Spengler auf Deutsch 49: Das Attentat von Nizza: Warum die Terroristen den Geheimdienstkrieg gewinnen

 

Das Original erschien am 15. Juli 2016 unter dem Titel „Nice attack: Why the terrorists are winning the intelligence war“ in Asia Times.

Wieder hat ein der Polizei bekannter Krimineller einen Massenmord begangen, der Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel. Warum gestattete die französische Polizei einem Ausländer, der als gewalttätiger Krimineller vorbestraft war, in Frankreich zu bleiben? Abgesehen von schlichter Inkompetenz liegt die Erklärung darin, dass er ein Spitzel der französischen Sicherheitsbehörden war. Muslimische Kriminelle zu erpressen, dass sie über potentielle Terroristen informieren, ist die Hauptbeschäftigung der mit Terrorabwehr beauftragten europäischen Sicherheitsapparate, wie ich bereits 2015 erläutert habe. Jeder Muslim in Europa weiß das.

Jedoch ist es den Terroristen gelungen, die Agenten, welche die Polizei als Spione einsetzt, umzudrehen und sie zu motivieren, Selbstmordattentate zu begehen, um ihre Sünden auszulöschen. Leider ist dies kein Einzelfall: Ryan Gallagher hat kürzlich dargelegt, dass Täter, die den Behörden bereits bekannt waren, zehn der bekanntesten Attentate zwischen 2013 und 2015 begingen.

Mit anderen Worten: Die Terroristen verhöhnen uns doppelt. Indem sie Polizeispitzel als Selbstmordattentäter verwenden, erklären sie ihre moralische Überlegenheit und ihre Macht über westliche Regierungen. Die Botschaft mag beim westlichen Publikum nicht ankommen, dessen Sicherheitsbehörden und Medien ihr Bestes tun, um den Sachverhalt zu verschleiern, aber sie wird wohl verstanden unter der Kernanhängerschaft der Terrorgruppen: Die Überlegenheit des Islam verwandelt üble Kriminelle, welche die westliche Polizei als Spione gegen uns einsetzt, in Märtyrer für die Sache des Islam.

Die Attentate haben somit nicht nur die Intention, die westliche Öffentlichkeit in Schrecken zu versetzen, sondern auch, die muslimische Öffentlichkeit zu beeindrucken. Sie machen den Muslimen klar, dass die westliche Polizei sie nicht schützen kann. Wenn sie mit der Polizei zusammenarbeiten, wird man sie finden und bestrafen. Der Westen fürchtet die Macht des Islam: Er zeigt seine Angst, indem der den Islam als Religion des Friedens preist, indem er Kritik als angebliche Islamophobie denunziert, und indem er den Muslimen Konzessionen und Entschuldigungen darbietet. Einfache Muslime leben in Angst vor den Terrornetzwerken, die ihre Gemeinschaften infiltriert und ihre Fähigkeit bewiesen haben, die Anstrengungen westlicher Sicherheitsbehörden gegen sie zu wenden. Sie werden kaum Informationen über mögliche Terroristen liefern, sie wahrscheinlich durch Untätigkeit unterstützen.

Kurzum: Die Terroristen gewinnen den Geheimdienstkrieg, weil sie das Umfeld, in dem Informationen gesammelt und gehandelt werden, gestaltet haben. Aber auf diese Weise hat Spionage immer funktioniert: Spione wechseln die Seiten und erzählen ihre Geschichten, weil sie auf der Seite der Sieger stehen wollen. ISIS und Al-Kaida sehen in den Augen der westlichen muslimischen Bevölkerung wie Gewinner aus, nachdem sie die Sicherheitsdienste des Westens gedemütigt haben.

Infolgedessen fürchten europäische Muslime die Terroristen mehr als sie die Polizei fürchten. Der Westen wird für Terrorattacken verwundbar bleiben, bis das Gleichgewicht der Furcht sich in die andere Richtung bewegt.

Als die preussische Armee während des Krieges von 1870 in Frankreich eindrang, suchte der deutsche Kanzler Otto von Bismarck den Rat des amerikanischen Militärattachés. Dieser war kein anderer als Phil Sheridan, dessen Kavallerie in der letzten Phase des amerikanischen Bürgerkriegs die Farmen im Shenandoah Tal verbrannt hatte. Was sollte Bismarck tun gegen französische Heckenschützen und Saboteure in den Dörfern entlang der preußischen Vormarschstraße? Sheridan riet Bismarck die Dörfer zu verbrennen und den Menschen „nichts als ihre Augen zu lassen, um den Krieg zu beweinen“. Und hängen Sie die Heckenschützen, fügte Sheridan hinzu.

