Spengler auf Deutsch 24: Donald Trumpelstilzchen

Das Original erschien am 4. Februar 2016 unter dem Titel „The (new) Donald – Trumpelstiltskin“ in Asia Times.

Donald Trumps Behauptung, dass Senator Ted Cruz den Iowa-Caucus durch einen Wahlbetrug gewonnen habe, gipfelte in einem Wutanfall außergewöhnlichen Ausmaßes. Unwillkürlich denkt man an das Märchen von Rumpelstilzchen, das – wie erinnerlich – Stroh zu Gold spann als Gegenleistung für das erstgeborene Kind der prahlerischen Müllerstochter. Nur wenn die Müllerin seinen Namen sagte, würde der teuflische Zwerg auf seinen Anspruch verzichten. Sie folgte ihm in sein Versteck, sah ihn tanzen und singen „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“ (auch im Original deutsch).

Überlistet stampfte der Zwerg einen Fuß bis zur Hüfte in den Boden und dann packte er seinen anderen Fuß und riß sich selbst entzwei.

Schlechte Schriftsteller imitieren und gute stehlen, sagte T. S. Eliot, und ich habe die Bezeichnung „Trumpelstilzchen“ von meiner Tochter Raquel gestohlen, deren literarisches Talent meines weit übertrifft. Nach dem Cruz-Sieg verbrachte Trump 15 Stunden in wütender Stille und twitterte dann:

Ted Cruz hat Iowa nicht gewonnen, er hat es gestohlen. Darum waren die Umfragen so falsch und erhielt er mehr Stimmen als vorhergesagt. Mies!

Und eine Stunde später:

Wegen des Betrugs, den Senator Ted Cruz während des Iowa-Caucus beging, sollte die Wahl entweder wiederholt oder Cruz Resultate für ungültig erklärt werden.

Und abermals:

Der Bundesstaat Iowa sollte Ted Cruz von der jüngsten Wahl disqualifizieren, da er betrogen hat – ein totaler Betrug!

Später erklärte Trump, dass der angebliche Betrug aus zwei Aktionen in der Cruz-Kampagne bestanden habe. Die erste war eine E-Mail; sie zitierte Medienberichte, dass Ben Carson erwäge das Rennen aufzugeben (ein solcher Bericht war tatsächlich gerade auf CNN erschienen). Die zweite war eine offiziell aussehende Mail an die Wähler in Iowa, die „Wahlverstöße“ monierte, insbesondere die niedrige Wahlbeteiligung bei den früheren Caucussen in Iowa. Zweck der Mail war es, Wähler zur Teilnahme am Caucus zu motivieren, da eine hohe Wahlbeteiligung hilfreich für Cruz war. Aber es ist schon merkwürdig, über einen Versuch, mehr ordnungsgemäß registrierte Wähler an die Urnen zu bringen, „Betrug“ zu schreien.

Keiner dieser Vorfälle war ein schmutziger Trick im üblichen Sinne des Wortes: niemand hat Trumps Kampagnen-Computer gehackt oder die Luft aus den Reifen seines Privatjets gelassen. Sicher, Cruz spielt rauh, aber nicht schmutzig. Solche Dinge muss ein künftiger Präsident (ganz zu schweigen von einem amtierenden) eben tun.

Cruz will gewinnen und offensichtlich wird er bis an die Grenze akzeptablen Verhaltens gehen – aber er hat sie nicht überschritten. Cruz gewann Iowa durch intensive Vorbereitung vor Ort wie auch durch genaue Analyse der Themen. Es gelang ihm, die Farmer in Iowa davon zu überzeugen, dass gleiche Zugangschancen auf dem Energiemarkt die Nachfrage für Ethanol (und damit für den Mais aus Iowa, aus dem es produziert wird) steigern werden, und ihnen mehr als staatliche Ethanol-Zuschüsse helfen werden.

Zweifellos ist Cruz, ein früherer Sieger in nationalen Universitätsdebatten, außerordentlich gescheit. Die meisten außerordentlich gescheiten Leute können der Versuchung nicht widerstehen, damit anzugeben, einfach weil sie es können. Nicht aber Cruz. Er vereint große Intelligenz mit enormer Disziplin und Arbeitskraft. Betsy McCaughey, früher als Republikanerin stellvertretender Gouverneur von New York, betont, dass derartige Selbstdisziplin Demut beweist. Er ist klug genug, um zu wissen, dass selbst kluge Menschen große Fehler machen können, und dass harte Arbeit die beste Versicherung gegen Fehltritte ist. Demut ist ein Charakterzug, den man nicht ohne weiteres mit einem Politiker assoziiert, der gegen nahezu alle seine Kollegen im Senat opponiert hat, sie ist aber nötig, um die Unterstützung der örtlichen Honoratioren zu entfachen und zu erhalten, wie Cruz es tat.

Die amerikanische Öffentlichkeit ist verdrossen und begrüßt eine grelle Gestalt, die „sagt, wie es ist“ und die auf schwierige Fragen Antworten gibt, die einfach, klar und falsch sind, wie H. L. Mencken zu sagen pflegte. Um eine Wahl zu gewinnen, musste man früher die lokalen Honoratioren überzeugen – Geschäftsmänner, Gewerkschaftsführer, Kleriker, Medien und Lokalpolitiker -, weil die gewöhnlichen Wähler sich bei der Stimmabgabe am Beispiel der führenden Bürger, die sie persönlich kannten, orientierten. So wurde Iowa für Ted Cruz gewonnen. Ob die Bürger den anderen Bundesstaaten einen altmodischen Auswahlprozess einer politischen Seifenoper vorziehen werden, bleibt abzuwarten.

Dagegen hat Trumpelstilzchen eine Seite seines Charakters enthüllt, welche die Wähler bisher ignoriert oder sogar in perverser Weise bewundert haben. Er erbte seinen Reichtum und leitet ein privates Unternehmen in der Weise, in der er es will, indem der sagt, was er will, einstellt und feuert, wen er will, ohne auf Partner, Aktionäre oder die Öffentlichkeit Rücksicht zu nehmen.

Er ist kein besonders guter Geschäftsmann. Hätte er sein Erbe in einen Indexfond am Aktienmarkt investiert, wäre er heute doppelt so reich, wie er tatsächlich ist. Aber die psychischen Belohnungen für ungezügelten Narzissmus waren eine mehr als ausreichende Kompensation für den geringen Ertrag seines Portfolios. Er hätte die Gelegenheit gehabt, die infantilen Instinkte eines verwöhnten Kindes auf seine alten Tage zu zügeln. Aber er kann es nicht vertragen, zu verlieren; er kann es nicht einmal ertragen, einen Teil der Verantwortung für seine Niederlage auf sich zu nehmen.

In einer bitteren Antwort auf den Wahlbetrugsvorwurf warnte Cruz, dass wir, wenn Trump den Finger auf dem Knopf für die Atomraketen hätte, eines Morgens aufwachen könnten, um festzustellen, dass Donald Dänemark ausradiert hat. Das ist eine Übertreibung, aber Trump zeigt eine Art von Persönlichkeitsstruktur, die ihn zu einem geeigneten Präsidenten für die Hölle machen würde.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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