Spengler auf Deutsch 57: Die Probleme der Deutschen Bank bedeuten keine allgemeine Finanzkrise

Das Original erschien am 26. September 2016 unter dem Titel „Deutsche Bank’s problem dosen’t mean a broader financial crisis“ in Asia Times

Der sinkende Aktienkurs der Deutschen Bank hat die Befürchtung einer neuen Finanzkrise in einer Größenordnung wie 2008 in den Vereinigten Staaten oder wie 2011 in Europa geweckt. Die Deutsche Bank, Deutschlands größter Kreditgeber, hat dieses Jahr etwas über die Hälfte ihres Marktwerts verloren; er ist seit dem 9. September um 30 % zurückgegangen. Die deutschen Medien zitieren ungenannte Berliner Politiker, dass es keinen Bailout für die Deutsche Bank geben werde, und der Aktienkurs ging diesen Morgen drastisch zurück. Das sind die schlechten Nachrichten; sehr schlechte Nachrichten, wenn Sie in der unglücklichen Lage sind, solche Aktien zu besitzen. Aber für den Rest von uns sind sie weniger schlimm.

Auslöser für den Kurssturz war eine Forderung der amerikanischen Regierung nach einem Bußgeld von 14 Milliarden Dollar wegen mutmaßlichen Betrugs mit Hypotheken-gedeckten Wertpapieren während der Finanzkrise. Die Bank müsste neues Kapital zu einem sehr hohen Preis auftreiben, um eine Buße in dieser Höhe zu zahlen. Und die rechtlichen Probleme der Bank haben die Befürchtungen über ihren finanziellen Zustand und ihre Rentabilität verschärft.

Die schlechte Nachricht lautet, dass Europas Bankensystem zwei Arten von Problemen hat: Banken mit riesigen Mengen von nicht bedienten Krediten und Banken mit riesigen Mengen von undurchsichtigen Derivaten (die in ihren Bilanzen als „außerbilanzielle Verpflichtungen“ ausgewiesen sind). Die gute Nachricht lautet, dass wir genau wissen, wer die Problemfälle unter den europäischen Banken sind und dass es nicht viele sind. Es gibt nur zwei Banken, bei denen außerbilanzielle Verpflichtungen ein Viertel ihrer Vermögenswerte ausmachen – die Deutsche Bank und ihren Leidensgenossen Credit Suisse (ich enthülle: von 1998 bis 2002 war ich Managing Direktor bei Credit Suisse). Barclays Bank hat ebenfalls zahlreiche außerbilanzielle Verpflichtungen in seinen Büchern, wird vom Markt aber als konservativer eingeschätzt.

Ebenso gibt es seine Gruppe von Banken mit so vielen nichtbedienten Krediten, dass sie faktisch insolvent sind. Die gute Nachricht lautet, dass sie alle in Italien sind und dass die Gesamtkosten für einen Bailout durch die Regierung selbst unter den extremsten Umständen weniger als 5 % zur italienischen Staatsschuld hinzufügen würden. Am schlimmsten dran ist die Monte de Paschi Bank oder – einem örtlichen Witz zufolge –  die Monty de Python Bank (wie in „Der Papagei ist tot“[1]). Die italienische Bankenkrise habe ich bereits im letzten März erörtert.

Faule Kredite machen etwa ein Fünftel der Gesamtkredite italienischer Banken aus und ihre Kapitalausstattung macht nur ein Zehntel der Gesamtkredite aus. Die fraglichen Kredite sind größtenteils Kredite von kleinen Unternehmen und gemäß Italiens surrealen Bankrottregelungen braucht man im Durchschnitt acht bis zehn Jahre um einen bankrotten Kreditnehmer abzuwickeln. Das gibt maroden Kreditnehmern viel Zeit, um Vermögenswerte aus ihren Unternehmen abzuziehen. Die Aufsichtsbehörden versuchen, die Banken dahin zu bringen, ihre schlechten Kredite zu verkaufen, aber es ist schwierig, einen Kredit zu verkaufen, bei dem die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung so gering ist. Die Situation der Banken ist hoffnungslos, aber nicht ernst; die komische Oper der italienischen Hochfinanz hat noch einige Akte vor sich.

