Spengler auf Deutsch 30: Eine Nachricht für Verschwörungstheoretiker – die Neokonservativen sind keine Zionisten

Das Original erschien am 29. Februar 2016 unter dem Titel “Note to conspiracy theorists — the neo-conservatives aren’t Zionists” in Asia Times.

In amerikanischen Wettbüros zeigen die Quoten für die Vorwahlen eine Wahrscheinlichkeit von 87 %, dass Hillary Clinton die demokratische Kandidatin sein wird, und eine Wahrscheinlichkeit von 76 %, dass Donald Trump die Republikaner führen wird. Von den beiden ist Donald Trump der proisraelische Kandidat. Erstens ist seine Tochter Ivanka nach ihrer Konversion und Ehe mit Jared Kushner, Spross einer prominenten Familie jüdischer Philanthropen, eine bekennende orthodoxe Jüdin. Zweitens – und das ist entscheidend – fühlt Trump keine Verpflichtung, das Wohlwollen der Muslime zu gewinnen, nachdem er ein temporäres Einreiseverbot für Muslime vorgeschlagen hat, die in die Vereinigten Staaten reisen wollen. Dagegen umgibt sich Hillary Clinton mit Beratern, die Israel offen feindselig gegenüberstehen, und erwägt die verdeckte Finanzierung palästinensischen zivilen Ungehorsams, um die israelische Regierung unter Druck zu setzen.

Selten haben Amerikaner eine so klare Wahl zwischen pro- und nicht so proisraelischen Kandidaten gehabt. Bemerkenswerterweise bevorzugen die Neokonservativen Hillary Clinton. Das sollte Verwirrung unter Verschwörungstheoretikern stiften. Eine Suche mit Google ergibt 400.000 Treffer für die Suchbegriffe „neokonservativ“ und „Zionist“. Jedoch, die führenden Neokonservativen sagen, sie würden unter keinen Umständen für Trump stimmen, und ein prominenter Neokonservativer, Robert Kagan, hat sich bereits für Hillary und gegen Trump entschieden. Bill Kristol, der Herausgeber des „Weekly Standard“ und Vorsitzender des „Emergency Committee for Israel“[1], hat erklärt, dass er nie unter keinen Umständen für Trump stimmen würde, und ebenso der langjährige republikanische Amtsträger Peter Wehner. Kristol hat gesagt, er würde Hillary nicht unterstützen, aber angedroht, sich an der Gründung einer dritten Partei zu beteiligen, wenn Trump nominiert werden sollte – was republikanische Stimmen von Trump abziehen und Clinton helfen würde.

Bemerkenswerterweise hat Kristols „Emergency Committee for Israel“ einen Fernsehspot geschaltet, der Trump beschuldigt, „sich bei antiamerikanischen Diktatoren einzuschleimen“ – ein ungewöhnlicher Gebrauch für Gelder durch eine Organisation, die zu dem Zweck gegründet wurde, Israel und nicht bestimmte Kandidaten zu unterstützen, und besonders ungewöhnlich, wenn sie gegen einen pro-israelischen Kandidaten gerichtet sind. Trump hat bekanntlich gesagt, dass Amerika mit Wladimir Putin gegen Terroristen zusammenarbeiten könne, und argumentiert, dass der Sturz von Saddam Hussein und Muammar Gaddafi den Terroristen genützt habe. Man kann nicht behaupten, dass Trump mit einem breiten Pinsel malt, eher klatscht er einen Eimer Farbe gegen die Wand. Aber das die Neokonservativen definierende Dogma besteht darin, Diktatoren zu unterminieren und Demokratie zu unterstützen. Trumps Sicht entspricht eher der in Israel vorherrschenden. Israel ist pragmatisch; es zieht generell die arabischen Diktatoren dem Chaos vor, das sie ersetzt hat. Israels Beziehungen mit Russland sind komplex, aber generell gut, insbesondere in operationellen Fragen in Syrien.

Trump hat größtenteils völlig recht. Das libysche Abenteuer, das die Neokonservativen ebenso wie die Obamaregierung lautstark unterstützten, verwandelte Libyen in ein Ausbildungslager für Terroristen. Indem die Bushregierung die schiitische Mehrheit im Irak an die Macht brachte, verwandelte sie den Irak in eine iranische Satrapie. Saddam Hussein zu stürzen war nicht das Problem, aber die Marginalisierung der irakischen Sunniten bereitete den Boden für ISIS. Russland hat erheblich mehr von islamistischen Terroristen zu fürchten als die Vereinigten Staaten, und theoretisch könnte es mit Washington kooperieren, selbst wenn es amerikanischen Interessen in anderen Sphären opponiert.

Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses im Jahre 2004 halfen Bill Kristol und der Kolumnist der Washington Post, Charles Krauthammer, bei der Abfassung von George W. Bushs zweiter Antrittsrede, mit ihrer Vision von globaler Demokratie unter amerikanischer Führung. Seither ist alles schiefgegangen. Der Erfolg von Donald Trump und auch von Senator Ted Cruz reflektiert teilweise den Abscheu der republikanischen Partei mit den von neokonservativer Ideologie motivierten Abenteuern. Die republikanische Partei hat die Neokonservativen zurückgewiesen, deren Kandidat, Marco Rubio, gemäß der „Iowa Futures Market[2] eine 15 % Chance hat, die Nominierung zu erlangen, während Trump auf 76 % kommt. Dagegen haben die Neokonservativen die Republikanische Partei zurückgewiesen.

