologie, die von uns geheiligt worden ist … Wir müssen einen schmerzhaften und schwierigen Blick auf unsere aktuelle Situation werfen. Es ist unfassbar, dass die Ideologie, die wir geheiligt haben, dazu beiträgt, unsere Nation zu einer Sorge, einer Gefahr, zu Mord und Verderben in der ganzen Welt zu machen. Es ist unfassbar, dass diese Ideologie – ich spreche nicht von Religion, sondern Ideologie – das heißt der Korpus von Ideen und Texten, die wir über Jahrhunderte geheiligt haben, an einem Punkt gelangt ist, wo es fast unmöglich geworden ist, sie zu bestreiten. Diese Ideologie hat einen Punkt erreicht, wo sie eine Bedrohung für die Welt geworden ist. Es ist unfassbar, dass 1,6 Milliarden Muslime den Rest der Menschheit bzw. 7 Milliarden Menschen umbringen wollen, nur um unter ihresgleichen zu leben. … Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Wir müssen unsere Religion revolutionieren. Ehrwürdiger Iman der Großen Al-Azhar-Moschee, sie tragen diese Verantwortung vor Gott. Die ganze Welt erwartet ihre Worte, weil die islamische Nation zerfällt und sich selbst zerstört. Sie läuft direkt ins Verderben und wir sind es, die verantwortlich sind.“

Ägyptens leitender Politiker handelt wie er spricht. Er hat die zur Gewalt neigenden Islamisten der Muslimbruderschaft unterdrückt und führt einen unerklärten Krieg gegen die Islamisten im Sinai und die Terroristen in den ägyptischen Großstädten. Er hat die Hamas, den palästinensischen Zweig der Bruderschaft, eingedämmt und die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel verbessert. Al-Sisi repräsentiert eine Hauptströmung des friedlichen Islam (im Gegensatz zu einigen kleinen Sekten, wie die türkischen Sufis, die friedlich, aber irrelevant sind).

Präsident al-Sisi sprach offen von einer “Ideologie, die wir geheiligt haben“, der Ideologie des Dschihad. Das ist eine sehr mutige Aussage. Der Islam ist nicht notwendigerweise gewalttätig, aber er hat – anders als das Christen- oder Judentum – eine Neigung zur Gewalt. Schon der große jüdische Theologe Franz Rosenzweig schrieb vor nahezu einem Jahrhundert: „Das Wandeln auf dem Weg Allahs bedeutet im engsten Sinn die Ausbreitung des Islam durch den Glaubenskrieg. In dem gehorsamen Beschreiten dieses Weges, dem Aufsichnehmen der damit verbundenen Gefahren, dem Befolgen der dafür vorgeschriebenen Gesetze findet die Frömmigkeit des Muslims ihren Weg in die Welt.”

Die Muslimbruderschaft ist der heiße Brei, um den alle herumreden. Die Bush- wie auch die Obamaregierung zogen Mitglieder der Bruderschaft als Berater für Antiterrormaßnahmen und freundschaftliche Kontakte mit amerikanischen Muslimen heran. Clare Lopez, ein früherer CIA-Offizier, enthüllt das in einem Bericht für das “Gatestone Institute”. Frank Gaffney, ein ehemaliger Beamter der Reaganregierung, hat eine Reihe von Internetvideos über dieses Thema produziert. Die Bruderschaft versucht, die Grenze zwischen einer friedlichen und einer gewalttätigen Verbreitung des Islam zu verwischen. In Ägypten und Gaza gebraucht sie Gewalt; in den USA beanspruchen ihre Frontorganisationen, friedliche Methoden zu gebrauchen.

So schrieb der ehemalige “Defense“-Reporter” (und „Asia Times“-Mitarbeiter) Bill Gertz kürzlich in der „Washington Times“:

„Auch weiterhin unterstützen Präsident Obama und seine Regierung die militante und global operierende islamistische Gruppe, bekannt als Muslimbruderschaft. Ein Strategiepapier des Weißen Hauses betrachtet die Gruppe als eine moderate Alternative zu stärker gewalttätigen islamistischen Gruppen wie Al-Qaida und dem Islamischen Staat. Diese Politik, die Muslimbruderschaft zu unterstützen, wird in einer geheimen Direktive skizziert, genannt Presidential Study Directive-11 oder PSD-11. Die Direktive wurde 2011 erlassen und dient – nach Angaben von Kennern der geheim gehaltenen Direktive – als Leitfaden für die Unterstützung politischer Reformen im Nahen Osten und Nordafrika durch die (amerikanische) Regierung. Die Direktive zeigt, warum die Regierung die Muslimbruderschaft, die im letzten Jahr von den Regierungen Saudi-Arabiens, Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate als terroristische Organisation eingestuft worden ist, als wichtiges Instrument amerikanischer Unterstützung für sogenannte politische Reformen im Nahen Osten ausgewählt hat….“