Es mag sein, dass die außerbilanziellen Verpflichtungen der Deutschen Bank nichts Verwerfliches enthalten. Wir wissen es einfach nicht. 2008 hatte Lehman Brothers riesige außerbilanzielle Verpflichtungen; unter anderem hatten sie Garantiepreise auf forderungsbesicherte Schuldverschreibungen, die sie in den vorangegangenen Jahren ausgegeben hatten. Als der Markt für diese komplexen Derivate zusammenbrach, wusste Lehman nicht, wieviel Geld sie besaßen und konnten es nicht herausfinden. Das war einer der Gründe, warum ihre Geschäfte abgewickelt werden mussten.

Im Falle der Deutschen Bank mag es sein, dass sie nichts von ihren außerbilanziellen Verpflichtungen zu fürchten hat. In der Vergangenheit nutzte die Deutsche Bank (legale) buchhalterische Tricks, um einige dieser Verpflichtungen außerhalb ihre Bilanz zu halten, um Kapitalkosten zu sparen. Sie hat eine riesige Menge an Derivaten, aber diese bestehen aus ausgeglichenen Positionen. Sicher, wenn eine der Gegenparteien in großem Spiel Pleite ginge, wäre die Deutsche Bank in Gefahr, aber diese Art von Ereignis ist von den Zentralbanken leicht zu im Voraus zu verhindern. Sollte die Deutsche Bank (das ist sehr hypothetisch) einen unerwarteten Verlust erleiden, groß genug, ihr Überleben zu bedrohen, gäbe es keine Bailout durch die Regierung. Inhaber nachrangiger Obligationen würden einiges Geld verlieren, Depositeninhaber wären geschützt, die Derivate würden herausgelöst und die Funktionen der Bank würden von ihren Wettbewerbern übernommen.

Als die Blase von 2008 ihren Gipfel erreicht hatte, betrug der Marktwert ausstehender Kreditausfallversicherungen (nach Saldierung der entsprechenden Positionen) um die 5 Billionen Dollar. Er schrumpfte bis zum Ende 2015 auf 420 Milliarden Dollar, gemäß der Bank für internationalen Zahlungsausgleich. Die heiße Luft ist entwichen und die wenigen übriggebliebenen Bläschen, zum Beispiel in den Bilanzen der Deutschen Bank, sind nicht groß genug, um eine neue Krise auszulösen.

Europas Banken müssen sich zu größeren Institutionen mit geringeren Kosten und sehr viel weniger Angestellten zusammenschließen. In einem Land wie Italien mit hoher Arbeitslosigkeit ist das ein politisches Problem, aber nicht in Deutschland, wo Arbeitskräfte knapp sind. Europas Wirtschaft wird in der Depression verharren und seine Banken werden wenig zum Wachstum beitragen. Aber eine neue Krise ist höchst unwahrscheinlich.

 

[1] Der Papagei ist tot (auch Dieser Papagei ist tot, im Original Dead Parrot oder Parrot Sketch) ist ein Sketch der britischen Komikertruppe Monty Python. Ein Mann kommt in eine Tierhandlung. Er trägt einen Käfig bei sich, in dem ein offensichtlich toter Papagei liegt. Der Tierhändler versucht, sich hinter der Kasse zu verstecken, kommt jedoch hervor, als er mit „Hallo, Fräulein!“ angesprochen wird (Antwort des Tierhändlers: „Wieso Fräulein?“ – „Verzeihung, ich bin erkältet.“ Die Übersetzung kann jedoch nicht wiedergeben, dass diese Antwort darauf beruht, den englischen Ausdruck ‚Miss‘ für ein Niesen auszugeben.). Dann erklärt er, er habe den Papagei dabei, den er vor einer halben Stunde erst gekauft habe. Der Tierhändler bewundert den Papagei, einen „norwegischen Blauling“ (Original: „Norwegian Blue“) und fragt, was ihm denn fehle. Der Mann antwortet darauf: „Ich will Ihnen sagen, was mit ihm nicht stimmt: Er ist tot.“ Ab hier besteht das Gespräch daraus, dass der Tierhändler vehement leugnet, dass der Papagei tot sei und jede Menge Ausreden für den Zustand des Tieres findet („Er ruht sich nur aus.“ – „Er liegt gern auf dem Rücken, das ist gut für seine Wirbelsäule.“), während der Kunde mit einer Vielzahl von Synonymen des Wortes „tot“ klarzumachen versucht, dass der Vogel wirklich tot ist („Die ewigen Jagdgründe haben ihn als Mitglied aufgenommen … Keine Spur Leben in ihm … Er ist abgeritten zu seinen Ahnen … Dieses hier ist ein Ex-Papagei!“) (aus Wikipedia).

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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