Spengler auf Deutsch 38: Die italienischen Banken sollten Janet Yellen mehr Angst machen

Das Original erschien am 29. März 2016 unter dem Titel „Italy’s banks should scare Janet Yellen even more“ in Asia Times.

„Angesichts der bestehenden Risiken halte ich es für angemessen, dass das [Federal Open Market] Committee mit seiner Anpassungspolitik fortfährt“, sagte die Fed-Vorsitzende Jenet Yellen dem „Economic Club“ von New York am Dienstag. Sie verwies auf langsameres Wachstum in den Vereinigten Staaten und China wie auch auf niedrige Rohstoffpreise. Ihr Gegenspieler in der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, weiß es besser: Am 10. März kündigte er an, dass die Europäische Zentralbank Unternehmensanleihen kaufen werde, um die Politik der Quantitativen Lockerung fortzusetzen. Das ist das erste Mal seit Menschengedenken, dass eine der großen Zentralbanken große Mengen von Kreditrisiken in ihren Bilanzen hat.

Draghi fürchtet einen Kollaps des Vertrauens in die italienischen Banken, die ihrerseits 405 Milliarden Euros der italienischen Staatsschulden besitzen. Das Problem ist, dass die italienischen Banken wahrscheinlich größtenteils zahlungsunfähig sind. Ende 2014 machten notleidende Kredite rund 18 % der Gesamtkredite der italienischen Banken aus, und die Zahl ist seither wahrscheinlich angestiegen.

Die Drohung der FED, die amerikanischen Leitzinsen zu erhöhen, hat die Weltaktienmärkte während der ersten sechs Wochen des Jahres in eine Abwärtsspirale geschickt. Die Märkte erholten sich, nachdem die amerikanische, europäische und japanische Zentralbank mit einer Lockerung der Geldpolitik reagierten und noch mehr versprachen. Die Zentralbanken haben recht, besorgt zu sein. Die europäische Bankenkrise von 2012 ist nie gelöst, sondern lediglich unter den Teppich gekehrt worden. Sie drohte im Februar erneut auszubrechen.

In den vier größten italienischen Banken ist die Summe der notleidenden Vermögenswerte größer als das Eigenkapital. Der schlimmste Fall ist die Monte di Paschi-Bank, die drittgrößte private Geschäftsbank Italiens. Dort übersteigen die notleidenden Vermögenswerte das Eigenkapital um mehr als 500 %. Berücksichtigt man den Restwert der notleidenden Vermögenswerte könnten Unicredito und Intesa San Paolo, die zwei größten Banken, zahlungsfähig sein, wenn man annimmt, dass sie über ihre notleidenden Vermögenswerte nicht lügen. Zum Vergleich: Bei der Bank of America und der Citigroup beträgt die Summe der notleidenden Vermögenswerte nur 3 bis 4 % des Eigenkapitals.

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Dagegen machen in chinesischen Banken – dem Gegenstand endloser Untersuchungen ausländischer Analysten – notleidende Kredite offiziell nur 1,6 % der Kapitalsumme aus, und die Maklerfirma „Reorient Group“ in Hong Kong schätzte in einem jüngst vorgelegten Bericht notleidende Kredite auf 4.2% der Vermögenswerte chinesischer Banken.

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Wenn die italienischen Banken untergehen, gilt gleiches für den italienischen Markt für Staatsschulden und damit für den Euro. Wie Francesco Sisci am 18. März berichtet hat, fürchten italienische Finanzkreise, dass politische Spannungen das Zutrauen in die Fähigkeit der Europäischen Gemeinschaft untergraben werden, die Bankenrettung weiter aufrechtzuerhalten.

Kursentwicklung europäischer Bankaktien gegenüber amerikanischen Bankaktien:

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Die europäischen Banken haben sich von der Krise der Eurozone 2012 nicht erholt. In Dollar gerechnet liegt der europäische Bankaktienindex (Euro Stoxx bank equity index) bei kaum 40 % des Standes von vor fünf Jahren, während amerikanische Bankaktien um 20 % höher notieren.

Auf dem Höhepunkt der Minipanik vom Februar stiegen die Kosten für die Versicherung Nachrangiger Darlehen europäischer Finanzgesellschaften auf Höhen, wie man sie seit der Krise von 2012 nicht gesehen hatte. Sie fielen scharf ab, nachdem Draghi angekündigt hatte, die Europäische Zentralbank werde Unternehmensanleihen kaufen.

Preise für die Versicherung Nachrangiger Darlehen:

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Es gibt keinen Ausweg für die europäischen Banken. Die Europäische Zentralbank hat die Kreditzinsen unter Null gesenkt, in der Hoffnung, so die Banken zu zwingen, das Geld auszuleihen, statt es in Geld verlierenden Kapitalanlagen zu horten. Aber die Kreditportfolios italienischer Banken schrumpfen, weil sie keine kreditwürdigen Kunden haben, und ihre liquiden Vermögenswerte verlieren Geld. Sie können sich aus dem Abgrund nicht herausverdienen. Italiens Bruttoinlandsprodukt ist immer noch um 10 % geringer als vor der Krise von 2007.

Die gute Nachricht lautet, dass eine italienische Bankenkrise, und selbst eine italienische Staatsschuldenkrise, nicht ausreichen, um das Weltfinanzsystem zum Einsturz zu bringen. Der Rest der Welt hatte genug Zeit, um seine Abhängigkeit von seinem schwächsten Glied zu reduzieren. Aber ein neuer finanzieller Schock in Europa würde den Euro abstürzen lassen, den Wert des Dollars erhöhen und einen deflationären Wind durch die Weltmärkte schicken.

Spengler auf Deutsch 37: Ted Cruz: Unsere letzte und unsere größte Hoffnung

Das Original erschien am 25. März 2016 unter dem Titel „Ted Cruz: Our Last, Best Hope“ in PJMedia.

Amerika braucht etwas Besseres als eine Feedbackschleife für populäre Ressentiments. Wir brauchen einen echten Präsidenten. Amerikas Elite ist arrogant und korrupt, aber der Zustand des amerikanischen Volkes ist fast ebenso alarmierend. 1790 wies Amerika eine Alphabetisierungsrate bei Erwachsenen von 90 % auf, als nur die Hälfte der Engländer und ein Fünftel der Spanier und Irländer ihren Namen schreiben konnte. Wir hatten die am besten erzogenen, die am höchsten motivierten und gesündesten Arbeitskräfte der Welt, und das mit einem überwältigenden Vorsprung.

Heute bilden Amerikaner im Alter von 16 bis 24 das Schlusslicht einer Evaluation von 22 Ländern in Bezug auf Rechnen, Lesen und das Lösen von technischen Problemen.

Das schlechte Abschneiden der Studenten sollte keine Überraschung sein. Die amerikanische Familie zerfällt. Nahezu 30 % der nicht-hispanischen weißen Kinder sind unehelich geboren, ebenso wie 53 % der hispanischen und 73 % der afroamerikanischen. Als Reagan das Amt übernahm, waren 18 % aller amerikanischen Geburten unehelich. 2014 waren es über 40 %.

Eine Aufholjagd reicht nicht, um aus dieser Misere herauszukommen. Wir brauchen nichts Geringeres als eine große nationale Wende. Es gibt zwei republikanische Kandidaten, die von Anfang an klargemacht haben, dass sie mehr als Dienst nach Vorschrift im Sinn haben – Ted Cruz und Donald Trump. Ein anderer Romney würde nichts ändern.

Sicher, unsere Eliten haben uns verkauft. Es gibt unbeschränktes Kapital für Investoren, um zwangsversteigerte Häuser zu kaufen, während die Hälfte der Amerikaner die nötigen Raten nicht bezahlten kann bzw. keine Hypotheken bekommt. Das Pentagon und die Rüstungsunternehmen haben eine Billion Dollar für die F-35 zum Fenster hinausgeworfen, die lahmste Kiste in der Geschichte der Militärfliegerei, und so jedes andere Beschaffungsprogramm verdrängt. Unsere Technologieunternehmen sind zu einer Verschwörung von Innovationsverhinderern mutiert; sie werden von Patentanwälten, statt von Ingenieuren geleitet. Die Finanzindustrie hat den größten Beschiss in der Geschichte zu verantworten, die Subprime-Blase der 2000er, und die Obamaregierung hat nicht einen Verantwortlichen in den Knast geschickt (statt dessen verurteilte sie die Aktionäre der Banken zu Milliarden Dollar-Bußen, das heißt ihren Pensionsfond oder ihre Rentenversicherung). Die Clintons sind ein kriminelles Unternehmen, wie Peter Schweizer in seinem Buch Clinton Cash gezeigt hat. Das außenpolitische Establishment behandelt die Welt als ein gigantisches Sozialexperiment und verschwendet Blut und Geld, um die Welt reif für Demokratie zu machen.

Das Resultat ist die korrupteste und katellierteste Wirtschaft der amerikanischen Geschichte. Das erste Mal, seit Statistiken geführt werden, tragen neu gegründete Unternehmen seit 2009 nahezu nichts zur Erholung des Arbeitsmarktes bei, wie ich hier am 2. März berichtet habe. Aber Donald Trump ermutigt Wunschdenken. Die Behauptung “Wir werden Amerika wieder groß machen”, indem wir mexikanische Illegale ausweisen und Jobs aus China zurückholen, ist Unsinn.

Unsere Eliten sind verrottet, aber das Volk ist angeschlagen und verwirrt. Nach der Generation der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung hat Amerika bei der Bildung von Eliten versagt. Aber wir brauchen immer noch Staatsmänner, die uns erheben, uns belehren, uns inspirieren. Selbsterzogene Außenseiter wie Abraham Lincoln und Ronald Reagan waren unsere fähigsten Staatsmänner, nicht die Absolventen von Harvard oder Yale. Lincoln mag Autodidakt gewesen sein, aber er war der tiefste Denker seiner Generation. Auch Reagan war Autodidakt, aber er hatte einen umfassenden und detaillierten Zugang zur Außenpolitik und war einer der Ersten, die sich zu Robert Mundells angebotsorientierter Wirtschaftspolitik bekannten. Sie waren auch von Grund auf gute Männer.

Ted Cruz ist ein begabter Außenseiter mit einzigartigen Führungsqualitäten. Er beherrscht das Verfassungsrecht brillant aus seiner Zeit als Generalstaatsanwalt des Staates Texas, er hat intimes Verständnis für wirtschaftliche Fragen aus seiner Zeit in der „Federal Trade Commission“, und eine klare Vision, was Amerika in der Außenpolitik tun und lassen sollte. Er war ein akademischer Superstar an Eliteuniversitäten, aber ließ sich durch seinen Erfolg nie zu Selbstgefälligkeit verleiten. Er ist zutiefst religiös. Er hat auch den Willen zu führen. Es ist keine Überraschung, dass seine Senatskollegen ihn nicht mögen: Als Präsident würde Cruz ein korruptes und behagliches Spiel beenden. Er hat das Gehirn, das Problem zu verstehen, und den Mut, die Hindernisse zu seiner Lösung beiseitezuschieben.

Donald Trumps Popularität beruht auf seiner Gabe, Politik als Fernsehshow zu betreiben. Die Amerikaner haben Eliten immer misstraut, aber die heutige populäre Kultur treibt dies zu einem pathologischen Extrem. Wir finden es anstößig, etwas zu bewundern, das besser ist als wir selbst. Stattdessen identifizieren wir uns mit dem, das wie wir selbst ist. Darum hören wir Sänger, die wie ein Betrunkener in einer Karaoke-Show klingen, statt Frank Sinatra. Darum ist Realitätsfernsehn so populär bei uns. Jeder kann dort ein Star werden. Wir lieben es, uns selbst im Spiegel zu sehen. Diese Mischung aus Nazismus und Ressentiment ist giftig. Trumps Kitsch-und-Prunk-Lebensstil ist ein nationales Paradigma für Erfolg geworden. Wir sind nicht Trumps Wähler, wir sind eine virtuelle Burleske.

Wir hören immer wieder, dass Trump ein Geschäftsmann ist, der die “Dinge in den Griff kriegt”. Das ist völlig falsch: die erfolgreichsten Geschäftsmänner sind sehr gut in einer sehr beschränkten Anzahl von Dingen. Große Unternehmer sind – wie George Gilder geschrieben hat –  die Art von Leuten, welche die ganze Nacht an einer besseren Straßenreinigung tüfteln. Trump ist nicht einmal ein besonders erfolgreicher Unternehmer. Hätte er die 100 Millionen Dollar, die er 1978 geerbt hatte, in einen Index-fond investiert, wäre er heute zwei Mal so reich, wie er tatsächlich ist. Als ein Casino-Investor hält er keinen Vergleich mit Sheldon Adelson aus, der als armer Mann begann und jetzt zehn Mal so reich wie Trump ist. Tatsächlich hat Trump den schlechtmöglichsten Hintergrund für einen Präsidenten: als Kind reicher Eltern, das ein privates Unternehmen führt, ist er daran gewohnt zu sagen: “Spring”, und dass seine Lakaien sagen, “Wie lange soll ich in der Luft stehen bleiben“?