Die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate hat auch zwei amerikanische Tochterorganisationen der Muslimbruderschaft, den „Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen“ (Council on American-Islamic Relations) und die „Muslimisch-Amerikanische Gesellschaft“ (Muslim American Society), als terroristische Unterstützergruppen eingestuft. Beide Organisationen weisen diese Anschuldigung zurück. Ägypten erwägt die Todesstrafe über Mohammed Mursi zu verhängen, den früheren, von der Muslimbruderschaft unterstützten Präsidenten, der im Juli 2013 durch einen Staatsstreich des Militärs gestürzt wurde. In Ägypten führt die Bruderschaft einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Al-Sisi-Regierung. So hat die Obamaregierung sich selbst mit den entschiedenen Feinden der Muslime verbündet, die eine friedliche Interpretation des Islam befürworten.

Trumps Vorschlag ist demagogisch; Ted Cruz dagegen hat eine machbare Lösung vorgeschlagen. Gemäß einer Presseerklärung seines Büros hat er am 4. November eine Gesetzesinitiative eingebracht, “sie forderte den Außenminister auf, die Muslimbruderschaft als eine auswärtige terroristische Organisation einzustufen. Die Vereinigten Staaten haben individuelle Mitglieder, Teile und Wohltätigkeitsorganisationen der Muslimbruderschaft als Terroristen eingestuft, nicht aber die Organisation insgesamt“. Die Erklärung fügt hinzu:

“Die Initiative anerkennt das einfache Faktum, dass die Muslimbruderschaft eine radikale islamistische Terrororganisation ist. Jahrelang haben amerikanische Präsidenten beider Parteien verschiedene Tochterorganisationen der Bruderschaft wie die Hamas und Ansar al-Sharia als Terrororganisationen eingestuft. Sie haben individuelle Führer der Muslimbruderschaft wie Shaykh Abd-al-Majd Al-Zindani, einen Komplizen des Angriffs auf die USS Cole[2], und Sami Al-Hajj, der 2001 an der afghanisch-pakistanischen Grenze verhaftet wurde, weil er Geld und Waffen für Al-Kaida organisierte, als Terroristen eingestuft. Wir können heute die Vorstellung abweisen, dass ihre Rahmenorganisation eine politische Einheit wäre, die in irgendeiner Weise von diesen gewalttätigen Aktivitäten getrennt wäre“, sagte Senator Cruz. „Eine Reihe unserer muslimischen Verbündeten hat diese vernünftige Maßnahme bereits ergriffen, darunter Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Wie der Gesetzesentwurf ausführt, ist eIss das erklärte Ziel der Bruderschaft, einen gewalttätigen Dschihad gegen ihre Feinde zu führen, und unsere Gesetzgebung sollte begreifen, dass die Vereinigten Staaten ebenfalls auf ihrer Liste stehen.“

Die Bruderschaft als eine terroristische Organisation einzustufen, ebenso wie Amerikas arabische Verbündete es getan haben, würde die vorsätzlich verwischte in eine klare Grenze verwandeln. Marco Rubio hat Cruz angegriffen, weil er dagegen war, mehr Spielraum beim Abhören heimischer Telefone einzuräumen. Aber das ist zweitrangig. Der Fehlschlag der Nachrichtendienste hat seinen Grund nicht im Mangel an Daten, sondern an der Weigerung das Offensichtliche anzuerkennen.

[1] Anspielung auf den islamistischen Terroranschlag von San Bernardino am 2. Dezember 2015.

[2] USS = United States Ship – Schiff der amerikanischen Kriegsmarine.

Spengler auf Deutsch 12: Das republikanische Establishment attackiert Cruz, um von seinen eigenen Dummheiten abzulenken

Das Original erschien unter dem Titel “The Republican Establishment Attacks Cruz to Cover Its Own Blunders” am 11. Dezember 2015 in PJMedia.