Wie General William Tecumseh Sherman, der einen breiten Streifen durch Georgia und die Carolinas brannte, glaubte Sheridan, dass ein Krieg nicht nur durch das Töten von Soldaten gewonnen wird, sondern auch, indem man ihnen die Unterstützung durch die Zivilbevölkerung entzieht. Da ist nichts besonders Kluges an dieser Einsicht. Aus der neuen Biographie von James Lee McDonough über Sherman erfährt man, wie gewöhnlich dieser große Mann war – ein kompetenter Offizier ohne eine Minute Kampferfahrung vor Kriegsbeginn, dann ein ehrlicher aber erfolgloser Bankier. Im Krieg stand Sherman kurz vor einem nervösen Zusammenbruch, als er vergeblich versuchte, seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass sie 300.000 Soldaten würden töten und die Konföderation verwüsten müssen, um den Krieg zu gewinnen. Er zeichnete sich 1863 in Schlacht bei Shiloh aus, und wurde dann die Geißel des Südens.

Die Union hatte immer mehr Männer und Ressourcen, was ihr fehlte waren Generäle mit den nötigen Nerven für den Job. Das bedeutete nicht nur den hässlichen Abnutzungskrieg, wie ihn Grant führte – ein anderer Befehlshaber mit absoluter Entschlossenheit -, sondern auch Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten. Als Heckenschützen in Dörfern in Tennessee oder Kentucky auf Unionssoldaten feuerten, vertrieb Sherman die Bewohner, verbrannte die Häuser und vernichtete die Ernten. Da gibt es etwas zu lernen, für das, was wir altfränkisch den „Globalen Krieg gegen den Terror“ nennen.

ISIS, Al-Kaida und andere muslimische Terrororganisationen zu vernichten, ist nicht besonders schwierig, weit weniger als Shermans oder Sheridans Aufgabe während des Bürgerkrieges. Er erfordert einfach, einige abstoßende Dinge zu tun. Westliche Geheimdienste brauchen keine Terrorgruppen infiltrieren, Telefone abhören, Posts in sozialen Medien mitlesen und so weiter (obwohl dies zweifellos nützlich sein kann). Die muslimischen Gemeinschaften im Westen werden über die Terroristen informieren. Sie werden der Polizei sagen, wer davon spricht, Ungläubige zu töten, wer verdächtig viel Geld hat, wer die Sendungen salafistischer Prediger anhört.

Sie werden den westlichen Sicherheitsbehörden alles sagen, was diese wissen müssen, vorausgesetzt, sie fragen in der richtigen Weise. In der Weise von Phil Sheridan nämlich. Wie die siegreichen Unionsgeneräle des Bürgerkriegs muss der Westen nicht mal besonders klug sein. Er muss lediglich verstehen, welche Art von Krieg er führt.

Die meisten Muslime sind friedliche Menschen, die Terrorismus ablehnen, aber viele sind es nicht. Umfragen zeigen eine große und beständige Minorität von 20 bis 40 %, die zumindest einige Formen des Terrorismus billigt. Unterstützung für ISIS ist gering, erheblich höher für Hizbollah, Hamas und andere Terrorgruppen. Somit gibt es einige hundert Millionen Muslime, die in irgendeiner Weise Terror befürworten, obwohl nur sehr wenige von ihnen an Terrorattacken teilnehmen würden. Aber sie sind das Meer, in dem die Haie unbeobachtet schwimmen. Sie mögen keine Bomben bauen, aber sie drücken über Terroristen in ihrer Umgebung ein Auge zu, vor allem, wenn sie mit diesen Terroristen verwandt sind. Auch fürchten sie Vergeltung von den Terroristen, sollten sie auspacken.

Die Weise, den Krieg zu gewinnen, besteht darin, die große Gemeinschaft der Muslime, die den Terror passiv durch Handeln oder Nichthandeln unterstützt, zu ängstigen, und zwar in einem Maße, dass sie Informationen selbst über Familienmitglieder liefert. Die muslimische Bevölkerung im Westen zu ängstigen, erfordert keine große Mühe oder Anstrengung, einige Tausend Deportationen würden reichen. Die westlichen Dienste müssten nicht einmal die richtigen Leute deportieren, die falschen Leute wissen, wer sie sind, und ebenso viele ihrer Nachbarn. Die folgenden Gespräche kann man sich etwa so vorstellen: „Es tut mir leid, dass dein Neffe deportiert wird, Hussein, und ich glaube dir, wenn du mir sagst, dass er nichts Verbotenes getan hat. Vielleicht kann ich ihm helfen. Aber du musst mir auch helfen. Gib mir etwas, das ich brauchen kann – und verschwende nicht meine Zeit, die Dinge zu komplizieren, oder ich schwöre dir, ich lasse dich auch deportieren. Und wenn du keine Informationen hast, finde heraus, wer sie hat.“

Diese Vorgehensweise, Aufstände zu unterdrücken, hat in Vergangenheit oft gewirkt. Sicher, sie ist nicht typisch für das friedliche Leben in westlichen Demokratien, aber das war Phil Sheridans Ritt durch Shenandoah auch nicht. Wir ziehen es vor, die Herzen zu gewinnen. Aber die Herzen der Menschen zu gewinnen, ist nicht schwer, wenn sie Angst vor dir haben.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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