Trump liest nicht. Er prahlt mit seiner eigenen Unwissenheit. Der Journalist Michael d’Antonio interviewte Trump in seinem Haus in New York und sagte einer deutschen Zeitung:[1]

„Bei meinem ersten Besuch fiel mir sofort auf, dass es da keine Bücher gab“, sagt d’Antonio. „Ein riesiger Palast und kein einziges Buch“. Er fragte Trump, ob es ein Buch gebe, dass ihn besonders beeinflusst habe. „Ich würde liebend gern lesen“, antwortete Trump. „Ich habe viele Bestseller verfasst, wie sie wissen, und ‚The Art of the Deal‘ war eines der am besten verkauften Bücher aller Zeiten“. Bald sprach Trump von ‚The Apprentice‘ (der Auszubildende). Trump nannte es die ‘Nr 1 unter den Fernsehshows’, eine Reality-Show, in der er über 14 Staffeln sich selbst spielte und Kandidaten demütigte, die um das Privileg einer Anstellung in seinem Unternehmen wetteiferten. In dem Interview sprach Trump eine Ewigkeit darüber wie fabelhaft und erfolgreich er ist, aber nannte nicht ein einziges Buch, das er nicht selbst geschrieben hatte.

“Trump liest nicht”, sagte d’Antonio in dem Restaurant. „Seit seiner Universitätszeit hat er nichts Ernsthaftes oder Grundlegendes über die amerikanische Gesellschaft gelernt. Und um ehrlich zu sein, ich glaube, er hat nicht mal an der Universität gelesen“. Als man Trump fragte, wer seine außenpolitischen Berater seien, antwortete er: „Nun, ich sehe die Shows“. Er bezog sich auf politische Talkshows im Fernsehen. 

Es mag sein, dass Trumps Wähler ebenfalls nicht lesen, aber sie sollten einen Präsidenten haben wollen, der etwas von den Problemen versteht, die er zu lösen verspricht.

Trump liegt schrecklich falsch über wichtige Themen. Amerikas wirtschaftliche Probleme sind nicht durch mexikanische Immigranten oder chinesische Importe verursacht, wie ich im letzten Juli dargelegt habe. Ich gebe ihm recht im Hinblick darauf, dass er die „Islam-ist-eine-Religion-des-Friedens“-Idiotie zurückweist, wie sie von George W. Bush, Barack Obama und Hillary Clinton vertreten wird. Eine Mehrheit der Amerikaner (46 % geben 40 %) unterstützt sein vorgeschlagenes Verbot muslimischer Immigration. Aber das ist der falsche Weg, das Problem anzugehen, richtig wäre, die Muslimbruderschaft als terroristische Organisation einzustufen, wie Cruz vorschlägt, und dann ihre Anhänger einzusammeln. Ich stimme Trump ebenfalls zu, dass er zu Beginn dieser Woche auf der AIPAC-Konferenz[2] den unsinnigen Nuklearvertrag mit dem Iran verrissen hat. Aber Cruz hat das sehr viel besser gemacht.

Solange Hitler oder Goebbels nicht aus ihren Gräbern aufstehen und sich um die Präsidentschaft bewerben, werde ich nicht für Hillary Clinton stimmen; in einem Trump-Clinton Wahlkampf werde ich ohne eine Sekunde zu zögern für Trump stimmen. Man kann ausschließen, dass Trump ein guter Präsident sein wird; er weiß wenig und erledigt die Dinge, so wie es ihm gerade in den Sinn kommt. So mag er gelegentlich über eine gute Lösung stolpern. Aber es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass er über Amerikas fortschreitenden Niedergang präsidieren und uns mit selbstmitleidigen Reden trösten wird.

Wir sind in ernsthaften Schwierigkeiten. Wir brauchen einen Präsidenten, der uns aus dem wirtschaftlichen und moralischen Morast herausführen kann. Ich fürchte, dass Ted Cruz unsere letzte und unsere beste Hoffnung ist, bevor wir früheren Supermächten wie Britannien abwärts auf dem schlüpfrigen Abhang zu nationaler Mittelmäßigkeit folgen.

[1] Da mir die deutsche Version des Artikels nicht greifbar war, übersetze ich aus dem Englischen ins Deutsche zurück. Anmerkung des Übersetzers.

[2] AIPAC = American Israel Public Affairs Committee. Am 21. März 2016 hat Donald Trump dort in einer Rede seine Position zu Israel und dem Nahen Osten erläutert.

Spengler auf Deutsch 36: In den Vereinigten Staaten kehrt die Stagflation zurück

Das Original erschien am 23. März 2016 unter dem Titel „US returns to stagflation“ in Asia Times.

“Die ökonomische Überraschung 2016 mag ein größerer Anstieg der Inflation sein, als die meisten Experten erwartet haben,” schrieb Justin Lau am 21. März im “Wall Street Journal”. Er fügte hinzu: “Das Arbeitsministerium (der Vereinigten Staaten) hat letzte Woche berichtet, dass die Kerninflation, die Lebensmittel und Energiepreise nicht einschließt, um 2.3% höher war als ein Jahr zuvor im Februar“. Das Problem ist, dass die Amerikaner weder mehr verdienen noch ausgeben. Zwei Posten in den Haushaltsbudgets kosten erheblich mehr. Wohnen und Gesundheitsvorsorge haben den gesamten Anstieg der Inflation verursacht. Es sind die steigenden Preise, die die Amerikaner ärmer machen. Stagnation mit Inflation – oder Stagflation – war die wirtschaftliche Krankheit der 1970er, und die USA sehen sie zurückkehren.

Blau – Preisindex für Konsumgüter außer Lebensmittel und Energie:

Rot – Durchschnittliche Stundenlöhne aller Arbeitnehmer:

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Tatsächlich steigt die sogenannte Kerninflation schneller als die amerikanischen Stundenlöhne, was bedeutet, dass die Amerikaner weniger Kaufkraft haben, außer an der Zapfsäule.

Zwei Faktoren fressen die amerikanische Kaufkraft auf: Der erste ist die ruinierte Kreditwürdigkeit der Haushalte infolge der Hypothekenkündigungwelle nach 2008, die Amerikaner in teurere Mietwohnungen zwang. Der zweite sind die von der Regierung erzwungenen Gesundheitskosten, infolge des „Affordable Care Act“[1], welche die Nachfrage nach medizinischen Dienstleistungen erhöhen, ohne das Angebot zu steigern. Aufwendungen für Wohnung und Gesundheit machen 40 % des amerikanischen Verbraucherpreisindex aus, und sie steigen nahezu um 4 % jährlich.

Jährliche Entwicklung des Verbraucherpreisindex nach Kategorien:

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Mit Zinsen von nur 3,3 % für langfristige Hypotheken ist es für Amerikaner billiger zu kaufen als zu mieten, zumal die Hypothekenzinsen absetzbar sind. Jedoch ist laut einem Bericht der Federal Reserve seit der Großen Rezession von 2008 die Hausbesitzerrate in den USA gefallen, da die Hälfte der amerikanischen Haushalte entweder die Raten nicht aufbringen kann oder nicht kreditwürdig für Hypotheken ist. Mehr Haushalte werden in Mietverhältnisse genötigt, und die Kosten steigen, während die Zahl der Hausbesitzer gefallen ist.

Blau – Rate der Hausbesitzer in den USA:

Rot – Miete für den Erstwohnsitz:

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Die ruinierte Kreditwürdigkeit der Haushalte erklärt, warum die Verkäufe neuer Häuser bei weniger als der Hälfte des Vorrezessionsstandes verbleibt, obwohl Häuser immer noch billiger sind, als sie es 2007 waren. Die Hälfte der Amerikaner ist zu arm oder zu belastet durch schlechte Kredite, um kaufen zu können.

Blau – Verkäufe neuer Einfamilienhäuser in den USA:

Rot – Hauspreisindex:

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Während der großen Zwangsversteigerungswelle nach 2008 kauften Investoren Häuser zu Spottpreisen und vermieteten sie. Die Eigentümerrate von Investoren stieg bei Einfamilienhäusern von 10 % auf 20 %. Große private Kapitalgesellschaften, geführt von Blackstone, kauften aggressiv. Eine Studie der Federal Reserve von 2015 enthält keine Hinweise darauf, dass die Investoren den Immobilienmarkt manipuliert hätten, aber private Kapitalgesellschaften, die Zugang zu Kapital hatten, ernteten die Früchte momentaner Verzweiflung und nachfolgender Preiserholung.

Das setzt der Ungerechtigkeit die Krone auf. Haushalte, die ihre Häuser in der Rezession verloren haben, müssen sie jetzt von privaten Kapitalgesellschaften mieten.

Die Gesundheitskosten sind infolge von Obamacare stark angestiegen. Die persönlichen Gesundheitsausgaben steigen nach der neuesten Statistik um 5 % jährlich, das Doppelte der Gesamtinflation von 2,5 %.

Amerikaner geben kein Geld aus, außer für Fast Food, den letzten erschwinglichen Luxus für viele Haushaltsbudgets. Ausgaben für Gastronomie (größtenteils für Fast Food) stiegen bis Februar um nahezu 10 % pro Jahr, während der sonstige Einzelhandel lediglich um 2,5 % jährlich anstieg. Nach Abzug der Inflation sind das kaum 0,5 % jährlich.

Blau – Einzelhandelsumsatz (außer Gastronomie):

Grün – Einzelhandel – Gastronomie und Gaststätten:

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[1] Auch bekannt als „Obamacare“. Durch dieses Gesetz wird die Mitgliedschaft – gegen entsprechende Beiträge – in einer Krankenversicherung obligatorisch.

Spengler auf Deutsch 35: Europa ist ein leichtes Ziel für Terroristen

Europa ist ein leichtes Ziel für Terroristen

Der Originalartikel erschien am 22. März 2016 unter dem Titel „Europe is a sitting duck for terrorists“ in Asia Times.

Die europäische Sicherheit ist kollabiert und vielleicht nichtwiederherstellbar. In Europa operieren jetzt so viele künftige Terroristen, dass die Sicherheitsdienste die Fähigkeit verloren haben, potentielle Bedrohungen zu überwachen. Es gibt kein historisches Vorbild, an dem man den Zusammenbruch der Strafverfolgung in Europa messen könnte. Bemerkenswerterweise hat es sich diese Wunde selbst zugefügt.

Zwei Selbstmordattentäter haben heute Brüssel lahmgelegt, Heim der NATO und der Europäischen Union; am Flughafen der Stadt und der U-Bahnstation Maelbeek töteten sie 21 Passanten und verwundeten 35 schwer. Luft- und Bahntransporte sind gestoppt und das Netzwerk der Mobiltelefone ist überlastet. Die Behörden nehmen an, dass die heutigen Angriffe die Vergeltung für die Verhaftung von Salah Abdeslam sind, das letzte Mitglied der Terrorzelle, welche die Terrorattacken auf Paris vom 13. November ausführte, das sich noch auf freiem Fuß befand.

Einige Tausend ausgebildeter Terroristen haben Europa 2015 zusammen mit mehr als einer Million Migranten erreicht – 4000 nach einem Bericht in englischen Medien oder 1500 nach einer Aussage des Befehlshabers der NATO, General Philip Breedlove, vor dem amerikanischen Kongress am 1. März. Tatsächlich haben die Sicherheitsdienste keine Möglichkeit, die bona fides von Migranten zu überprüfen. Die Kosten für einen syrischen Pass und die Passage nach Europa betragen etwa 3.000 Dollar. ISIS und andere terroristische Organisationen können so viele Terroristen, wie sie wollen, nach Europa senden, und schon eine sehr kleine Zelle kann eine Großstadt lahmlegen.

Das stellt den Westen vor eine unerfreuliche Wahl. In Amerika hat es seit dem 11. September 2001 wenige großangelegte terroristische Anschläge gegeben, weil es jährlich 80 Milliarden Dollar für seine Nachrichtendienste aufwendet, die in den Vereinigten Staaten lebende Muslime intensiv überwachen, und weil es überhaupt nur sehr wenige Einwanderer aus potentiellen Terrorländern aufnimmt. Weniger Einwanderung wird von der öffentlichen Meinung Amerikas in überwältigendem Ausmaß befürwortet. Eine Umfrage zeigt, dass die Majorität der Amerikaner mit einer Mehrheit von 46 % gegen 40 % (14 % waren unentschieden) Donald Trumps Vorschlag unterstützt, muslimische Einwanderung zeitweise auszusetzten. Die heutigen Ereignisse bedeuten eine gute Nachricht für Trumps Präsidentschaftskampagne.