Seit die Details aus San Bernardino über das dschihadistische Bonnie-und-Clyde-Pärchen an die Presse durchsickern, ist die amerikanische Öffentlichkeit bestürzt, zu erfahren, dass das Killerpaar seit Jahren eine radikale Spur hinterlassen hat, einschließlich Verbindungen zu einem verurteilten Terroristen und einer zwei Jahre alten Online-Diskussion zwischen Syed Farook und Tashfeen Malik[1], die ihre dschihadistischen Sympathien zeigen. Ein Fehler der Nachrichtendienste hat amerikanisches Leben gekostet. Fairerweise muss man zu Gunsten der amerikanischen Dienste sagen, dass die 80 Milliarden Dollar, welche die USA jährlich für ihre Schlapphüte ausgeben, einen erneuten elften September kaum ausführbar erscheinen lassen. Gleichwohl kann die Ermordung von vierzehn Amerikanern auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als unwichtig abqualifiziert werden.

Mehr Lauschangriffe durch die National Security Agency – ein Streitpunkt zwischen den Senatoren Cruz und Rubio – würden das Resultat nicht geändert haben. Unsere Verwundbarkeit gegenüber Terroristen hat ihre Ursache vielmehr in einem politischen Fehler großen Ausmaßes: dem Glauben, Demokratie in der muslimischen Welt würde sich aus der islamistischen Bewegung selbst entwickeln, beispielsweise aus der Muslimbruderschaft oder dem islamistischen Regime des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan. Das gesamte Establishment in Washington – Obama, McCain, der „Weekly Standard“, das „Wall Street Journal“ etc. – verlangten 2011 die Köpfe von Mubarak in Ägypten und Gaddafi in Libyen mit desaströsen Folgen. Als die Breitseite des „Wall Street Journal“ vom 2. Dezember Ted Cruz als republikanischen Obama darstellte, überging es Senator Cruz‘ Behauptung, der Sturz arabischer Diktatoren, die keine Bedrohung für uns waren, habe den Terroristen geholfen.

Die neokonservativen Versuche, ihre Aktionen im Nachhinein zu rechtfertigen, sind einfach dumm. „Unser Vorgehen beseitigte zumindest das Gaddafiregime, war aber ein politischer Fehlschlag, da die Preisgabe von Libyen nach Gaddafis Sturz die Entstehung dschihadistischer Gruppen ermöglichte, als das Land ins Chaos stürzte“, schreiben die Herausgeber des „Wall Street Journal“. Glauben sie wirklich, die amerikanische Öffentlichkeit hätte es akzeptiert, ein weiteres Land zu besetzen, das von Stammeskriegen zerrissen wird? Hätte, hätte, Fahrradkette. Irak war ein Erfolg, außer dass wir zu früh abzogen, Afghanistan auch, nehme ich an. Syrien wäre ein Erfolg gewesen, wenn wir nur den „moderaten Sunniten“ mehr geholfen hätten, die nur leider niemand finden kann.

In einem Artikel in Asia Times habe ich erläutert, dass unsere Unfähigkeit, zwischen Dschihadisten und Muslimen, die wirklich an den Frieden glauben, zu unterscheiden, das Resultat unserer Entscheidung ist, die falsche Partei in dem anhaltenden Krieg zwischen gewalttätigem und friedlichen Islam zu ergreifen, insbesondere in Ägypten. Leider traf dies für die Bushregierung in gleicher Weise wie für die Obamaregierung zu.

Ein Punkt in der Tirade des Wall Street Journal ist besonders abstoßend: Er beschuldigt Cruz, er argumentiere, dass die Kurden unsere Bodentruppen seien:

[Die Kurden] kämpfen gerade jetzt gegen ISIS, aber ihre Waffen sind weitgehend veraltet, da ISIS über amerikanische Waffen verfügt, die er im Irak erbeutete‘, sagte Herr Cruz. Auf die Frage, ob die Vereinigten Staaten Truppen entsenden sollten, antwortete der Senator: Wir haben Bodentruppen. Die Kurden sind unsere Bodentruppen.”

Die Kurden versuchen, ISIS zu bekämpfen, während die Türkei sie bombardiert und Truppen über die irakische und syrische Grenze schickt, um sie anzugreifen. Die Vereinigten Staaten haben Erdogan unterstützt, seit die Bushregierung ihn 2004 ins Boot holte, ihn nur gelegentlich zurechtgewiesen, wenn er etwas außergewöhnlich Abscheuliches tat. Alles was wir tun müssen, ist bekanntzumachen, dass wir einen kurdischen Staat unterstützen und den Kurden die Waffen liefern, die sie benötigen – einschließlich Flugabwehrraketen –; und sie werden ISIS in Nordsyrien und dem Irak den Garaus machen. Einer ist immer der Angeschmierte, wie Sam Spade zu Fatman[2] sagte, und der wäre eben die Türkei.

[1] Die beiden Attentäter des Terroranschlags von San Bernardino am 2. Dezember 2015.

[2] Romanfiguren aus Dashiell Hammetts „Der Malteser Falke“.