Asiatische Beobachter versuchen, rationale Gründe für die amerikanische Politik zu finden. Aber wenn die Karten auf dem Tisch liegen, hat die neokonservative Bewegung nichts mit amerikanischer Macht oder nahöstlichem Öl oder Israel zu tun. Es handelt sich um einen Kult, um den Glauben, das demokratische Institutionen als solche die Lösung für die Weltprobleme sind, und das wird weitergehen, gleichgültig wie offensichtlich das Gegenteil ist. Dieser Kult ist gutorganisiert, mit einem Netzwerk akademischer Gurus und einschlägiger Literatur, einschließlich der Werke des verstorbenen Professors Leo Strauss (aber keineswegs begrenzt auf ihn). Wie alle Sekten hält sie zusammen, um ihre Illusionen gegen ihre Feinde zu verteidigen, selbst wenn diese Feinde Freunde Israels sind. Man kann es den neokonservativen Kult des Rationalismus nennen. Seine Anhänger sind besessen von einem irrationalen Glauben an den Rationalismus, und sie werden offensichtlich irrationale Dinge tun, um ihre Besessenheit gegen die grausamen Attacken der wirklichen Welt zu verteidigen. Sie sind auch gewillt, ihr Israelis Interessen zu opfern.

Ich habe kein Geheimnis aus meiner Abneigung gegen Donald Trump gemacht. Seine Demagogie über Einwanderung lehne ich ab. Aber meine Abneigung gegen den Mann hindert mich nicht daran zuzugeben, dass er in einigen Fragen recht hat, zum Beispiel über die Dummheiten der Neokonservativen.

Wenn Clinton gegen Trump antritt, werde ich, ohne eine Sekunde zu zögern, für Trump stimmen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Wie Peter Schweizer in seinem Buch Clinton Cash darlegt, sind die Clintons ein kriminelles Unternehmen; sie verkaufen Amerikas Gunst an Dritte Welt-Kleptokraten und ihre Kumpane als Gegenleistung für achtstellige Spenden an die Clintonstiftung, für fette Vortragshonorare und Ähnliches. Trump ist ein Geschäftsmann, der es versteht, seine Ellbogen zu gebrauchen und der weiß, wie das System politischer Gefälligkeiten funktioniert, aber er ist kein Krimineller. Zweitens: Trump ist mehr proisraelisch, und das ist ein Kernpunkt für mich. Israel ist nicht nur Amerikas wichtigster Alliierter in einem vertrackten Teil der Welt, sondern auch der Eckstein, auf dem das Gebäude der amerikanischen Republik in erster Linie errichtet worden ist. In einem Essay für eine jüdische Zeitschrift vom Juli 2015, habe ich die Frage gestellt „Wird Israel Amerika retten?“ Das Geschick der Amerikaner – des „beinahe auserwählten Volkes“ in Lincolns Worten – ist an das Geschick Israels gebunden.

Asiatische Beobachter sollten zu verstehen versuchen, dass wir Amerikaner verrückt sein können. Wir sind eine Nation, die eher auf Ideen als auf gemeinsame Sprache und Ethnie gegründet worden ist, und wenn wir der falschen Idee folgen, entgleisen wir. Der Niedergang der amerikanischen Macht unter den Regierungen von Bush und Obama ist nicht das Resultat großer historischer Kräfte oder gesellschaftlicher Trends. Er ist das Resultat ideologischer Dummheit großen Ausmaßes.

[1] Das „Emergency Committee for Israel“ ist eine von Neokonservativen dominierte Organisation, welche es sich zum Ziel gesetzt hat, die amerikanisch-israelischen Beziehungen zu fördern und zu verbessern.

[2] Es handelt sich um eine von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Iowa unterhaltene Website, auf der Wetten für die zukünftige Entwicklung von Wertpapieren, aber auch über zukünftige politische Entwicklungen abgegeben werden können. Sie ist dafür bekannt, dass sie Wahlergebnisse oft genauer als demoskopische Institute vorhersagt.

Autor: Stefan O. W. Weiss

Leon de Winter zählte die Kolumnen von David P. Goldman, besser bekannt unter seinem nom de plume „Spengler“, „zu den allerinteressantesten, die es weltweit zu lesen gibt“. Seine Texte, die er meist in „Asia Times“ und „PJMedia“ veröffentlicht, haben eine Leserschaft gefunden, die in die Hunderttausende geht. Er behandelt so verschiedene Themen wie Philosophie, Literatur, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Strategie, Weltpolitik, Musik und andere mehr mit gleicher Souveränität und Kompetenz. In Deutschland ist er ein Geheimtipp geblieben, bedauerlicherweise, da er ein vorzüglicher Kenner der deutschen Geistesgeschichte ist. Seine Essays über Wagner, Goethe, Schiller seien doch wenigstens en passant erwähnt. Um dem deutschen Leser die Lektüre zu erleichtern, beabsichtige ich, in diesem Blog seine Texte fortlaufend in Deutsche zu übersetzen. Ich habe dieses Projekt seit einigen Monaten verfolgt, der erste hier auf Deutsch veröffentliche Text stammt vom Oktober 2015. In den kommenden Wochen gedenke ich, seine nachfolgenden Texte in chronologischer Reihenfolge zu veröffentlichen, bis der Anschluss zu Gegenwart erreicht ist.

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