Europa dagegen befürwortet weiterhin aus humanitären Gründen massenhafte Einwanderung. Trotz der Wahlgewinne der Antieinwanderungs-Partei „Alternative für Deutschland“ zu Beginn dieses Monats, votierten mehr als drei Viertel der deutschen Wähler für Kandidaten, die Angela Merkels Einwanderungspolitik unterstützen. Die deutschen Behörden wissen nicht, wer die Flüchtlinge sind, und in vielen Fällen, wo sie sind. Laut der deutschen Tageszeitung „Die Welt” haben Tausende von Migranten die Flüchtlingslager verlassen; mindestens 7.000 werden allein in den Aufnahmezentren des Landes Brandenburg vermisst. Sicher, nur sehr wenige von ihnen sind potentielle Terroristen, aber der Kollaps der Kontrollen macht es für die Sicherheitsbehörden unmöglich, potentielle Terroristen zu überwachen.

Das heißt nicht unbedingt, dass ISIS und andere Terroristen nun wöchentlich Großanschläge durchführen werden. Aber die Häufigkeit der Anschläge ist nun in das Belieben der Terroristen gestellt. Anschläge mit hohen Opferzahlen, wie im November in Paris und heute in Brüssel verschaffen ISIS Glaubwürdigkeit. Aber ISIS will keine europäische Reaktion provozieren; er will einen Stützpunkt in Europa etablieren, der so haltbar ist, dass die europäischen Sicherheitsbehörden künftig nicht in der Lage sind, ihn zu vernichten.

Europa hat die einfache Wahl, an seinen Grenzen eine humanitäre Katastrophe geschehen zu lassen, oder die Kontrolle über seine eigene Sicherheit zu verlieren. Deutschland hat bereits die zweite Alternative gewählt und die heutigen Ereignisse werden keinen Einfluss auf Berlins Haltung gegenüber Migranten haben.

Spengler auf Deutsch 34: Die 30 Prozent-Lösung – wenn endlose Kriege enden

Der Originalaufsatz erschien am 13. März 2016 unter dem Titel „The 30% solution – when war without end ends“ in Aisa Times.

Während des Kalten Krieges dominierte die Annahme, dass Nationen rationale Akteure seien, die Forschungen über Außenpolitik. Mit guten Grund: Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion verfolgten ihre Rivalität mit rationalen Mitteln. Mathematische Simulationen konnten als Basis für Szenarien für Konfliktmanagement dienen. Heute aber, mit dem Aufkommen des militanten Islam als größter und wohl wichtigster strategischer Bedrohung für die Vereinigten Staaten, wird diese alte Grundannahme in Frage gestellt. Wo diese Annahme die Oberhand behält, wie bei dem Versuch, den Iran in die strategische Architektur von Westasien einzubeziehen, ist sie höchst umstritten.

Die Planer des Kalten Krieges profitierten von einer Vielzahl akademischer Studien und einem Konsens, der die Mehrzahl der Praktiker einschloss. Dagegen sind heute akademische Studien, welche das voraussichtliche Verhalten von Akteuren mit begrenzter Rationalität erforschen, eine Seltenheit[1]. Politiker sind gezwungen, sich aufs Raten zu verlegen, wenn es um praktische Fragen geht, ob man beispielsweise „moderate“ gegen weniger moderate Islamisten unterstützen soll. Die öffentliche Debatte über solch drängende Fragen ist weitgehend von ideologischer Rhetorik gefärbt.

Irrationale Impulse im Kontext der realen Weltpolitik zu analysieren, ist ein inhärent widersprüchliches Unterfangen. Paranoide Schizophrene mögen mit großer Rationalität im Dienste einer irrationalen Wahnvorstellung handeln. Zwischen irrationalen Impulsen und den rationalen Mitteln, die in seinen Diensten stehen, unterscheiden zu wollen, erfordert ein höchst subjektives Urteil. Wenn dann noch ein irrationaler Impuls mit irrationaler Führung kombiniert wird (wie beispielsweise Adolf Hitlers persönliche Führung des Krieges an der Ostfront), wird eine noch höhere Stufe der Komplexität erreicht. Ich habe dargelegt, dass Franz Rosenzweigs existentialistische Soziologie der Religion unverzichtbare Einblicke in dieses Phänomen gewährt[2].

Gleichwohl haben die außenpolitischen Fehlschläge der Vereinigten Staaten und ihrer Koalitionspartner in Afghanistan, im Irak, Libyen, Syrien und anderswo während der vergangenen fünfzehn Jahre gezeigt, dass Rationalität überbewertet wird. Wir beobachten auf Seiten der Kriegführenden ein Verhalten, das selbstmörderisch erscheint. Einige historische Beispiele mögen hilfreich sein. In vielen der großen Konflikte der Vergangenheit finden wir irrationale Elemente, einschließlich offensichtlich selbstmörderischer Akte, die Einsicht in die Art von Konflikten gewähren, die sich während der letzten zwei Jahrzehnte entwickelt haben und die wahrscheinlich für den Rest des gegenwärtigen Jahrhunderts anhalten werden. Ein neuer Blick auf die großen Konflikte der Vergangenheit kann als Korrektiv gegen unsere Voreingenommenheit für Rationalität dienen.

Nationen kämpfen nicht bis zum Tode, aber sie kämpfen oft, bis der Vorrat an möglichen Kämpfern praktisch erschöpft ist. In den meisten Fällen ist dieser Punkt erreicht, wenn die Verlustrate auf 30 % ansteigt.

Kriege dieser Art bezeichnen viele Wendepunkte der Weltgeschichte. Zu ihnen gehören der Peloponnesische Krieg, der Dreißigjährige Krieg, die Napoleonischen Kriege, der Amerikanische Bürgerkrieg und, zumindest in mancher Hinsicht, die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Die 30 %-Formel erscheint selbst in den deutschen Verlustziffern des Zweiten Weltkrieges. Deutschland verlor 5.300.000 von 17.718.714 Männern zwischen 15 und 44 Jahren oder abermals 30 % der Gesamtmenge.

Es bestehen beunruhigende Ähnlichkeiten zwischen diesen Kriegen und der aktuellen Situation im Westasien.

Es gibt keinen einfachen gemeinsamen Nenner, der auf all dieser Kriege, die bis zur demographischen Erschöpfung geführt wurden, zuträfe. Aber es gibt einige Gemeinsamkeiten, die in ihnen allen zu finden sind. Dazu gehört der Glaube, dass die Alternative, den Krieg fortzuführen, der nationale Ruin wäre, ebenso wie der Glaube des einfachen Soldaten, dass der Krieg zum sozialen und ökonomischen Aufstieg des einfachen Soldaten führen werde („den Marschallstab im Tornister tragen“). Im Bewusstsein der Hauptkombattanten waren es existentielle Kriege, keine, die man hätte wählen können. Sicher, bei weiten historischen Überblicken riskiert man, die Daten so zu wählen, dass sie in das gewählte Muster passen, aber die Parallelen sind so überwältigend, dass sie die Anstrengung lohnen.

Was wir von diesen Kriegen wissen, stellt die Art und Weise, in der wir über Rationalität in der Politik denken, in Frage. Im Nachhinein scheint die Entscheidung, Feindseligkeiten dieses Ausmaßes zu beginnen und fortzuführen, als Akt von Verrücktheit. Zudem stammt der größte Teil der Verluste in den meisten Fällen aus einer Zeit, in der die Hoffnung auf einen Sieg vermindert oder völlig geschwunden war. Sicher, die Hauptakteure lassen eine gewisse Rationalität erkennen, wenn auch perverser Art. Sie glaubten, ein Verzicht auf Kampf und Sieg würde die nationale Raison d’être untergraben. Tatsächlich war ihre Furcht vor nationalem Niedergang nicht völlig unbegründet.

In vielen Fällen war die Folge des Krieges ein katastrophaler Niedergang, gekennzeichnet durch fallende Geburtenrate, wie auch durch abnehmende Bevölkerung, Wohlstand und Macht nach dem Ende der Feindseligkeiten. Die Bevölkerung von Griechenland ging nach dem Peloponnesischen Krieg stark zurück. Nach den Napoleonischen Kriegen begann für Frankreich eine lange Periode demographischer Stagnation und relativen Niedergangs. Der amerikanische Süden erlitt einen langen und schrecklichen wirtschaftlichen Rückschlag. Und Deutschland verließ das 20. Jahrhundert in beschleunigtem demographischen Niedergang.

Die Überzeugung der Kämpfenden in Erschöpfungskriegen, dass nichts Geringeres als das nationale Überleben auf dem Spiel steht, war nicht völlig irrational, obwohl in einigen Fällen der Grund für den Niedergang der Nation eher psychologisch als objektiv gewesen zu sein scheint. Nach Alexander scheinen die griechischen Stadtstaaten ihren Lebenswillen verloren zu haben; Frankreich, nachdem es Europa für eineinhalb Jahrhunderte dominiert hatte, trat nach Napoleons Niederlage in eine lange Periode der Demoralisation ein. Deutschland hat ökonomische Macht und internationales Ansehen wiedergewonnen, aber reproduziert sich nicht mehr.

Wir können daraus den Schluss ziehen, dass eine Kombination aus objektivem wirtschaftlichen Druck und einer subjektiven Krise nationaler Identität eine kritische Masse bilden. In solchen Fällen sind die Kämpfenden motiviert, bis zum Tode zu kämpfen, und ein großer Teil von ihnen erhält auch die Gelegenheit, das zu tun. Meist lässt sich eine Verlustrate von 30 % der militärdienstfähigen Bevölkerung erkennen, so etwa in den Napoleonischen Kriegen, in den Südstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg, und in Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Verlustraten in der antiken Welt waren erheblich höher, teilweise weil die militärdienstfähigen Männer nicht für die manuelle Arbeit gebraucht wurden. Solche Muster zu entdecken, ist von großer praktischer Bedeutung, weil gegenwärtig die Bedingungen für eine kritische Masse nicht nur möglich, sondern schwer zu vermeiden sind. Das gilt besonders für den sunnitisch-schiitischen Konflikt in Westasien. Sicher, dieser innermuslimische Konflikt bleibt verstreut in geographisch eingedämmten Bürger- und Stellvertreterkriegen, aber er hat das Potential, sich zu seinem langdauernden Erschöpfungskrieg zu entwickeln. Die Kombination aus wirtschaftlichem Druck und kulturellen Herausforderungen für das traditionelle Leben in der muslimischen Welt ist explosiv und mag sich zu einem Zivilisationskrieg solchen Ausmaßes entwickeln, wie wir es aus der Vergangenheit kennen.

Vor dem Versuch, Gemeinsamkeiten unten diesen großen Kriegen aufzufinden, ist eine Zusammenfassung über das Ausmaß dieser Konflikte nötig.

Athen im Peloponnesischen Krieg

Die Verluste: Athen verlor die Hälfte seiner erwachsenen männlichen Bevölkerung im Verlauf des Krieges. So schreibt Barry L. Strauss: „Die Anzahl der Hopliten ging zwischen 431 und 394 um 50 % oder mehr zurück, von 22.000 auf c. 9.250. Es gab etwa 15.000 Theten … es ist schwierig sich 394 mehr als 5.000-7.000 Theten vorzustellen. Somit betrug die Zahl der erwachsenen männlichen Bevölkerung von Athen nach dem Peloponnesischen Krieg 14.000 bis 16.250. 434 hatte sie über 40.000 betragen, somit belaufen sich die Verluste der städtischen Bevölkerung in Athen durch den Peloponnesischen Krieg auf etwa 60 %[3].

Die Ursachen: Die Expansion des athenischen Reiches – so die konventionelle Lehrmeinung – ließ Sparta glauben, dass Athen zu mächtig geworden sei. Tribute der athenischen Kolonien finanzierten den Lebensmittelnachschub für die halbe Stadt und ermöglichten es der athenischen Demokratie, einen großen Teil der Bevölkerung mit Importen zu versorgen. Die Basis der Wirtschaft verschob sich von Kleinbauern zu Sklavenhaltern und Söldnern[4]. Aristophanes, ein Traditionalist, polemisierte gegen die Veränderungen in der athenischen Gesellschaft. Einer seiner Bühnencharaktere in „Die Wespen“ erklärt:

„Es gibt ja tausend Städte, die uns heute Tribut leisten;

wenn man jeder einzelnen davon die Auflage machte, 20 Mann zu ernähren,

dann würden 20.000 Volksgenossen inmitten von lauter Hasenbraten leben

und in Kränzen aller Art, in Biestmilch und Sahne…“ (zit. nach der Übersetzung von Lutz Lenz).

Thukydides argumentierte, dass der Wunsch des athenischen Mobs nach Subventionen den desaströsen Sizilienfeldzug von 413-415 v. Chr. motivierte. Die Athener stimmten dafür, Syrakus anzugreifen “auf einen Vorwand hin, der vernünftig schien, tatsächlich aber wollen sie ganz Sizilien erobern, … der große Haufe und das Kriegsvolk (rechnete darauf) schon jetzt dabei Geld zu verdienen und eine Macht hinzuzuerobern, aus der ihnen für alle Zeit ein täglicher Sold gewiß sei.”[5]

Die Folgen: 33 Jahre nach dem spartanischen (und persischen) Sieg über Athen im Jahre 404 v. Chr. besiegte Theben Sparta und befreite dessen Helotenbevölkerung. Makedonien eroberte Athen und Theben im Jahre 338 v. Chr. und in Hellas begann ein rapider demographischer Niedergang. Aristoteles führte Spartas Niederlage durch die Thebaner auf seine abnehmende Bevölkerung zurück (“Die Stadt konnte die Erschütterung nicht ertragen und wurde ruiniert durch Menschenmangel”[6]). Archäologen konstatieren “das Verschwinden des dichten Rasters ländlicher Grundstücke und des damit verbundenen intensiven Ackerbaus um 250 v. Chr. im [östlichen Peloponnes]”. Die ländliche Entvölkerung war verbunden mit “einer wachsenden Kluft zwischen einen kleinen Klasse wohlhabender Individuen und einer verarmenden Unterschicht freier Bürger, die relativ zu Sklaven und Einwanderern an Zahl abnahm”[7].

Polybios, ein griechischer General des zweiten Jahrhunderts beklagte: “in der Zeit, in der wir leben, ist in ganz Griechenland die Zahl der Kinder, überhaupt der Bevölkerung in einem Maße zurückgegangen, daß die Städte verödet sind und das Land brachliegt, obwohl wir weder unter Kriegen von längerer Dauer noch unter Seuchen zu leiden hatten … Denn nur deshalb, weil die Menschen der Großmannssucht, der Habgier und dem Leichtsinn verfallen sind, weder mehr heiraten, noch, wenn sie tun, die Kinder, die ihnen geboren werden, aufziehen wollen, sondern meist nur eins oder zwei, damit sie im Luxus aufwachsen und ungeteilt den Reichtum ihrer Eltern erben, nur deswegen hat das Übel schnell und unvermerkt um sich gegriffen.”[8]

Der Peloponnesische Krieg ist von besonderem Interesse für die aktuelle Politik, da eine bestimmte Interpretation dieses Krieges vorgelegt wurde, um Amerikas Anstrengungen zu rechtfertigen, die Demokratie in Nahen Osten zu fördern. Zwei neuere Geschichten dieses Krieges, verfasst von Donald Kagan[9] und Victor Davis Hanson[10], wurden vielfach mit der Politik der Bushregierung assoziiert. Professor Hanson ging so weit, zu behaupten, dass Athens Anstrengungen, sein demokratisches politisches System zu exportieren, dazu beitrugen, den Konflikt mit dem oligarchischen Sparta herbeizuführen. Diese Interpretation erfordert jedoch, den Bericht des Thucydides zurückzuweisen, der die Raubgier der athenischen Demokraten und des Mobs, den sie alimentierten, für den Feldzug gegen Syrakus, ebenfalls eine Demokratie, verantwortlich macht.

Hanson und Kagan behandeln das syrakusische Disaster als einen unbedachten Fehler, statt dass sie es, wie Thucydides, als das tragische Ergebnis der inhärenten Fehler des athenischen Charakters betrachten. Hanson führt das Disaster auf den unheilvollen Einfluss des Alcibiades zurück, Kagan macht den athenischen General Nicias verantwortlich. Ich halte es für am gesündesten, Thukydides zu folgen. Gelehrte mit einer ideologischen Ausrichtung, derzufolge Demokratie ein universelles politisches Heilmittel ist, neigen dazu, Nichtzurechtfertigendes zu rechtfertigen, wenn eine Demokratie es tut. Die vielleicht nächste Analogie zum athenischen Streben nach einem Großreich ist der konföderierte Traum von einem karibischen Imperium der Sklaverei vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg – geplante Verwüstung durch einen Teil einer anderen Demokratie. Mehr dazu findet man weiter unten.

Frankreich in den Napoleonischen Kriegen

Die Verluste: Wahrscheinlich war Frankreich nach Waterloo demographisch erschöpft. Frankreich zählte zwischen 1,4 und 1,7 Millionen militärische Opfer ebenso wie eine sehr große Zahl von Zivilisten aus einer Gesamtbevölkerung von 29 Millionen. Die Gruppe der 20-40jährigen umfasste zwei Fünftel der Gesamtbevölkerung (eine charakteristische Zahl für vorindustrielle Gesellschaften). Wenn wir zahlenmäßige Gleichheit der Geschlechter annehmen, hätten militärdienstfähige Männer ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausgemacht. Die Gesamtmenge an militärischer einsetzbarer Männer betrug im Napoleonischen Frankreich weniger als sechs Millionen Männer, so dass zivile und militärische Verluste zusammen 30 % der Gesamtzahl übertrafen.

Die Ursachen: Von einem modernen Standpunkt aus scheint es merkwürdig zu denken, dass Napoleons Eroberungen eher ein existentieller als ein selbstgewählter Krieg waren. Jedoch, die Gründung des französischen Staates war an einen quasi religiösen Glauben an Frankreichs göttliche Mission gebunden. Wie Aldous Huxley über den Kardinal Richelieu schrieb: „Indem er für Frankreich arbeitete, tat er Gottes Willen. Gesta Dei per Francos war das Axiom, aus dem folgte, dass Frankreich göttlich war, und dass die, die für Frankreichs Größe arbeiteten, Gottes Werkzeuge waren, und dass die Mittel, die sie gebrauchten, in Übereinstimmung mit Gottes Willen gebraucht werden konnten“[11]. Frankreichs Kriegsziele „wurden in ein religiöses Prinzip rationalisiert, indem man den alten Kreuzzugsglauben von der göttlichen Mission Frankreichs und dem göttlichen Recht der Könige gebrauchte“[12].

Während des 16. Jahrhunderts war Frankreich von religiösen Kriegen verwüstet worden. 1618 begann mit Böhmens Rebellion gegen Österreich der Dreißigjährige Krieg. Frankreich war entschlossen, Österreich und Spanien um den ersten Platz in der Christenheit herauszufordern. Richelieu unterstützte die protestantische Seite, bezahlte den schwedischen König Gustav Adolf gegen Österreich zu intervenieren. Die erste Hälfte des Dreißigjährigen Krieges wurde zwischen Katholiken und französischen Stellvertretern ausgefochten, die zweite Hälfte (beginnend mit der französischen Intervention von 1635) weitgehend zwischen Frankreich und Spanien.

In Spanien fand Frankreich einen Gegner, dessen Ambitionen seine eigenen entsprachen. Wie der politische Theoretiker Juan de Salazar 1619 schrieb: „Die Spanier wurden erwählt, um das Neue Testament zu verwirklichen, ebenso wie Israel erwählt worden war, das Alte Testament zu verwirklichen. Die Wunder, mit denen die Vorsehung die spanische Politik begünstigt hat, bestätigen die Analogie des spanischen mit dem jüdischen Volk, so dass die Ähnlichkeit der Ereignisse in allen Zeitaltern und die ähnliche Weise in der Gott die Auswahl und die Leitung des spanischen Volkes in die Hand genommen hat, es zum auserwählten Volk durch das Recht der Gnade erklärt, ebenso wie das andere von ihm in der Zeit der Heiligen Schrift auserwählt wurde. … Darum ist es angemessen aus den aktuellen Verhältnissen wie auch aus der Heiligen Schrift zu schließen, dass die spanische Monarchie für viele Jahrhunderte dauern und sie die letzte Monarchie sein wird“[13].

Salazar drückte damit eine Gesinnung aus, „die am kastilischen Hof und in Teilen der Elite nicht ungewöhnlich war“[14]. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges war Frankreich die dominierende Landmacht Europas, während Spanien seinen langen nationalen Niedergang begann.

Die europäische Bevölkerung wuchs während des 18. Jahrhunderts von 110 Millionen auf 190 Millionen, teilweise in Folge von Produktivitätsfortschritten in der Landwirtschaft; die französische Bevölkerung wuchs von 19 Millionen auf 28 Millionen, von denen zwei Fünftel im Alter zwischen 20 und 40 waren. Die Arbeitslosigkeit stieg während der Wirtschaftskrise von 1785-1794 stark an, und sorgte so für das Rohmaterial für die revolutionäre Massenkonskription[15]. Im Dreißigjährigen Krieg schuf der kaiserliche General Albrecht von Wallenstein Massenarmeen aus Söldnern, die aus dem Land lebten; er revolutionierte die Kriegführung, während er die Zivilbevölkerung aushungerte. Napoleon war ein besserer Wallenstein, er gebrauchte Massenarmeen französischer Bürger, um Frankreichs Nachbarn zu erobern, und zog so eine multinationale Horde unter sein Banner.

Ein (vielleicht apokryphes) Zitat von Napoleon sagt: Man kann mit Bajonetten alles erreichen, aber man kann nicht auf ihnen sitzen. Wie Wallenstein wurde Napoleon der mächtigste Mann Europas, indem er die traditionelle Gesellschaft unterminierte und die jungen Männer aufbot, welche die Auflösung der Gesellschaft befreit hatte. Mit Recht beschrieb Schiller Wallenstein in seiner dramatischen Trilogie aus dem Jahre 1799 ebenso als das Geschöpf seiner Armee wie als ihren Schöpfer. Napoleon konnte Soldaten mit dem Versprechen rekrutieren, sie trügen den Marschallstab im Tornister, auch ohne ihnen eine Neue Welt zur Eroberung anzubieten.

Der Ehrgeiz der gewöhnlichen Soldaten war so mächtig, dass Napoleon seine Popularität trotz der Katastrophe in Russland behielt. Nach dem Rückzug aus Russland war er 1813 fähig, eine neue Armee von 350.000 Mann zu aufzubieten. Aber seine deutschen Satrapien revoltierten und besiegten ihn in der Schlacht bei Leipzig. 1814 verbannten die europäischen Mächte ihn nach Elba, aber ein Jahr später kehrte er nach Frankreich zurück, und bot erneut 200.000 Soldaten auf. Nach Waterloo waren Frankreichs demographische Reserven wahrscheinlich zu ausgeblutet, um eine neue Massenarmee aufzustellen.

Die Folgen: Nach der europäischen Bevölkerungsexplosion im 19. Jahrhundert begann in Frankreich der große demographische Umschlag, wo die Fruchtbarkeit, verglichen mit dem Rest Europas, scharf absank. So beobachtet Gregory Macris: „Frankreich, einst die zahlenmäßig größte Nation Westeuropas, sah, wie sein Bevölkerungswachstum sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in unerklärlicher Weise verlangsamte. Das Bewusstsein vom Bevölkerungsabfall in der Regierung und der populären Presse führte zu strategischen Bauchschmerzen. Die führende Klasse sorgte sich über potentielle Bedrohungen durch die schneller wachsenden Deutschen und grübelte über das Ende Frankreichs als einer Nation[16].

Versuche, den französischen demographischen Niedergang auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Urbanisierung oder andere objektive Faktoren zurückzuführen, bieten keine befriedigende Erklärung. Die jüngsten Forschungen durch das Nationale Französische Institut für Demographie ergeben, dass die Gründe eher psychologischer als objektiver Natur waren. In einer Studie vom März 2012 schreibt Gilles Pison vom Französischen Nationalen Institut für Demographische Studien:

„In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatten Frauen in [Frankreich und Deutschland] durchschnittlich fünf oder sechs Kinder. Aber gegen Ende des Jahrhunderts breitete sich die Praxis der Geburtenkontrolle in Frankreich aus, und die Fruchtbarkeit fiel von 5,4 Kindern pro Frau in den 1750ern auf 4,4 in den 1800ern und auf 3,4 in den 1850igern. Auf der anderen Seite war es in Deutschland nicht vor dem späten 19. Jahrhundert, dass deutsche Frauen ihrerseits damit begannen, die Größe ihrer Familien zu begrenzen. Diese Zeitdifferenz wird oft der frühen Ausbreitung der Ideen der Aufklärung in Frankreich zugeschrieben oder der Aufhebung religiöser Zwänge“[17].

Zeitgenössische Beobachter in der Mitte des 19. Jahrhunderts verglichen Frankreichs Niedergang mit dem der Griechen nach dem Peloponnesischen Krieg. Ein britischer Historiker bemerkte 1857, dass die Unfruchtbarkeit, „die man bei den Oligarchien von Sparta und Rom beobachtet, auch in der ausgedehnteren Bürgerschaft von Athen Auswirkungen hatte, und dass sie selbst in unserer Zeit die zweihunderttausend Wähler befallen hat, welche die Oligarchie Frankreichs während der Regierung von Louis Philippe bildeten“[18].

Der Kollaps des französischen Dünkels der nationalen Auserwähltheit führte zu einer langen nationalen Demoralisation und dem Ende Frankreichs als der dominierenden europäischen Macht. Von diesem Standpunkt aus kann man argumentieren, dass Napoleons Kriege in der Tat existentiell waren.

Die Konföderierten

Die Verluste: Gary Gallagher fasst die Verluste des Südens folgendermaßen zusammen: „Die Konföderation mobilisierte zwischen 750.000 und 850.000 Mann, eine Zahl, die 75 – 85 % ihrer militärdienstfähigen weißen Bevölkerung ausmachte (nur das Vorhandensein von Sklaven, welche die Wirtschaft in Gang hielten, erlaubte eine solch erstaunliche Mobilisierung). Mindestens 258.000 von ihnen kamen im Krieg ums Leben … die Zahl der in Gefechten Verwundeten betrug nahezu 200.000. Von drei Männern in Uniform kam somit einer ums Leben“. Insgesamt verlor der Süden fast 30 % seiner Männer im militärdienstfähigen Alter, die gleiche Proportion wie Frankreich während der Napoleonischen Kriege[19].

Die Ursachen: Wenn Napoleons Soldaten den Marschallstab im Tornister trugen, dann die Konföderierten die Peitsche eines Aufsehers. Die Südstaatler hatten seit einer Generation für Sklaventerritorien in Texas, Kansas und anderen umstrittenen Territorien gestritten. Sie kämpften weiter für die Möglichkeit Sklaven zu erwerben. Die Wahl Lincolns bedeutete das Ende der Ausdehnung der Sklaventerritorien, ohne die das wirtschaftliche System des Südens in ein oder zwei Jahrzehnten ersticken würde. Jefferson Davis bot an, Lincolns Wahl zu billigen, wenn nur Lincoln der Eroberung Kubas als Sklaventerritorium zustimmen würde. Die definitive Geschichte der Ambitionen des Südens findet man in dem Buch von Robert E. May „The Southern Dream of a Caribbean Empire“ (1973). Er schreibt beispielsweise:

Der “Memphis Daily Appeal” schrieb etwa am 30. Dezember 1860, dass ein „Imperium“ der Sklaverei entstehen werde „von San Diego am Pazifischen Ozean, dann südwärts, entlang der Küstenlinie von Mexiko und von Zentralamerika bis zum Isthmus von Panama; dann weiter nach Süden, entlang der westlichen Küstenlinie von Neu Granada und von Ecuador, da wo dessen südliche Grenze den Ozean trifft, dann östlich über die Anden zu den Quellen des Amazonas, dann weiter abwärts die mächtigsten der inländischen Seen, durch den Busen des breitesten und reichsten Deltas der Welt, bis zum Atlantischen Ozean“[20].

Für diejenigen, die nicht glauben, dass Demokratien Kriege beginnen, ist die Konföderation ein Stolperstein. Wie das Athen des Perikles entschied sie demokratisch, einen imperialen Krieg der Versklavung zu führen mit der enthusiastischen Unterstützung ihren unteren Klassen. Wie Napoleons Soldaten fochten die Konföderierten mit Tapferkeit und Hingabe bis zum Erreichen der demographischen Erschöpfung. Es ist interessant zu beobachten, dass die blutigsten Schlachten (Cold Harbor, Chickamauga, Wilderness) alle stattfanden, nachdem die Aussichten des Südens auf den Sieg geschwunden waren, infolge der Siege der Union bei Vicksburg und Gettysburg im Juli 1863. Der Verlustrate stieg in der zweiten Hälfte von 1863 und der ersten Hälfte 1864 scharf an, als der Süden auf seine Verluste mit immer verzweifelteren Kämpfen reagierte.

Die Folgen: 1840 war im amerikanischen Süden das Prokopf-Einkommen höher als im Mittleren Westen, aber es fiel bis 1880 auf die Hälfte dessen im Mittleren Westen. Noch 1950 betrug es nur 70 % des Niveaus im Mittleren Westen[21].

 

Der Nahe Osten heute

Die Ursachen: Mehrere wichtige Länder des Nahen Ostens nähern sich einer kritischen Masse in Bezug auf Demographie und Wirtschaft. Die Bevölkerungskohorte der zwischen 15- und 24-Jährigen im Libanon, in Syrien, im Irak und Iran ist von 15 Millionen im Jahre 1995 auf rund 30 Millionen im Jahre 2010 gesprungen. Diese Bevölkerungs-Beule hat schlechte Aussichten. Nach Angaben der Weltbank beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 30 % im Iran und 35 % im Irak. Dieses Konzept ist kaum anwendbar auf Syrien, dessen Wirtschaft nach einem fünfjährigen Bürgerkrieg in Trümmern liegt und der etwa 10 Millionen Syrer aus einer Gesamtbevölkerung von 22 Millionen vertrieben hat. Wohl nach nie hat eine so große Bevölkerung im militärdienstfähigen Alter so schlechte Zukunftsaussichten gehabt; sie lebt in einer Kriegszone, beherrscht von nichtstaatlichen extremistischen Akteuren.

Die Aussichten für wirtschaftliche Stabilisierung der regionalen Hauptakteure sind schlecht. Die offizielle Arbeitslosenquote beträgt 11 %, aber nur 37 % der Bevölkerung werden als ökonomisch aktiv eingeschätzt, eine extrem niedrige Rate in Anbetracht der Konzentration der iranischen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Soziale Indikatoren deuten auf eine alarmierende Verschlechterung der Lebensbedingungen. Die Zahl der Eheschließungen ist seit 2012 um 20 % gefallen. Im Iran liegt das übliche Heiratsalter für Männer bei 20-34 Jahren und für Frauen bei 15-29 … 46 % der Männer und 48 % der Frauen in diesen Altersgruppen bleiben unverheiratet,“ berichtet Al-Monitor in einer Sendung vom 2. Juni 2015[22].

Ökonomische Probleme erklären einen Teil der fallenden Rate der Eheschließungen, aber die Korrosion traditioneller Werte ist auch ein Faktor. Iranische Forscher haben Ende 2015 geschätzt, dass eine von acht iranischen Frauen mit Chlamydien infiziert sind, eine verbreitete Geschlechtskrankheit, die oft Unfruchtbarkeit verursacht[23].

Als Ayatollah Khomeini 1979 die Macht ergriff, hatte die durchschnittliche iranische Frau sieben Kinder; heute ist die Fertilitätsrate auf kaum 1,6 Kinder gefallen, der stärkste Abfall in der Geschichte der Demographie. Der Iran hat immer noch eine junge Bevölkerung, aber er hat keine Kinder, die ihr nachfolgen. Gegen Mitte des Jahrhunderts wird der Iran einen größeren Anteil abhängiger Alter aufweisen als Europa, eine unmögliche und nie dagewesene Last für ein armes Land.

Meinen Berechnungen zufolge betragen bei einem Ölpreis von 30 Dollar pro Barrel die Einnahmen des Iran aus Öl und Gas weniger als 30 Milliarden Dollar pro Jahr und weniger als die Hälfte des 64 Milliarden Dollar-Budgets für das fiskalische Jahr 2014[24]. Der plötzliche Alterungsprozess, der im Iran im Gange ist, wird auch die Türkei, Algerien und Tunesien ergreifen. Der Iran ist das muslimische Land mit der geringsten Analphabetenquote, größtenteils dank eines ambitionierten Alphabetisierungsprogramms des Schahs in den frühen 1970ern. Muslimische Frauen, welche höhere Schulen und Universitäten besuchen, heiraten später oder gar nicht und haben weniger Kinder[25].

Zwischen 2005 und 2020 wird die iranische Bevölkerung zwischen 15 und 24, also das Reservoir an potentiellen Rekruten, um fast die Hälfte zurückgegangen sein. Mittlerweile wird Pakistans militärdienstfähige Bevölkerung im fast 50 % steigen. Im Jahr 2000 hatte der Iran die Hälfte der militärdienstfähigen Männer seines östlichen sunnitischen Nachbarn; im Jahr 2020 wird er noch ein Fünftel haben. Irans Überschuss an Jugendlichen, der in den 1980ern geboren wurde, dürfte wahrscheinlich der letzte sein, und das Fenster, schiitische Macht in dieser Region zu etablieren, wird sich während eines Jahrzehnts schließen.

Noch wichtiger: Gemäß dem Fruchtbarkeitsscenario des „World Population Prospects“ werden im Jahre 2050 45 % der iranischen Bevölkerung über 65 sein. Kein armes Land hat je eine solche Last an abhängigen Alten getragen, da arme Länder normalerweise eine überproportional große Menge junger Leute aufweisen. Der Iran ist das erste Land, das alt wird, bevor es reich gewesen ist, und die wirtschaftlichen Konsequenzen werden katastrophal sein. Das ist eine Gefahr, welche den iranischen Führern wohlbewusst ist.

Saudi-Arabien hat das entgegengesetzte Problem: Es hat eine hohe Fruchtbarkeitsrate und eine wachsende Kohorte junger Menschen und es könnte ihm an den finanziellen Resourcen mangeln, ihre Erwartungen zu erfüllen. Gemäß einem Bericht des Internationalen Währungsfonds wird Saudi-Arabien beim gegenwärtigen Ölpreis seine Finanzreserven innerhalb von fünf Jahren erschöpft haben[26].

Es gibt keine offiziellen Daten über Armut in Saudi-Arabien, aber einer saudischen Zeitung zufolge, die Daten der Sozialsysteme nutzte, schätzt sie, dass sechs Millionen der 20 Millionen Einwohner des Königreichs arm sind, einige extrem arm. Nach den Unruhen des „Arabischen Frühlings“ 2011 hat Riad die Sozialausgaben auf 37 Milliarden Dollar erhört – oder 6000 Dollar für jede arme Person im Königreich, um der Ausbreitung von Unzufriedenheit in ihrem Territorium entgegenzuwirken.

Saudi-Arabien gibt jährlich 48,5 Milliarden Dollar für Verteidigung aus – gemäß dem IHS -, und plant, dies auf 63 Milliarden bis 2020 zu steigern. Die Monarchie muss die bevorstehende konventionelle Aufrüstung des Iran nach dem P5+1-Nuklearabkommen ausgleichen, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Wenn der Ölpreis niedrig bleibt, wird Saudi-Arabien seine Sozialleistungen scharf reduzieren müssen und so das Risiko sozialer Instabilität eingehen.

Die Türkei sieht einer anderen Art der demographischen Herausforderung entgegen. Seit vier Jahrzehnten führt sie Krieg mit ihren kurdischen Separatisten; in ihm sind etwa 40000 Menschen getötet worden. Das Problem ist, dass die Türkei allmählich kurdisch wird. Die Kurden haben 3,3 Kinder pro Frau gegen nur 1,8 bei den ethnischen Türken, wie der Demograph Nicholas Eberstadt schätzt. Das heißt, das innerhalb einer Generation die Hälfte der Rekruten der türkischen Armee aus kurdisch sprechenden Familien kommen wird. Das türkische Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg ist größtenteils durch die Furcht motiviert, dass es den Kurden gelingen wird, eine unabhängige, sich selbst verwaltende Zone an ihrer Grenze zu schaffen und sich mit der autonomen kurdischen Region im Irak zu verbinden.

Demographie, Wirtschaft und Ideologie zusammen schaffen in Kleinasien, der Levante und Mesopotamien die Bedingungen für eine kritische Masse. Politische Analysen der Region tendieren dazu, sich auf die ideologischen und religiösen Rivalitäten zwischen iranischem Schiismus, sunnitischem Wahhabismus und türkischen neoottomanischen Aspirationen zu konzentrieren. Zu ihnen müssen addiert werden die demographischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, welchen Erdölmonokulturen unter ungünstigen finanziellen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind, inmitten eines gefährlichen demographischen Übergangs.

Das stellt die konventionellen Wege in Frage, mit denen man die Optionen rationaler Akteure einschätzt. Die Spieltheorie berechnet das Verhalten von Individuen mit wohldefinierten Interessen; es berücksichtigt aber keine Situationen, in denen einer oder mehrere der Spieler beispielsweise an einem inoperablen Gehirntumor leiden. Iran mag entscheiden, dass sein existentielles Interesse er erforderlich macht, sein schiitisches Imperium jetzt zu vergrößern, bevor seine rapide alternde Bevölkerung ihn des Menschenmaterials und der finanziellen Ressourcen beraubt. Saudi-Arabien mag entscheiden, dass seine Fähigkeit, seine eigene widerstrebende Bevölkerung zu kontrollieren, präventive Aktionen gegen seine schiitischen Opponenten nötig macht. Die Türkei mag entscheiden, dass die Aussicht auf territoriale Verluste es erfordert, präventiv gegen die Kurden vorzugehen.

Abermals eine 30%-Lösung?

All das ist in hohem Maße bereits im Gange, nämlich durch Stellvertreterkriege: Saudi-Arabien und die Türkei sind beide in einen Stellvertreterkrieg mit dem Iran in Syrien verstrickt und in einem gewissen Grade auch anderswo in dieser Region. Truppen der iranischen revolutionären Garde werden in Syrien eingesetzt, und Saudi-Arabien hat gedroht, seinen eigenen Truppen in das Land zu entsenden. Das Problem ist, dass der Iran, Saudi-Arabien und die Türkei allesamt fundamentalen wirtschaftlichen und demographischen Herausforderungen gegenüberstehen, die ihre innere Stabilität bedrohen und sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren verschlimmern werden.

Amerikanische Planer haben versucht, die Region durch Stellvertreter zu stabilisieren (indem sie “moderate Islamisten” in Syrien gegen das Assad-Regime unterstützten, die Iraner ermutigten, sich an einer regionalen Sicherheitsarchitektur zu beteiligen und so weiter). Die Voraussetzungen aber für eine kritische Masse in dem Ausmaß früherer Ermattungskriege überwiegen, und die Wahrscheinlichkeit eines anderen Ermattungskrieges im Ausmaß der Napoleonischen Kriege oder des Dreißigjährigen Krieges ist viel höher als die Analysten der Auswärtigen Politik zu erkennen scheinen. Das Resultat mag eine 30 %-Lösung sein, wie wir sie so viele Male in der Geschichte gesehen haben, und eine angemessene amerikanische Antwort mag darin bestehen, dass Feuer nicht zu löschen, sondern es kontrolliert ausbrennen zu lassen.

 

[1] See for example Richard Landes, Heaven on Earth: Variety of Millenarian Experience, Oxford 2011; Anna Greifman, Death Orders: The Vanguard of Modern Terrorism, Praeger 2010; and David P. Goldman, How Civilizations Die (and Why Islam is Dying, Too), Regnery 2011.

[2] David Goldman, op. cit.

[3] Barry S. Strauss, Athens After the Peloponnesian War: Class, Faction and Policy, Routledge 2014, S 81

[4] Charles M. Reed, Maritime Trades in the Ancient Greek World, Cambridge University Press 2003. S. 16.

[5] Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, übersetzte von Georg P. Landmann, München 1977, VI,24 S. 461

[6] Aristotle, Politics (trans. William Ellis); The Floating Press (2009), p. 99.

[7] Michael H. Jameson et. Al., A Greek Countryside: the southern Argolid from prehistory to the present day, Stanford University Press, 1994, S. 396.

[8] Polybius, Geschichte, XXXVI,17, übersetzt von Hans Drexler, 2 Bde., Zürich, 2. Aufl. 1978, Bd. 2, S. 1302 f.

[9] Donald Kagan, The Peloponnesian War, Penguin, 2003.

[10] Victor Davis Hanson, A War Like No Other, Random House 2005.

[11] Aldous Huxley, The Grey Eminence, Vintage, 2005, S. 185.

[12] Huxley, S. 133.

[13] Zitiert in Luis Suárez Fernández und José Andrés Gallego, La crisis de la hegemonía española, siglo XVII, Ediciones Rialp, 1986, S. 12

[14] Stanley G. Payne, Spain: A Unique History, University of Wisconsin Press, 2011, S. 106.

[15] Myron Weiner und Michael S. Teitelbaum, Political Demograpy, Demographic Engineering, Berghan: Oxford, 2001, S. 20-21.

[16] Für mehr Hintergrundinformationen siehe https://www.usnwc.edu/Lucent/OpenPdf.aspx?id=128&title=Perspective.

[17] Giles Pison, France and Germany: a history of criss-crossing demographic curves, in: Population and Societies, Bulletin Mensuel d’Information de l’Institut National d’études Démographiques, n. 487 (March 2012).

[18] George Finlay, Greece under the Romans, London: Blackwell 1857, S. 68.

[19] Gary W. Gallagher, The Confederate War, Harvard, 1997, S. 28-29.

[20] Robert E. May, The Southern Dream of a Caribbean Empire, 1854-1861, Louisiana State University Press, 1973, S. 164.

[21] Richard Easterlin, Regional Income Trends, 1840-1950, in: Robert W. Fogel and Stanley L. Engerman, The Reinterpretation of American Economic History, New York: Harper & Row, 1971, S. 40.

[22] http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/06/iran-birth-rate-marriage-decline-divorce.html.

[23] http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26343285.

[24] http://atimes.com/2016/01/no-prosperity-for-iran-after-nuclear-deal/.

[25] Siehe Goldman, S. 12.

[26] http://www.imf.org/external/pubs/ft/reo/2015/mcd/eng/pdf/mreo1015ch4.pdf.

Spengler auf Deutsch 33: Zeit für Gewinnmitnahme aus amerikanischen Staatsanleihen

Der Originalartikel erschien am 7. März 2016 unter dem Titel „Time to take profits in Treasuries” in Asia Times

Amerikanische Staatsanleihen mit langer Laufzeit waren 2016 Spitzenreiter. Die zehnjährigen Anleihen fielen von fast 2,4 % im letzten November auf einen Tiefpunkt von 1,53 % am 11. Februar, als die Märkte eine neue Finanzkrise fürchteten. Seither sind die Zehnjährigen wieder auf 1,9 % angestiegen. Sie könnten noch höher steigen, und Investoren, die Profite in langjährigen Anleihen anstreben, sollten jetzt Gewinne realisieren.

Zinsentwicklung zehnjähriger Staatsanleihen:

Nichts sollte einfacher sein als eine Anleihe, die von der Regierung der größten Wirtschaft der Welt emittiert wird. Aber Regierungen verstehen sich darauf, Dinge kompliziert zu machen. Und Regierungen machen den Anleihenmarkt kompliziert, indem sie inflationsgeschützte Anleihen verkaufen. Die amerikanische Regierung verkauft „Treasury Inflation Protected Securities” (Inflationsgeschützte Anleihen) oder „TIPS“.

Bei Fälligkeit wird der Nennwert von TIPS an den regierungsamtlichen Verbraucherpreisindex angepasst. Wenn Sie ein TIPS mit zehnjähriger Laufzeit zu einem Preis von 100 Dollar kaufen und der Verbraucherpreisindex verdoppelt sich, dann zahlt die Regierung ihnen 200 Dollar. In der Zwischenzeit aber erhalten sie einen weit niedrigeren Zinssatz als Sie ihn für normale Anleihen erhalten würden. Die Verzinsung von TIPS ist oft negativ: Sie können 102 Dollar für eine 100 Dollar-Anleihe zahlen, in der Erwartung, dass die Indexierung der Inflation das kompensieren wird.

Gewöhnliche Anleihen bringen mehr Zinsen als TIPS. Der Zinsunterschied zwischen TIPS und gewöhnliche Anleihen wird „Breakeven-Inflationsrate“ genannt, weil es die Inflationsrate ist, bei der Investoren in TIPS und in gewöhnliche Anleihen den gleichen Zins erhalten.

Zehnjahresentwicklung der Breakeven-Inflation versus Öl

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Es überrascht nicht, dass die Breakeven-Inflationsrate den Öl- und Rohstoffpreisen folgt, wie die obige Graphik zeigt. Die Inflationsrate, die für TIPS-Investoren wichtig ist, ist der Verbraucherpreisindex gemessen vom statistischen Büro (Bureau of Labor Statistics = BLS); diese zeigt einen verstärkten Anstieg der Kosten für Wohnraummiete. Die Breakeven-Inflation ist in den letzten Wochen etwas stärker gestiegen als der Ölpreis.

Jedoch, die TIPS-Zinsen folgen dem Ölpreis nicht. Stattdessen folgen sie sehr eng dem Goldpreis. Das ist insbesondere für die letzten Monate zutreffend. Es war aber auch schon in den letzten neun Jahren wahr.

Goldpreis versus TIPS mit zehnjähriger Laufzeit:

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TIPS-Verzinsung versus Gold von Januar 2007 bis zur Gegenwart:

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Warum ist das so? Wir können uns TIPS als eine Aus-dem-Geld-Option (out-of-the-money-option) vorstellen. Wenn der Dollar schwächer wird, steigt der Wert von TIPS (umgekehrt zu ihrem Zins). An einem bestimmten Punkt lassen sich TIPS wie In-das-Geld-Optionen (in-the-money-options) verkaufen, mit einem niedrigen Delta (Preissensibilität zu dem Basiswert).

Die Möglichkeiten, die TIPS inhärent sind, werden transparenter, wenn wir die TIPS-Verzinsung mit dem Goldpreis vergleichen. Gold und TIPS können beide als Aus-dem-Geld-Optionen aus dem Dollar gedacht werden; der Investor opfert Einkommen (im Falle von Gold) oder relative Zinsen (im Fall von TIPS), er zahlt, als würde es sich um eine In-das-Geld-Option handeln, die sich auszahlt, im Falle ernsthafter monetärer Instabilität.

Investoren haben während der Instabilität der letzten zwei Monate Aus-dem-Geld-Optionen gekauft. Der Preis für eine solche Versicherung hat den Gipfel erreicht. Die Märkte beginnen, sich zu beruhigen. TIPS könnten steigen, während Gold fällt.

Es gibt gute Gründe, Profite jetzt zu realisieren. Öl zieht wieder an; das reduziert das Deflationsrisiko. Die Furcht vor einer globalen Finanzkrise ist zurückgegangen. Das heißt, die beiden Arten der Anleihenrendite dürften ansteigen. Die Breakeven-Inflation ist mit dem Öl bereits angestiegen, während TIPS verwundbar sind durch reduzierte Nachfrage für diese Art von Katastrophenversicherung.

Spengler auf Deutsch 32: Die McWirtschaft

Der Originalartikel erschien am 4. März 2016 unter dem Titel „The McEconomy“ in Asia Times.

Der heutige Bericht über den amerikanischen Arbeitsmarkt zeigte für den Februar mehr neue Arbeitsplätze als erwartet (242.000 gegen geschätzte 195.000) aber geringere Löhne (-0,1 % zwischen Januar und Februar). Das ist kein Widerspruch. All die neuen Arbeitsplätze entstanden am unteren Ende des Lohnniveaus. Gesundheit und Bildung ergaben 86.000, Freizeit und Gaststätten (meist Fast Food) fügten 56.000 hinzu, und der Einzelhandel 55.000. Der güterproduzierende Sektor büßte 15.000 Arbeitsplätze ein, trotz eines Anstiegs im Baugewerbe.

Das war das Muster während der Erholung nach 2009, wenn man dieses Word für das, was wir auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt gesehen haben, gebrauchen will.

Der Beschäftigungsanstieg im Gesundheitswesen ist teilweise das Resultat der natürlichen Alterung der amerikanischen Bevölkerung, er ist aber auch auf Regierungsmaßnahmen wie Obamacare zurückzuführen. Beschäftigung im Fast-Food-Bereich ist ein Indikator für den Zerfall der Familie: Amerikaner kaufen eine schnelle (und meist abstoßende) Mahlzeit, statt mit ihren Familien zu speisen. Die meisten Jobs in diesen Bereichen erzielen lediglich den Mindestlohn. Besser bezahlte Arbeitsplätze (beispielsweise im Bereich des Fracking von Schieferöl) verschwinden, daher verursacht ein Beschäftigungsanstieg keine Verbesserung des Lohnniveaus.

Spengler auf Deutsch 31: Trumps Triumph ist eine Folge von Abwärtsmobilität

Der Originalartikel erschien am 1. März 2016 unter dem Titel „Trump Triumphed Due to Downward Mobility“ in Asia Times.

Das Rennen ist noch offen, aber eine Entscheidung zeichnet sich ab: Die Siege von Donald Trump in Georgia, Alabama, Tennessee, Virginia, Arkansas und Massachusetts überwiegen den Sieg von Ted Cruz in seinem Heimatstaat Texas und im benachbarten Oklahoma. Das republikanische Establishment wird sich nicht um Cruz scharen, als den letzten Kandidaten, der fähig ist, Trump zu schlagen. Marco Rubios Trostpreis war der Minnesota-Caucus mit 37 % Stimmenanteil.

In den letzten sechs Monaten haben meine republikanischen Freunde und ich Donald Trumps Aufstieg mitangesehen und uns gefragt, ob die Wähler verrückt geworden sind. Aber die Wähler sind nicht verrückt. Wir in der republikanischen Elite waren verrückt. Wir dachten, wir könnten der amerikanischen Wirtschaft erlauben, auch weiterhin ein Spiel mit gezinkten Karten zu bleiben. Die Wähler denken anders. Darum ist Trump am Gewinnen. Das ist auch der Grund, warum Bernie Sanders, der unwahrscheinlichste Präsidentschaftskandidat seit Menschengedenken, in der Lage ist, Hillary Clinton ernsthafte Konkurrenz zu machen. Wenn man den Leuten keinen Kapitalismus gibt, pflegte der verstorbenen Jude Wanniski zu sagen, dann werden sie den Sozialismus nehmen.

Amerikaner sind gerissen. Man kann nicht auf sie spuken und ihnen erzählen, es regnet. Sie wissen, das Spiel ist zu ihren Ungunsten manipuliert. Sie wissen davon ebenso, wie sie wissen, wenn eine Lotterie manipuliert ist: Es gibt keine Gewinner. Sie wissen, dass es mit ihnen abwärts geht, weil es nicht aufwärts geht. Amerikaner sind bereit, gegen schlechte Chancen zu spielen – die spielen ständig im Lotto – aber jetzt denken sie, dass sie überhaupt keine Chance haben. Bis 2008 hatten normale Amerikaner eine Außenseiterchance, reich zu werden. Jetzt haben sie keine Chance mehr.

Aufwärtsmobilität ist der Pegel für Amerikas Wohlbefinden. Es ist nicht der Niedergang des durchschnittlichen Familieneinkommens, der den Amerikanern unter die Haut geht, sondern die Wahrnehmung, dass die Eliten die Leiter hinter sich hochgezogen haben. Während des Vierteljahrhunderts nach der Amtseinführung von Ronald Reagan war es nur eine geringfügige Übertreibung, zu sagen, dass in jeder Familie jemand reich wurde. Man kaufte eine Lizenz für Kabelfernsehn, startete eine Website, kaufte einige Aktien von im Aufwind befindlichen High-Tech-Firmen, machte in Immobilien oder leitete ein kleines Geschäft, das ein großes wurde. Ungleichheit stört Amerikaner nicht, so lange sie die Chance auf ein Gewinnlos haben – nicht unbedingt eine faire Chance, aber doch zumindest eine Chance, die sich wenigstens gelegentlich für einfache Leute verwirklicht. So lange sie sehen konnten, dass Leute wie sie selbst reich wurden, spielten sie das Spiel weiter.

Arme Leute kaufen überteuerte Lotterielose und reiche Leute kaufen überteuerte Versicherungen aus demselben Grund: die Armen zahlen für die Aussicht reich zu werden, die reichen zahlen, um sicher zu stellen, dass sie nicht arm werden. Wie die angesehenen kanadischen Wirtschaftswissenschaftler Reuven and Gabriele Brenner dargelegt haben, ist soziale Mobilität der Schlüssel für wirtschaftliches Verhalten. Die Menschen zählen nicht die Pfennige in ihren Geldbeuteln, vielmehr suchen die Armen einen Weg in die Sicherheit der Mittelklasse und die Wohlhabenden versichern sich gegen den glitschigen Abhang, der zurück in die Armut führt.

Man kann in Amerika nicht mehr reich werden. Die Dot.com-Blase war eine Täuschung, sicher, aber so viele Leute haben damit das große Geld gemacht, dass selbst Mike Doonesbury[1] in der gleichnamigen Comixserie ein Dot.com-Millionär wurde. Immobilienspekulationen ohne Eigenkapital bereicherten Millionen von Haushalten unter der Bushregierung. Das waren Blasen, aber es waren demokratische Blasen. Die Märkte versorgten die Massen mit Kapital. Die Aktienmärkte kauften Unternehmen, geleitet von Zwanzigjährigen in löchrigen Jeans und Badelatschen, und der Hypothekenmarkt finanzierte Hausfrauen, als ob sie Großgrundbesitzer wären. Kapital, auch bekannt als das Geld anderer Leute, ist das, was Kapitalismus kapitalistisch macht. Niemand wird reich, indem er in einen Bausparvertrag einzahlt. Sicher, die spekulierenden Hausfrauen in Florida missbrauchten das Geld anderer Leute ebenso wie die Subprime-Verkäufer. Aber darauf kommt es nicht an. Es war ein Beschiss, von dem alle etwas hatten.

2008 aber schloss sich die Tür für die Aspirationen der Mittelklasse mit einem lauten Krach.

Während der Erholungsphase nach 2008 schlossen mehr Unternehmen als neu gegründet wurden, wie ich in einem Essay vom 29. Februar (2016) gezeigt habe

Unternehmensschließungen halten an, während Neugründungen zurückgehen:

Zudem wurde seit 2005 nur einer von sechs neuen Arbeitsplätzen von Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten geschaffen. Dagegen schufen in den drei Jahrzehnten von dem Krach von 2008 Neugründungen 2,9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr, während etablierte Firmen 1,5 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr verloren.

Arbeitsplatzschaffung und Unternehmensgröße:

Die Preise für Wertpapiere haben sich erholt, aber es gibt keine Möglichkeit für normale Leute, auf den Zug aufzuspringen. Private Kapitalgesellschaften haben Milliarden aufgebracht, um zwangsversteigerte Häuser aufzukaufen und zu weit höheren Gesamtkosten an Leute zu vermieten, die es gewohnt waren, ihr eigenes Haus zu besitzen. Seit der Krise ist die nationale Hauseigentumsrate ist von 69 % auf 64 % gefallen, und die Mieten steigen um 4 % pro Jahr, viel schneller als die Einkommen.

Hauseigentumsrate in den Vereinigten Staaten und Miete für den Erstwohnsitz:

Amerikaner tolerieren eine reiche Elite, wenn – und nur wenn – sie am Reichtum teilhaben können. Die kartellierten, korrumpierten, abgeschlossen Mechanismen, die in den letzten acht Jahren Reichtum kreierten, schließen sie aus. Die republikanische Basis will Blut sehen. Sie wollen Rache an Eliten, die sie von der Reichtumsgewinnung ausgeschlossen haben. Ohne Peggy Noonan zu nahe treten zu wollen: das hat nichts zu tun mit “abgesichert” gegen “ungesichert”. Es geht um Möchtegern gegen Habeschon. Es hat auch nichts damit zu tun, was Bret Stephens „eine neue politische Welle“ nennt, „die den Globus überschwemmt – Führer kommen an die Macht durch demokratische Mittel, während sie sich zu illiberalen Zielen bekennen“, einschließlich Viktor Orban in Ungarn und Recep Tayyip Erdogan in der Türkei. Amerikaner haben andere Forderungen als Türken und Ungarn.

Ich habe aus meiner Vorliebe für Ted Cruz kein Geheimnis gemacht, und hoffe immer noch, dass er die Niederlage in einen Sieg verwandeln kann. Er hat eine intelligente und disziplinierte Wahlkampfstrategie verfolgt, die nicht erfolgreich war. Cruz rechnete auf die evangelikalen Protestanten, er hoffte, sie würden ihm in South Carolina Auftrieb geben. Aber die meisten Evangelikalen stimmten stattdessen für Trump. Die Evangelikalen haben immer eine gespaltene Persönlichkeit gehabt, eine Leidenschaft für Sozialkonservatismus einerseits, ein Anpreisen des Wohlstandsevangeliums andererseits. Offensichtlich votieren die Evangelikalen nicht für konservative Prinzipien, wie Cruz es ihnen nahelegte.

Trump übertrumpfte Cruz in den Punkten Immigration und Sicherheit, bot markige Sprüche – baut eine Mauer an der mexikanischen Grenze und hindert Muslime an der Einreise -, die Cruz‘ nuancierte Positionen ertränkten. Cruz stand auf gegen das republikanische Establishment, Trump bot ihnen eine Nonstop-Beschimpfungskomödie.

Abwärtsmobilität ist das entscheidende Thema in den bevorstehenden Wahlen. Solange Trumps Rivalen die Phantasie der Wählerschaft nicht mit einer Vision von erneuter Auswärtsmobilität fesseln können, wird Trump die Nominierung gewinnen. Eine Präsidentschaftswahl zwischen Clinton und Trump wäre die schmutzigste, hässlichste, schmierigste und entscheidendste seit dem Bürgerkrieg. In diesem Fall helfe Gott den Vereinigten Staaten von Amerika.

[1] Entspricht etwa dem deutschen Otto Normalverbraucher oder Heinrich Mustermann.

Spengler auf Deutsch 30: Eine Nachricht für Verschwörungstheoretiker – die Neokonservativen sind keine Zionisten

Das Original erschien am 29. Februar 2016 unter dem Titel “Note to conspiracy theorists — the neo-conservatives aren’t Zionists” in Asia Times.

In amerikanischen Wettbüros zeigen die Quoten für die Vorwahlen eine Wahrscheinlichkeit von 87 %, dass Hillary Clinton die demokratische Kandidatin sein wird, und eine Wahrscheinlichkeit von 76 %, dass Donald Trump die Republikaner führen wird. Von den beiden ist Donald Trump der proisraelische Kandidat. Erstens ist seine Tochter Ivanka nach ihrer Konversion und Ehe mit Jared Kushner, Spross einer prominenten Familie jüdischer Philanthropen, eine bekennende orthodoxe Jüdin. Zweitens – und das ist entscheidend – fühlt Trump keine Verpflichtung, das Wohlwollen der Muslime zu gewinnen, nachdem er ein temporäres Einreiseverbot für Muslime vorgeschlagen hat, die in die Vereinigten Staaten reisen wollen. Dagegen umgibt sich Hillary Clinton mit Beratern, die Israel offen feindselig gegenüberstehen, und erwägt die verdeckte Finanzierung palästinensischen zivilen Ungehorsams, um die israelische Regierung unter Druck zu setzen.

Selten haben Amerikaner eine so klare Wahl zwischen pro- und nicht so proisraelischen Kandidaten gehabt. Bemerkenswerterweise bevorzugen die Neokonservativen Hillary Clinton. Das sollte Verwirrung unter Verschwörungstheoretikern stiften. Eine Suche mit Google ergibt 400.000 Treffer für die Suchbegriffe „neokonservativ“ und „Zionist“. Jedoch, die führenden Neokonservativen sagen, sie würden unter keinen Umständen für Trump stimmen, und ein prominenter Neokonservativer, Robert Kagan, hat sich bereits für Hillary und gegen Trump entschieden. Bill Kristol, der Herausgeber des „Weekly Standard“ und Vorsitzender des „Emergency Committee for Israel“[1], hat erklärt, dass er nie unter keinen Umständen für Trump stimmen würde, und ebenso der langjährige republikanische Amtsträger Peter Wehner. Kristol hat gesagt, er würde Hillary nicht unterstützen, aber angedroht, sich an der Gründung einer dritten Partei zu beteiligen, wenn Trump nominiert werden sollte – was republikanische Stimmen von Trump abziehen und Clinton helfen würde.

Bemerkenswerterweise hat Kristols „Emergency Committee for Israel“ einen Fernsehspot geschaltet, der Trump beschuldigt, „sich bei antiamerikanischen Diktatoren einzuschleimen“ – ein ungewöhnlicher Gebrauch für Gelder durch eine Organisation, die zu dem Zweck gegründet wurde, Israel und nicht bestimmte Kandidaten zu unterstützen, und besonders ungewöhnlich, wenn sie gegen einen pro-israelischen Kandidaten gerichtet sind. Trump hat bekanntlich gesagt, dass Amerika mit Wladimir Putin gegen Terroristen zusammenarbeiten könne, und argumentiert, dass der Sturz von Saddam Hussein und Muammar Gaddafi den Terroristen genützt habe. Man kann nicht behaupten, dass Trump mit einem breiten Pinsel malt, eher klatscht er einen Eimer Farbe gegen die Wand. Aber das die Neokonservativen definierende Dogma besteht darin, Diktatoren zu unterminieren und Demokratie zu unterstützen. Trumps Sicht entspricht eher der in Israel vorherrschenden. Israel ist pragmatisch; es zieht generell die arabischen Diktatoren dem Chaos vor, das sie ersetzt hat. Israels Beziehungen mit Russland sind komplex, aber generell gut, insbesondere in operationellen Fragen in Syrien.

Trump hat größtenteils völlig recht. Das libysche Abenteuer, das die Neokonservativen ebenso wie die Obamaregierung lautstark unterstützten, verwandelte Libyen in ein Ausbildungslager für Terroristen. Indem die Bushregierung die schiitische Mehrheit im Irak an die Macht brachte, verwandelte sie den Irak in eine iranische Satrapie. Saddam Hussein zu stürzen war nicht das Problem, aber die Marginalisierung der irakischen Sunniten bereitete den Boden für ISIS. Russland hat erheblich mehr von islamistischen Terroristen zu fürchten als die Vereinigten Staaten, und theoretisch könnte es mit Washington kooperieren, selbst wenn es amerikanischen Interessen in anderen Sphären opponiert.

Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses im Jahre 2004 halfen Bill Kristol und der Kolumnist der Washington Post, Charles Krauthammer, bei der Abfassung von George W. Bushs zweiter Antrittsrede, mit ihrer Vision von globaler Demokratie unter amerikanischer Führung. Seither ist alles schiefgegangen. Der Erfolg von Donald Trump und auch von Senator Ted Cruz reflektiert teilweise den Abscheu der republikanischen Partei mit den von neokonservativer Ideologie motivierten Abenteuern. Die republikanische Partei hat die Neokonservativen zurückgewiesen, deren Kandidat, Marco Rubio, gemäß der „Iowa Futures Market[2] eine 15 % Chance hat, die Nominierung zu erlangen, während Trump auf 76 % kommt. Dagegen haben die Neokonservativen die Republikanische Partei zurückgewiesen.

Asiatische Beobachter versuchen, rationale Gründe für die amerikanische Politik zu finden. Aber wenn die Karten auf dem Tisch liegen, hat die neokonservative Bewegung nichts mit amerikanischer Macht oder nahöstlichem Öl oder Israel zu tun. Es handelt sich um einen Kult, um den Glauben, das demokratische Institutionen als solche die Lösung für die Weltprobleme sind, und das wird weitergehen, gleichgültig wie offensichtlich das Gegenteil ist. Dieser Kult ist gutorganisiert, mit einem Netzwerk akademischer Gurus und einschlägiger Literatur, einschließlich der Werke des verstorbenen Professors Leo Strauss (aber keineswegs begrenzt auf ihn). Wie alle Sekten hält sie zusammen, um ihre Illusionen gegen ihre Feinde zu verteidigen, selbst wenn diese Feinde Freunde Israels sind. Man kann es den neokonservativen Kult des Rationalismus nennen. Seine Anhänger sind besessen von einem irrationalen Glauben an den Rationalismus, und sie werden offensichtlich irrationale Dinge tun, um ihre Besessenheit gegen die grausamen Attacken der wirklichen Welt zu verteidigen. Sie sind auch gewillt, ihr Israelis Interessen zu opfern.

Ich habe kein Geheimnis aus meiner Abneigung gegen Donald Trump gemacht. Seine Demagogie über Einwanderung lehne ich ab. Aber meine Abneigung gegen den Mann hindert mich nicht daran zuzugeben, dass er in einigen Fragen recht hat, zum Beispiel über die Dummheiten der Neokonservativen.

Wenn Clinton gegen Trump antritt, werde ich, ohne eine Sekunde zu zögern, für Trump stimmen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Wie Peter Schweizer in seinem Buch Clinton Cash darlegt, sind die Clintons ein kriminelles Unternehmen; sie verkaufen Amerikas Gunst an Dritte Welt-Kleptokraten und ihre Kumpane als Gegenleistung für achtstellige Spenden an die Clintonstiftung, für fette Vortragshonorare und Ähnliches. Trump ist ein Geschäftsmann, der es versteht, seine Ellbogen zu gebrauchen und der weiß, wie das System politischer Gefälligkeiten funktioniert, aber er ist kein Krimineller. Zweitens: Trump ist mehr proisraelisch, und das ist ein Kernpunkt für mich. Israel ist nicht nur Amerikas wichtigster Alliierter in einem vertrackten Teil der Welt, sondern auch der Eckstein, auf dem das Gebäude der amerikanischen Republik in erster Linie errichtet worden ist. In einem Essay für eine jüdische Zeitschrift vom Juli 2015, habe ich die Frage gestellt „Wird Israel Amerika retten?“ Das Geschick der Amerikaner – des „beinahe auserwählten Volkes“ in Lincolns Worten – ist an das Geschick Israels gebunden.

Asiatische Beobachter sollten zu verstehen versuchen, dass wir Amerikaner verrückt sein können. Wir sind eine Nation, die eher auf Ideen als auf gemeinsame Sprache und Ethnie gegründet worden ist, und wenn wir der falschen Idee folgen, entgleisen wir. Der Niedergang der amerikanischen Macht unter den Regierungen von Bush und Obama ist nicht das Resultat großer historischer Kräfte oder gesellschaftlicher Trends. Er ist das Resultat ideologischer Dummheit großen Ausmaßes.

[1] Das „Emergency Committee for Israel“ ist eine von Neokonservativen dominierte Organisation, welche es sich zum Ziel gesetzt hat, die amerikanisch-israelischen Beziehungen zu fördern und zu verbessern.

[2] Es handelt sich um eine von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Iowa unterhaltene Website, auf der Wetten für die zukünftige Entwicklung von Wertpapieren, aber auch über zukünftige politische Entwicklungen abgegeben werden können. Sie ist dafür bekannt, dass sie Wahlergebnisse oft genauer als demoskopische Institute vorhersagt.

Spengler auf Deutsch 29: Wenn ihr an Unternehmer glaubt, klatscht in die Hände

Das Original erschien am 29. Februar 2016 unter dem Titel „If you believe in entrepreneurs, clap your hands“ in Asia Times

Der Unternehmer ist der kalt gewordene Brei, um den alle herumreden.

Von 1977 bis 2005 kam fast das gesamte Wirtschaftswachstum und das gesamte Nettowachstum an Arbeitsplätzen von Neugründungen. Etablierte Firmen schrumpften und neue Firmen wuchsen. Nach der Großen Rezession von 2008 war es umgekehrt: die gesamte Erholung auf dem Arbeitsmarkt kam von etablierten Firmen; dagegen leisteten Neugründungen nichts für das Nettowachstum an Arbeitsplätzen. Unter der Obamaregierung wandelte sich Amerika von der innovativsten Wirtschaft der Welt zu der statischsten und kartelliertesten.

Dies ist die deprimierendste Tatsache aus der amerikanischen Wirtschaft. Die deprimierendeste Tatsache aus der amerikanischen Politik ist, dass niemand darüber spricht. Beide Fakten bedürfen einer genaueren Untersuchung.

Niemand zweifelt daran, dass während der drei Jahrzehnte vor dem Krach von 2008 die neuen Unternehmen die treibende Kraft für das Wachstum an Arbeitsplätzen waren. Wirtschaftswissenschaftler vom amerikanischen „Census Bureau“ und der Universität von Maryland haben in einer 2014 erschienen Studie gezeigt, das Neugründungen zwischen 1980 und 2010 durchschnittlich 2.9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr schufen, das Doppelte des durchschnittlichen Gesamtanstieges von 1,4 Millionen Arbeitsplätzen in diesem Zeitraum. Mit anderen Worten: Neugründungen schufen 2,9 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr, während etablierte Unternehmen 1,5 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr verloren.

Neugründungen schufen fast alle neuen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten:

Springen wir nach vorn zur amerikanischen Wirtschaft nach der Rezession. Nahezu alle Veränderungen am Arbeitsmarkt seit Juni 2007 kamen von den S&P1000-Unternehmen. Die Zahlen stimmen nicht ganz genau, da die S&P-Daten Beschäftigung an überseeischen Filialen einschließen, aber sie sind doch recht genau.

Veränderungen am Arbeitsmarkt seit Juni 2007:

jobcreation

Was ist aus den Unternehmern geworden? Sie sind zu einer gefährdeten Spezies geworden. Zum ersten Mal seit das „Census Bureau“ Daten sammelt, sind in den Obama-Jahren mehr Unternehmen geschlossen als neue gegründet worden. Unten findet man eine Graphik der „Gallup Organization“, die aufgrund der Daten des „Census Bureau“ den absoluten Rückgang der Anzahl von Unternehmensgründungen darstellt.

Unternehmensschließungen halten an, während Neugründungen zurückgehen:

Wirtschaftswissenschaftler bieten ebenso viele Erklärungen für den Niedergang des amerikanischen Unternehmers wie Historiker für den Untergang des Römischen Reichs. Strangulation durch übertriebene Regulierung ist wahrscheinlich die wichtigste: Die Täter heißen Obamacare, Umweltschutzmaßnahmen, Dodd-Frank[1]-Veröffentlichungen, ergänzt durch weitere Angriffe auf Zeit, Energie und Kapital eines Unternehmers. Das „Congressional Budget Office“ schätzt, dass allein durch Obamacare die Schaffung von 2,3 Millionen neuer Arbeitsplätze bis 2021 erstickt werden wird. Was früher mal ein aufstörender, innovativer Technologiesektor war, hat sich in eine kleine Zahl von Monopolen gewandelt, geleitet von Patentanwälten, statt von Ingenieuren. Das verhindert Investitionen in Neugründungen. Eine Abnahme der staatlichen Unterstützung für Spitzenforschung und -entwicklung hat ebenfalls den Spielraum für mögliche Erfindungen reduziert, wie Dr. Henry Kressel und ich vor drei Jahren in The American Interest geschrieben haben.

Sicher, es gibt eine Reihe von großen unternehmerischen Erfolgsgeschichten, etwa in den Sozialen Medien und ähnlichen Bereichen. Facebook saugt Werbeeinnahmen aus den Geldsäcken der traditionellen Medien. Uber und seine Wettbewerber ruhen auf einer riesigen Anzahl von Teilzeit-Fahrern mit eigenem Auto, die gewillt sind, 10 bis 20 Stunden extra pro Woche zu arbeiten, für kaum mehr Geld als die Kosten für ihr Fahrzeug betragen. Diese Software-Innovationen sind intelligent, aber sie bewirken nichts im Hinblick auf Arbeitsproduktivität. Amerikas große Erfolgsgeschichte war der Fracking-Boom, jetzt eine verblassende Erinnerung bei einem Ölpreis von 30 Dollar pro Barrel.

Was auch immer der Grund für den Niedergang des Unternehmertums ist, er ist Amerikas größtes Problem. Warum spricht keiner der Präsidentschaftskandidaten darüber? Ich denke, die Antwort ist einfach. Amerikaner unter 40 haben vom Unternehmertum nicht viel Nützliches gesehen. Die letzten drei Wellen von Unternehmern – die dot.com-Freaks der 1990er, die Hypotheken-Subprimer der 2000er und die Schieferöl-Bohrer der letzten fünf Jahre – sie alle wurden in Särgen hinausgetragen. Die eine Innovation, die das tägliche Leben in den letzten zehn Jahren beeinflusst hat, war das Smartphone, und das kam von einem etablierten Monopol, nämlich Apple.

Mitt Romney hat es versucht: Er zog den früheren Geschäftsführer von „Staples“, Tom Stemberg, bei dem republikanischen Parteitag 2012 heran, als Aushängeschild für unternehmerische Arbeitsplatzschaffung. Das war eine schlechte Idee, weil Staples seinen Verkäufern 16000 bis 19000 Dollar im Jahr bezahlt, kaum mehr als den Mindestlohn.

Amerikaner glauben nicht mehr an das Unternehmertum. Es ist leichter Kinder dazu zu bringen, in die Hände zu klatschen, um Tinkerbell[2] wiederzubeleben, als die Wähler zu bewegen, an das Unternehmertum zu glauben. Illegale Einwanderer sind ein geringeres Problem und eins, das kleiner wird (gemäß dem „Pew Institute”), aber das Problem ist sichtbar und scheinbar für eine einfache Lösung geeignet. Es ist einfacher, die Leidenschaften über illegale Immigranten zu erregen, als die Rolle ökonomischer Akteure zu erklären, die zu einer Art Abstraktion geworden sind.

Wenn Amerika keine Innovationen mehr hervorbringt, wird seine Wirtschaft absteigen, wie vor ihr die britische. Und es gibt keine Innovation ohne Innovatoren, diese zerstörerischen, unausstehlichen, besessenen Visionäre, die die Risiken auf sich nehmen, die nötig sind, um das wirtschaftliche Leben zu verwandeln. Amerika ist auf dem falschen Kurs, und es ist verstörend, dass keiner von seinen Möchte-Gern-Führern darüber sprechen will, wie man es auf den richtigen zurückführt.

[1] Der „Dodd–Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act“ ist ein amerikanisches Bundesgesetz, das als Reaktion auf die Finanmarktkrise von 2007 das Finanzmarktrecht der Vereinigten Staaten umfassend reformiert hat. Der Dodd-Frank Act umfasst insgesamt 15 Titel mit 541 Gesetzesartikeln auf 849 Seiten.

[2] Elfe in J. M. Barries Roman “Peter Pan”. In den deutschen Übersetzungen meist „Glöckchen“ genannt.